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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Die Lage der Kleingewerbe 1840 -- 46.
Abnahme von 1858 -- 61 wirklich so groß ist, so muß
man diese Zahl bei der Vergleichung im Auge behalten;
denn es ist ein großer Unterschied, ob die Spinner um
40000 Personen oder ob die eigentlichen Handwerker
zusammen um 40000 Personen abnahmen.

Nach dieser Kritik der Zahlen können wir erst
zur Frage zurückkehren, welches die Lage des Handwerker-
standes von Anfang der vierziger Jahre bis zur Gegen-
wart nach diesen Zahlen war.

Erinnern wir uns dabei der allgemeinen volkswirth-
schaftlichen Lage. Die Fortschritte der technischen Bildung
in Deutschland gehen Hand in Hand mit dem Bau der
Eisenbahnen; die internationalen Beziehungen vervielfäl-
tigen sich; der Export nach Amerika, nach den Kolonien
nimmt nie dagewesene Dimensionen an; die großen
Unternehmungen, vor Allem die, welche die Vortheile
einer vollendeten Technik, eines großen Kapitals, einer
weitsichtigen kaufmännischen Leitung in sich vereinigen,
erlangen jetzt erst eine Stellung, wie sie sie in England
schon früher inne hatten. Die Folgen für das Hand-
werk mußten sehr verschieden sein, hier Förderung,
Absatz, Arbeit in Fülle, dort Hemmung, Rückgang,
erdrückende Konkurrenz. Im Ganzen überwog entschieden
das Letztere.

Seit der Handelskrisis von 1839 hatte die Krisis
der Kleingewerbe begonnen. Schon 1840 hatten ja die
Stadtverordneten in Berlin dem König eine Denkschrift
überreicht mit der Bitte um Aenderung der Gewerbe-
gesetzgebung. Schon da hatten sie geklagt, daß alles
Handwerk übersetzt sei, während die Steuerfähigkeit der-

Die Lage der Kleingewerbe 1840 — 46.
Abnahme von 1858 — 61 wirklich ſo groß iſt, ſo muß
man dieſe Zahl bei der Vergleichung im Auge behalten;
denn es iſt ein großer Unterſchied, ob die Spinner um
40000 Perſonen oder ob die eigentlichen Handwerker
zuſammen um 40000 Perſonen abnahmen.

Nach dieſer Kritik der Zahlen können wir erſt
zur Frage zurückkehren, welches die Lage des Handwerker-
ſtandes von Anfang der vierziger Jahre bis zur Gegen-
wart nach dieſen Zahlen war.

Erinnern wir uns dabei der allgemeinen volkswirth-
ſchaftlichen Lage. Die Fortſchritte der techniſchen Bildung
in Deutſchland gehen Hand in Hand mit dem Bau der
Eiſenbahnen; die internationalen Beziehungen vervielfäl-
tigen ſich; der Export nach Amerika, nach den Kolonien
nimmt nie dageweſene Dimenſionen an; die großen
Unternehmungen, vor Allem die, welche die Vortheile
einer vollendeten Technik, eines großen Kapitals, einer
weitſichtigen kaufmänniſchen Leitung in ſich vereinigen,
erlangen jetzt erſt eine Stellung, wie ſie ſie in England
ſchon früher inne hatten. Die Folgen für das Hand-
werk mußten ſehr verſchieden ſein, hier Förderung,
Abſatz, Arbeit in Fülle, dort Hemmung, Rückgang,
erdrückende Konkurrenz. Im Ganzen überwog entſchieden
das Letztere.

Seit der Handelskriſis von 1839 hatte die Kriſis
der Kleingewerbe begonnen. Schon 1840 hatten ja die
Stadtverordneten in Berlin dem König eine Denkſchrift
überreicht mit der Bitte um Aenderung der Gewerbe-
geſetzgebung. Schon da hatten ſie geklagt, daß alles
Handwerk überſetzt ſei, während die Steuerfähigkeit der-

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[79/0101] Die Lage der Kleingewerbe 1840 — 46. Abnahme von 1858 — 61 wirklich ſo groß iſt, ſo muß man dieſe Zahl bei der Vergleichung im Auge behalten; denn es iſt ein großer Unterſchied, ob die Spinner um 40000 Perſonen oder ob die eigentlichen Handwerker zuſammen um 40000 Perſonen abnahmen. Nach dieſer Kritik der Zahlen können wir erſt zur Frage zurückkehren, welches die Lage des Handwerker- ſtandes von Anfang der vierziger Jahre bis zur Gegen- wart nach dieſen Zahlen war. Erinnern wir uns dabei der allgemeinen volkswirth- ſchaftlichen Lage. Die Fortſchritte der techniſchen Bildung in Deutſchland gehen Hand in Hand mit dem Bau der Eiſenbahnen; die internationalen Beziehungen vervielfäl- tigen ſich; der Export nach Amerika, nach den Kolonien nimmt nie dageweſene Dimenſionen an; die großen Unternehmungen, vor Allem die, welche die Vortheile einer vollendeten Technik, eines großen Kapitals, einer weitſichtigen kaufmänniſchen Leitung in ſich vereinigen, erlangen jetzt erſt eine Stellung, wie ſie ſie in England ſchon früher inne hatten. Die Folgen für das Hand- werk mußten ſehr verſchieden ſein, hier Förderung, Abſatz, Arbeit in Fülle, dort Hemmung, Rückgang, erdrückende Konkurrenz. Im Ganzen überwog entſchieden das Letztere. Seit der Handelskriſis von 1839 hatte die Kriſis der Kleingewerbe begonnen. Schon 1840 hatten ja die Stadtverordneten in Berlin dem König eine Denkſchrift überreicht mit der Bitte um Aenderung der Gewerbe- geſetzgebung. Schon da hatten ſie geklagt, daß alles Handwerk überſetzt ſei, während die Steuerfähigkeit der-

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/101>, abgerufen am 22.11.2024.