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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Die Umgestaltung von Produktion und Verkehr.

Kleine Geschäfte dieser Art, die ihren Mann nähren,
sind auch heute noch möglich. Dagegen ist es meist nur
ein Zeichen verarmter überzähliger Meister, wenn heute
wieder das Ausarbeiten in den Häusern der Kunden
zunimmt, wenn z. B. im Regierungsbezirk Arnsberg
1855--57 noch Schneider, Schuster, Tischler und ähn-
liche Handwerker bei solchem "Ausarbeiten" mit 3 Sgr.
täglich und freier Kost zufrieden sind, 5 Sgr. schon als
einen guten Verdienst schätzen.1 Dazu wird heute in
der Regel nur die Verarmung den kleinen Meister
bewegen. Unter Umständen freilich, auf dem Lande, kann
auch diese Art des Geschäfts noch ganz am Platze sein.

Meist aber verschwindet sie; eine andere Art der
Geschäftsführung ist üblich geworden. Der tüchtige
Meister sucht auf Vorrath zu arbeiten, sucht vor Allem
einen mehr als lokalen Absatz; er versucht alle technischen
Fortschritte zu benutzen; er kauft einzelne Theile, die
andere Geschäfte besser liefern, von ihnen, beschränkt sich
mehr noch in der Anfertigung als im Verkauf auf
bestimmte Spezialitäten; den veränderten Bedürfnissen
dienend, vielfach ganz neue Artikel anfertigend, braucht
er verschiedene Arbeitskräfte; hat er nur zwei bis drei
Arbeiter, so gehören sie doch häufig verschiedenen früher
getrennten Gewerben an.

Es ist damit sozial ein ganz anderer Stand von
kleinen Unternehmern entstanden, die nicht sowohl durch
die Größe des Geschäfts und Kapitals als durch die

1 Jakobi, das Berg-, Hütten- und Gewerbewesen des
Regierungsbezirks Arnsberg. S. 531.
Die Umgeſtaltung von Produktion und Verkehr.

Kleine Geſchäfte dieſer Art, die ihren Mann nähren,
ſind auch heute noch möglich. Dagegen iſt es meiſt nur
ein Zeichen verarmter überzähliger Meiſter, wenn heute
wieder das Ausarbeiten in den Häuſern der Kunden
zunimmt, wenn z. B. im Regierungsbezirk Arnsberg
1855—57 noch Schneider, Schuſter, Tiſchler und ähn-
liche Handwerker bei ſolchem „Ausarbeiten“ mit 3 Sgr.
täglich und freier Koſt zufrieden ſind, 5 Sgr. ſchon als
einen guten Verdienſt ſchätzen.1 Dazu wird heute in
der Regel nur die Verarmung den kleinen Meiſter
bewegen. Unter Umſtänden freilich, auf dem Lande, kann
auch dieſe Art des Geſchäfts noch ganz am Platze ſein.

Meiſt aber verſchwindet ſie; eine andere Art der
Geſchäftsführung iſt üblich geworden. Der tüchtige
Meiſter ſucht auf Vorrath zu arbeiten, ſucht vor Allem
einen mehr als lokalen Abſatz; er verſucht alle techniſchen
Fortſchritte zu benutzen; er kauft einzelne Theile, die
andere Geſchäfte beſſer liefern, von ihnen, beſchränkt ſich
mehr noch in der Anfertigung als im Verkauf auf
beſtimmte Spezialitäten; den veränderten Bedürfniſſen
dienend, vielfach ganz neue Artikel anfertigend, braucht
er verſchiedene Arbeitskräfte; hat er nur zwei bis drei
Arbeiter, ſo gehören ſie doch häufig verſchiedenen früher
getrennten Gewerben an.

Es iſt damit ſozial ein ganz anderer Stand von
kleinen Unternehmern entſtanden, die nicht ſowohl durch
die Größe des Geſchäfts und Kapitals als durch die

1 Jakobi, das Berg-, Hütten- und Gewerbeweſen des
Regierungsbezirks Arnsberg. S. 531.
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[198/0220] Die Umgeſtaltung von Produktion und Verkehr. Kleine Geſchäfte dieſer Art, die ihren Mann nähren, ſind auch heute noch möglich. Dagegen iſt es meiſt nur ein Zeichen verarmter überzähliger Meiſter, wenn heute wieder das Ausarbeiten in den Häuſern der Kunden zunimmt, wenn z. B. im Regierungsbezirk Arnsberg 1855—57 noch Schneider, Schuſter, Tiſchler und ähn- liche Handwerker bei ſolchem „Ausarbeiten“ mit 3 Sgr. täglich und freier Koſt zufrieden ſind, 5 Sgr. ſchon als einen guten Verdienſt ſchätzen. 1 Dazu wird heute in der Regel nur die Verarmung den kleinen Meiſter bewegen. Unter Umſtänden freilich, auf dem Lande, kann auch dieſe Art des Geſchäfts noch ganz am Platze ſein. Meiſt aber verſchwindet ſie; eine andere Art der Geſchäftsführung iſt üblich geworden. Der tüchtige Meiſter ſucht auf Vorrath zu arbeiten, ſucht vor Allem einen mehr als lokalen Abſatz; er verſucht alle techniſchen Fortſchritte zu benutzen; er kauft einzelne Theile, die andere Geſchäfte beſſer liefern, von ihnen, beſchränkt ſich mehr noch in der Anfertigung als im Verkauf auf beſtimmte Spezialitäten; den veränderten Bedürfniſſen dienend, vielfach ganz neue Artikel anfertigend, braucht er verſchiedene Arbeitskräfte; hat er nur zwei bis drei Arbeiter, ſo gehören ſie doch häufig verſchiedenen früher getrennten Gewerben an. Es iſt damit ſozial ein ganz anderer Stand von kleinen Unternehmern entſtanden, die nicht ſowohl durch die Größe des Geſchäfts und Kapitals als durch die 1 Jakobi, das Berg-, Hütten- und Gewerbeweſen des Regierungsbezirks Arnsberg. S. 531.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/220>, abgerufen am 23.11.2024.