Handwerker zu verbieten, erkaufte Waaren im Laden auszustellen und Handel damit zu treiben; es war zu widersinnig. Selbst Vertheidiger der sonstigen alten Zunft- vorschriften gestehen jetzt das wenigstens, daß jeder Unter- schied zwischen Handwerker und Kaufmann aufhören müsse. 1 Das Bedürfniß war da. Wo volle Gewerbe- freiheit eintritt, da zeigt sich als Hauptfolge die starke Zunahme dieser kleinen Läden, wie ich oben bei Betrach- tung der einzelnen Staaten mehrfach hervorhob.
So sehr das aber mit dem wirklichen Bedürfniß des lokalen Bedarfs zusammenhängt, so wenig läßt sich verkennen, daß dem Bedürfniß eine noch viel stärkere Neigung der Anbietenden entgegenkommt. Der Hannö- versche Handelskammerbericht von 1867 bezeichnet es als eine förmliche Verirrung, daß das Handwerk, unfähig seine Produktion zu vervollkommnen, sich so ausschließlich auf den bloßen Handel gelegt habe; es habe da erst recht die Macht des großen Kapitals kennen lernen müssen, und jetzt erst durch die vielen Mißerfolge klug gemacht, werde es sich wieder mehr der Produktion zuwenden. 2
Der starke Zudrang ist psychologisch leicht erklär- lich. Es ist, wenn es gelingt von dem kleinen Laden zu leben, das bequemste Geschäft; ohne besondern Fleiß, ohne Arbeit sitzt der Mann hinter dem Ladentisch, oft stundenlang Zigarren rauchend und Romane lesend. Liegt
1 Schübler, Gewerbefreiheit und Gewerbeordnung. Stutt- gart 1860. S. 29.
2 Preußische Handelskammerberichte für 1867. S. 839.
Das kleine Ladengeſchäft.
Handwerker zu verbieten, erkaufte Waaren im Laden auszuſtellen und Handel damit zu treiben; es war zu widerſinnig. Selbſt Vertheidiger der ſonſtigen alten Zunft- vorſchriften geſtehen jetzt das wenigſtens, daß jeder Unter- ſchied zwiſchen Handwerker und Kaufmann aufhören müſſe. 1 Das Bedürfniß war da. Wo volle Gewerbe- freiheit eintritt, da zeigt ſich als Hauptfolge die ſtarke Zunahme dieſer kleinen Läden, wie ich oben bei Betrach- tung der einzelnen Staaten mehrfach hervorhob.
So ſehr das aber mit dem wirklichen Bedürfniß des lokalen Bedarfs zuſammenhängt, ſo wenig läßt ſich verkennen, daß dem Bedürfniß eine noch viel ſtärkere Neigung der Anbietenden entgegenkommt. Der Hannö- verſche Handelskammerbericht von 1867 bezeichnet es als eine förmliche Verirrung, daß das Handwerk, unfähig ſeine Produktion zu vervollkommnen, ſich ſo ausſchließlich auf den bloßen Handel gelegt habe; es habe da erſt recht die Macht des großen Kapitals kennen lernen müſſen, und jetzt erſt durch die vielen Mißerfolge klug gemacht, werde es ſich wieder mehr der Produktion zuwenden. 2
Der ſtarke Zudrang iſt pſychologiſch leicht erklär- lich. Es iſt, wenn es gelingt von dem kleinen Laden zu leben, das bequemſte Geſchäft; ohne beſondern Fleiß, ohne Arbeit ſitzt der Mann hinter dem Ladentiſch, oft ſtundenlang Zigarren rauchend und Romane leſend. Liegt
1 Schübler, Gewerbefreiheit und Gewerbeordnung. Stutt- gart 1860. S. 29.
2 Preußiſche Handelskammerberichte für 1867. S. 839.
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Das kleine Ladengeſchäft.
Handwerker zu verbieten, erkaufte Waaren im Laden
auszuſtellen und Handel damit zu treiben; es war zu
widerſinnig. Selbſt Vertheidiger der ſonſtigen alten Zunft-
vorſchriften geſtehen jetzt das wenigſtens, daß jeder Unter-
ſchied zwiſchen Handwerker und Kaufmann aufhören
müſſe. 1 Das Bedürfniß war da. Wo volle Gewerbe-
freiheit eintritt, da zeigt ſich als Hauptfolge die ſtarke
Zunahme dieſer kleinen Läden, wie ich oben bei Betrach-
tung der einzelnen Staaten mehrfach hervorhob.
So ſehr das aber mit dem wirklichen Bedürfniß
des lokalen Bedarfs zuſammenhängt, ſo wenig läßt ſich
verkennen, daß dem Bedürfniß eine noch viel ſtärkere
Neigung der Anbietenden entgegenkommt. Der Hannö-
verſche Handelskammerbericht von 1867 bezeichnet es
als eine förmliche Verirrung, daß das Handwerk, unfähig
ſeine Produktion zu vervollkommnen, ſich ſo ausſchließlich
auf den bloßen Handel gelegt habe; es habe da erſt
recht die Macht des großen Kapitals kennen lernen
müſſen, und jetzt erſt durch die vielen Mißerfolge klug
gemacht, werde es ſich wieder mehr der Produktion
zuwenden. 2
Der ſtarke Zudrang iſt pſychologiſch leicht erklär-
lich. Es iſt, wenn es gelingt von dem kleinen Laden
zu leben, das bequemſte Geſchäft; ohne beſondern Fleiß,
ohne Arbeit ſitzt der Mann hinter dem Ladentiſch, oft
ſtundenlang Zigarren rauchend und Romane leſend. Liegt
1 Schübler, Gewerbefreiheit und Gewerbeordnung. Stutt-
gart 1860. S. 29.
2 Preußiſche Handelskammerberichte für 1867. S. 839.
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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/235>, abgerufen am 23.11.2024.
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