Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Einleitung. Begriff. Psychologische und sittliche Grundlage. Litteratur und Methode. vollendete sociale Zustand darin, daß die gesunden psychischen Kräfte des Volkslebensdurch die Institutionen nicht gehemmt, sondern gefördert werden, daß die festen Ein- richtungen und das freie Spiel der individuellen Kräfte in richtiger Wechselwirkung einander ergänzen, daß die Institutionen die freie Bewegung nicht unnötig hemmen, die erwünschte Entwickelung aber befördern. Die Institutionen sind nicht subjektive Anläufe, sondern objektive verkörperte Methoden und Maxime dessen, was die Erfahrung, die Weisheit der Jahrhunderte in Bezug auf die vernünftige und richtige Behandlung praktischer Verhältnisse gefunden hat. Das vergleichende Studium der Volkswirtschaft verschiedener Zeiten und Länder wird Der historische Fortschritt des wirtschaftlichen Lebens wird gewiß zunächst in 32. Der Kampf ums Dasein. Wenn Sitte, Recht und Moral, wenn alle Die Lehre Darwins läßt sich kurz so zusammenfassen: Die Tiere vererben ihre Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode. vollendete ſociale Zuſtand darin, daß die geſunden pſychiſchen Kräfte des Volkslebensdurch die Inſtitutionen nicht gehemmt, ſondern gefördert werden, daß die feſten Ein- richtungen und das freie Spiel der individuellen Kräfte in richtiger Wechſelwirkung einander ergänzen, daß die Inſtitutionen die freie Bewegung nicht unnötig hemmen, die erwünſchte Entwickelung aber befördern. Die Inſtitutionen ſind nicht ſubjektive Anläufe, ſondern objektive verkörperte Methoden und Maxime deſſen, was die Erfahrung, die Weisheit der Jahrhunderte in Bezug auf die vernünftige und richtige Behandlung praktiſcher Verhältniſſe gefunden hat. Das vergleichende Studium der Volkswirtſchaft verſchiedener Zeiten und Länder wird Der hiſtoriſche Fortſchritt des wirtſchaftlichen Lebens wird gewiß zunächſt in 32. Der Kampf ums Daſein. Wenn Sitte, Recht und Moral, wenn alle Die Lehre Darwins läßt ſich kurz ſo zuſammenfaſſen: Die Tiere vererben ihre <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0080" n="64"/><fw place="top" type="header">Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode.</fw><lb/> vollendete ſociale Zuſtand darin, daß die geſunden pſychiſchen Kräfte des Volkslebens<lb/> durch die Inſtitutionen nicht gehemmt, ſondern gefördert werden, daß die feſten Ein-<lb/> richtungen und das freie Spiel der individuellen Kräfte in richtiger Wechſelwirkung<lb/> einander ergänzen, daß die Inſtitutionen die freie Bewegung nicht unnötig hemmen,<lb/> die erwünſchte Entwickelung aber befördern. 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Das Studium der<lb/> Organe und Inſtitutionen iſt für die Erkenntnis des ſocialen Körpers dasſelbe, was die<lb/> Anatomie für die des phyſiſchen; auch die Phyſiologie der Säfte und ihre Cirkulation<lb/> kann nur auf einer Kenntnis der Organe ſich aufbauen. Die alte Volkswirtſchaftslehre mit<lb/> ihrem Untergehen in Preisunterſuchungen und Cirkulationserſcheinungen ſtellte den Ver-<lb/> ſuch einer volkswirtſchaftlichen Säftephyſiologie ohne Anatomie des ſocialen Körpers dar.</p><lb/> <p>Der hiſtoriſche Fortſchritt des wirtſchaftlichen Lebens wird gewiß zunächſt in<lb/> beſſerer Produktion und Verſorgung der Menſchen mit wirtſchaftlichen Gütern beſtehen;<lb/> aber er wird nur gelingen mit beſſeren Inſtitutionen, mit immer komplizierteren Organ-<lb/> bildungen. Das Gelingen derſelben wird immer ſchwieriger, aber auch immer erfolg-<lb/> reicher ſein. Wie die wahre Methode über dem wahren Gedanken, ſo ſteht, ſagt Lazarus,<lb/> die weiſe Konſtitution über dem weiſen Fürſten, die gerechte Geſetzgebung über dem<lb/> gerechten Richter; wir können hinzufügen, die vollendete Verfaſſung der Volkswirtſchaft<lb/> über dem wirren Spiele der ſich bekämpfenden wirtſchaftlichen Kräfte. Es ſind die großen<lb/> Fortſchrittsideen und die ſittlichen Ideale, die in den Inſtitutionen ſich fixieren. Alle<lb/> großen Epochen des Fortſchrittes, auch die des volkswirtſchaftlichen, knüpfen ſich an die<lb/> Reform der ſocialen Inſtitutionen, an neue Organbildungen, wie z. B. neuerdings an<lb/> die Genoſſenſchaften, Gewerkvereine, Aktiengeſellſchaften, Kartelle, an die Fabrik- und<lb/> Arbeitsgeſetzgebung, an die Verſicherungsorganiſationen an. Die großen Männer und<lb/> die großen Zeiten ſind die, welche neue ſociale, politiſche, wirtſchaftliche Inſtitutionen<lb/> geſchaffen haben.</p><lb/> <p>32. <hi rendition="#g">Der Kampf ums Daſein</hi>. 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Oder ſind es vielleicht beide, jedes<lb/> in ſeiner Art und an ſeiner Stelle?</p><lb/> <p>Die Lehre Darwins läßt ſich kurz ſo zuſammenfaſſen: Die Tiere vererben ihre<lb/> Eigenſchaften einerſeits von Generation zu Generation in ſo ziemlich gleicher Weiſe,<lb/> aber andererſeits verändern ſich dieſe Eigenſchaften doch in einer gewiſſen beſchränkten<lb/> Art. Das Paſſendſte überlebt ſich im Kampfe ums Daſein, und die Veränderlichkeit<lb/> der Eigenſchaften von Generation zu Generation (die Variabilität) hängt hiemit zu-<lb/> ſammen; die für den Kampf am beſten Ausgeſtatteten erhalten und paaren ſich, ihre<lb/> Eigenſchaften ſummieren ſich in ihren Nachkommen. So erklärt Darwin die Entſtehung<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [64/0080]
Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
vollendete ſociale Zuſtand darin, daß die geſunden pſychiſchen Kräfte des Volkslebens
durch die Inſtitutionen nicht gehemmt, ſondern gefördert werden, daß die feſten Ein-
richtungen und das freie Spiel der individuellen Kräfte in richtiger Wechſelwirkung
einander ergänzen, daß die Inſtitutionen die freie Bewegung nicht unnötig hemmen,
die erwünſchte Entwickelung aber befördern. Die Inſtitutionen ſind nicht ſubjektive
Anläufe, ſondern objektive verkörperte Methoden und Maxime deſſen, was die Erfahrung,
die Weisheit der Jahrhunderte in Bezug auf die vernünftige und richtige Behandlung
praktiſcher Verhältniſſe gefunden hat.
Das vergleichende Studium der Volkswirtſchaft verſchiedener Zeiten und Länder wird
auch die natürlichen und techniſchen Unterſchiede, die der Raſſe, der Kapitalmenge und Ähn-
liches in Rechnung ziehen; aber ſie wird vor allem die Inſtitutionen und Organe vergleichen,
die wirtſchaftliche, Familien-, Gemeinde- und Staatsverfaſſung, die agrariſchen und gewerb-
lichen Betriebs- und Unternehmungsformen, die Inſtitutionen des Markt- und Verkehrs-
weſens, des Geld- und Kreditweſens, die Art, wie Arbeitsteilung und Klaſſenbildung ſich in
Vereinen und Korporationen, Ständen und Inſtitutionen fixiert haben. Das Studium der
Organe und Inſtitutionen iſt für die Erkenntnis des ſocialen Körpers dasſelbe, was die
Anatomie für die des phyſiſchen; auch die Phyſiologie der Säfte und ihre Cirkulation
kann nur auf einer Kenntnis der Organe ſich aufbauen. Die alte Volkswirtſchaftslehre mit
ihrem Untergehen in Preisunterſuchungen und Cirkulationserſcheinungen ſtellte den Ver-
ſuch einer volkswirtſchaftlichen Säftephyſiologie ohne Anatomie des ſocialen Körpers dar.
Der hiſtoriſche Fortſchritt des wirtſchaftlichen Lebens wird gewiß zunächſt in
beſſerer Produktion und Verſorgung der Menſchen mit wirtſchaftlichen Gütern beſtehen;
aber er wird nur gelingen mit beſſeren Inſtitutionen, mit immer komplizierteren Organ-
bildungen. Das Gelingen derſelben wird immer ſchwieriger, aber auch immer erfolg-
reicher ſein. Wie die wahre Methode über dem wahren Gedanken, ſo ſteht, ſagt Lazarus,
die weiſe Konſtitution über dem weiſen Fürſten, die gerechte Geſetzgebung über dem
gerechten Richter; wir können hinzufügen, die vollendete Verfaſſung der Volkswirtſchaft
über dem wirren Spiele der ſich bekämpfenden wirtſchaftlichen Kräfte. Es ſind die großen
Fortſchrittsideen und die ſittlichen Ideale, die in den Inſtitutionen ſich fixieren. Alle
großen Epochen des Fortſchrittes, auch die des volkswirtſchaftlichen, knüpfen ſich an die
Reform der ſocialen Inſtitutionen, an neue Organbildungen, wie z. B. neuerdings an
die Genoſſenſchaften, Gewerkvereine, Aktiengeſellſchaften, Kartelle, an die Fabrik- und
Arbeitsgeſetzgebung, an die Verſicherungsorganiſationen an. Die großen Männer und
die großen Zeiten ſind die, welche neue ſociale, politiſche, wirtſchaftliche Inſtitutionen
geſchaffen haben.
32. Der Kampf ums Daſein. Wenn Sitte, Recht und Moral, wenn alle
geſellſchaftlichen Inſtitutionen den Zweck haben, den Frieden in der Geſellſchaft zu
ſichern, die widerſtrebenden Kräfte zu verſöhnen und zu bändigen, die ungeſchulten zu
erziehen und in übereinſtimmende Bahnen zu führen, die einzelnen Individuen zu
gewiſſen Kraftcentren zu vereinigen, ſo könnte es den Anſchein haben, als ob in der
menſchlichen Kulturgeſellſchaft kein Platz für den Kampf ums Daſein wäre. Und doch
hat man ſeit den tiefgreifenden Forſchungen Darwins wieder einmal, wie ſchon oft ſeit
den Tagen der Sophiſten, auch das ganze geſellſchaftliche und hiſtoriſche Leben auf dieſe
Formel zurückgeführt und uns mit darwiniſtiſchen Kulturgeſchichten, Sociologien, Volks-
wirtſchaftslehren beſchenkt. Was iſt das Richtige an dieſer Auffaſſung? Iſt der Frieden
oder iſt der Kampf das Princip der Geſellſchaft? Oder ſind es vielleicht beide, jedes
in ſeiner Art und an ſeiner Stelle?
Die Lehre Darwins läßt ſich kurz ſo zuſammenfaſſen: Die Tiere vererben ihre
Eigenſchaften einerſeits von Generation zu Generation in ſo ziemlich gleicher Weiſe,
aber andererſeits verändern ſich dieſe Eigenſchaften doch in einer gewiſſen beſchränkten
Art. Das Paſſendſte überlebt ſich im Kampfe ums Daſein, und die Veränderlichkeit
der Eigenſchaften von Generation zu Generation (die Variabilität) hängt hiemit zu-
ſammen; die für den Kampf am beſten Ausgeſtatteten erhalten und paaren ſich, ihre
Eigenſchaften ſummieren ſich in ihren Nachkommen. So erklärt Darwin die Entſtehung
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