aller Art, die Eitelkeit, welche dem Gesellen und Bauer- jungen, der in der Großstadt diente, die Bedientenlivree mit ihren Reizen verführerischer macht, als eine selbstän- dige Stellung auf dem Lande, -- auch die Hoffnung auf eine bessere Armenverpflegung, hauptsächlich aber der Gedanke zahlloser halb und ganz verlorener Existenzen, dort in dem großen Getriebe irgend eine Chance zu finden, ehrlich oder mit Betrug und Schwindel in dem wechselvollen Hazardspiel des großstädtischen Lebens einen Treffer zu ziehen, -- all das wirkt zusammen. Wie einfache Zeiten einen Abscheu vor den engen Mauern der Stadt haben, so stürzen sich hoch- und überkultivirte in den Strudel des städtischen Lebens. Im spätern römischen Reich war das platte Land verödet, Alles wollte an den Genüssen der Städte theilnehmen.
Ich brauche diese allgemeine Richtung unserer Zeit nicht weiter zu schildern; sie ist Jedem bekannt; es handelt sich hier vielmehr wieder, wie bei den obigen Fragen darum, festzustellen, wie weit sie bei uns in Deutschland und speziell in Preußen bis jetzt sich durch- gesetzt hat, in wie weit ihr andere Thatsachen, die ein- mal decentralisirte Industrie, die bestehende Bodenver- theilung, die Anhänglichkeit an die engere und engste Heimat und manches Andere bis jetzt das Gleichgewicht gehalten haben.1
1 Zu vergl. Dieterici, statist. Unters. der Bevölkerung der Städte der Kurmark Brandenburg von 1736--1846, Mit- theilungen II, 265--277; Dieterici, über die Anzahl und Dichtigkeit der Bevölkerung von Frankreich, England und Preußen m Allgemeinen und nach den einzelnen Landestheilen, sowie über
Die Umgeſtaltung von Produktion und Verkehr.
aller Art, die Eitelkeit, welche dem Geſellen und Bauer- jungen, der in der Großſtadt diente, die Bedientenlivree mit ihren Reizen verführeriſcher macht, als eine ſelbſtän- dige Stellung auf dem Lande, — auch die Hoffnung auf eine beſſere Armenverpflegung, hauptſächlich aber der Gedanke zahlloſer halb und ganz verlorener Exiſtenzen, dort in dem großen Getriebe irgend eine Chance zu finden, ehrlich oder mit Betrug und Schwindel in dem wechſelvollen Hazardſpiel des großſtädtiſchen Lebens einen Treffer zu ziehen, — all das wirkt zuſammen. Wie einfache Zeiten einen Abſcheu vor den engen Mauern der Stadt haben, ſo ſtürzen ſich hoch- und überkultivirte in den Strudel des ſtädtiſchen Lebens. Im ſpätern römiſchen Reich war das platte Land verödet, Alles wollte an den Genüſſen der Städte theilnehmen.
Ich brauche dieſe allgemeine Richtung unſerer Zeit nicht weiter zu ſchildern; ſie iſt Jedem bekannt; es handelt ſich hier vielmehr wieder, wie bei den obigen Fragen darum, feſtzuſtellen, wie weit ſie bei uns in Deutſchland und ſpeziell in Preußen bis jetzt ſich durch- geſetzt hat, in wie weit ihr andere Thatſachen, die ein- mal decentraliſirte Induſtrie, die beſtehende Bodenver- theilung, die Anhänglichkeit an die engere und engſte Heimat und manches Andere bis jetzt das Gleichgewicht gehalten haben.1
1 Zu vergl. Dieterici, ſtatiſt. Unterſ. der Bevölkerung der Städte der Kurmark Brandenburg von 1736—1846, Mit- theilungen II, 265—277; Dieterici, über die Anzahl und Dichtigkeit der Bevölkerung von Frankreich, England und Preußen m Allgemeinen und nach den einzelnen Landestheilen, ſowie über
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Die Umgeſtaltung von Produktion und Verkehr.
aller Art, die Eitelkeit, welche dem Geſellen und Bauer-
jungen, der in der Großſtadt diente, die Bedientenlivree
mit ihren Reizen verführeriſcher macht, als eine ſelbſtän-
dige Stellung auf dem Lande, — auch die Hoffnung
auf eine beſſere Armenverpflegung, hauptſächlich aber der
Gedanke zahlloſer halb und ganz verlorener Exiſtenzen,
dort in dem großen Getriebe irgend eine Chance zu
finden, ehrlich oder mit Betrug und Schwindel in dem
wechſelvollen Hazardſpiel des großſtädtiſchen Lebens einen
Treffer zu ziehen, — all das wirkt zuſammen. Wie
einfache Zeiten einen Abſcheu vor den engen Mauern
der Stadt haben, ſo ſtürzen ſich hoch- und überkultivirte
in den Strudel des ſtädtiſchen Lebens. Im ſpätern
römiſchen Reich war das platte Land verödet, Alles
wollte an den Genüſſen der Städte theilnehmen.
Ich brauche dieſe allgemeine Richtung unſerer Zeit
nicht weiter zu ſchildern; ſie iſt Jedem bekannt; es
handelt ſich hier vielmehr wieder, wie bei den obigen
Fragen darum, feſtzuſtellen, wie weit ſie bei uns in
Deutſchland und ſpeziell in Preußen bis jetzt ſich durch-
geſetzt hat, in wie weit ihr andere Thatſachen, die ein-
mal decentraliſirte Induſtrie, die beſtehende Bodenver-
theilung, die Anhänglichkeit an die engere und engſte
Heimat und manches Andere bis jetzt das Gleichgewicht
gehalten haben. 1
1 Zu vergl. Dieterici, ſtatiſt. Unterſ. der Bevölkerung
der Städte der Kurmark Brandenburg von 1736—1846, Mit-
theilungen II, 265—277; Dieterici, über die Anzahl und
Dichtigkeit der Bevölkerung von Frankreich, England und Preußen
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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/210>, abgerufen am 17.02.2025.
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