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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Die Entstehung des Gesellschaftswesens. Die offene Handels- und die Aktiengesellschaft.
des städtisch-kaufmännischen Patriciats fähig, die offenen Handelsgesellschaften, die
Kommanditgesellschaften und die großen Compagnien des 17.--18. Jahrhunderts, die
Vorläufer der Aktiengesellschaften, zu schaffen.

Die offene Handelsgesellschaft, wie sie sich im heutigen europäischen Rechte kon-
solidiert und in neuerer Zeit immer weiter ausgedehnt hat, gedeiht auch heute noch am
besten in den Händen von Verwandten; sie stellt den gemeinsamen Betrieb eines Geschäftes
durch mehrere gleichberechtigte Gesellschafter unter voller Haft derselben dar. Eine
einheitliche Firma und ein vom Privatvermögen der Gesellschafter getrenntes Gesellschafts-
vermögen stellt die Einheit nach außen in viel stärkerer Weise als einst in der römischen
societas her; Tod, Austritt, Bankerott eines Gesellschafters endigt das Geschäft nicht
notwendig; meist setzen es die Erben fort; die innere Einheit ist am besten gewahrt,
wenn die an sich gleichberechtigten Socii doch einem, dem Vater, dem Ältesten oder
Fähigsten sich thatsächlich fügen. Die offene Handelsgesellschaft erhält die Geschäfte
durch Generationen, verstärkt das Geschäftskapital, verhindert Auszahlung an Miterben;
sie setzt an die Stelle des einen mehrere Leiter, die passend sich in die Geschäfte teilen
können, während das Risiko und der Erwerbstrieb doch ähnliche bleiben, wie im Privat-
geschäft mit einem Leiter. Immer ist die Schlagfertigkeit und Energie der Leitung
geringer; die inneren Reibungen bringen eine große Zahl der neugegründeten Handels-
gesellschaften stets wieder zu rascher Auflösung. In Preußen waren in den achtziger
Jahren von 102000 -- 111000 ins Handelsregister eingetragenen Firmen etwa der
vierte Teil, 21--25000 Handelsgesellschaften, von letzteren wurden jährlich 2300--3500
neu eingetragen, 1700--3100 gelöscht. In Deutschland zählte man 1882 51108, 1895
55239 offene Handelsgesellschaften, von welchen 32216 auf die Gewerbe mit 1,25 Mill.
Personen, 22426 auf Handel und Verkehr mit 0,21 Mill. Personen kamen. Im
Gebiete des Handels ist diese Form des vergrößerten Leitungsapparates der Geschäfte
älter, verbreiteter, schon bei geringerer Zahl der beschäftigten Personen angezeigt; eine
offene Handelsgesellschaft umfaßt im ganzen hier 9--10, in den Gewerben 39--40
Personen; 1882 waren es 7 und 28.

Die Aktiengesellschaften sind erwachsen aus der Geschäftspraxis und den
Privilegien der großen Compagnien des 17. und 18. Jahrhunderts. Diese waren teils
im Anschluß an die Sitten der älteren Handelsgesellschaften und Schiffspartnerschaften
entstanden, teils hatten sie anderen Einrichtungen einzelnes entnommen: so die Teilung
eines großen Kapitals in viele kleinere, gleichgroße Anteile den älteren italienischen
Staatsanleihen, den gleichzeitigen Betrieb großer Handelsgeschäfte nach gemeinsamen
Regeln und mit Unterstützung gemeinsamer Einrichtungen denjenigen späteren Handels-
gilden, die man als regulierte Compagnien bezeichnet; wie wir schon erwähnten, waren
das Genossenschaften von Kaufleuten und Reedern, welche mit getrenntem Kapital und
auf Rechnung der einzelnen, aber unter einheitlicher Leitung von Vorstehern einen
bestimmten Zweig des Handels betrieben, ihre Gemeinsamkeit unter Umständen bis zur
Zusammenlegung ihrer Fonds steigerten und auf gemeinsame Gefahr ihre Geschäfte
machten. Viele der wirklichen Compagnien waren halb oder ganz Staatsanstalten; einzelne
führten nur eine Scheinexistenz als private Handels- oder Produktionsgeschäfte, sie
waren in Wahrheit Staatsanleihen, wobei ein Gläubigerausschuß die Verwaltung hatte.
Fast alle waren mit staatlichen Vorrechten, viele mit Handelsmonopolen versehen; die
wichtigsten waren im Kolonialhandel erwachsen. Einzelne verfügten schon über sehr
große Kapitalien und ein Personal von 10--30000 Personen (Matrosen, Schiffspersonal,
kaufmännische Verwalter, Kolonialbeamte). Von den meisten (55--100) ist keine nähere
Nachricht zu erhalten. Sie wurden im 17. Jahrhundert ebenso von Praxis und Theorie als
das wichtigste Mittel, Handel und Industrie emporzubringen, gerühmt, wie von 1750 an
von der individualistischen Tagesmeinung verurteilt: die Mißbräuche der Beamten, die
Unterschlagungen, die teure Wirtschaft des großen Apparates hatte 1700--1800 viele
bis zum Bankerott gebracht. Von Savary bis zu A. Smith und Büsch hören wir
nur Verurteilungen des Systems; die französische Revolution verbietet 1793 alle Aktien-
gesellschaften; Büsch schließt sich dem Ausspruch eines Hamburger Kaufmanns an:

Die Entſtehung des Geſellſchaftsweſens. Die offene Handels- und die Aktiengeſellſchaft.
des ſtädtiſch-kaufmänniſchen Patriciats fähig, die offenen Handelsgeſellſchaften, die
Kommanditgeſellſchaften und die großen Compagnien des 17.—18. Jahrhunderts, die
Vorläufer der Aktiengeſellſchaften, zu ſchaffen.

Die offene Handelsgeſellſchaft, wie ſie ſich im heutigen europäiſchen Rechte kon-
ſolidiert und in neuerer Zeit immer weiter ausgedehnt hat, gedeiht auch heute noch am
beſten in den Händen von Verwandten; ſie ſtellt den gemeinſamen Betrieb eines Geſchäftes
durch mehrere gleichberechtigte Geſellſchafter unter voller Haft derſelben dar. Eine
einheitliche Firma und ein vom Privatvermögen der Geſellſchafter getrenntes Geſellſchafts-
vermögen ſtellt die Einheit nach außen in viel ſtärkerer Weiſe als einſt in der römiſchen
societas her; Tod, Austritt, Bankerott eines Geſellſchafters endigt das Geſchäft nicht
notwendig; meiſt ſetzen es die Erben fort; die innere Einheit iſt am beſten gewahrt,
wenn die an ſich gleichberechtigten Socii doch einem, dem Vater, dem Älteſten oder
Fähigſten ſich thatſächlich fügen. Die offene Handelsgeſellſchaft erhält die Geſchäfte
durch Generationen, verſtärkt das Geſchäftskapital, verhindert Auszahlung an Miterben;
ſie ſetzt an die Stelle des einen mehrere Leiter, die paſſend ſich in die Geſchäfte teilen
können, während das Riſiko und der Erwerbstrieb doch ähnliche bleiben, wie im Privat-
geſchäft mit einem Leiter. Immer iſt die Schlagfertigkeit und Energie der Leitung
geringer; die inneren Reibungen bringen eine große Zahl der neugegründeten Handels-
geſellſchaften ſtets wieder zu raſcher Auflöſung. In Preußen waren in den achtziger
Jahren von 102000 — 111000 ins Handelsregiſter eingetragenen Firmen etwa der
vierte Teil, 21—25000 Handelsgeſellſchaften, von letzteren wurden jährlich 2300—3500
neu eingetragen, 1700—3100 gelöſcht. In Deutſchland zählte man 1882 51108, 1895
55239 offene Handelsgeſellſchaften, von welchen 32216 auf die Gewerbe mit 1,25 Mill.
Perſonen, 22426 auf Handel und Verkehr mit 0,21 Mill. Perſonen kamen. Im
Gebiete des Handels iſt dieſe Form des vergrößerten Leitungsapparates der Geſchäfte
älter, verbreiteter, ſchon bei geringerer Zahl der beſchäftigten Perſonen angezeigt; eine
offene Handelsgeſellſchaft umfaßt im ganzen hier 9—10, in den Gewerben 39—40
Perſonen; 1882 waren es 7 und 28.

Die Aktiengeſellſchaften ſind erwachſen aus der Geſchäftspraxis und den
Privilegien der großen Compagnien des 17. und 18. Jahrhunderts. Dieſe waren teils
im Anſchluß an die Sitten der älteren Handelsgeſellſchaften und Schiffspartnerſchaften
entſtanden, teils hatten ſie anderen Einrichtungen einzelnes entnommen: ſo die Teilung
eines großen Kapitals in viele kleinere, gleichgroße Anteile den älteren italieniſchen
Staatsanleihen, den gleichzeitigen Betrieb großer Handelsgeſchäfte nach gemeinſamen
Regeln und mit Unterſtützung gemeinſamer Einrichtungen denjenigen ſpäteren Handels-
gilden, die man als regulierte Compagnien bezeichnet; wie wir ſchon erwähnten, waren
das Genoſſenſchaften von Kaufleuten und Reedern, welche mit getrenntem Kapital und
auf Rechnung der einzelnen, aber unter einheitlicher Leitung von Vorſtehern einen
beſtimmten Zweig des Handels betrieben, ihre Gemeinſamkeit unter Umſtänden bis zur
Zuſammenlegung ihrer Fonds ſteigerten und auf gemeinſame Gefahr ihre Geſchäfte
machten. Viele der wirklichen Compagnien waren halb oder ganz Staatsanſtalten; einzelne
führten nur eine Scheinexiſtenz als private Handels- oder Produktionsgeſchäfte, ſie
waren in Wahrheit Staatsanleihen, wobei ein Gläubigerausſchuß die Verwaltung hatte.
Faſt alle waren mit ſtaatlichen Vorrechten, viele mit Handelsmonopolen verſehen; die
wichtigſten waren im Kolonialhandel erwachſen. Einzelne verfügten ſchon über ſehr
große Kapitalien und ein Perſonal von 10—30000 Perſonen (Matroſen, Schiffsperſonal,
kaufmänniſche Verwalter, Kolonialbeamte). Von den meiſten (55—100) iſt keine nähere
Nachricht zu erhalten. Sie wurden im 17. Jahrhundert ebenſo von Praxis und Theorie als
das wichtigſte Mittel, Handel und Induſtrie emporzubringen, gerühmt, wie von 1750 an
von der individualiſtiſchen Tagesmeinung verurteilt: die Mißbräuche der Beamten, die
Unterſchlagungen, die teure Wirtſchaft des großen Apparates hatte 1700—1800 viele
bis zum Bankerott gebracht. Von Savary bis zu A. Smith und Büſch hören wir
nur Verurteilungen des Syſtems; die franzöſiſche Revolution verbietet 1793 alle Aktien-
geſellſchaften; Büſch ſchließt ſich dem Ausſpruch eines Hamburger Kaufmanns an:

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[441/0457] Die Entſtehung des Geſellſchaftsweſens. Die offene Handels- und die Aktiengeſellſchaft. des ſtädtiſch-kaufmänniſchen Patriciats fähig, die offenen Handelsgeſellſchaften, die Kommanditgeſellſchaften und die großen Compagnien des 17.—18. Jahrhunderts, die Vorläufer der Aktiengeſellſchaften, zu ſchaffen. Die offene Handelsgeſellſchaft, wie ſie ſich im heutigen europäiſchen Rechte kon- ſolidiert und in neuerer Zeit immer weiter ausgedehnt hat, gedeiht auch heute noch am beſten in den Händen von Verwandten; ſie ſtellt den gemeinſamen Betrieb eines Geſchäftes durch mehrere gleichberechtigte Geſellſchafter unter voller Haft derſelben dar. Eine einheitliche Firma und ein vom Privatvermögen der Geſellſchafter getrenntes Geſellſchafts- vermögen ſtellt die Einheit nach außen in viel ſtärkerer Weiſe als einſt in der römiſchen societas her; Tod, Austritt, Bankerott eines Geſellſchafters endigt das Geſchäft nicht notwendig; meiſt ſetzen es die Erben fort; die innere Einheit iſt am beſten gewahrt, wenn die an ſich gleichberechtigten Socii doch einem, dem Vater, dem Älteſten oder Fähigſten ſich thatſächlich fügen. Die offene Handelsgeſellſchaft erhält die Geſchäfte durch Generationen, verſtärkt das Geſchäftskapital, verhindert Auszahlung an Miterben; ſie ſetzt an die Stelle des einen mehrere Leiter, die paſſend ſich in die Geſchäfte teilen können, während das Riſiko und der Erwerbstrieb doch ähnliche bleiben, wie im Privat- geſchäft mit einem Leiter. Immer iſt die Schlagfertigkeit und Energie der Leitung geringer; die inneren Reibungen bringen eine große Zahl der neugegründeten Handels- geſellſchaften ſtets wieder zu raſcher Auflöſung. In Preußen waren in den achtziger Jahren von 102000 — 111000 ins Handelsregiſter eingetragenen Firmen etwa der vierte Teil, 21—25000 Handelsgeſellſchaften, von letzteren wurden jährlich 2300—3500 neu eingetragen, 1700—3100 gelöſcht. In Deutſchland zählte man 1882 51108, 1895 55239 offene Handelsgeſellſchaften, von welchen 32216 auf die Gewerbe mit 1,25 Mill. Perſonen, 22426 auf Handel und Verkehr mit 0,21 Mill. Perſonen kamen. Im Gebiete des Handels iſt dieſe Form des vergrößerten Leitungsapparates der Geſchäfte älter, verbreiteter, ſchon bei geringerer Zahl der beſchäftigten Perſonen angezeigt; eine offene Handelsgeſellſchaft umfaßt im ganzen hier 9—10, in den Gewerben 39—40 Perſonen; 1882 waren es 7 und 28. Die Aktiengeſellſchaften ſind erwachſen aus der Geſchäftspraxis und den Privilegien der großen Compagnien des 17. und 18. Jahrhunderts. Dieſe waren teils im Anſchluß an die Sitten der älteren Handelsgeſellſchaften und Schiffspartnerſchaften entſtanden, teils hatten ſie anderen Einrichtungen einzelnes entnommen: ſo die Teilung eines großen Kapitals in viele kleinere, gleichgroße Anteile den älteren italieniſchen Staatsanleihen, den gleichzeitigen Betrieb großer Handelsgeſchäfte nach gemeinſamen Regeln und mit Unterſtützung gemeinſamer Einrichtungen denjenigen ſpäteren Handels- gilden, die man als regulierte Compagnien bezeichnet; wie wir ſchon erwähnten, waren das Genoſſenſchaften von Kaufleuten und Reedern, welche mit getrenntem Kapital und auf Rechnung der einzelnen, aber unter einheitlicher Leitung von Vorſtehern einen beſtimmten Zweig des Handels betrieben, ihre Gemeinſamkeit unter Umſtänden bis zur Zuſammenlegung ihrer Fonds ſteigerten und auf gemeinſame Gefahr ihre Geſchäfte machten. Viele der wirklichen Compagnien waren halb oder ganz Staatsanſtalten; einzelne führten nur eine Scheinexiſtenz als private Handels- oder Produktionsgeſchäfte, ſie waren in Wahrheit Staatsanleihen, wobei ein Gläubigerausſchuß die Verwaltung hatte. Faſt alle waren mit ſtaatlichen Vorrechten, viele mit Handelsmonopolen verſehen; die wichtigſten waren im Kolonialhandel erwachſen. Einzelne verfügten ſchon über ſehr große Kapitalien und ein Perſonal von 10—30000 Perſonen (Matroſen, Schiffsperſonal, kaufmänniſche Verwalter, Kolonialbeamte). Von den meiſten (55—100) iſt keine nähere Nachricht zu erhalten. Sie wurden im 17. Jahrhundert ebenſo von Praxis und Theorie als das wichtigſte Mittel, Handel und Induſtrie emporzubringen, gerühmt, wie von 1750 an von der individualiſtiſchen Tagesmeinung verurteilt: die Mißbräuche der Beamten, die Unterſchlagungen, die teure Wirtſchaft des großen Apparates hatte 1700—1800 viele bis zum Bankerott gebracht. Von Savary bis zu A. Smith und Büſch hören wir nur Verurteilungen des Syſtems; die franzöſiſche Revolution verbietet 1793 alle Aktien- geſellſchaften; Büſch ſchließt ſich dem Ausſpruch eines Hamburger Kaufmanns an:

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/457>, abgerufen am 22.11.2024.