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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Ein Rückblick ins 18. Jahrhundert.
1818. Knuth 1 z. B. erklärt 1817 von der großen
Berliner Kattunweberei auf einfachen Stühlen, sie gehöre
zu den allererbärmlichsten Erwerbsmitteln, ein Kattun-
weber verdiene täglich höchstens 6--7 Groschen, ein Tisch-
lergeselle einen Thaler.

Dennoch wäre es falsch, aus den Nothständen der
Weberei von 1800--1818, aus der Thatsache, daß die
einfache Kattunweberei nicht nach Berlin paßte, den
Schluß zu ziehen, daß die ganze Beförderung der Ge-
webeindustrie falsch war. In der Hauptsache war die
Weberei gesund und nach den Verhältnissen des vorigen
Jahrhunderts naturgemäß. Die Art der Hausindustrie
ermöglichte einen glücklichen Uebergang des kleinen fleißigen
Arbeiters zum Unternehmer. Viele arme Leinwandweber
vom Lande zogen in die Städte und wurden da nach
und nach wohlhabende Fabrikanten. 2 Das Eingreifen
in die Kreditverhältnisse dieser kleinen Weber hatte ihre
sehr gute Seite; nichts ist für den kleinen Mann schlim-
mer als die Kreditlosigkeit, durch nichts ist ein System
der Hausindustrie mehr gefährdet, als durch Lotterkredit,
der in Abhängigkeit, Uebervortheilung und Aussaugung
des kleinen Mannes nur zu leicht ausartet. Die ganze
Ueberwachung der Hausindustrie durch technische Regle-
ments und Schauämter war Bedingung einer gedeih-
lichen Entwickelung in jener Zeit. Ganz richtig sagt
Roscher, 3 solche Regierungsthätigkeit ersetze, was dem

1 Dieterici, der Volkswohlstand im preuß. Staate. Ber-
lin 1846. S. 102.
2 Dieterici, Volkswohlstand S. 98.
3 Volkswirthsch. Ansichten Friederich's d. Gr. S. 37.

Ein Rückblick ins 18. Jahrhundert.
1818. Knuth 1 z. B. erklärt 1817 von der großen
Berliner Kattunweberei auf einfachen Stühlen, ſie gehöre
zu den allererbärmlichſten Erwerbsmitteln, ein Kattun-
weber verdiene täglich höchſtens 6—7 Groſchen, ein Tiſch-
lergeſelle einen Thaler.

Dennoch wäre es falſch, aus den Nothſtänden der
Weberei von 1800—1818, aus der Thatſache, daß die
einfache Kattunweberei nicht nach Berlin paßte, den
Schluß zu ziehen, daß die ganze Beförderung der Ge-
webeinduſtrie falſch war. In der Hauptſache war die
Weberei geſund und nach den Verhältniſſen des vorigen
Jahrhunderts naturgemäß. Die Art der Hausinduſtrie
ermöglichte einen glücklichen Uebergang des kleinen fleißigen
Arbeiters zum Unternehmer. Viele arme Leinwandweber
vom Lande zogen in die Städte und wurden da nach
und nach wohlhabende Fabrikanten. 2 Das Eingreifen
in die Kreditverhältniſſe dieſer kleinen Weber hatte ihre
ſehr gute Seite; nichts iſt für den kleinen Mann ſchlim-
mer als die Kreditloſigkeit, durch nichts iſt ein Syſtem
der Hausinduſtrie mehr gefährdet, als durch Lotterkredit,
der in Abhängigkeit, Uebervortheilung und Ausſaugung
des kleinen Mannes nur zu leicht ausartet. Die ganze
Ueberwachung der Hausinduſtrie durch techniſche Regle-
ments und Schauämter war Bedingung einer gedeih-
lichen Entwickelung in jener Zeit. Ganz richtig ſagt
Roſcher, 3 ſolche Regierungsthätigkeit erſetze, was dem

1 Dieterici, der Volkswohlſtand im preuß. Staate. Ber-
lin 1846. S. 102.
2 Dieterici, Volkswohlſtand S. 98.
3 Volkswirthſch. Anſichten Friederich’s d. Gr. S. 37.
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[44/0066] Ein Rückblick ins 18. Jahrhundert. 1818. Knuth 1 z. B. erklärt 1817 von der großen Berliner Kattunweberei auf einfachen Stühlen, ſie gehöre zu den allererbärmlichſten Erwerbsmitteln, ein Kattun- weber verdiene täglich höchſtens 6—7 Groſchen, ein Tiſch- lergeſelle einen Thaler. Dennoch wäre es falſch, aus den Nothſtänden der Weberei von 1800—1818, aus der Thatſache, daß die einfache Kattunweberei nicht nach Berlin paßte, den Schluß zu ziehen, daß die ganze Beförderung der Ge- webeinduſtrie falſch war. In der Hauptſache war die Weberei geſund und nach den Verhältniſſen des vorigen Jahrhunderts naturgemäß. Die Art der Hausinduſtrie ermöglichte einen glücklichen Uebergang des kleinen fleißigen Arbeiters zum Unternehmer. Viele arme Leinwandweber vom Lande zogen in die Städte und wurden da nach und nach wohlhabende Fabrikanten. 2 Das Eingreifen in die Kreditverhältniſſe dieſer kleinen Weber hatte ihre ſehr gute Seite; nichts iſt für den kleinen Mann ſchlim- mer als die Kreditloſigkeit, durch nichts iſt ein Syſtem der Hausinduſtrie mehr gefährdet, als durch Lotterkredit, der in Abhängigkeit, Uebervortheilung und Ausſaugung des kleinen Mannes nur zu leicht ausartet. Die ganze Ueberwachung der Hausinduſtrie durch techniſche Regle- ments und Schauämter war Bedingung einer gedeih- lichen Entwickelung in jener Zeit. Ganz richtig ſagt Roſcher, 3 ſolche Regierungsthätigkeit erſetze, was dem 1 Dieterici, der Volkswohlſtand im preuß. Staate. Ber- lin 1846. S. 102. 2 Dieterici, Volkswohlſtand S. 98. 3 Volkswirthſch. Anſichten Friederich’s d. Gr. S. 37.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/66>, abgerufen am 25.11.2024.