Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft.
"Cumpani is Lumperi". Die individualistische Aufklärung kann sich nicht denken, daß
eine Gesellschaft von Kapitalisten die richtigen Leiter finde: den Direktoren, sagt Smith,
fehlt Fleiß, Umsicht, Fähigkeit, den Beamten die Ehrlichkeit; beide verwalten ja fremdes,
nicht eigenes Vermögen; sie wirtschaften leichtsinnig, wie die Kammerdiener reicher
Leute. Die Lähmung des Wirtschaftslebens durch die Kriegszeit und die lange nach-
folgende Erholungszeit bis gegen 1830--40 schien solchen Stimmen recht zu geben.
Erst von 1830--60 begann das Bedürfnis nach großen dauernden lebensfähigen Geschäfts-
anstalten mit riesenhaften Kapitalien wieder sich geltend zu machen: die neue Technik,
die neuen Verkehrs- und Krediteinrichtungen drängten dahin, ein neuer Aufschwung
kam in das Aktiengesellschaftswesen.

Die Gesetzgebung der meisten Staaten versuchte in wiederholten Anläufen, die
neuen Bildungen einem gleichmäßigen Rechte zu unterwerfen, die beschränkte Haft der
Aktie einerseits, die Entstehung und die Pflichten der Organe der Gesellschaft andererseits
zu normieren, die Gesellschaften einer gewissen Öffentlichkeit zu unterwerfen, z. B. dem
Zwange, ihre Gesellschaftsberichte wahrheitsgetreu zu publizieren, sich anzumelden und
in ein öffentliches Register eintragen zu lassen. Die älteren Gesetze knüpften die Entstehung
meist noch an eine staatliche Konzession; doch ließ man diese 1844--85 in den meisten
Staaten fallen; ähnlich die laufende Aufsicht durch Staatsbeamte. Nur für gewisse
Arten, z. B. Eisenbahnen, Notenbanken, Versicherungsgesellschaften u. s. w. behielt man
meist staatliche Konzession und Aufsicht bei. Die Freigebung suchte man durch ver-
stärkte Publizität und gesteigerte gesetzliche Normativbestimmungen über die Begründung
der Gesellschaften, die Verantwortlichkeit der Gründer, der Vorstände und Beamten
zu ersetzen.

Teils mit dem Wechsel der Gesetzgebung, teils mit den geschäftlichen Aufschwungs-
perioden hing die steigende Ausbreitung der Aktiengesellschaften zusammen. Nach den
Mißbräuchen in den Epochen des geschäftlichen Schwindels angeklagt und diskreditiert,
zeitweise abnehmend oder stillstehend, haben sie immer bald wieder zugenommen. Unsere
heutige Großindustrie, unsere großen Verkehrs- und Kreditanstalten sind ohne die Aktien-
gesellschaft nicht zu denken. Was stellen sie nun dar?

Die heutigen Aktiengesellschaften sind von privaten Personen gegründete und ver-
waltete Vereine mit juristischer Persönlichkeit, welche in der Weise feste gleiche Kapital-
beiträge zu einem bestimmten, genau fixierten Geschäftszwecke zusammenlegen, daß die
Mitglieder nur mit diesen haften, sie aber auch während des Bestehens nicht zurück-
ziehen dürfen, daß Gewinn und Verlust auf diese Beiträge verteilt wird, und daß die
Geschäftsleitung durch Majoritätsbeschlüsse und Wahl von Vorständen nach dem Maß-
stab der Beiträge herbeigeführt wird. Die über diese Beiträge ausgestellten Urkunden
heißen Aktien, sie lauten meist auf den Inhaber, sind so leicht verkäuflich. Die Gleichheit
des Aktienbetrages schließt nicht aus, daß einzelne Mitglieder sehr viele, andere sehr
wenige oder nur eine Aktie haben. Meist gedeihen die Aktiengesellschaften am besten, deren
Hauptaktienstamm in wenigen geschäftskundigen Händen ist; wie überhaupt thatsächlich
das gleiche Recht jeder Aktie nur eine juristische Fiktion darstellt; fast überall handelt
es sich um die Verbindung zwei ganz verschiedener Gruppen von Aktionären: einerseits
um die geschäftsunkundigen Privatleute, die in der Aktie nur die Kapitalanlage sehen, und
andererseits um die geschäftskundigen Aktionäre, welche die Initiative bei der Begründung
hatten, die Gesellschaft und das Geschäft beherrschen und leiten. Die Aktiengesellschaft
hat ihre Wurzel im privaten Geschäftsleben; einzelne durch Wahl berufene Geschäftsleute
führen als Aufsichtsräte und Direktoren die Verwaltung in ähnlicher Weise wie
private Geschäfte. Aber die Größe ihrer Zwecke, ihres Kapitals, ihrer dauernden Anlagen,
ihr großes Personal, ihre Tausende von Arbeitern, oft ihre monopolartige Stellung
geben der Aktiengesellschaft, jedenfalls der größeren, thatsächlich eine halböffentliche
Stellung, eine Bedeutung, wie sie sonst nur eine große Stadt- oder Kreisverwaltung
haben kann. Wie können dem ihre Organe gerecht werden?

Die jährlich einmal berufene, ein bis zwei Stunden tagende Generalversammlung
der Aktionäre hat das wichtige Recht, den Aufsichtsrat und eventuell auch den Vor-

Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
„Cumpani is Lumperi“. Die individualiſtiſche Aufklärung kann ſich nicht denken, daß
eine Geſellſchaft von Kapitaliſten die richtigen Leiter finde: den Direktoren, ſagt Smith,
fehlt Fleiß, Umſicht, Fähigkeit, den Beamten die Ehrlichkeit; beide verwalten ja fremdes,
nicht eigenes Vermögen; ſie wirtſchaften leichtſinnig, wie die Kammerdiener reicher
Leute. Die Lähmung des Wirtſchaftslebens durch die Kriegszeit und die lange nach-
folgende Erholungszeit bis gegen 1830—40 ſchien ſolchen Stimmen recht zu geben.
Erſt von 1830—60 begann das Bedürfnis nach großen dauernden lebensfähigen Geſchäfts-
anſtalten mit rieſenhaften Kapitalien wieder ſich geltend zu machen: die neue Technik,
die neuen Verkehrs- und Krediteinrichtungen drängten dahin, ein neuer Aufſchwung
kam in das Aktiengeſellſchaftsweſen.

Die Geſetzgebung der meiſten Staaten verſuchte in wiederholten Anläufen, die
neuen Bildungen einem gleichmäßigen Rechte zu unterwerfen, die beſchränkte Haft der
Aktie einerſeits, die Entſtehung und die Pflichten der Organe der Geſellſchaft andererſeits
zu normieren, die Geſellſchaften einer gewiſſen Öffentlichkeit zu unterwerfen, z. B. dem
Zwange, ihre Geſellſchaftsberichte wahrheitsgetreu zu publizieren, ſich anzumelden und
in ein öffentliches Regiſter eintragen zu laſſen. Die älteren Geſetze knüpften die Entſtehung
meiſt noch an eine ſtaatliche Konzeſſion; doch ließ man dieſe 1844—85 in den meiſten
Staaten fallen; ähnlich die laufende Aufſicht durch Staatsbeamte. Nur für gewiſſe
Arten, z. B. Eiſenbahnen, Notenbanken, Verſicherungsgeſellſchaften u. ſ. w. behielt man
meiſt ſtaatliche Konzeſſion und Aufſicht bei. Die Freigebung ſuchte man durch ver-
ſtärkte Publizität und geſteigerte geſetzliche Normativbeſtimmungen über die Begründung
der Geſellſchaften, die Verantwortlichkeit der Gründer, der Vorſtände und Beamten
zu erſetzen.

Teils mit dem Wechſel der Geſetzgebung, teils mit den geſchäftlichen Aufſchwungs-
perioden hing die ſteigende Ausbreitung der Aktiengeſellſchaften zuſammen. Nach den
Mißbräuchen in den Epochen des geſchäftlichen Schwindels angeklagt und diskreditiert,
zeitweiſe abnehmend oder ſtillſtehend, haben ſie immer bald wieder zugenommen. Unſere
heutige Großinduſtrie, unſere großen Verkehrs- und Kreditanſtalten ſind ohne die Aktien-
geſellſchaft nicht zu denken. Was ſtellen ſie nun dar?

Die heutigen Aktiengeſellſchaften ſind von privaten Perſonen gegründete und ver-
waltete Vereine mit juriſtiſcher Perſönlichkeit, welche in der Weiſe feſte gleiche Kapital-
beiträge zu einem beſtimmten, genau fixierten Geſchäftszwecke zuſammenlegen, daß die
Mitglieder nur mit dieſen haften, ſie aber auch während des Beſtehens nicht zurück-
ziehen dürfen, daß Gewinn und Verluſt auf dieſe Beiträge verteilt wird, und daß die
Geſchäftsleitung durch Majoritätsbeſchlüſſe und Wahl von Vorſtänden nach dem Maß-
ſtab der Beiträge herbeigeführt wird. Die über dieſe Beiträge ausgeſtellten Urkunden
heißen Aktien, ſie lauten meiſt auf den Inhaber, ſind ſo leicht verkäuflich. Die Gleichheit
des Aktienbetrages ſchließt nicht aus, daß einzelne Mitglieder ſehr viele, andere ſehr
wenige oder nur eine Aktie haben. Meiſt gedeihen die Aktiengeſellſchaften am beſten, deren
Hauptaktienſtamm in wenigen geſchäftskundigen Händen iſt; wie überhaupt thatſächlich
das gleiche Recht jeder Aktie nur eine juriſtiſche Fiktion darſtellt; faſt überall handelt
es ſich um die Verbindung zwei ganz verſchiedener Gruppen von Aktionären: einerſeits
um die geſchäftsunkundigen Privatleute, die in der Aktie nur die Kapitalanlage ſehen, und
andererſeits um die geſchäftskundigen Aktionäre, welche die Initiative bei der Begründung
hatten, die Geſellſchaft und das Geſchäft beherrſchen und leiten. Die Aktiengeſellſchaft
hat ihre Wurzel im privaten Geſchäftsleben; einzelne durch Wahl berufene Geſchäftsleute
führen als Aufſichtsräte und Direktoren die Verwaltung in ähnlicher Weiſe wie
private Geſchäfte. Aber die Größe ihrer Zwecke, ihres Kapitals, ihrer dauernden Anlagen,
ihr großes Perſonal, ihre Tauſende von Arbeitern, oft ihre monopolartige Stellung
geben der Aktiengeſellſchaft, jedenfalls der größeren, thatſächlich eine halböffentliche
Stellung, eine Bedeutung, wie ſie ſonſt nur eine große Stadt- oder Kreisverwaltung
haben kann. Wie können dem ihre Organe gerecht werden?

Die jährlich einmal berufene, ein bis zwei Stunden tagende Generalverſammlung
der Aktionäre hat das wichtige Recht, den Aufſichtsrat und eventuell auch den Vor-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0458" n="442"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Die ge&#x017F;ell&#x017F;chaftliche Verfa&#x017F;&#x017F;ung der Volkswirt&#x017F;chaft.</fw><lb/>
&#x201E;Cumpani is Lumperi&#x201C;. Die individuali&#x017F;ti&#x017F;che Aufklärung kann &#x017F;ich nicht denken, daß<lb/>
eine Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft von Kapitali&#x017F;ten die richtigen Leiter finde: den Direktoren, &#x017F;agt Smith,<lb/>
fehlt Fleiß, Um&#x017F;icht, Fähigkeit, den Beamten die Ehrlichkeit; beide verwalten ja fremdes,<lb/>
nicht eigenes Vermögen; &#x017F;ie wirt&#x017F;chaften leicht&#x017F;innig, wie die Kammerdiener reicher<lb/>
Leute. Die Lähmung des Wirt&#x017F;chaftslebens durch die Kriegszeit und die lange nach-<lb/>
folgende Erholungszeit bis gegen 1830&#x2014;40 &#x017F;chien &#x017F;olchen Stimmen recht zu geben.<lb/>
Er&#x017F;t von 1830&#x2014;60 begann das Bedürfnis nach großen dauernden lebensfähigen Ge&#x017F;chäfts-<lb/>
an&#x017F;talten mit rie&#x017F;enhaften Kapitalien wieder &#x017F;ich geltend zu machen: die neue Technik,<lb/>
die neuen Verkehrs- und Krediteinrichtungen drängten dahin, ein neuer Auf&#x017F;chwung<lb/>
kam in das Aktienge&#x017F;ell&#x017F;chaftswe&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Die Ge&#x017F;etzgebung der mei&#x017F;ten Staaten ver&#x017F;uchte in wiederholten Anläufen, die<lb/>
neuen Bildungen einem gleichmäßigen Rechte zu unterwerfen, die be&#x017F;chränkte Haft der<lb/>
Aktie einer&#x017F;eits, die Ent&#x017F;tehung und die Pflichten der Organe der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft anderer&#x017F;eits<lb/>
zu normieren, die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften einer gewi&#x017F;&#x017F;en Öffentlichkeit zu unterwerfen, z. B. dem<lb/>
Zwange, ihre Ge&#x017F;ell&#x017F;chaftsberichte wahrheitsgetreu zu publizieren, &#x017F;ich anzumelden und<lb/>
in ein öffentliches Regi&#x017F;ter eintragen zu la&#x017F;&#x017F;en. Die älteren Ge&#x017F;etze knüpften die Ent&#x017F;tehung<lb/>
mei&#x017F;t noch an eine &#x017F;taatliche Konze&#x017F;&#x017F;ion; doch ließ man die&#x017F;e 1844&#x2014;85 in den mei&#x017F;ten<lb/>
Staaten fallen; ähnlich die laufende Auf&#x017F;icht durch Staatsbeamte. Nur für gewi&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Arten, z. B. Ei&#x017F;enbahnen, Notenbanken, Ver&#x017F;icherungsge&#x017F;ell&#x017F;chaften u. &#x017F;. w. behielt man<lb/>
mei&#x017F;t &#x017F;taatliche Konze&#x017F;&#x017F;ion und Auf&#x017F;icht bei. Die Freigebung &#x017F;uchte man durch ver-<lb/>
&#x017F;tärkte Publizität und ge&#x017F;teigerte ge&#x017F;etzliche Normativbe&#x017F;timmungen über die Begründung<lb/>
der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften, die Verantwortlichkeit der Gründer, der Vor&#x017F;tände und Beamten<lb/>
zu er&#x017F;etzen.</p><lb/>
          <p>Teils mit dem Wech&#x017F;el der Ge&#x017F;etzgebung, teils mit den ge&#x017F;chäftlichen Auf&#x017F;chwungs-<lb/>
perioden hing die &#x017F;teigende Ausbreitung der Aktienge&#x017F;ell&#x017F;chaften zu&#x017F;ammen. Nach den<lb/>
Mißbräuchen in den Epochen des ge&#x017F;chäftlichen Schwindels angeklagt und diskreditiert,<lb/>
zeitwei&#x017F;e abnehmend oder &#x017F;till&#x017F;tehend, haben &#x017F;ie immer bald wieder zugenommen. Un&#x017F;ere<lb/>
heutige Großindu&#x017F;trie, un&#x017F;ere großen Verkehrs- und Kreditan&#x017F;talten &#x017F;ind ohne die Aktien-<lb/>
ge&#x017F;ell&#x017F;chaft nicht zu denken. Was &#x017F;tellen &#x017F;ie nun dar?</p><lb/>
          <p>Die heutigen Aktienge&#x017F;ell&#x017F;chaften &#x017F;ind von privaten Per&#x017F;onen gegründete und ver-<lb/>
waltete Vereine mit juri&#x017F;ti&#x017F;cher Per&#x017F;önlichkeit, welche in der Wei&#x017F;e fe&#x017F;te gleiche Kapital-<lb/>
beiträge zu einem be&#x017F;timmten, genau fixierten Ge&#x017F;chäftszwecke zu&#x017F;ammenlegen, daß die<lb/>
Mitglieder nur mit die&#x017F;en haften, &#x017F;ie aber auch während des Be&#x017F;tehens nicht zurück-<lb/>
ziehen dürfen, daß Gewinn und Verlu&#x017F;t auf die&#x017F;e Beiträge verteilt wird, und daß die<lb/>
Ge&#x017F;chäftsleitung durch Majoritätsbe&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;e und Wahl von Vor&#x017F;tänden nach dem Maß-<lb/>
&#x017F;tab der Beiträge herbeigeführt wird. Die über die&#x017F;e Beiträge ausge&#x017F;tellten Urkunden<lb/>
heißen Aktien, &#x017F;ie lauten mei&#x017F;t auf den Inhaber, &#x017F;ind &#x017F;o leicht verkäuflich. Die Gleichheit<lb/>
des Aktienbetrages &#x017F;chließt nicht aus, daß einzelne Mitglieder &#x017F;ehr viele, andere &#x017F;ehr<lb/>
wenige oder nur eine Aktie haben. Mei&#x017F;t gedeihen die Aktienge&#x017F;ell&#x017F;chaften am be&#x017F;ten, deren<lb/>
Hauptaktien&#x017F;tamm in wenigen ge&#x017F;chäftskundigen Händen i&#x017F;t; wie überhaupt that&#x017F;ächlich<lb/>
das gleiche Recht jeder Aktie nur eine juri&#x017F;ti&#x017F;che Fiktion dar&#x017F;tellt; fa&#x017F;t überall handelt<lb/>
es &#x017F;ich um die Verbindung zwei ganz ver&#x017F;chiedener Gruppen von Aktionären: einer&#x017F;eits<lb/>
um die ge&#x017F;chäftsunkundigen Privatleute, die in der Aktie nur die Kapitalanlage &#x017F;ehen, und<lb/>
anderer&#x017F;eits um die ge&#x017F;chäftskundigen Aktionäre, welche die Initiative bei der Begründung<lb/>
hatten, die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft und das Ge&#x017F;chäft beherr&#x017F;chen und leiten. Die Aktienge&#x017F;ell&#x017F;chaft<lb/>
hat ihre Wurzel im privaten Ge&#x017F;chäftsleben; einzelne durch Wahl berufene Ge&#x017F;chäftsleute<lb/>
führen als Auf&#x017F;ichtsräte und Direktoren die Verwaltung in ähnlicher Wei&#x017F;e wie<lb/>
private Ge&#x017F;chäfte. Aber die Größe ihrer Zwecke, ihres Kapitals, ihrer dauernden Anlagen,<lb/>
ihr großes Per&#x017F;onal, ihre Tau&#x017F;ende von Arbeitern, oft ihre monopolartige Stellung<lb/>
geben der Aktienge&#x017F;ell&#x017F;chaft, jedenfalls der größeren, that&#x017F;ächlich eine halböffentliche<lb/>
Stellung, eine Bedeutung, wie &#x017F;ie &#x017F;on&#x017F;t nur eine große Stadt- oder Kreisverwaltung<lb/>
haben kann. Wie können dem ihre Organe gerecht werden?</p><lb/>
          <p>Die jährlich einmal berufene, ein bis zwei Stunden tagende Generalver&#x017F;ammlung<lb/>
der Aktionäre hat das wichtige Recht, den Auf&#x017F;ichtsrat und eventuell auch den Vor-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[442/0458] Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. „Cumpani is Lumperi“. Die individualiſtiſche Aufklärung kann ſich nicht denken, daß eine Geſellſchaft von Kapitaliſten die richtigen Leiter finde: den Direktoren, ſagt Smith, fehlt Fleiß, Umſicht, Fähigkeit, den Beamten die Ehrlichkeit; beide verwalten ja fremdes, nicht eigenes Vermögen; ſie wirtſchaften leichtſinnig, wie die Kammerdiener reicher Leute. Die Lähmung des Wirtſchaftslebens durch die Kriegszeit und die lange nach- folgende Erholungszeit bis gegen 1830—40 ſchien ſolchen Stimmen recht zu geben. Erſt von 1830—60 begann das Bedürfnis nach großen dauernden lebensfähigen Geſchäfts- anſtalten mit rieſenhaften Kapitalien wieder ſich geltend zu machen: die neue Technik, die neuen Verkehrs- und Krediteinrichtungen drängten dahin, ein neuer Aufſchwung kam in das Aktiengeſellſchaftsweſen. Die Geſetzgebung der meiſten Staaten verſuchte in wiederholten Anläufen, die neuen Bildungen einem gleichmäßigen Rechte zu unterwerfen, die beſchränkte Haft der Aktie einerſeits, die Entſtehung und die Pflichten der Organe der Geſellſchaft andererſeits zu normieren, die Geſellſchaften einer gewiſſen Öffentlichkeit zu unterwerfen, z. B. dem Zwange, ihre Geſellſchaftsberichte wahrheitsgetreu zu publizieren, ſich anzumelden und in ein öffentliches Regiſter eintragen zu laſſen. Die älteren Geſetze knüpften die Entſtehung meiſt noch an eine ſtaatliche Konzeſſion; doch ließ man dieſe 1844—85 in den meiſten Staaten fallen; ähnlich die laufende Aufſicht durch Staatsbeamte. Nur für gewiſſe Arten, z. B. Eiſenbahnen, Notenbanken, Verſicherungsgeſellſchaften u. ſ. w. behielt man meiſt ſtaatliche Konzeſſion und Aufſicht bei. Die Freigebung ſuchte man durch ver- ſtärkte Publizität und geſteigerte geſetzliche Normativbeſtimmungen über die Begründung der Geſellſchaften, die Verantwortlichkeit der Gründer, der Vorſtände und Beamten zu erſetzen. Teils mit dem Wechſel der Geſetzgebung, teils mit den geſchäftlichen Aufſchwungs- perioden hing die ſteigende Ausbreitung der Aktiengeſellſchaften zuſammen. Nach den Mißbräuchen in den Epochen des geſchäftlichen Schwindels angeklagt und diskreditiert, zeitweiſe abnehmend oder ſtillſtehend, haben ſie immer bald wieder zugenommen. Unſere heutige Großinduſtrie, unſere großen Verkehrs- und Kreditanſtalten ſind ohne die Aktien- geſellſchaft nicht zu denken. Was ſtellen ſie nun dar? Die heutigen Aktiengeſellſchaften ſind von privaten Perſonen gegründete und ver- waltete Vereine mit juriſtiſcher Perſönlichkeit, welche in der Weiſe feſte gleiche Kapital- beiträge zu einem beſtimmten, genau fixierten Geſchäftszwecke zuſammenlegen, daß die Mitglieder nur mit dieſen haften, ſie aber auch während des Beſtehens nicht zurück- ziehen dürfen, daß Gewinn und Verluſt auf dieſe Beiträge verteilt wird, und daß die Geſchäftsleitung durch Majoritätsbeſchlüſſe und Wahl von Vorſtänden nach dem Maß- ſtab der Beiträge herbeigeführt wird. Die über dieſe Beiträge ausgeſtellten Urkunden heißen Aktien, ſie lauten meiſt auf den Inhaber, ſind ſo leicht verkäuflich. Die Gleichheit des Aktienbetrages ſchließt nicht aus, daß einzelne Mitglieder ſehr viele, andere ſehr wenige oder nur eine Aktie haben. Meiſt gedeihen die Aktiengeſellſchaften am beſten, deren Hauptaktienſtamm in wenigen geſchäftskundigen Händen iſt; wie überhaupt thatſächlich das gleiche Recht jeder Aktie nur eine juriſtiſche Fiktion darſtellt; faſt überall handelt es ſich um die Verbindung zwei ganz verſchiedener Gruppen von Aktionären: einerſeits um die geſchäftsunkundigen Privatleute, die in der Aktie nur die Kapitalanlage ſehen, und andererſeits um die geſchäftskundigen Aktionäre, welche die Initiative bei der Begründung hatten, die Geſellſchaft und das Geſchäft beherrſchen und leiten. Die Aktiengeſellſchaft hat ihre Wurzel im privaten Geſchäftsleben; einzelne durch Wahl berufene Geſchäftsleute führen als Aufſichtsräte und Direktoren die Verwaltung in ähnlicher Weiſe wie private Geſchäfte. Aber die Größe ihrer Zwecke, ihres Kapitals, ihrer dauernden Anlagen, ihr großes Perſonal, ihre Tauſende von Arbeitern, oft ihre monopolartige Stellung geben der Aktiengeſellſchaft, jedenfalls der größeren, thatſächlich eine halböffentliche Stellung, eine Bedeutung, wie ſie ſonſt nur eine große Stadt- oder Kreisverwaltung haben kann. Wie können dem ihre Organe gerecht werden? Die jährlich einmal berufene, ein bis zwei Stunden tagende Generalverſammlung der Aktionäre hat das wichtige Recht, den Aufſichtsrat und eventuell auch den Vor-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/458
Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/458>, abgerufen am 22.11.2024.