Erinnern wir uns zugleich, wie neben den Kartellen weitere Teile der volkswirt- schaftlichen Organe unter eine freiwillige, aber sehr stark wirkende centralistische Leitung kommen: die Genossenschaften stehen unter der technischen, kaufmännischen und kredit- mächtigen Kontrolle ihrer Verbände und Centralkassen. Das ganze Kreditsystem übt in steigender Weise über alle Unternehmungen eine Kontrolle aus; man bucht bei allen Kreditorganen die guten und schlechten Eigenschaften jedes Geschäftsmannes und erteilt darnach Kredit. Jedes untere Kreditorgan kommt so in wachsende Abhängigkeit von den höheren, die zuletzt in den großen Centralkreditanstalten sich zusammenfassen. Das Verkehrssystem centralisiert sich nicht minder und schreibt durch seine Tarife und Be- dingungen jedem Geschäft vor, bis wohin es seine Waren bringen kann. Außerdem erinnern wir an die oben (S. 319--321) geschilderte starke Zunahme der wirtschaftlichen Funktionen von Gemeinde und Staat.
So wird sich nicht leugnen lassen, daß auch durch das privatwirtschaftliche Ge- triebe wie durch die ganze Volkswirtschaft heute ein centralistischer Zug geht; nicht willkürliche Staatsinteressen schaffen ihn, sondern die Geschäftswelt selbst drängt dahin. Nicht plumpe Reglementierung greift Platz, sondern eine Anpassung und Fügung gegen- über kollektiven Organen findet statt, die über größere Talente und größere Erfahrung verfügen, auf höherer Warte stehen. Die wirtschaftliche Freiheit verschwindet damit nicht, aber an gewissen Stellen macht sie allerdings der richtigen Leitung und Vorschrift von oben Platz. Nicht das Kapital hat diese centralistischen Organe erzeugt, sondern die fähigsten Geschäftsleute und Staatsmänner bauen sie auf, allerdings mit Hülfe des Kapitals und der neuen Technik, aber ebenso und noch mehr mit moralisch-politischen Eigenschaften und Faktoren und unter dem Beifall der Massen, hauptsächlich der Arbeiter. Was so entsteht, hebt nicht den Stand der privaten Unternehmer auf, sondern differenziert und gliedert ihn, giebt seinen Spitzen, seinen genialsten kaufmännischen und technischen Talenten eine größere Macht und vermindert so die Fehlgriffe der Produktion und des Handels, die nie ganz zu vermeiden sind. Eine Volkswirtschaft ohne Kartelle produziert nicht anarchisch, eine solche mit Kartellen nicht mit kommu- nistischer Centralisation; der Gegensatz ist nur der, daß für die Voraussicht und den Überblick, der auch vorher auf dem Markt nicht ganz fehlte, an einigen Stellen bessere, einheitlichere und einflußreichere Vertreter durch die Kartelle entstehen.
147. Schlußergebnis. Gesamtbild der gesellschaftlichen Ver- fassung der Volkswirtschaft, speciell des Unternehmungswesens. Die heutige Volkswirtschaft beruht auf dem Zusammenwirken der Familie, der Unternehmung, der Gemeinde und des Staates. Es sind drei Gruppen von Organen, welche alle drei nach innen gegliederte Einheiten mit einer gewissen friedlich harmonisierten Verfassung, nach außen egoistische Körper mit besonderen Interessen darstellen. Nur ruht die harmonisierte innere Verfassung bei der Familie überwiegend auf Sympathie, Verwandt- schaft und Liebe, bei der Gebietskörperschaft auf Nachbarschaft, Staatsgefühl, Recht und Zwang, bei der Unternehmung auf privatrechtlichen Verträgen, welche dem Erwerbstrieb relativ freien Spielraum lassen. Die Familienwirtschaft will ihre Glieder menschlich mit wirtschaftlichen Gütern versorgen; aber auch ein großer Teil des Produktions- prozesses, besonders des landwirtschaftlichen und des kleingewerblichen, ruht noch auf ihr; sie hat nicht dieselben, aber doch auch gewisse Gewinnabsichten, wie die Unter- nehmung. Diese hat einen steigenden Teil der Warenproduktion und des Handels übernommen und führt diese Aufgabe, wesentlich durch Gewinnabsichten gelockt, in ihren Betrieben durch, welche ihre Waren auf den Markt unter dem Spiel konkurrierender Kräfte liefern. Man wirft ihr vor, sie vergesse über den Gewinnabsichten alle Pflichten gegen- über den Arbeitern, den Konsumenten, der übrigen Gesellschaft; sie diene dem Feind wie dem Freund, verkaufe Scheren, die nicht schneiden, und Kleider, die nicht wärmen, wenn sie nur damit gewinne. Es ist wahr, daß sie in den Dienst der Gesamtheit nur auf dem Umweg des egoistischen Gewinnes tritt, daß dieser auch zu vielem Mißbrauch verleite. Aber 1. bleiben die Unternehmer durch Moral, Sitte und Recht beherrschte Menschen, so viel sie im einzelnen auch durch Habsucht fehlen mögen, und 2. ist der
Beurteilung und Würdigung der Kartelle.
Erinnern wir uns zugleich, wie neben den Kartellen weitere Teile der volkswirt- ſchaftlichen Organe unter eine freiwillige, aber ſehr ſtark wirkende centraliſtiſche Leitung kommen: die Genoſſenſchaften ſtehen unter der techniſchen, kaufmänniſchen und kredit- mächtigen Kontrolle ihrer Verbände und Centralkaſſen. Das ganze Kreditſyſtem übt in ſteigender Weiſe über alle Unternehmungen eine Kontrolle aus; man bucht bei allen Kreditorganen die guten und ſchlechten Eigenſchaften jedes Geſchäftsmannes und erteilt darnach Kredit. Jedes untere Kreditorgan kommt ſo in wachſende Abhängigkeit von den höheren, die zuletzt in den großen Centralkreditanſtalten ſich zuſammenfaſſen. Das Verkehrsſyſtem centraliſiert ſich nicht minder und ſchreibt durch ſeine Tarife und Be- dingungen jedem Geſchäft vor, bis wohin es ſeine Waren bringen kann. Außerdem erinnern wir an die oben (S. 319—321) geſchilderte ſtarke Zunahme der wirtſchaftlichen Funktionen von Gemeinde und Staat.
So wird ſich nicht leugnen laſſen, daß auch durch das privatwirtſchaftliche Ge- triebe wie durch die ganze Volkswirtſchaft heute ein centraliſtiſcher Zug geht; nicht willkürliche Staatsintereſſen ſchaffen ihn, ſondern die Geſchäftswelt ſelbſt drängt dahin. Nicht plumpe Reglementierung greift Platz, ſondern eine Anpaſſung und Fügung gegen- über kollektiven Organen findet ſtatt, die über größere Talente und größere Erfahrung verfügen, auf höherer Warte ſtehen. Die wirtſchaftliche Freiheit verſchwindet damit nicht, aber an gewiſſen Stellen macht ſie allerdings der richtigen Leitung und Vorſchrift von oben Platz. Nicht das Kapital hat dieſe centraliſtiſchen Organe erzeugt, ſondern die fähigſten Geſchäftsleute und Staatsmänner bauen ſie auf, allerdings mit Hülfe des Kapitals und der neuen Technik, aber ebenſo und noch mehr mit moraliſch-politiſchen Eigenſchaften und Faktoren und unter dem Beifall der Maſſen, hauptſächlich der Arbeiter. Was ſo entſteht, hebt nicht den Stand der privaten Unternehmer auf, ſondern differenziert und gliedert ihn, giebt ſeinen Spitzen, ſeinen genialſten kaufmänniſchen und techniſchen Talenten eine größere Macht und vermindert ſo die Fehlgriffe der Produktion und des Handels, die nie ganz zu vermeiden ſind. Eine Volkswirtſchaft ohne Kartelle produziert nicht anarchiſch, eine ſolche mit Kartellen nicht mit kommu- niſtiſcher Centraliſation; der Gegenſatz iſt nur der, daß für die Vorausſicht und den Überblick, der auch vorher auf dem Markt nicht ganz fehlte, an einigen Stellen beſſere, einheitlichere und einflußreichere Vertreter durch die Kartelle entſtehen.
147. Schlußergebnis. Geſamtbild der geſellſchaftlichen Ver- faſſung der Volkswirtſchaft, ſpeciell des Unternehmungsweſens. Die heutige Volkswirtſchaft beruht auf dem Zuſammenwirken der Familie, der Unternehmung, der Gemeinde und des Staates. Es ſind drei Gruppen von Organen, welche alle drei nach innen gegliederte Einheiten mit einer gewiſſen friedlich harmoniſierten Verfaſſung, nach außen egoiſtiſche Körper mit beſonderen Intereſſen darſtellen. Nur ruht die harmoniſierte innere Verfaſſung bei der Familie überwiegend auf Sympathie, Verwandt- ſchaft und Liebe, bei der Gebietskörperſchaft auf Nachbarſchaft, Staatsgefühl, Recht und Zwang, bei der Unternehmung auf privatrechtlichen Verträgen, welche dem Erwerbstrieb relativ freien Spielraum laſſen. Die Familienwirtſchaft will ihre Glieder menſchlich mit wirtſchaftlichen Gütern verſorgen; aber auch ein großer Teil des Produktions- prozeſſes, beſonders des landwirtſchaftlichen und des kleingewerblichen, ruht noch auf ihr; ſie hat nicht dieſelben, aber doch auch gewiſſe Gewinnabſichten, wie die Unter- nehmung. Dieſe hat einen ſteigenden Teil der Warenproduktion und des Handels übernommen und führt dieſe Aufgabe, weſentlich durch Gewinnabſichten gelockt, in ihren Betrieben durch, welche ihre Waren auf den Markt unter dem Spiel konkurrierender Kräfte liefern. Man wirft ihr vor, ſie vergeſſe über den Gewinnabſichten alle Pflichten gegen- über den Arbeitern, den Konſumenten, der übrigen Geſellſchaft; ſie diene dem Feind wie dem Freund, verkaufe Scheren, die nicht ſchneiden, und Kleider, die nicht wärmen, wenn ſie nur damit gewinne. Es iſt wahr, daß ſie in den Dienſt der Geſamtheit nur auf dem Umweg des egoiſtiſchen Gewinnes tritt, daß dieſer auch zu vielem Mißbrauch verleite. Aber 1. bleiben die Unternehmer durch Moral, Sitte und Recht beherrſchte Menſchen, ſo viel ſie im einzelnen auch durch Habſucht fehlen mögen, und 2. iſt der
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[453/0469]
Beurteilung und Würdigung der Kartelle.
Erinnern wir uns zugleich, wie neben den Kartellen weitere Teile der volkswirt-
ſchaftlichen Organe unter eine freiwillige, aber ſehr ſtark wirkende centraliſtiſche Leitung
kommen: die Genoſſenſchaften ſtehen unter der techniſchen, kaufmänniſchen und kredit-
mächtigen Kontrolle ihrer Verbände und Centralkaſſen. Das ganze Kreditſyſtem übt
in ſteigender Weiſe über alle Unternehmungen eine Kontrolle aus; man bucht bei allen
Kreditorganen die guten und ſchlechten Eigenſchaften jedes Geſchäftsmannes und erteilt
darnach Kredit. Jedes untere Kreditorgan kommt ſo in wachſende Abhängigkeit von
den höheren, die zuletzt in den großen Centralkreditanſtalten ſich zuſammenfaſſen. Das
Verkehrsſyſtem centraliſiert ſich nicht minder und ſchreibt durch ſeine Tarife und Be-
dingungen jedem Geſchäft vor, bis wohin es ſeine Waren bringen kann. Außerdem
erinnern wir an die oben (S. 319—321) geſchilderte ſtarke Zunahme der wirtſchaftlichen
Funktionen von Gemeinde und Staat.
So wird ſich nicht leugnen laſſen, daß auch durch das privatwirtſchaftliche Ge-
triebe wie durch die ganze Volkswirtſchaft heute ein centraliſtiſcher Zug geht; nicht
willkürliche Staatsintereſſen ſchaffen ihn, ſondern die Geſchäftswelt ſelbſt drängt dahin.
Nicht plumpe Reglementierung greift Platz, ſondern eine Anpaſſung und Fügung gegen-
über kollektiven Organen findet ſtatt, die über größere Talente und größere Erfahrung
verfügen, auf höherer Warte ſtehen. Die wirtſchaftliche Freiheit verſchwindet damit
nicht, aber an gewiſſen Stellen macht ſie allerdings der richtigen Leitung und Vorſchrift
von oben Platz. Nicht das Kapital hat dieſe centraliſtiſchen Organe erzeugt, ſondern
die fähigſten Geſchäftsleute und Staatsmänner bauen ſie auf, allerdings mit Hülfe des
Kapitals und der neuen Technik, aber ebenſo und noch mehr mit moraliſch-politiſchen
Eigenſchaften und Faktoren und unter dem Beifall der Maſſen, hauptſächlich der
Arbeiter. Was ſo entſteht, hebt nicht den Stand der privaten Unternehmer auf,
ſondern differenziert und gliedert ihn, giebt ſeinen Spitzen, ſeinen genialſten kaufmänniſchen
und techniſchen Talenten eine größere Macht und vermindert ſo die Fehlgriffe der
Produktion und des Handels, die nie ganz zu vermeiden ſind. Eine Volkswirtſchaft
ohne Kartelle produziert nicht anarchiſch, eine ſolche mit Kartellen nicht mit kommu-
niſtiſcher Centraliſation; der Gegenſatz iſt nur der, daß für die Vorausſicht und den
Überblick, der auch vorher auf dem Markt nicht ganz fehlte, an einigen Stellen beſſere,
einheitlichere und einflußreichere Vertreter durch die Kartelle entſtehen.
147. Schlußergebnis. Geſamtbild der geſellſchaftlichen Ver-
faſſung der Volkswirtſchaft, ſpeciell des Unternehmungsweſens. Die
heutige Volkswirtſchaft beruht auf dem Zuſammenwirken der Familie, der Unternehmung,
der Gemeinde und des Staates. Es ſind drei Gruppen von Organen, welche alle drei
nach innen gegliederte Einheiten mit einer gewiſſen friedlich harmoniſierten Verfaſſung,
nach außen egoiſtiſche Körper mit beſonderen Intereſſen darſtellen. Nur ruht die
harmoniſierte innere Verfaſſung bei der Familie überwiegend auf Sympathie, Verwandt-
ſchaft und Liebe, bei der Gebietskörperſchaft auf Nachbarſchaft, Staatsgefühl, Recht und
Zwang, bei der Unternehmung auf privatrechtlichen Verträgen, welche dem Erwerbstrieb
relativ freien Spielraum laſſen. Die Familienwirtſchaft will ihre Glieder menſchlich
mit wirtſchaftlichen Gütern verſorgen; aber auch ein großer Teil des Produktions-
prozeſſes, beſonders des landwirtſchaftlichen und des kleingewerblichen, ruht noch auf
ihr; ſie hat nicht dieſelben, aber doch auch gewiſſe Gewinnabſichten, wie die Unter-
nehmung. Dieſe hat einen ſteigenden Teil der Warenproduktion und des Handels
übernommen und führt dieſe Aufgabe, weſentlich durch Gewinnabſichten gelockt, in ihren
Betrieben durch, welche ihre Waren auf den Markt unter dem Spiel konkurrierender Kräfte
liefern. Man wirft ihr vor, ſie vergeſſe über den Gewinnabſichten alle Pflichten gegen-
über den Arbeitern, den Konſumenten, der übrigen Geſellſchaft; ſie diene dem Feind wie
dem Freund, verkaufe Scheren, die nicht ſchneiden, und Kleider, die nicht wärmen,
wenn ſie nur damit gewinne. Es iſt wahr, daß ſie in den Dienſt der Geſamtheit nur
auf dem Umweg des egoiſtiſchen Gewinnes tritt, daß dieſer auch zu vielem Mißbrauch
verleite. Aber 1. bleiben die Unternehmer durch Moral, Sitte und Recht beherrſchte
Menſchen, ſo viel ſie im einzelnen auch durch Habſucht fehlen mögen, und 2. iſt der
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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/469>, abgerufen am 22.11.2024.
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