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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Der Charakter der Gewebeindustrie.
Welt. Mehr als in irgend einer andern gewerb-
lichen Branche haben sich hier die Eigenthümlichkeiten
der modernen Produktion ausgebildet: eine weit gehende
Anwendung von Kapital, die höchste Ausbildung des
Maschinenwesens, die möglichste Ersetzung aller mensch-
lichen Kräfte durch Dampfkraft, die möglichste Spezialisi-
rung der Industrie nach Städten und Gegenden, wie
nach einzelnen Geschäften, alles gesteigert durch die leben-
digste Konkurrenz und durch die Ausbildung der weit-
gehendsten Handelsbeziehungen. Es ist bekannt, daß
gerade in das Gebiet der Gewebeindustrie die größten
Fortschritte, die schönsten praktischen Anwendungen der
Naturwissenschaften fallen. Auch das drängte vor Allem
auf den Betrieb in großen geschlossenen Etablissements.

Es ist eine ungeheure volkswirthschaftliche und
soziale Umwälzung, die ich hier, freilich nur in ihren
Hauptumrissen und nur soweit sie Deutschland und
speziell Preußen berührt, zu skizziren habe. Ich werde
nachzuweisen haben, in wie weit die häusliche Thätigkeit
der Familie, die lokale Thätigkeit des kleinen Meisters
zurückgetreten ist, in wie weit sie sich auch später, auch
heute noch erhalten. Es wird sich darum handeln zu
zeigen, wo der Uebergang mit harten volkswirthschaft-
lichen Krisen, mit dem Ruin ganzer Gegenden und
wirthschaftlichen Klassen verbunden war, und wo er --
im Gegensatz hierzu -- nicht nur leichter sich vollzog,
sondern theilweise neben dem technischen Fortschritte von
Anfang an zugleich eine soziale Besserung für die
arbeitende Klasse, eine Beseitigung ungesunder Ver-
hältnisse in sich schloß. --

Schmoller, Geschichte d. Kleingewerbe. 29

Der Charakter der Gewebeinduſtrie.
Welt. Mehr als in irgend einer andern gewerb-
lichen Branche haben ſich hier die Eigenthümlichkeiten
der modernen Produktion ausgebildet: eine weit gehende
Anwendung von Kapital, die höchſte Ausbildung des
Maſchinenweſens, die möglichſte Erſetzung aller menſch-
lichen Kräfte durch Dampfkraft, die möglichſte Spezialiſi-
rung der Induſtrie nach Städten und Gegenden, wie
nach einzelnen Geſchäften, alles geſteigert durch die leben-
digſte Konkurrenz und durch die Ausbildung der weit-
gehendſten Handelsbeziehungen. Es iſt bekannt, daß
gerade in das Gebiet der Gewebeinduſtrie die größten
Fortſchritte, die ſchönſten praktiſchen Anwendungen der
Naturwiſſenſchaften fallen. Auch das drängte vor Allem
auf den Betrieb in großen geſchloſſenen Etabliſſements.

Es iſt eine ungeheure volkswirthſchaftliche und
ſoziale Umwälzung, die ich hier, freilich nur in ihren
Hauptumriſſen und nur ſoweit ſie Deutſchland und
ſpeziell Preußen berührt, zu ſkizziren habe. Ich werde
nachzuweiſen haben, in wie weit die häusliche Thätigkeit
der Familie, die lokale Thätigkeit des kleinen Meiſters
zurückgetreten iſt, in wie weit ſie ſich auch ſpäter, auch
heute noch erhalten. Es wird ſich darum handeln zu
zeigen, wo der Uebergang mit harten volkswirthſchaft-
lichen Kriſen, mit dem Ruin ganzer Gegenden und
wirthſchaftlichen Klaſſen verbunden war, und wo er —
im Gegenſatz hierzu — nicht nur leichter ſich vollzog,
ſondern theilweiſe neben dem techniſchen Fortſchritte von
Anfang an zugleich eine ſoziale Beſſerung für die
arbeitende Klaſſe, eine Beſeitigung ungeſunder Ver-
hältniſſe in ſich ſchloß. —

Schmoller, Geſchichte d. Kleingewerbe. 29
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[449/0471] Der Charakter der Gewebeinduſtrie. Welt. Mehr als in irgend einer andern gewerb- lichen Branche haben ſich hier die Eigenthümlichkeiten der modernen Produktion ausgebildet: eine weit gehende Anwendung von Kapital, die höchſte Ausbildung des Maſchinenweſens, die möglichſte Erſetzung aller menſch- lichen Kräfte durch Dampfkraft, die möglichſte Spezialiſi- rung der Induſtrie nach Städten und Gegenden, wie nach einzelnen Geſchäften, alles geſteigert durch die leben- digſte Konkurrenz und durch die Ausbildung der weit- gehendſten Handelsbeziehungen. Es iſt bekannt, daß gerade in das Gebiet der Gewebeinduſtrie die größten Fortſchritte, die ſchönſten praktiſchen Anwendungen der Naturwiſſenſchaften fallen. Auch das drängte vor Allem auf den Betrieb in großen geſchloſſenen Etabliſſements. Es iſt eine ungeheure volkswirthſchaftliche und ſoziale Umwälzung, die ich hier, freilich nur in ihren Hauptumriſſen und nur ſoweit ſie Deutſchland und ſpeziell Preußen berührt, zu ſkizziren habe. Ich werde nachzuweiſen haben, in wie weit die häusliche Thätigkeit der Familie, die lokale Thätigkeit des kleinen Meiſters zurückgetreten iſt, in wie weit ſie ſich auch ſpäter, auch heute noch erhalten. Es wird ſich darum handeln zu zeigen, wo der Uebergang mit harten volkswirthſchaft- lichen Kriſen, mit dem Ruin ganzer Gegenden und wirthſchaftlichen Klaſſen verbunden war, und wo er — im Gegenſatz hierzu — nicht nur leichter ſich vollzog, ſondern theilweiſe neben dem techniſchen Fortſchritte von Anfang an zugleich eine ſoziale Beſſerung für die arbeitende Klaſſe, eine Beſeitigung ungeſunder Ver- hältniſſe in ſich ſchloß. — Schmoller, Geſchichte d. Kleingewerbe. 29

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/471>, abgerufen am 22.11.2024.