so lange fast nur auf Bestellung, fast gar nicht auf Lager gearbeitet wurde, war es eines der am leich- testen und mit den wenigsten Mitteln zu ergreifenden Gewerbe. Das Bedürfniß an Schuhmachern war von jeher groß, es stieg mit jeder allgemeinen Besserung der wirthschaftlichen Verhältnisse; der Zudrang war daher immer groß; die halbbeschäftigten Existenzen waren immer zahlreich, der Jahrmarkts- und Wochenmarkts- besuch war die Folge davon. Diese Lage der überwie- genden Zahl der Meister erklärt zugleich den kolossal steigenden Lederverbrauch neben der mäßigen Zunahme der Schuhmacher. Bis 1849 (vorübergehend sogar noch einmal 1855) bleibt auch die Zahl der Gehülfen so niedrig als sie 1816 war: auf 100 Meister nur 56 Ge- hülfen; d. h. jeder Geselle, der in ein gewisses Alter kommt, und dann nicht zu einer andern Beschäftigung übergeht oder auswandert, versucht als Meister sein Glück.
Von da bis 1861, noch mehr von 1861 bis zur Gegenwart ändern sich die Dinge; und es zeigt sich das auch in den Zahlen. Die Gesammtzahl der Schuh- macher bleibt 1846 -- 61 gegenüber der Bevölkerung so ziemlich stabil, während der Lederkonsum noch viel stärker wächst; die Gehülfenzahl steigt wenigstens etwas und deutet darauf hin, daß neben den zahlreichen kleinen Meistern, deren Klagen in dieser Zeit lauter als je ertönen, einzelne größere Geschäfte sich bilden. Es beginnt der Umschwung in der Technik, wie in der Geschäftsorganisation.
In den Städten bilden sich die Magazine; die verarmten Meister, welche die Mittel Leder zu kaufen,
Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.
ſo lange faſt nur auf Beſtellung, faſt gar nicht auf Lager gearbeitet wurde, war es eines der am leich- teſten und mit den wenigſten Mitteln zu ergreifenden Gewerbe. Das Bedürfniß an Schuhmachern war von jeher groß, es ſtieg mit jeder allgemeinen Beſſerung der wirthſchaftlichen Verhältniſſe; der Zudrang war daher immer groß; die halbbeſchäftigten Exiſtenzen waren immer zahlreich, der Jahrmarkts- und Wochenmarkts- beſuch war die Folge davon. Dieſe Lage der überwie- genden Zahl der Meiſter erklärt zugleich den koloſſal ſteigenden Lederverbrauch neben der mäßigen Zunahme der Schuhmacher. Bis 1849 (vorübergehend ſogar noch einmal 1855) bleibt auch die Zahl der Gehülfen ſo niedrig als ſie 1816 war: auf 100 Meiſter nur 56 Ge- hülfen; d. h. jeder Geſelle, der in ein gewiſſes Alter kommt, und dann nicht zu einer andern Beſchäftigung übergeht oder auswandert, verſucht als Meiſter ſein Glück.
Von da bis 1861, noch mehr von 1861 bis zur Gegenwart ändern ſich die Dinge; und es zeigt ſich das auch in den Zahlen. Die Geſammtzahl der Schuh- macher bleibt 1846 — 61 gegenüber der Bevölkerung ſo ziemlich ſtabil, während der Lederkonſum noch viel ſtärker wächſt; die Gehülfenzahl ſteigt wenigſtens etwas und deutet darauf hin, daß neben den zahlreichen kleinen Meiſtern, deren Klagen in dieſer Zeit lauter als je ertönen, einzelne größere Geſchäfte ſich bilden. Es beginnt der Umſchwung in der Technik, wie in der Geſchäftsorganiſation.
In den Städten bilden ſich die Magazine; die verarmten Meiſter, welche die Mittel Leder zu kaufen,
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Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.
ſo lange faſt nur auf Beſtellung, faſt gar nicht auf
Lager gearbeitet wurde, war es eines der am leich-
teſten und mit den wenigſten Mitteln zu ergreifenden
Gewerbe. Das Bedürfniß an Schuhmachern war von
jeher groß, es ſtieg mit jeder allgemeinen Beſſerung
der wirthſchaftlichen Verhältniſſe; der Zudrang war
daher immer groß; die halbbeſchäftigten Exiſtenzen waren
immer zahlreich, der Jahrmarkts- und Wochenmarkts-
beſuch war die Folge davon. Dieſe Lage der überwie-
genden Zahl der Meiſter erklärt zugleich den koloſſal
ſteigenden Lederverbrauch neben der mäßigen Zunahme
der Schuhmacher. Bis 1849 (vorübergehend ſogar noch
einmal 1855) bleibt auch die Zahl der Gehülfen ſo
niedrig als ſie 1816 war: auf 100 Meiſter nur 56 Ge-
hülfen; d. h. jeder Geſelle, der in ein gewiſſes Alter
kommt, und dann nicht zu einer andern Beſchäftigung
übergeht oder auswandert, verſucht als Meiſter ſein Glück.
Von da bis 1861, noch mehr von 1861 bis zur
Gegenwart ändern ſich die Dinge; und es zeigt ſich das
auch in den Zahlen. Die Geſammtzahl der Schuh-
macher bleibt 1846 — 61 gegenüber der Bevölkerung ſo
ziemlich ſtabil, während der Lederkonſum noch viel ſtärker
wächſt; die Gehülfenzahl ſteigt wenigſtens etwas und
deutet darauf hin, daß neben den zahlreichen kleinen
Meiſtern, deren Klagen in dieſer Zeit lauter als je
ertönen, einzelne größere Geſchäfte ſich bilden. Es
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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 624. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/646>, abgerufen am 22.11.2024.
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