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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Die heutige Wirthschaft der Familie.
halten. Waaren im Vorrath zu arbeiten, Möbel, Ge-
räthschaften, Kleider, Schuhe auf Lager zu halten, war
auch deswegen nicht so leicht wie heute, weil mit dem
mangelnden Verkehr die individuelle Liebhaberei, die
Eigenart jedes Individuums mehr im Vordergrund stand,
weil entsprechend dem geringern Wohlstand die Kaufenden
oder Bestellenden damals viel mehr als heute ausschließ-
lich der Klasse angehörten, die das nicht besitzen will,
was tausend Andere in gleicher Form haben.

Heute ist das Alles, beinahe Alles anders geworden
in jeder halbwegs modernisirten Stadt. Vorräthe hält
man nicht mehr, -- Handlungen aller Art sind ja in
der Nähe, die Jahr aus Jahr ein bieten, was man
braucht. Man kauft fertige Hemden, fertige Kleider und
Schuhe, fertige Möbel, auf Flaschen abgezogenen Wein;
Brot und Fleisch wird ins Haus gebracht, theilweise gar
das Essen; die amerikanische Sitte, welche auch für
ganze Familien das Leben im Boardinghause, im Gast-
hofe gestattet, beginnt auch bei uns Nachahmer, Ver-
theidiger zu finden. In großen Etablissements läßt
man waschen. Man hat in den größern Städten weder
zum Halten der früheren Vorräthe, noch zur Vornahme
aller jener früheren Verrichtungen die Räume.

Der Laudator temporis acti sieht nur mit Weh-
muth diese Aenderungen. Und es ist wahr, daß in der
Art und Weise, wie früher die Wirthschaft einer Familie
geführt wurde, viele Motive und Veranlassungen zu
einem geordneten Leben lagen. Vorsicht und Sparsamkeit
vor der Ehe, Umsicht und Fleiß, haushälterischer Sinn
und angestrengte Thätigkeit in der Ehe hingen damit

Die heutige Wirthſchaft der Familie.
halten. Waaren im Vorrath zu arbeiten, Möbel, Ge-
räthſchaften, Kleider, Schuhe auf Lager zu halten, war
auch deswegen nicht ſo leicht wie heute, weil mit dem
mangelnden Verkehr die individuelle Liebhaberei, die
Eigenart jedes Individuums mehr im Vordergrund ſtand,
weil entſprechend dem geringern Wohlſtand die Kaufenden
oder Beſtellenden damals viel mehr als heute ausſchließ-
lich der Klaſſe angehörten, die das nicht beſitzen will,
was tauſend Andere in gleicher Form haben.

Heute iſt das Alles, beinahe Alles anders geworden
in jeder halbwegs moderniſirten Stadt. Vorräthe hält
man nicht mehr, — Handlungen aller Art ſind ja in
der Nähe, die Jahr aus Jahr ein bieten, was man
braucht. Man kauft fertige Hemden, fertige Kleider und
Schuhe, fertige Möbel, auf Flaſchen abgezogenen Wein;
Brot und Fleiſch wird ins Haus gebracht, theilweiſe gar
das Eſſen; die amerikaniſche Sitte, welche auch für
ganze Familien das Leben im Boardinghauſe, im Gaſt-
hofe geſtattet, beginnt auch bei uns Nachahmer, Ver-
theidiger zu finden. In großen Etabliſſements läßt
man waſchen. Man hat in den größern Städten weder
zum Halten der früheren Vorräthe, noch zur Vornahme
aller jener früheren Verrichtungen die Räume.

Der Laudator temporis acti ſieht nur mit Weh-
muth dieſe Aenderungen. Und es iſt wahr, daß in der
Art und Weiſe, wie früher die Wirthſchaft einer Familie
geführt wurde, viele Motive und Veranlaſſungen zu
einem geordneten Leben lagen. Vorſicht und Sparſamkeit
vor der Ehe, Umſicht und Fleiß, haushälteriſcher Sinn
und angeſtrengte Thätigkeit in der Ehe hingen damit

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[181/0203] Die heutige Wirthſchaft der Familie. halten. Waaren im Vorrath zu arbeiten, Möbel, Ge- räthſchaften, Kleider, Schuhe auf Lager zu halten, war auch deswegen nicht ſo leicht wie heute, weil mit dem mangelnden Verkehr die individuelle Liebhaberei, die Eigenart jedes Individuums mehr im Vordergrund ſtand, weil entſprechend dem geringern Wohlſtand die Kaufenden oder Beſtellenden damals viel mehr als heute ausſchließ- lich der Klaſſe angehörten, die das nicht beſitzen will, was tauſend Andere in gleicher Form haben. Heute iſt das Alles, beinahe Alles anders geworden in jeder halbwegs moderniſirten Stadt. Vorräthe hält man nicht mehr, — Handlungen aller Art ſind ja in der Nähe, die Jahr aus Jahr ein bieten, was man braucht. Man kauft fertige Hemden, fertige Kleider und Schuhe, fertige Möbel, auf Flaſchen abgezogenen Wein; Brot und Fleiſch wird ins Haus gebracht, theilweiſe gar das Eſſen; die amerikaniſche Sitte, welche auch für ganze Familien das Leben im Boardinghauſe, im Gaſt- hofe geſtattet, beginnt auch bei uns Nachahmer, Ver- theidiger zu finden. In großen Etabliſſements läßt man waſchen. Man hat in den größern Städten weder zum Halten der früheren Vorräthe, noch zur Vornahme aller jener früheren Verrichtungen die Räume. Der Laudator temporis acti ſieht nur mit Weh- muth dieſe Aenderungen. Und es iſt wahr, daß in der Art und Weiſe, wie früher die Wirthſchaft einer Familie geführt wurde, viele Motive und Veranlaſſungen zu einem geordneten Leben lagen. Vorſicht und Sparſamkeit vor der Ehe, Umſicht und Fleiß, haushälteriſcher Sinn und angeſtrengte Thätigkeit in der Ehe hingen damit

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/203>, abgerufen am 22.11.2024.