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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Die Vertheilung der Gewerbetreibenden.
was man im Allgemeinen den Volkscharakter nennt.
Jeder deutsche Stamm hat seine Eigenthümlichkeit; der
höfliche emsige Sachse, der bescheidene gutmüthige Thü-
ringer, der leichtlebige Rheinländer, der derbe Baier,
jeder hat seinen eigenen Charakter, hat Züge, die das
ganze wirthschaftliche Leben der Provinz, der Gegend
influiren, die besonders von Einfluß sind auf die Art,
wie man die nächstliegenden täglichen Bedürfnisse befrie-
digt. Viel größere Unterschiede aber als die eben erwähn-
ten bietet ganz West- und Mittel-Deutschland mit
seiner rein deutschen Bevölkerung einerseits und der Osten
mit seinen slavischen, emigrirt-französischen, auch stär-
keren jüdischen Beimischungen andererseits. Schon im
Mittelalter war der Handwerker in den ehemals slavischen
Ländern ein Deutscher. Zu einem gesunden städtischen
Mittelstande haben es die mehr slavischen, die polnischen
Gegenden nie recht bringen können. Ob es mehr der
Verlauf der polnischen Geschichte mit sich gebracht haben
mag oder der ursprüngliche Stammescharakter, die
großen Dörfer und die Städte sind germanischer Ab-
kunft. In den kleinen Städten der Provinz Posen da
bilden den wichtigsten Theil des Mittelstandes die Juden.
Der Israelit beginnt mit dem Schnapsladen, er geht
dann zu einem Materialladen, zum Handel mit Landes-
produkten und mit allem Möglichen über, und wenn er
reich geworden ist, zieht er nach Posen oder gar nach
Berlin. Der dortige Mittelstand überhaupt neigt mehr
zum Handel, als zum Handwerk. Es ist charakteristisch,
daß der deutsche Tagelöhner auf den großen Gütern
der Mark und Pommerns im Winter am Webstuhl

Die Vertheilung der Gewerbetreibenden.
was man im Allgemeinen den Volkscharakter nennt.
Jeder deutſche Stamm hat ſeine Eigenthümlichkeit; der
höfliche emſige Sachſe, der beſcheidene gutmüthige Thü-
ringer, der leichtlebige Rheinländer, der derbe Baier,
jeder hat ſeinen eigenen Charakter, hat Züge, die das
ganze wirthſchaftliche Leben der Provinz, der Gegend
influiren, die beſonders von Einfluß ſind auf die Art,
wie man die nächſtliegenden täglichen Bedürfniſſe befrie-
digt. Viel größere Unterſchiede aber als die eben erwähn-
ten bietet ganz Weſt- und Mittel-Deutſchland mit
ſeiner rein deutſchen Bevölkerung einerſeits und der Oſten
mit ſeinen ſlaviſchen, emigrirt-franzöſiſchen, auch ſtär-
keren jüdiſchen Beimiſchungen andererſeits. Schon im
Mittelalter war der Handwerker in den ehemals ſlaviſchen
Ländern ein Deutſcher. Zu einem geſunden ſtädtiſchen
Mittelſtande haben es die mehr ſlaviſchen, die polniſchen
Gegenden nie recht bringen können. Ob es mehr der
Verlauf der polniſchen Geſchichte mit ſich gebracht haben
mag oder der urſprüngliche Stammescharakter, die
großen Dörfer und die Städte ſind germaniſcher Ab-
kunft. In den kleinen Städten der Provinz Poſen da
bilden den wichtigſten Theil des Mittelſtandes die Juden.
Der Iſraelit beginnt mit dem Schnapsladen, er geht
dann zu einem Materialladen, zum Handel mit Landes-
produkten und mit allem Möglichen über, und wenn er
reich geworden iſt, zieht er nach Poſen oder gar nach
Berlin. Der dortige Mittelſtand überhaupt neigt mehr
zum Handel, als zum Handwerk. Es iſt charakteriſtiſch,
daß der deutſche Tagelöhner auf den großen Gütern
der Mark und Pommerns im Winter am Webſtuhl

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[320/0342] Die Vertheilung der Gewerbetreibenden. was man im Allgemeinen den Volkscharakter nennt. Jeder deutſche Stamm hat ſeine Eigenthümlichkeit; der höfliche emſige Sachſe, der beſcheidene gutmüthige Thü- ringer, der leichtlebige Rheinländer, der derbe Baier, jeder hat ſeinen eigenen Charakter, hat Züge, die das ganze wirthſchaftliche Leben der Provinz, der Gegend influiren, die beſonders von Einfluß ſind auf die Art, wie man die nächſtliegenden täglichen Bedürfniſſe befrie- digt. Viel größere Unterſchiede aber als die eben erwähn- ten bietet ganz Weſt- und Mittel-Deutſchland mit ſeiner rein deutſchen Bevölkerung einerſeits und der Oſten mit ſeinen ſlaviſchen, emigrirt-franzöſiſchen, auch ſtär- keren jüdiſchen Beimiſchungen andererſeits. Schon im Mittelalter war der Handwerker in den ehemals ſlaviſchen Ländern ein Deutſcher. Zu einem geſunden ſtädtiſchen Mittelſtande haben es die mehr ſlaviſchen, die polniſchen Gegenden nie recht bringen können. Ob es mehr der Verlauf der polniſchen Geſchichte mit ſich gebracht haben mag oder der urſprüngliche Stammescharakter, die großen Dörfer und die Städte ſind germaniſcher Ab- kunft. In den kleinen Städten der Provinz Poſen da bilden den wichtigſten Theil des Mittelſtandes die Juden. Der Iſraelit beginnt mit dem Schnapsladen, er geht dann zu einem Materialladen, zum Handel mit Landes- produkten und mit allem Möglichen über, und wenn er reich geworden iſt, zieht er nach Poſen oder gar nach Berlin. Der dortige Mittelſtand überhaupt neigt mehr zum Handel, als zum Handwerk. Es iſt charakteriſtiſch, daß der deutſche Tagelöhner auf den großen Gütern der Mark und Pommerns im Winter am Webſtuhl

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/342>, abgerufen am 25.11.2024.