Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

Bild:
<< vorherige Seite

Würdigung der preuß. Gewerbepolizei.
ganze Reihe der verschiedenartigsten und komplizirtesten
Kulturbedingungen nothwendig: staatliche und soziale Zu-
stände, Bevölkerungsdichtigkeit, Kapitalansammlung, per-
sönliche Kräfte, Kenntnisse, moralische Eigenschaften,
Handelsverbindungen und manches Andere. Viele dieser
Vorbedingungen sind von beiden Prinzipien gleich unab-
hängig. Auf andere Vorbedingungen aber wirken sie,
und das Urtheil über sie richtet sich eben danach, ob und
wie sie auf eine Anzahl dieser Vorbedingungen fördernd
wirken. Jedes der beiden Prinzipien wird bei der Man-
nigfaltigkeit der realen Verhältnisse da und dort hem-
men, da und dort fördern. Jedes ist dann am Platze,
wenn es nach den zeitlichen Gesammtverhältnissen von
Land und Volk im Ganzen mehr fördert, als hemmt.
Je nach den psychologischen, moralischen und sozialen Ver-
hältnissen wird das eine so sehr am Platze sein, wie das
andere. Ein zartes Pflänzchen ist ein ander Ding als
eine mehrhundertjährige Eiche, ein Kind bedarf anderer
Pflege als der Mann. Niemals aber wird man Fana-
tiker des Prinzips sein dürfen, weil man es immer auch
zu einer bestimmten Zeit und in einem bestimmten Staate
mit den verschiedenartigsten Menschen, Kräften und Zu-
ständen zu thun hat. Es wird auch in Zeiten allge-
meinster Staatseinmischung Verhältnisse geben, wo freie
Bewegung, freie Konkurrenz am Platze ist; umgekehrt
auch in Zeiten allgemeiner Gewerbefreiheit wird es
Punkte geben, wo staatliche Aufsicht, polizeiliche Vor-
schriften am Platze sind, weil sie im konkreten Falle
die Vorbedingungen gewerblichen Lebens, technische Ge-
schicklichkeit, angestrengte Arbeitsenergie, reelle Ehrlichkeit,

Würdigung der preuß. Gewerbepolizei.
ganze Reihe der verſchiedenartigſten und komplizirteſten
Kulturbedingungen nothwendig: ſtaatliche und ſoziale Zu-
ſtände, Bevölkerungsdichtigkeit, Kapitalanſammlung, per-
ſönliche Kräfte, Kenntniſſe, moraliſche Eigenſchaften,
Handelsverbindungen und manches Andere. Viele dieſer
Vorbedingungen ſind von beiden Prinzipien gleich unab-
hängig. Auf andere Vorbedingungen aber wirken ſie,
und das Urtheil über ſie richtet ſich eben danach, ob und
wie ſie auf eine Anzahl dieſer Vorbedingungen fördernd
wirken. Jedes der beiden Prinzipien wird bei der Man-
nigfaltigkeit der realen Verhältniſſe da und dort hem-
men, da und dort fördern. Jedes iſt dann am Platze,
wenn es nach den zeitlichen Geſammtverhältniſſen von
Land und Volk im Ganzen mehr fördert, als hemmt.
Je nach den pſychologiſchen, moraliſchen und ſozialen Ver-
hältniſſen wird das eine ſo ſehr am Platze ſein, wie das
andere. Ein zartes Pflänzchen iſt ein ander Ding als
eine mehrhundertjährige Eiche, ein Kind bedarf anderer
Pflege als der Mann. Niemals aber wird man Fana-
tiker des Prinzips ſein dürfen, weil man es immer auch
zu einer beſtimmten Zeit und in einem beſtimmten Staate
mit den verſchiedenartigſten Menſchen, Kräften und Zu-
ſtänden zu thun hat. Es wird auch in Zeiten allge-
meinſter Staatseinmiſchung Verhältniſſe geben, wo freie
Bewegung, freie Konkurrenz am Platze iſt; umgekehrt
auch in Zeiten allgemeiner Gewerbefreiheit wird es
Punkte geben, wo ſtaatliche Aufſicht, polizeiliche Vor-
ſchriften am Platze ſind, weil ſie im konkreten Falle
die Vorbedingungen gewerblichen Lebens, techniſche Ge-
ſchicklichkeit, angeſtrengte Arbeitsenergie, reelle Ehrlichkeit,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0063" n="41"/><fw place="top" type="header">Würdigung der preuß. Gewerbepolizei.</fw><lb/>
ganze Reihe der ver&#x017F;chiedenartig&#x017F;ten und komplizirte&#x017F;ten<lb/>
Kulturbedingungen nothwendig: &#x017F;taatliche und &#x017F;oziale Zu-<lb/>
&#x017F;tände, Bevölkerungsdichtigkeit, Kapitalan&#x017F;ammlung, per-<lb/>
&#x017F;önliche Kräfte, Kenntni&#x017F;&#x017F;e, morali&#x017F;che Eigen&#x017F;chaften,<lb/>
Handelsverbindungen und manches Andere. Viele die&#x017F;er<lb/>
Vorbedingungen &#x017F;ind von beiden Prinzipien gleich unab-<lb/>
hängig. Auf andere Vorbedingungen aber wirken &#x017F;ie,<lb/>
und das Urtheil über &#x017F;ie richtet &#x017F;ich eben danach, ob und<lb/>
wie &#x017F;ie auf eine Anzahl die&#x017F;er Vorbedingungen fördernd<lb/>
wirken. Jedes der beiden Prinzipien wird bei der Man-<lb/>
nigfaltigkeit der realen Verhältni&#x017F;&#x017F;e da und dort hem-<lb/>
men, da und dort fördern. Jedes i&#x017F;t dann am Platze,<lb/>
wenn es nach den zeitlichen Ge&#x017F;ammtverhältni&#x017F;&#x017F;en von<lb/>
Land und Volk im Ganzen mehr fördert, als hemmt.<lb/>
Je nach den p&#x017F;ychologi&#x017F;chen, morali&#x017F;chen und &#x017F;ozialen Ver-<lb/>
hältni&#x017F;&#x017F;en wird das eine &#x017F;o &#x017F;ehr am Platze &#x017F;ein, wie das<lb/>
andere. Ein zartes Pflänzchen i&#x017F;t ein ander Ding als<lb/>
eine mehrhundertjährige Eiche, ein Kind bedarf anderer<lb/>
Pflege als der Mann. Niemals aber wird man Fana-<lb/>
tiker des Prinzips &#x017F;ein dürfen, weil man es immer auch<lb/>
zu einer be&#x017F;timmten Zeit und in einem be&#x017F;timmten Staate<lb/>
mit den ver&#x017F;chiedenartig&#x017F;ten Men&#x017F;chen, Kräften und Zu-<lb/>
&#x017F;tänden zu thun hat. Es wird auch in Zeiten allge-<lb/>
mein&#x017F;ter Staatseinmi&#x017F;chung Verhältni&#x017F;&#x017F;e geben, wo freie<lb/>
Bewegung, freie Konkurrenz am Platze i&#x017F;t; umgekehrt<lb/>
auch in Zeiten allgemeiner Gewerbefreiheit wird es<lb/>
Punkte geben, wo &#x017F;taatliche Auf&#x017F;icht, polizeiliche Vor-<lb/>
&#x017F;chriften am Platze &#x017F;ind, weil &#x017F;ie im konkreten Falle<lb/>
die Vorbedingungen gewerblichen Lebens, techni&#x017F;che Ge-<lb/>
&#x017F;chicklichkeit, ange&#x017F;trengte Arbeitsenergie, reelle Ehrlichkeit,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[41/0063] Würdigung der preuß. Gewerbepolizei. ganze Reihe der verſchiedenartigſten und komplizirteſten Kulturbedingungen nothwendig: ſtaatliche und ſoziale Zu- ſtände, Bevölkerungsdichtigkeit, Kapitalanſammlung, per- ſönliche Kräfte, Kenntniſſe, moraliſche Eigenſchaften, Handelsverbindungen und manches Andere. Viele dieſer Vorbedingungen ſind von beiden Prinzipien gleich unab- hängig. Auf andere Vorbedingungen aber wirken ſie, und das Urtheil über ſie richtet ſich eben danach, ob und wie ſie auf eine Anzahl dieſer Vorbedingungen fördernd wirken. Jedes der beiden Prinzipien wird bei der Man- nigfaltigkeit der realen Verhältniſſe da und dort hem- men, da und dort fördern. Jedes iſt dann am Platze, wenn es nach den zeitlichen Geſammtverhältniſſen von Land und Volk im Ganzen mehr fördert, als hemmt. Je nach den pſychologiſchen, moraliſchen und ſozialen Ver- hältniſſen wird das eine ſo ſehr am Platze ſein, wie das andere. Ein zartes Pflänzchen iſt ein ander Ding als eine mehrhundertjährige Eiche, ein Kind bedarf anderer Pflege als der Mann. Niemals aber wird man Fana- tiker des Prinzips ſein dürfen, weil man es immer auch zu einer beſtimmten Zeit und in einem beſtimmten Staate mit den verſchiedenartigſten Menſchen, Kräften und Zu- ſtänden zu thun hat. Es wird auch in Zeiten allge- meinſter Staatseinmiſchung Verhältniſſe geben, wo freie Bewegung, freie Konkurrenz am Platze iſt; umgekehrt auch in Zeiten allgemeiner Gewerbefreiheit wird es Punkte geben, wo ſtaatliche Aufſicht, polizeiliche Vor- ſchriften am Platze ſind, weil ſie im konkreten Falle die Vorbedingungen gewerblichen Lebens, techniſche Ge- ſchicklichkeit, angeſtrengte Arbeitsenergie, reelle Ehrlichkeit,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/63
Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/63>, abgerufen am 22.11.2024.