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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Die Anziehungskraft der Städte.
an den Rhein; er braucht die vermittelnden Handels-
häuser in Mitteldeutschland nicht mehr. Der große Holz-
handel von Süddeutschland nach Holland ging früher
durch mehrere Hände; der Holzhändler auf dem Schwarz-
wald, in Heilbronn, in Mannheim verkaufte an den
Kölner, der Kölner an den Holländer; jetzt kauft der
Commis voyageur des Holländers direkt in den Wäldern
bei den Auktionen. Der Kolonialwaarenhandel hat sich
wesentlich umgebildet; der kleinste Krämer fängt an,
direkt von dem Antwerpener und Hamburger Großhändler
zu kaufen, um die Spesen zweiter und dritter Hand zu
ersparen. Westfälische Hütten lassen die Provinz Preu-
ßen bereisen und führen selbst die kleinsten Aufträge
direkt aus.1 Die großen Plätze nehmen zu, die kleinen
ab. Auf den großen Plätzen ist jeder Käufer sicher,
durch keine Zufälligkeiten getrübte, durch lebendige Kon-
kurrenz festgestellte Stapelpreise zu erhalten; der Bezug
von den großen Plätzen wird durch die billigen Frachten
auf weite Entfernungen erleichtert.

Und das sind noch nicht die einzigen Ursachen, welche
heute immer größere Menschenmengen nach den großen
Städten ziehen. Soziale und sittliche, resp. unsittliche
Motive aller Art wirken da mit; Bildungs- und Erzie-
hungsinteressen, die Anziehung, welche die geistig hoch-
gespannte Atmosphäre jeder Großstadt übt, das Interesse
am Mittelpunkt von Politik und Literatur zu sein, dann
wieder die Aussicht auf erlaubte und unerlaubte Genüsse

1 Jahresberichte der Handelskammern des preuß. Staates
für 1865. Beilage des Handelsarchivs S. 102.

Die Anziehungskraft der Städte.
an den Rhein; er braucht die vermittelnden Handels-
häuſer in Mitteldeutſchland nicht mehr. Der große Holz-
handel von Süddeutſchland nach Holland ging früher
durch mehrere Hände; der Holzhändler auf dem Schwarz-
wald, in Heilbronn, in Mannheim verkaufte an den
Kölner, der Kölner an den Holländer; jetzt kauft der
Commis voyageur des Holländers direkt in den Wäldern
bei den Auktionen. Der Kolonialwaarenhandel hat ſich
weſentlich umgebildet; der kleinſte Krämer fängt an,
direkt von dem Antwerpener und Hamburger Großhändler
zu kaufen, um die Speſen zweiter und dritter Hand zu
erſparen. Weſtfäliſche Hütten laſſen die Provinz Preu-
ßen bereiſen und führen ſelbſt die kleinſten Aufträge
direkt aus.1 Die großen Plätze nehmen zu, die kleinen
ab. Auf den großen Plätzen iſt jeder Käufer ſicher,
durch keine Zufälligkeiten getrübte, durch lebendige Kon-
kurrenz feſtgeſtellte Stapelpreiſe zu erhalten; der Bezug
von den großen Plätzen wird durch die billigen Frachten
auf weite Entfernungen erleichtert.

Und das ſind noch nicht die einzigen Urſachen, welche
heute immer größere Menſchenmengen nach den großen
Städten ziehen. Soziale und ſittliche, reſp. unſittliche
Motive aller Art wirken da mit; Bildungs- und Erzie-
hungsintereſſen, die Anziehung, welche die geiſtig hoch-
geſpannte Atmoſphäre jeder Großſtadt übt, das Intereſſe
am Mittelpunkt von Politik und Literatur zu ſein, dann
wieder die Ausſicht auf erlaubte und unerlaubte Genüſſe

1 Jahresberichte der Handelskammern des preuß. Staates
für 1865. Beilage des Handelsarchivs S. 102.
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[187/0209] Die Anziehungskraft der Städte. an den Rhein; er braucht die vermittelnden Handels- häuſer in Mitteldeutſchland nicht mehr. Der große Holz- handel von Süddeutſchland nach Holland ging früher durch mehrere Hände; der Holzhändler auf dem Schwarz- wald, in Heilbronn, in Mannheim verkaufte an den Kölner, der Kölner an den Holländer; jetzt kauft der Commis voyageur des Holländers direkt in den Wäldern bei den Auktionen. Der Kolonialwaarenhandel hat ſich weſentlich umgebildet; der kleinſte Krämer fängt an, direkt von dem Antwerpener und Hamburger Großhändler zu kaufen, um die Speſen zweiter und dritter Hand zu erſparen. Weſtfäliſche Hütten laſſen die Provinz Preu- ßen bereiſen und führen ſelbſt die kleinſten Aufträge direkt aus. 1 Die großen Plätze nehmen zu, die kleinen ab. Auf den großen Plätzen iſt jeder Käufer ſicher, durch keine Zufälligkeiten getrübte, durch lebendige Kon- kurrenz feſtgeſtellte Stapelpreiſe zu erhalten; der Bezug von den großen Plätzen wird durch die billigen Frachten auf weite Entfernungen erleichtert. Und das ſind noch nicht die einzigen Urſachen, welche heute immer größere Menſchenmengen nach den großen Städten ziehen. Soziale und ſittliche, reſp. unſittliche Motive aller Art wirken da mit; Bildungs- und Erzie- hungsintereſſen, die Anziehung, welche die geiſtig hoch- geſpannte Atmoſphäre jeder Großſtadt übt, das Intereſſe am Mittelpunkt von Politik und Literatur zu ſein, dann wieder die Ausſicht auf erlaubte und unerlaubte Genüſſe 1 Jahresberichte der Handelskammern des preuß. Staates für 1865. Beilage des Handelsarchivs S. 102.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/209>, abgerufen am 23.11.2024.