seits in den Kreisen derer, die mit ihnen ein gleiches Gewerbe treiben, vielleicht als die Geriebensten geachtet und darum stolz auf diesen Ruf. Er ersetzt ihnen, was sie an Anerkennung im übrigen entbehren.
Die beständige Rücksicht, sagt Lotze, auf das, was andere, für uns die Vertreter des Allgemeinen gegenüber unserer Individualität, von uns denken werden, vertritt sowohl in den ersten historischen Zeiten der Menschheit als in den Anfängen der persön- lichen Entwickelung, endlich auf jenen niedrigen Bildungsstufen, auf denen ein Teil unseres Geschlechts beständig verharrt, mit mehr oder weniger Glück und Vollständigkeit das eigene moralische Gewissen. Lazarus nennt dieses sich Fühlen in einem größeren Ganzen eine Erweiterung des Selbstgefühls. Und unzweifelhaft vertritt für alle weniger entwickelten Individuen dieses Teilhaben an dem Selbst- und Ehrgefühl eines gesell- schaftlichen Kreises das Selbstgefühl.
In seinem älteren Werke führt Ad. Smith sogar in übertreibender Weise alles Streben nach Reichtum auf die Anerkennung durch andere zurück. Dieses Streben erscheint ihm nach den idealistischen Rousseauschen Empfindungen seiner Zeit überhaupt ziemlich thöricht. Der Tagelöhner ist ihm so glücklich wie der Millionär; die Bedürfnisse der Natur könne auch der erstere befriedigen. Was also, sagt er, treibt uns darüber hinaus? Wir wollen, antwortet er, bemerkt, mit Sympathie, mit Beifall umfangen werden. Der Arme schämt sich seiner Armut; der Besitz wird nur erstrebt, um bemerkt zu werden. Smith berührt hier denselben Gedanken, den neuerdings die Kulturhistoriker ganz richtig betont haben, welche alle Kleidung aus dem Schmuck und allen Schmuck aus der Absicht hergeleitet haben, sich durch die Abzeichen, Federn, Farben, durch die Tätowierung, durch die Gürtel und Ringe auszuzeichnen, von anderen sofort erkannt und als höher Gestellte, als Mitglieder einer Sippe, eines Stammes sich anerkannt zu sehen.
Wir sind damit gewissermaßen schon zu einem anderen menschlichen Triebe oder zu einer Abart des Anerkennungstriebes gekommen, zu dem Trieb der Rivalität. Beruht auf dem Anerkennungstrieb der Bestand und die Gruppierung der gesellschaft- lichen Kreise, so beruht auf dem Rivalitätstrieb die Bewegung der Gesellschaft.
Es ist gewiß das Ursprünglichere, daß der Mensch als Gleicher unter Gleichen, als Glied eines Ganzen, einer Sippe, eines Stammes, eines Standes, einer Körperschaft sich fühlen will; alle ursprüngliche Gesellschaftsverbindung und noch heute alle einfacheren gesellschaftlichen Beziehungen beruhen darauf. Die feinere Geselligkeit lebt heute noch von der Fiktion, die sich in einem Salon Versammelnden seien gleich und erkennten sich als solche an. Aber alle Ausbildung der Individualität wie alle kompliziertere Gesellschafts- verfassung hängt mit dem Triebe, der zunächst bei den Stärksten, Begabtesten sich zeigt, zusammen, über diese Anerkennung als Gleicher unter Gleichen hinauszukommen.
Indem der Mensch seine Gefühle und Vorstellungen zum Selbstgefühl zusammen- faßt, sein eigenes Ich der übrigen Welt, den Gliedern seiner Familie, seinen Genossen entgegensetzt, entsteht notwendig in ihm die Neigung, diesen Schnitt zwischen sich und den übrigen zu benutzen zu einer Erhebung über sie. Es entstehen die selbstischen Ge- fühle, die Eigenliebe, die Schadenfreude, der Hochmut, das Bessersein- und Besserwissen- wollen. Der Knabe freut sich der stärkste, der Jüngling der tapferste zu sein. Die primitivsten Anfänge einer komplizierteren Gesellschaftsverfassung schaffen Häuptlings-, Führer-, Richter-, Priesterstellen, auf Grund deren sich einzelne über die anderen erheben; die geschlechtlichen Beziehungen bringen eine Auswahl der schönsten Weiber für die angesehenen Männer; die wachsende Habe, der Herdenbesitz, später das Grundeigentum schaffen Abstufungen in der socialen und wirtschaftlichen Lage, die mit den Abstufungen der socialen Ehre erst parallel gehen, später auch getrennt von ihnen als Ziel die Kraftvolleren locken. Kurz es entsteht nach und nach der Kampf um höhere Ehre, größeren Besitz, schönere Weiber, das Ringen um höheres gesellschaftliches oder irgendwie specialisiertes Ansehen. Die Rivalitätskämpfe sowohl der einzelnen als der Gruppen der einzelnen spielen bald eine größere, bald eine geringere Rolle; ganz fehlen sie in keiner menschlichen Gesellschaft; sie sind das Schwungrad des Fortschritts, erzeugen den Kampf ums Dasein in seinen verschiedenen Formen.
Der Anerkennungs- und der Rivalitätstrieb.
ſeits in den Kreiſen derer, die mit ihnen ein gleiches Gewerbe treiben, vielleicht als die Geriebenſten geachtet und darum ſtolz auf dieſen Ruf. Er erſetzt ihnen, was ſie an Anerkennung im übrigen entbehren.
Die beſtändige Rückſicht, ſagt Lotze, auf das, was andere, für uns die Vertreter des Allgemeinen gegenüber unſerer Individualität, von uns denken werden, vertritt ſowohl in den erſten hiſtoriſchen Zeiten der Menſchheit als in den Anfängen der perſön- lichen Entwickelung, endlich auf jenen niedrigen Bildungsſtufen, auf denen ein Teil unſeres Geſchlechts beſtändig verharrt, mit mehr oder weniger Glück und Vollſtändigkeit das eigene moraliſche Gewiſſen. Lazarus nennt dieſes ſich Fühlen in einem größeren Ganzen eine Erweiterung des Selbſtgefühls. Und unzweifelhaft vertritt für alle weniger entwickelten Individuen dieſes Teilhaben an dem Selbſt- und Ehrgefühl eines geſell- ſchaftlichen Kreiſes das Selbſtgefühl.
In ſeinem älteren Werke führt Ad. Smith ſogar in übertreibender Weiſe alles Streben nach Reichtum auf die Anerkennung durch andere zurück. Dieſes Streben erſcheint ihm nach den idealiſtiſchen Rouſſeauſchen Empfindungen ſeiner Zeit überhaupt ziemlich thöricht. Der Tagelöhner iſt ihm ſo glücklich wie der Millionär; die Bedürfniſſe der Natur könne auch der erſtere befriedigen. Was alſo, ſagt er, treibt uns darüber hinaus? Wir wollen, antwortet er, bemerkt, mit Sympathie, mit Beifall umfangen werden. Der Arme ſchämt ſich ſeiner Armut; der Beſitz wird nur erſtrebt, um bemerkt zu werden. Smith berührt hier denſelben Gedanken, den neuerdings die Kulturhiſtoriker ganz richtig betont haben, welche alle Kleidung aus dem Schmuck und allen Schmuck aus der Abſicht hergeleitet haben, ſich durch die Abzeichen, Federn, Farben, durch die Tätowierung, durch die Gürtel und Ringe auszuzeichnen, von anderen ſofort erkannt und als höher Geſtellte, als Mitglieder einer Sippe, eines Stammes ſich anerkannt zu ſehen.
Wir ſind damit gewiſſermaßen ſchon zu einem anderen menſchlichen Triebe oder zu einer Abart des Anerkennungstriebes gekommen, zu dem Trieb der Rivalität. Beruht auf dem Anerkennungstrieb der Beſtand und die Gruppierung der geſellſchaft- lichen Kreiſe, ſo beruht auf dem Rivalitätstrieb die Bewegung der Geſellſchaft.
Es iſt gewiß das Urſprünglichere, daß der Menſch als Gleicher unter Gleichen, als Glied eines Ganzen, einer Sippe, eines Stammes, eines Standes, einer Körperſchaft ſich fühlen will; alle urſprüngliche Geſellſchaftsverbindung und noch heute alle einfacheren geſellſchaftlichen Beziehungen beruhen darauf. Die feinere Geſelligkeit lebt heute noch von der Fiktion, die ſich in einem Salon Verſammelnden ſeien gleich und erkennten ſich als ſolche an. Aber alle Ausbildung der Individualität wie alle kompliziertere Geſellſchafts- verfaſſung hängt mit dem Triebe, der zunächſt bei den Stärkſten, Begabteſten ſich zeigt, zuſammen, über dieſe Anerkennung als Gleicher unter Gleichen hinauszukommen.
Indem der Menſch ſeine Gefühle und Vorſtellungen zum Selbſtgefühl zuſammen- faßt, ſein eigenes Ich der übrigen Welt, den Gliedern ſeiner Familie, ſeinen Genoſſen entgegenſetzt, entſteht notwendig in ihm die Neigung, dieſen Schnitt zwiſchen ſich und den übrigen zu benutzen zu einer Erhebung über ſie. Es entſtehen die ſelbſtiſchen Ge- fühle, die Eigenliebe, die Schadenfreude, der Hochmut, das Beſſerſein- und Beſſerwiſſen- wollen. Der Knabe freut ſich der ſtärkſte, der Jüngling der tapferſte zu ſein. Die primitivſten Anfänge einer komplizierteren Geſellſchaftsverfaſſung ſchaffen Häuptlings-, Führer-, Richter-, Prieſterſtellen, auf Grund deren ſich einzelne über die anderen erheben; die geſchlechtlichen Beziehungen bringen eine Auswahl der ſchönſten Weiber für die angeſehenen Männer; die wachſende Habe, der Herdenbeſitz, ſpäter das Grundeigentum ſchaffen Abſtufungen in der ſocialen und wirtſchaftlichen Lage, die mit den Abſtufungen der ſocialen Ehre erſt parallel gehen, ſpäter auch getrennt von ihnen als Ziel die Kraftvolleren locken. Kurz es entſteht nach und nach der Kampf um höhere Ehre, größeren Beſitz, ſchönere Weiber, das Ringen um höheres geſellſchaftliches oder irgendwie ſpecialiſiertes Anſehen. Die Rivalitätskämpfe ſowohl der einzelnen als der Gruppen der einzelnen ſpielen bald eine größere, bald eine geringere Rolle; ganz fehlen ſie in keiner menſchlichen Geſellſchaft; ſie ſind das Schwungrad des Fortſchritts, erzeugen den Kampf ums Daſein in ſeinen verſchiedenen Formen.
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[31/0047]
Der Anerkennungs- und der Rivalitätstrieb.
ſeits in den Kreiſen derer, die mit ihnen ein gleiches Gewerbe treiben, vielleicht als die
Geriebenſten geachtet und darum ſtolz auf dieſen Ruf. Er erſetzt ihnen, was ſie an
Anerkennung im übrigen entbehren.
Die beſtändige Rückſicht, ſagt Lotze, auf das, was andere, für uns die Vertreter
des Allgemeinen gegenüber unſerer Individualität, von uns denken werden, vertritt
ſowohl in den erſten hiſtoriſchen Zeiten der Menſchheit als in den Anfängen der perſön-
lichen Entwickelung, endlich auf jenen niedrigen Bildungsſtufen, auf denen ein Teil
unſeres Geſchlechts beſtändig verharrt, mit mehr oder weniger Glück und Vollſtändigkeit
das eigene moraliſche Gewiſſen. Lazarus nennt dieſes ſich Fühlen in einem größeren
Ganzen eine Erweiterung des Selbſtgefühls. Und unzweifelhaft vertritt für alle weniger
entwickelten Individuen dieſes Teilhaben an dem Selbſt- und Ehrgefühl eines geſell-
ſchaftlichen Kreiſes das Selbſtgefühl.
In ſeinem älteren Werke führt Ad. Smith ſogar in übertreibender Weiſe alles
Streben nach Reichtum auf die Anerkennung durch andere zurück. Dieſes Streben erſcheint
ihm nach den idealiſtiſchen Rouſſeauſchen Empfindungen ſeiner Zeit überhaupt ziemlich
thöricht. Der Tagelöhner iſt ihm ſo glücklich wie der Millionär; die Bedürfniſſe der
Natur könne auch der erſtere befriedigen. Was alſo, ſagt er, treibt uns darüber hinaus?
Wir wollen, antwortet er, bemerkt, mit Sympathie, mit Beifall umfangen werden. Der
Arme ſchämt ſich ſeiner Armut; der Beſitz wird nur erſtrebt, um bemerkt zu werden.
Smith berührt hier denſelben Gedanken, den neuerdings die Kulturhiſtoriker ganz richtig
betont haben, welche alle Kleidung aus dem Schmuck und allen Schmuck aus der Abſicht
hergeleitet haben, ſich durch die Abzeichen, Federn, Farben, durch die Tätowierung,
durch die Gürtel und Ringe auszuzeichnen, von anderen ſofort erkannt und als höher
Geſtellte, als Mitglieder einer Sippe, eines Stammes ſich anerkannt zu ſehen.
Wir ſind damit gewiſſermaßen ſchon zu einem anderen menſchlichen Triebe oder
zu einer Abart des Anerkennungstriebes gekommen, zu dem Trieb der Rivalität.
Beruht auf dem Anerkennungstrieb der Beſtand und die Gruppierung der geſellſchaft-
lichen Kreiſe, ſo beruht auf dem Rivalitätstrieb die Bewegung der Geſellſchaft.
Es iſt gewiß das Urſprünglichere, daß der Menſch als Gleicher unter Gleichen,
als Glied eines Ganzen, einer Sippe, eines Stammes, eines Standes, einer Körperſchaft
ſich fühlen will; alle urſprüngliche Geſellſchaftsverbindung und noch heute alle einfacheren
geſellſchaftlichen Beziehungen beruhen darauf. Die feinere Geſelligkeit lebt heute noch
von der Fiktion, die ſich in einem Salon Verſammelnden ſeien gleich und erkennten ſich
als ſolche an. Aber alle Ausbildung der Individualität wie alle kompliziertere Geſellſchafts-
verfaſſung hängt mit dem Triebe, der zunächſt bei den Stärkſten, Begabteſten ſich zeigt,
zuſammen, über dieſe Anerkennung als Gleicher unter Gleichen hinauszukommen.
Indem der Menſch ſeine Gefühle und Vorſtellungen zum Selbſtgefühl zuſammen-
faßt, ſein eigenes Ich der übrigen Welt, den Gliedern ſeiner Familie, ſeinen Genoſſen
entgegenſetzt, entſteht notwendig in ihm die Neigung, dieſen Schnitt zwiſchen ſich und
den übrigen zu benutzen zu einer Erhebung über ſie. Es entſtehen die ſelbſtiſchen Ge-
fühle, die Eigenliebe, die Schadenfreude, der Hochmut, das Beſſerſein- und Beſſerwiſſen-
wollen. Der Knabe freut ſich der ſtärkſte, der Jüngling der tapferſte zu ſein. Die
primitivſten Anfänge einer komplizierteren Geſellſchaftsverfaſſung ſchaffen Häuptlings-,
Führer-, Richter-, Prieſterſtellen, auf Grund deren ſich einzelne über die anderen erheben;
die geſchlechtlichen Beziehungen bringen eine Auswahl der ſchönſten Weiber für die
angeſehenen Männer; die wachſende Habe, der Herdenbeſitz, ſpäter das Grundeigentum
ſchaffen Abſtufungen in der ſocialen und wirtſchaftlichen Lage, die mit den Abſtufungen
der ſocialen Ehre erſt parallel gehen, ſpäter auch getrennt von ihnen als Ziel die
Kraftvolleren locken. Kurz es entſteht nach und nach der Kampf um höhere Ehre,
größeren Beſitz, ſchönere Weiber, das Ringen um höheres geſellſchaftliches oder irgendwie
ſpecialiſiertes Anſehen. Die Rivalitätskämpfe ſowohl der einzelnen als der Gruppen
der einzelnen ſpielen bald eine größere, bald eine geringere Rolle; ganz fehlen ſie in
keiner menſchlichen Geſellſchaft; ſie ſind das Schwungrad des Fortſchritts, erzeugen den
Kampf ums Daſein in ſeinen verſchiedenen Formen.
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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/47>, abgerufen am 16.07.2024.
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