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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Die preußischen Aufnahmen.
sagt:1 "Nicht das Interesse des Handwerkerstandes, seine
technische und soziale Fortbildung und Vereinigung zu
gegenseitiger Unterstützung war die Triebfeder des Zusam-
mentrittes, sondern wieder das Anstreben von Exklusiv-
rechten, der Egoismus, wenn nichts Schlimmeres. Mit
dem Durchdringen der Ueberzeugung, daß auch die
Innungen zur Erfüllung dieser selbstsüchtigen Wünsche
nicht geeignet seien, erlahmte auch mehr und mehr die
Theilnahme an diesen Instituten. Ihre Versammlungen
wurden nicht mehr besucht, die Beiträge nicht mehr
geleistet, und sie schrumpften zuerst bis auf die Schatten-
gerippe der Innungs-Prüfungskommissionen ein und
vegetirten, seitdem auch diese durch Neuwahlen nicht mehr
zu ergänzen sind, als leere Organisationen fort."

So viel von den psychologischen Wirkungen. Was
die direkten, realen Wirkungen betrifft, so lassen sie sich
aus den gewerbestatistischen Zahlen nicht ganz sicher nach-
weisen, da hier der Streit immer offen bleibt, ob die
Zahlen so sind wegen oder trotz der Einrichtung. Immer-
hin aber lehren die Zahlen, wie ich gleich zeigen werde,
daß jedenfalls eine auffallende Wirkung nicht vorhanden
ist. Eine solche ist aber auch nicht wahrscheinlich. Daß
die Novelle wesentlich genutzt habe, glaubt Niemand
heute mehr; daß sie geschadet habe, wird eher noch
behauptet werden können. Sie legte dem Handwerk einige
Fesseln auf, beschränkte die verschiedenen Kleingewerbe
unter sich, ohne es aber zu wagen, die Großindustrie,

1 Statistik des Regierungsbezirks Düsseldorf. Iserlohn
1867. IIb, 489.

Die preußiſchen Aufnahmen.
ſagt:1 „Nicht das Intereſſe des Handwerkerſtandes, ſeine
techniſche und ſoziale Fortbildung und Vereinigung zu
gegenſeitiger Unterſtützung war die Triebfeder des Zuſam-
mentrittes, ſondern wieder das Anſtreben von Exkluſiv-
rechten, der Egoismus, wenn nichts Schlimmeres. Mit
dem Durchdringen der Ueberzeugung, daß auch die
Innungen zur Erfüllung dieſer ſelbſtſüchtigen Wünſche
nicht geeignet ſeien, erlahmte auch mehr und mehr die
Theilnahme an dieſen Inſtituten. Ihre Verſammlungen
wurden nicht mehr beſucht, die Beiträge nicht mehr
geleiſtet, und ſie ſchrumpften zuerſt bis auf die Schatten-
gerippe der Innungs-Prüfungskommiſſionen ein und
vegetirten, ſeitdem auch dieſe durch Neuwahlen nicht mehr
zu ergänzen ſind, als leere Organiſationen fort.“

So viel von den pſychologiſchen Wirkungen. Was
die direkten, realen Wirkungen betrifft, ſo laſſen ſie ſich
aus den gewerbeſtatiſtiſchen Zahlen nicht ganz ſicher nach-
weiſen, da hier der Streit immer offen bleibt, ob die
Zahlen ſo ſind wegen oder trotz der Einrichtung. Immer-
hin aber lehren die Zahlen, wie ich gleich zeigen werde,
daß jedenfalls eine auffallende Wirkung nicht vorhanden
iſt. Eine ſolche iſt aber auch nicht wahrſcheinlich. Daß
die Novelle weſentlich genutzt habe, glaubt Niemand
heute mehr; daß ſie geſchadet habe, wird eher noch
behauptet werden können. Sie legte dem Handwerk einige
Feſſeln auf, beſchränkte die verſchiedenen Kleingewerbe
unter ſich, ohne es aber zu wagen, die Großinduſtrie,

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[90/0112] Die preußiſchen Aufnahmen. ſagt: 1 „Nicht das Intereſſe des Handwerkerſtandes, ſeine techniſche und ſoziale Fortbildung und Vereinigung zu gegenſeitiger Unterſtützung war die Triebfeder des Zuſam- mentrittes, ſondern wieder das Anſtreben von Exkluſiv- rechten, der Egoismus, wenn nichts Schlimmeres. Mit dem Durchdringen der Ueberzeugung, daß auch die Innungen zur Erfüllung dieſer ſelbſtſüchtigen Wünſche nicht geeignet ſeien, erlahmte auch mehr und mehr die Theilnahme an dieſen Inſtituten. Ihre Verſammlungen wurden nicht mehr beſucht, die Beiträge nicht mehr geleiſtet, und ſie ſchrumpften zuerſt bis auf die Schatten- gerippe der Innungs-Prüfungskommiſſionen ein und vegetirten, ſeitdem auch dieſe durch Neuwahlen nicht mehr zu ergänzen ſind, als leere Organiſationen fort.“ So viel von den pſychologiſchen Wirkungen. Was die direkten, realen Wirkungen betrifft, ſo laſſen ſie ſich aus den gewerbeſtatiſtiſchen Zahlen nicht ganz ſicher nach- weiſen, da hier der Streit immer offen bleibt, ob die Zahlen ſo ſind wegen oder trotz der Einrichtung. Immer- hin aber lehren die Zahlen, wie ich gleich zeigen werde, daß jedenfalls eine auffallende Wirkung nicht vorhanden iſt. Eine ſolche iſt aber auch nicht wahrſcheinlich. Daß die Novelle weſentlich genutzt habe, glaubt Niemand heute mehr; daß ſie geſchadet habe, wird eher noch behauptet werden können. Sie legte dem Handwerk einige Feſſeln auf, beſchränkte die verſchiedenen Kleingewerbe unter ſich, ohne es aber zu wagen, die Großinduſtrie, 1 Statiſtik des Regierungsbezirks Düſſeldorf. Iſerlohn 1867. IIb, 489.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/112>, abgerufen am 24.11.2024.