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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Württembergisches Hausirwesen.
Welttheilen die Sklaven. Dieß ist ein Mißstand,
welcher durch die Gewerbefreiheit nicht gedeckt werden
sollte."

Sehen wir aber von solchen einzelnen Mißbräuchen
ab, die theilweise wenigstens durch eine richtige, sonst
freieste Bewegung gestattende Gesetzgebung und Verwal-
tung verhindert werden können, so geht das Haupt-
resultat dahin: Die Zahl der Hausirer hat sich 1862
und 63 außerordentlich vermehrt, schon 1864 und 65
aber wieder abgenommen; erst die Geschäftsstockung
von 1866 hat sie wieder sehr vermehrt. Weitaus die
Mehrzahl der Hausirausweise aber wird von Leuten
benutzt, über welche die stehenden Gewerbe nicht klagen,
und welchen man keine Arbeitsscheu vorwerfen kann; es
sind Frauen, ältere, schwächliche Leute, die Knochen,
Lumpen, Landesprodukte aufkaufen, mit Beeren, Besen,
Schindeln handeln. Die kräftigen, zur Arbeit tauglichen
Hausirer sind meist Ausländer oder Israeliten. Allerdings
wird mit der Zunahme dieser Handelszweige die Neigung
zu Diebstahl und Nichtsthun etwas befördert; aber
allgemein ist diese Folge nicht. Und bis jetzt haben in
Württemberg die Verbrechen gegen Person und Eigen-
thum, die Vergehen gegen die Sittlichkeit nirgends
wesentlich zugenommen. Es wird zugegeben, daß bei
einer richtigen Handhabung der Steuergesetze die wirth-
schaftlichen Mißstände keinenfalls überwiegen und theil-
weise ganz vorübergehend sind, daß der Andrang in
mäßigen Schranken gehalten werden kann.

Die Berichte zeigen, daß jedenfalls eine berechtigte
Tendenz zur Ausdehnung vorhanden ist, daß mehr an-

Württembergiſches Hauſirweſen.
Welttheilen die Sklaven. Dieß iſt ein Mißſtand,
welcher durch die Gewerbefreiheit nicht gedeckt werden
ſollte.“

Sehen wir aber von ſolchen einzelnen Mißbräuchen
ab, die theilweiſe wenigſtens durch eine richtige, ſonſt
freieſte Bewegung geſtattende Geſetzgebung und Verwal-
tung verhindert werden können, ſo geht das Haupt-
reſultat dahin: Die Zahl der Hauſirer hat ſich 1862
und 63 außerordentlich vermehrt, ſchon 1864 und 65
aber wieder abgenommen; erſt die Geſchäftsſtockung
von 1866 hat ſie wieder ſehr vermehrt. Weitaus die
Mehrzahl der Hauſirausweiſe aber wird von Leuten
benutzt, über welche die ſtehenden Gewerbe nicht klagen,
und welchen man keine Arbeitsſcheu vorwerfen kann; es
ſind Frauen, ältere, ſchwächliche Leute, die Knochen,
Lumpen, Landesprodukte aufkaufen, mit Beeren, Beſen,
Schindeln handeln. Die kräftigen, zur Arbeit tauglichen
Hauſirer ſind meiſt Ausländer oder Iſraeliten. Allerdings
wird mit der Zunahme dieſer Handelszweige die Neigung
zu Diebſtahl und Nichtsthun etwas befördert; aber
allgemein iſt dieſe Folge nicht. Und bis jetzt haben in
Württemberg die Verbrechen gegen Perſon und Eigen-
thum, die Vergehen gegen die Sittlichkeit nirgends
weſentlich zugenommen. Es wird zugegeben, daß bei
einer richtigen Handhabung der Steuergeſetze die wirth-
ſchaftlichen Mißſtände keinenfalls überwiegen und theil-
weiſe ganz vorübergehend ſind, daß der Andrang in
mäßigen Schranken gehalten werden kann.

Die Berichte zeigen, daß jedenfalls eine berechtigte
Tendenz zur Ausdehnung vorhanden iſt, daß mehr an-

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[249/0271] Württembergiſches Hauſirweſen. Welttheilen die Sklaven. Dieß iſt ein Mißſtand, welcher durch die Gewerbefreiheit nicht gedeckt werden ſollte.“ Sehen wir aber von ſolchen einzelnen Mißbräuchen ab, die theilweiſe wenigſtens durch eine richtige, ſonſt freieſte Bewegung geſtattende Geſetzgebung und Verwal- tung verhindert werden können, ſo geht das Haupt- reſultat dahin: Die Zahl der Hauſirer hat ſich 1862 und 63 außerordentlich vermehrt, ſchon 1864 und 65 aber wieder abgenommen; erſt die Geſchäftsſtockung von 1866 hat ſie wieder ſehr vermehrt. Weitaus die Mehrzahl der Hauſirausweiſe aber wird von Leuten benutzt, über welche die ſtehenden Gewerbe nicht klagen, und welchen man keine Arbeitsſcheu vorwerfen kann; es ſind Frauen, ältere, ſchwächliche Leute, die Knochen, Lumpen, Landesprodukte aufkaufen, mit Beeren, Beſen, Schindeln handeln. Die kräftigen, zur Arbeit tauglichen Hauſirer ſind meiſt Ausländer oder Iſraeliten. Allerdings wird mit der Zunahme dieſer Handelszweige die Neigung zu Diebſtahl und Nichtsthun etwas befördert; aber allgemein iſt dieſe Folge nicht. Und bis jetzt haben in Württemberg die Verbrechen gegen Perſon und Eigen- thum, die Vergehen gegen die Sittlichkeit nirgends weſentlich zugenommen. Es wird zugegeben, daß bei einer richtigen Handhabung der Steuergeſetze die wirth- ſchaftlichen Mißſtände keinenfalls überwiegen und theil- weiſe ganz vorübergehend ſind, daß der Andrang in mäßigen Schranken gehalten werden kann. Die Berichte zeigen, daß jedenfalls eine berechtigte Tendenz zur Ausdehnung vorhanden iſt, daß mehr an-

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/271>, abgerufen am 24.11.2024.