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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Die Folgen der Gewerbenovelle.
Einsicht schlug durch, daß endlich auch der Handwerker
vorwärts schreiten müsse. Deswegen rührte man sich,
strebte nach Bildung, war für die Pläne von Schulze-
Delitzsch empfänglich, gründete man Schulen und Gewerbe-
vereine, deswegen hatte man auch lebendigeres Interesse
für die Innungen und für die Prüfungen. Aber nicht
umgekehrt waren die Innungen das Erste, das Anre-
gende. Im Gegentheile vielfach wurden sie bald das
Hemmende, einmal weil man sich durch die Existenz der
Innungen an sich nun geholfen glaubte, noch mehr
aber, weil die persönlichen Elemente, die in ihnen an
die Spitze kamen, keine solche waren, die Verständniß
für gewerblichen Fortschritt hatten. Das ist ja der Fluch
jeder alten, einmal auf Abwege gerathenen Institution,
daß bei Wiederbelebungsversuchen nicht die tüchtigen,
die jungen, die aufopfernden Kräfte zuströmen, sondern
die alten, egoistischen. Den Kreditvereinen, den Gewerbe-
vereinen, den Arbeiterbildungsvereinen widmeten sich die
frischen, aufstrebenden Kräfte; den Innungen mehr
solche, die darin eine behagliche Existenz ohne Anstren-
gung erhofften. Für Viele und nicht die untüchtigsten
wurde die Sache durch die unpassende reaktionäre Ver-
quickung verdächtigt. Die persönlichen Eigenschaften Derer,
welche in den Innungen obenan kamen, waren der Krebs-
schaden der neuen Institution, waren schlimmer als der
Inhalt der Novelle selbst. Diese Wahrnehmung ist mir
überall, wo ich mich näher nach Personen und Dingen
erkundigte, entgegen getreten, und Regierungsrath
Mülmann bestätigt das vollständig, wenn er in Bezug
auf die Rheinprovinz und die dortige Innungsbildung

Die Folgen der Gewerbenovelle.
Einſicht ſchlug durch, daß endlich auch der Handwerker
vorwärts ſchreiten müſſe. Deswegen rührte man ſich,
ſtrebte nach Bildung, war für die Pläne von Schulze-
Delitzſch empfänglich, gründete man Schulen und Gewerbe-
vereine, deswegen hatte man auch lebendigeres Intereſſe
für die Innungen und für die Prüfungen. Aber nicht
umgekehrt waren die Innungen das Erſte, das Anre-
gende. Im Gegentheile vielfach wurden ſie bald das
Hemmende, einmal weil man ſich durch die Exiſtenz der
Innungen an ſich nun geholfen glaubte, noch mehr
aber, weil die perſönlichen Elemente, die in ihnen an
die Spitze kamen, keine ſolche waren, die Verſtändniß
für gewerblichen Fortſchritt hatten. Das iſt ja der Fluch
jeder alten, einmal auf Abwege gerathenen Inſtitution,
daß bei Wiederbelebungsverſuchen nicht die tüchtigen,
die jungen, die aufopfernden Kräfte zuſtrömen, ſondern
die alten, egoiſtiſchen. Den Kreditvereinen, den Gewerbe-
vereinen, den Arbeiterbildungsvereinen widmeten ſich die
friſchen, aufſtrebenden Kräfte; den Innungen mehr
ſolche, die darin eine behagliche Exiſtenz ohne Anſtren-
gung erhofften. Für Viele und nicht die untüchtigſten
wurde die Sache durch die unpaſſende reaktionäre Ver-
quickung verdächtigt. Die perſönlichen Eigenſchaften Derer,
welche in den Innungen obenan kamen, waren der Krebs-
ſchaden der neuen Inſtitution, waren ſchlimmer als der
Inhalt der Novelle ſelbſt. Dieſe Wahrnehmung iſt mir
überall, wo ich mich näher nach Perſonen und Dingen
erkundigte, entgegen getreten, und Regierungsrath
Mülmann beſtätigt das vollſtändig, wenn er in Bezug
auf die Rheinprovinz und die dortige Innungsbildung

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[89/0111] Die Folgen der Gewerbenovelle. Einſicht ſchlug durch, daß endlich auch der Handwerker vorwärts ſchreiten müſſe. Deswegen rührte man ſich, ſtrebte nach Bildung, war für die Pläne von Schulze- Delitzſch empfänglich, gründete man Schulen und Gewerbe- vereine, deswegen hatte man auch lebendigeres Intereſſe für die Innungen und für die Prüfungen. Aber nicht umgekehrt waren die Innungen das Erſte, das Anre- gende. Im Gegentheile vielfach wurden ſie bald das Hemmende, einmal weil man ſich durch die Exiſtenz der Innungen an ſich nun geholfen glaubte, noch mehr aber, weil die perſönlichen Elemente, die in ihnen an die Spitze kamen, keine ſolche waren, die Verſtändniß für gewerblichen Fortſchritt hatten. Das iſt ja der Fluch jeder alten, einmal auf Abwege gerathenen Inſtitution, daß bei Wiederbelebungsverſuchen nicht die tüchtigen, die jungen, die aufopfernden Kräfte zuſtrömen, ſondern die alten, egoiſtiſchen. Den Kreditvereinen, den Gewerbe- vereinen, den Arbeiterbildungsvereinen widmeten ſich die friſchen, aufſtrebenden Kräfte; den Innungen mehr ſolche, die darin eine behagliche Exiſtenz ohne Anſtren- gung erhofften. Für Viele und nicht die untüchtigſten wurde die Sache durch die unpaſſende reaktionäre Ver- quickung verdächtigt. Die perſönlichen Eigenſchaften Derer, welche in den Innungen obenan kamen, waren der Krebs- ſchaden der neuen Inſtitution, waren ſchlimmer als der Inhalt der Novelle ſelbſt. Dieſe Wahrnehmung iſt mir überall, wo ich mich näher nach Perſonen und Dingen erkundigte, entgegen getreten, und Regierungsrath Mülmann beſtätigt das vollſtändig, wenn er in Bezug auf die Rheinprovinz und die dortige Innungsbildung

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/111>, abgerufen am 22.11.2024.