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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.
Handel damals unmöglich war, mußten um so empfind-
licher leiden; da die Stockung eine Jahrelang audauernde
war, mußten die bisher von Deutschland aus versorgten
Länder entweder ihre Industrie selbst entwickeln oder
mit andern Bezugsquellen sich in Verbindung setzen.

Das war zunächst der Hauptschlag, der die deutsche
Linnenindustrie traf1 und zugleich die englische hob,
wie ich oben schon bei Besprechung der Flachsspinnerei
zu zeigen suchte. Englands Marine, sein auswärtiger
Handel nahm zu, ihm allein standen die Märkte der
Kolonien noch offen, die Linnenpreise standen dort hoch;
es warf sich mit Macht auf diese Industrie, in der
Spinnerei die Maschine, in der Bleiche und Appretur
die neuen Methoden, in der Weberei aber auch noch
fast durchaus den Handstuhl benutzend.

In Deutschland war die Noth in den Weber-
distrikten in jener Zeit groß, freilich verschieden je nach-
dem die Weberei ausschließliche Erwerbsquelle der Leute
war oder nicht. Der Absatz stockte, die Preise waren
gedrückt und doch schränkte sich die Produktion nicht ein.
Die kleinen Meister fuhren fort zu arbeiten, ja die
eben erlassene Gewerbefreiheit in Preußen und die Noth
auch in andern Gewerbszweigen veranlaßte da und dort
sogar noch einen weitern Zudrang, besonders in Schlesien.
Während die Leinwandkaufleute und die wohlhabenden
Weber sich eher aus dem Geschäft zurückzogen, um nicht
auch, wie so manche ihrer Kollegen, Bankerott zu
machen, vermehrte sich das Angebot der kleinen unvoll-

1 Gülich II, 337 -- 376.

Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.
Handel damals unmöglich war, mußten um ſo empfind-
licher leiden; da die Stockung eine Jahrelang audauernde
war, mußten die bisher von Deutſchland aus verſorgten
Länder entweder ihre Induſtrie ſelbſt entwickeln oder
mit andern Bezugsquellen ſich in Verbindung ſetzen.

Das war zunächſt der Hauptſchlag, der die deutſche
Linneninduſtrie traf1 und zugleich die engliſche hob,
wie ich oben ſchon bei Beſprechung der Flachsſpinnerei
zu zeigen ſuchte. Englands Marine, ſein auswärtiger
Handel nahm zu, ihm allein ſtanden die Märkte der
Kolonien noch offen, die Linnenpreiſe ſtanden dort hoch;
es warf ſich mit Macht auf dieſe Induſtrie, in der
Spinnerei die Maſchine, in der Bleiche und Appretur
die neuen Methoden, in der Weberei aber auch noch
faſt durchaus den Handſtuhl benutzend.

In Deutſchland war die Noth in den Weber-
diſtrikten in jener Zeit groß, freilich verſchieden je nach-
dem die Weberei ausſchließliche Erwerbsquelle der Leute
war oder nicht. Der Abſatz ſtockte, die Preiſe waren
gedrückt und doch ſchränkte ſich die Produktion nicht ein.
Die kleinen Meiſter fuhren fort zu arbeiten, ja die
eben erlaſſene Gewerbefreiheit in Preußen und die Noth
auch in andern Gewerbszweigen veranlaßte da und dort
ſogar noch einen weitern Zudrang, beſonders in Schleſien.
Während die Leinwandkaufleute und die wohlhabenden
Weber ſich eher aus dem Geſchäft zurückzogen, um nicht
auch, wie ſo manche ihrer Kollegen, Bankerott zu
machen, vermehrte ſich das Angebot der kleinen unvoll-

1 Gülich II, 337 — 376.
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[544/0566] Die Umbildung einzelner Gewerbszweige. Handel damals unmöglich war, mußten um ſo empfind- licher leiden; da die Stockung eine Jahrelang audauernde war, mußten die bisher von Deutſchland aus verſorgten Länder entweder ihre Induſtrie ſelbſt entwickeln oder mit andern Bezugsquellen ſich in Verbindung ſetzen. Das war zunächſt der Hauptſchlag, der die deutſche Linneninduſtrie traf 1 und zugleich die engliſche hob, wie ich oben ſchon bei Beſprechung der Flachsſpinnerei zu zeigen ſuchte. Englands Marine, ſein auswärtiger Handel nahm zu, ihm allein ſtanden die Märkte der Kolonien noch offen, die Linnenpreiſe ſtanden dort hoch; es warf ſich mit Macht auf dieſe Induſtrie, in der Spinnerei die Maſchine, in der Bleiche und Appretur die neuen Methoden, in der Weberei aber auch noch faſt durchaus den Handſtuhl benutzend. In Deutſchland war die Noth in den Weber- diſtrikten in jener Zeit groß, freilich verſchieden je nach- dem die Weberei ausſchließliche Erwerbsquelle der Leute war oder nicht. Der Abſatz ſtockte, die Preiſe waren gedrückt und doch ſchränkte ſich die Produktion nicht ein. Die kleinen Meiſter fuhren fort zu arbeiten, ja die eben erlaſſene Gewerbefreiheit in Preußen und die Noth auch in andern Gewerbszweigen veranlaßte da und dort ſogar noch einen weitern Zudrang, beſonders in Schleſien. Während die Leinwandkaufleute und die wohlhabenden Weber ſich eher aus dem Geſchäft zurückzogen, um nicht auch, wie ſo manche ihrer Kollegen, Bankerott zu machen, vermehrte ſich das Angebot der kleinen unvoll- 1 Gülich II, 337 — 376.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 544. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/566>, abgerufen am 26.11.2024.