Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Einleitung. Begriff. Psychologische und sittliche Grundlage. Litteratur und Methode. das praktische hatte. In der neueren geistigen Entwickelung ist es die ältere psychologisch-ethische Schule der Engländer Schaftesbury, Hutcheson, Hume, A. Smith, in Deutsch- land sind es Herbart, Lotze, Horwicz, Wundt, Paulsen, die überwiegend hieher gerechnet werden müssen. Diese Richtung, welche eine empirische Ethik versucht, schließt allgemein an die Spitze des Systems gestellte Konzeptionen über einheitliche Entwickelung und Ver- vollkommnung nicht aus, wie wir an Herbert Spencer sehen, der alles, auch das sittliche Leben, aus der Entwickelungstheorie ableitet. Aber das Metaphysisch-Idealistische tritt doch mehr zurück. Und am deutlichsten tritt die Richtung mit ihren Grundtendenzen dadurch hervor, daß man neben den ethischen Systemen, welche das Ganze der mensch- lichen Handlungen darstellen und lehren wollen, versuchte sog. Sociologien zu schreiben. Diese neuere Gesellschaftslehre will nicht bloß, wie seiner Zeit R. Mohl, ein Gefäß c) Die praktische Wirksamkeit der Moralsysteme wie der später aus ihnen ab- Wir haben nun hier nicht etwa den Versuch zu machen, den großen Prozeß der Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode. das praktiſche hatte. In der neueren geiſtigen Entwickelung iſt es die ältere pſychologiſch-ethiſche Schule der Engländer Schaftesbury, Hutcheſon, Hume, A. Smith, in Deutſch- land ſind es Herbart, Lotze, Horwicz, Wundt, Paulſen, die überwiegend hieher gerechnet werden müſſen. Dieſe Richtung, welche eine empiriſche Ethik verſucht, ſchließt allgemein an die Spitze des Syſtems geſtellte Konzeptionen über einheitliche Entwickelung und Ver- vollkommnung nicht aus, wie wir an Herbert Spencer ſehen, der alles, auch das ſittliche Leben, aus der Entwickelungstheorie ableitet. Aber das Metaphyſiſch-Idealiſtiſche tritt doch mehr zurück. Und am deutlichſten tritt die Richtung mit ihren Grundtendenzen dadurch hervor, daß man neben den ethiſchen Syſtemen, welche das Ganze der menſch- lichen Handlungen darſtellen und lehren wollen, verſuchte ſog. Sociologien zu ſchreiben. Dieſe neuere Geſellſchaftslehre will nicht bloß, wie ſeiner Zeit R. Mohl, ein Gefäß c) Die praktiſche Wirkſamkeit der Moralſyſteme wie der ſpäter aus ihnen ab- Wir haben nun hier nicht etwa den Verſuch zu machen, den großen Prozeß der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0088" n="72"/><fw place="top" type="header">Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode.</fw><lb/> das praktiſche hatte. In der neueren geiſtigen Entwickelung iſt es die ältere pſychologiſch-<lb/> ethiſche Schule der Engländer Schaftesbury, Hutcheſon, Hume, A. Smith, in Deutſch-<lb/> land ſind es Herbart, Lotze, Horwicz, Wundt, Paulſen, die überwiegend hieher gerechnet<lb/> werden müſſen. Dieſe Richtung, welche eine empiriſche Ethik verſucht, ſchließt allgemein<lb/> an die Spitze des Syſtems geſtellte Konzeptionen über einheitliche Entwickelung und Ver-<lb/> vollkommnung nicht aus, wie wir an Herbert Spencer ſehen, der alles, auch das ſittliche<lb/> Leben, aus der Entwickelungstheorie ableitet. Aber das Metaphyſiſch-Idealiſtiſche tritt<lb/> doch mehr zurück. Und am deutlichſten tritt die Richtung mit ihren Grundtendenzen<lb/> dadurch hervor, daß man neben den ethiſchen Syſtemen, welche das Ganze der menſch-<lb/> lichen Handlungen darſtellen und lehren wollen, verſuchte ſog. Sociologien zu ſchreiben.</p><lb/> <p>Dieſe neuere Geſellſchaftslehre will nicht bloß, wie ſeiner Zeit R. Mohl, ein Gefäß<lb/> ſein, um einige in Staatslehre, Statiſtik und Nationalökonomie nicht recht unter-<lb/> zubringende Erörterungen über die Geſellſchaft aufzunehmen, nein, ſie will die Geſamtheit<lb/> der geſellſchaftlichen Erſcheinungen, welche in der Ethik oft überſehen, oft ſtiefmütterlich<lb/> als ſittliche Güter behandelt, jedenfalls nur vom Standpunkte eines beſtimmten Moral-<lb/> ſyſtems betrachtet wurden, als ein zuſammenhängendes natürlich-geiſtiges, kauſales<lb/> Syſtem von Erſcheinungen ſchildern, begreifen und erklären. Gewiß eine Rieſenaufgabe,<lb/> an die man erſt denken konnte, nachdem in einer Reihe Specialwiſſenſchaften, wie in<lb/> der Staatslehre, Nationalökonomie, Finanz, Statiſtik wenigſtens für gewiſſe Teile der<lb/> Anfang einer ſtreng wiſſenſchaftlichen Einzelerkenntnis begonnen. Es iſt daher auch<lb/> natürlich, daß die Einzelforſcher den Sociologen zurufen, laßt uns doch bei unſerer<lb/> Detailarbeit. Aber ebenſo notwendig hat die empiriſche Begründung der Ethik, wie<lb/> das Bedürfnis, für die geſellſchaftlichen Specialwiſſenſchaften eine allgemeinere Grundlage<lb/> zu gewinnen, zu jenen erwähnten Verſuchen geführt, deren wichtigſte wir in Aug. Comtes<lb/> Werken, in Spencers Sociologie, in Schäffles Bau und Leben des ſocialen Körpers vor<lb/> uns haben. Es ſind gewiß unvollkommene Verſuche, aber doch die wichtigſten Stützen<lb/> für eine empiriſche Ethik und unentbehrliche Hülfsmittel für die allgemeinen Fragen der<lb/> ſocialen Specialwiſſenſchaften. Mag man dabei den Nachdruck mehr auf die Zuſammen-<lb/> faſſung oder auf die Specialunterſuchung der allen dieſen Wiſſenſchaften gemeinſamen<lb/> Fragen legen, man wird dieſer Sociologie, die freilich nur eine Art ausgebildeter<lb/> empiriſcher Ethik iſt, ihr Bürgerrecht in dem Reiche der Wiſſenſchaften nicht mehr ab-<lb/> ſtreiten können.</p><lb/> <p><hi rendition="#aq">c)</hi> Die praktiſche Wirkſamkeit der Moralſyſteme wie der ſpäter aus ihnen ab-<lb/> geleiteten Syſteme der Wirtſchafts- und ſonſtigen Politik wurde ſtets in dem Maße<lb/> erhöht, als es ihnen gelang, für die dauernd oder jeweilig bevorzugten Richtungen des<lb/> Handelns und der Reform möglichſt einheitliche Schlagworte und packende Gedanken,<lb/> ſog. ethiſche Principien und Ideale an die Spitze zu ſtellen. Zwar iſt es kaum je<lb/> gelungen, ein einziges Princip oder eine Formel ſo zu finden, daß mit vollſtändiger<lb/> logiſcher Folgerichtigkeit daraus alle anderen ſittlichen Ideale und Forderungen ab-<lb/> geleitet werden könnten; aber es hat doch jedes Syſtem verſuchen müſſen, die ſämtlichen<lb/> verſchiedenen gepredigten Pflichten, ſittlichen Forderungen und Ideale entweder in eine<lb/> gewiſſe Beziehung zu einem Grundgedanken zu bringen oder ſie auf eine kleine Anzahl<lb/> koordinierter Principien zu reduzieren. Dabei mußten dieſe Principien oder der Grund-<lb/> gedanke, um an die Spitze zu treten, möglichſt generell gefaßt werden; aber es ergab<lb/> ſich damit die Kehrſeite, daß ſie verſchiedener Anwendung und Deutung unterlagen;<lb/> auch konnte nie ausbleiben, daß auf die Formulierung die jeweiligen Kultur- und<lb/> Geſellſchaftsverhältniſſe, die geiſtigen Strömungen der Zeit Einfluß erhielten.</p><lb/> <p>Wir haben nun hier nicht etwa den Verſuch zu machen, den großen Prozeß der<lb/> Entwickelung dieſer Leitideen, wie die Geſchichte der Religionen, der Moralſyſteme und<lb/> der ganzen menſchlichen Kultur ihn uns enthüllt, zu ſkizzieren und die einzelnen Syſteme<lb/> und ihre Ideale zu kritiſieren, ſondern wir haben nur kurz zu reſümieren, wie die<lb/> wichtigſten neueren dieſer Formeln und leitenden Ideen lauten und welche Bedeutung<lb/> ſie für das volkswirtſchaftliche Leben gehabt haben und noch haben.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [72/0088]
Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
das praktiſche hatte. In der neueren geiſtigen Entwickelung iſt es die ältere pſychologiſch-
ethiſche Schule der Engländer Schaftesbury, Hutcheſon, Hume, A. Smith, in Deutſch-
land ſind es Herbart, Lotze, Horwicz, Wundt, Paulſen, die überwiegend hieher gerechnet
werden müſſen. Dieſe Richtung, welche eine empiriſche Ethik verſucht, ſchließt allgemein
an die Spitze des Syſtems geſtellte Konzeptionen über einheitliche Entwickelung und Ver-
vollkommnung nicht aus, wie wir an Herbert Spencer ſehen, der alles, auch das ſittliche
Leben, aus der Entwickelungstheorie ableitet. Aber das Metaphyſiſch-Idealiſtiſche tritt
doch mehr zurück. Und am deutlichſten tritt die Richtung mit ihren Grundtendenzen
dadurch hervor, daß man neben den ethiſchen Syſtemen, welche das Ganze der menſch-
lichen Handlungen darſtellen und lehren wollen, verſuchte ſog. Sociologien zu ſchreiben.
Dieſe neuere Geſellſchaftslehre will nicht bloß, wie ſeiner Zeit R. Mohl, ein Gefäß
ſein, um einige in Staatslehre, Statiſtik und Nationalökonomie nicht recht unter-
zubringende Erörterungen über die Geſellſchaft aufzunehmen, nein, ſie will die Geſamtheit
der geſellſchaftlichen Erſcheinungen, welche in der Ethik oft überſehen, oft ſtiefmütterlich
als ſittliche Güter behandelt, jedenfalls nur vom Standpunkte eines beſtimmten Moral-
ſyſtems betrachtet wurden, als ein zuſammenhängendes natürlich-geiſtiges, kauſales
Syſtem von Erſcheinungen ſchildern, begreifen und erklären. Gewiß eine Rieſenaufgabe,
an die man erſt denken konnte, nachdem in einer Reihe Specialwiſſenſchaften, wie in
der Staatslehre, Nationalökonomie, Finanz, Statiſtik wenigſtens für gewiſſe Teile der
Anfang einer ſtreng wiſſenſchaftlichen Einzelerkenntnis begonnen. Es iſt daher auch
natürlich, daß die Einzelforſcher den Sociologen zurufen, laßt uns doch bei unſerer
Detailarbeit. Aber ebenſo notwendig hat die empiriſche Begründung der Ethik, wie
das Bedürfnis, für die geſellſchaftlichen Specialwiſſenſchaften eine allgemeinere Grundlage
zu gewinnen, zu jenen erwähnten Verſuchen geführt, deren wichtigſte wir in Aug. Comtes
Werken, in Spencers Sociologie, in Schäffles Bau und Leben des ſocialen Körpers vor
uns haben. Es ſind gewiß unvollkommene Verſuche, aber doch die wichtigſten Stützen
für eine empiriſche Ethik und unentbehrliche Hülfsmittel für die allgemeinen Fragen der
ſocialen Specialwiſſenſchaften. Mag man dabei den Nachdruck mehr auf die Zuſammen-
faſſung oder auf die Specialunterſuchung der allen dieſen Wiſſenſchaften gemeinſamen
Fragen legen, man wird dieſer Sociologie, die freilich nur eine Art ausgebildeter
empiriſcher Ethik iſt, ihr Bürgerrecht in dem Reiche der Wiſſenſchaften nicht mehr ab-
ſtreiten können.
c) Die praktiſche Wirkſamkeit der Moralſyſteme wie der ſpäter aus ihnen ab-
geleiteten Syſteme der Wirtſchafts- und ſonſtigen Politik wurde ſtets in dem Maße
erhöht, als es ihnen gelang, für die dauernd oder jeweilig bevorzugten Richtungen des
Handelns und der Reform möglichſt einheitliche Schlagworte und packende Gedanken,
ſog. ethiſche Principien und Ideale an die Spitze zu ſtellen. Zwar iſt es kaum je
gelungen, ein einziges Princip oder eine Formel ſo zu finden, daß mit vollſtändiger
logiſcher Folgerichtigkeit daraus alle anderen ſittlichen Ideale und Forderungen ab-
geleitet werden könnten; aber es hat doch jedes Syſtem verſuchen müſſen, die ſämtlichen
verſchiedenen gepredigten Pflichten, ſittlichen Forderungen und Ideale entweder in eine
gewiſſe Beziehung zu einem Grundgedanken zu bringen oder ſie auf eine kleine Anzahl
koordinierter Principien zu reduzieren. Dabei mußten dieſe Principien oder der Grund-
gedanke, um an die Spitze zu treten, möglichſt generell gefaßt werden; aber es ergab
ſich damit die Kehrſeite, daß ſie verſchiedener Anwendung und Deutung unterlagen;
auch konnte nie ausbleiben, daß auf die Formulierung die jeweiligen Kultur- und
Geſellſchaftsverhältniſſe, die geiſtigen Strömungen der Zeit Einfluß erhielten.
Wir haben nun hier nicht etwa den Verſuch zu machen, den großen Prozeß der
Entwickelung dieſer Leitideen, wie die Geſchichte der Religionen, der Moralſyſteme und
der ganzen menſchlichen Kultur ihn uns enthüllt, zu ſkizzieren und die einzelnen Syſteme
und ihre Ideale zu kritiſieren, ſondern wir haben nur kurz zu reſümieren, wie die
wichtigſten neueren dieſer Formeln und leitenden Ideen lauten und welche Bedeutung
ſie für das volkswirtſchaftliche Leben gehabt haben und noch haben.
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