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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Die Klassengegensätze als Bildungsunterschiede.
Gewerbegesetzgebung ziehen. Wären die Zustände so
schlimm, daß eine solch' radikale Reform nothwendig wäre,
die Aussicht, sie durchzusetzen, würde gering sein. Nur
einer großen tiefbewegten Zeit, nur politischen Zuständen,
welche zu einer kürzern oder längern Diktatur führen,
sind solche kolossale Reformen eigen. Freie parlamen-
tarische Verfassungen sind, wie das Gneist immer betont,
nicht für den Austrag solcher tiefen sozialen Kämpfe
geschaffen, da der Parteikampf in diesem Falle zum
erbitterten Klassenkampf ausarten würde.

Es handelt sich aber auch, wie gesagt, um so tief
greifende Reformen noch nicht. Mildere Mittel reichen,
an Bestehendes kann angeknüpft werden. Immer ist
es besser, wenn ein äußerer Eingriff in die bestehende
Besitzvertheilung vermieden werden kann, da seine
psychologische Wirkung stets problematisch bleibt. Für
das gewerbliche Leben, von dessen Reform wir hier
sprechen, ist auch der Besitz nie so wichtig, wie die per-
sönlichen Eigenschaften. Gelingt die geistige und tech-
nische Hebung des Handwerkerstandes, wie des Arbeiter-
standes, so ist damit das Wichtigste erreicht. Es han-
delt sich in erster Linie um eine Erziehung der Leute
zu andern gesellschaftlichen Gewohnheiten, zu andern
häuslichen Sitten, zu einem weitern Blick, zu einer
höhern technischen Bildung. Wenn wir das voranstellen,
können wir auch eher hoffen, die verschiedenen politischen
Parteien für unsere Vorschläge zu gewinnen. Aber das
ist zu betonen, daß die bloßen Privatkräfte nicht aus-
reichen. Man darf sich nicht einbilden, Alles Nothwendige
sei geschehen, wenn Gewerbe- und Bankfreiheit, Ehe- und

Schmoller, Gesch. d. Kleingewerbe. 44

Die Klaſſengegenſätze als Bildungsunterſchiede.
Gewerbegeſetzgebung ziehen. Wären die Zuſtände ſo
ſchlimm, daß eine ſolch’ radikale Reform nothwendig wäre,
die Ausſicht, ſie durchzuſetzen, würde gering ſein. Nur
einer großen tiefbewegten Zeit, nur politiſchen Zuſtänden,
welche zu einer kürzern oder längern Diktatur führen,
ſind ſolche koloſſale Reformen eigen. Freie parlamen-
tariſche Verfaſſungen ſind, wie das Gneiſt immer betont,
nicht für den Austrag ſolcher tiefen ſozialen Kämpfe
geſchaffen, da der Parteikampf in dieſem Falle zum
erbitterten Klaſſenkampf ausarten würde.

Es handelt ſich aber auch, wie geſagt, um ſo tief
greifende Reformen noch nicht. Mildere Mittel reichen,
an Beſtehendes kann angeknüpft werden. Immer iſt
es beſſer, wenn ein äußerer Eingriff in die beſtehende
Beſitzvertheilung vermieden werden kann, da ſeine
pſychologiſche Wirkung ſtets problematiſch bleibt. Für
das gewerbliche Leben, von deſſen Reform wir hier
ſprechen, iſt auch der Beſitz nie ſo wichtig, wie die per-
ſönlichen Eigenſchaften. Gelingt die geiſtige und tech-
niſche Hebung des Handwerkerſtandes, wie des Arbeiter-
ſtandes, ſo iſt damit das Wichtigſte erreicht. Es han-
delt ſich in erſter Linie um eine Erziehung der Leute
zu andern geſellſchaftlichen Gewohnheiten, zu andern
häuslichen Sitten, zu einem weitern Blick, zu einer
höhern techniſchen Bildung. Wenn wir das voranſtellen,
können wir auch eher hoffen, die verſchiedenen politiſchen
Parteien für unſere Vorſchläge zu gewinnen. Aber das
iſt zu betonen, daß die bloßen Privatkräfte nicht aus-
reichen. Man darf ſich nicht einbilden, Alles Nothwendige
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Schmoller, Geſch. d. Kleingewerbe. 44
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[689/0711] Die Klaſſengegenſätze als Bildungsunterſchiede. Gewerbegeſetzgebung ziehen. Wären die Zuſtände ſo ſchlimm, daß eine ſolch’ radikale Reform nothwendig wäre, die Ausſicht, ſie durchzuſetzen, würde gering ſein. Nur einer großen tiefbewegten Zeit, nur politiſchen Zuſtänden, welche zu einer kürzern oder längern Diktatur führen, ſind ſolche koloſſale Reformen eigen. Freie parlamen- tariſche Verfaſſungen ſind, wie das Gneiſt immer betont, nicht für den Austrag ſolcher tiefen ſozialen Kämpfe geſchaffen, da der Parteikampf in dieſem Falle zum erbitterten Klaſſenkampf ausarten würde. Es handelt ſich aber auch, wie geſagt, um ſo tief greifende Reformen noch nicht. Mildere Mittel reichen, an Beſtehendes kann angeknüpft werden. Immer iſt es beſſer, wenn ein äußerer Eingriff in die beſtehende Beſitzvertheilung vermieden werden kann, da ſeine pſychologiſche Wirkung ſtets problematiſch bleibt. Für das gewerbliche Leben, von deſſen Reform wir hier ſprechen, iſt auch der Beſitz nie ſo wichtig, wie die per- ſönlichen Eigenſchaften. Gelingt die geiſtige und tech- niſche Hebung des Handwerkerſtandes, wie des Arbeiter- ſtandes, ſo iſt damit das Wichtigſte erreicht. Es han- delt ſich in erſter Linie um eine Erziehung der Leute zu andern geſellſchaftlichen Gewohnheiten, zu andern häuslichen Sitten, zu einem weitern Blick, zu einer höhern techniſchen Bildung. Wenn wir das voranſtellen, können wir auch eher hoffen, die verſchiedenen politiſchen Parteien für unſere Vorſchläge zu gewinnen. Aber das iſt zu betonen, daß die bloßen Privatkräfte nicht aus- reichen. Man darf ſich nicht einbilden, Alles Nothwendige ſei geſchehen, wenn Gewerbe- und Bankfreiheit, Ehe- und Schmoller, Geſch. d. Kleingewerbe. 44

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 689. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/711>, abgerufen am 28.11.2024.