Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft. 144. Die offenen Handels- und die Aktiengesellschaften. Wir haben Alle diese neueren Gesellschaften und Genossenschaften haben gewisse gemeinsame In den antiken Staaten haben wahrscheinlich zeitweise Bildungen dieser Art sich Wir sehen aus den uralten Fischer- und Schiffahrtsgenossenschaften im Mittelmeer Aus der Familien- und Hausgemeinschaft entwickelt sich zuerst sichtbar in Italien Daneben spielt in den italienischen Geschäftshäusern des 14.--16. Jahrhunderts Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. 144. Die offenen Handels- und die Aktiengeſellſchaften. Wir haben Alle dieſe neueren Geſellſchaften und Genoſſenſchaften haben gewiſſe gemeinſame In den antiken Staaten haben wahrſcheinlich zeitweiſe Bildungen dieſer Art ſich Wir ſehen aus den uralten Fiſcher- und Schiffahrtsgenoſſenſchaften im Mittelmeer Aus der Familien- und Hausgemeinſchaft entwickelt ſich zuerſt ſichtbar in Italien Daneben ſpielt in den italieniſchen Geſchäftshäuſern des 14.—16. Jahrhunderts <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0456" n="440"/> <fw place="top" type="header">Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.</fw><lb/> <p>144. <hi rendition="#g">Die offenen Handels- und die Aktiengeſellſchaften</hi>. Wir haben<lb/> geſehen, daß an die Stelle der Einzelunternehmer heute in großer Zahl Kollektiv-<lb/> perſönlichkeiten treten: Staat und Gemeinde, Innungen und Vereine, Korporationen<lb/> der verſchiedenſten Art, vor allem aber die kaufmänniſchen Geſellſchaften und die neueren<lb/> Genoſſenſchaften, nebſt den höheren Zuſammenfaſſungen und Verbänden beider, die<lb/> Kartelle und Centralgenoſſenſchaften kommen da in Betracht. Von dieſen letzteren Formen<lb/> haben wir hier noch zu reden. Ihre raſche und großartige Entwickelung ſeit den letzten<lb/> 50 Jahren ſcheint der ganzen Volkswirtſchaft und ſpeciell dem Charakter des Unter-<lb/> nehmungsweſens eine andere Geſtalt und Farbe zu geben.</p><lb/> <p>Alle dieſe neueren Geſellſchaften und Genoſſenſchaften haben gewiſſe gemeinſame<lb/> Wurzeln und Züge. Sie knüpfen teils an ſehr alte ſippen- und familienartige Ver-<lb/> bindungen an, teils ſind ſie das Ergebnis neuerer Geſchäfts- und Kreditgepflogenheiten<lb/> und Inſtitutionen. Sie ruhen auf praktiſch wirtſchaftlichen Bedürfniſſen, aber ihre<lb/> Geſtalt iſt im einzelnen von den nach Zeit und Land verſchiedenen Rechtsſitten und<lb/> Geſetzen beſtimmt. Pſychologiſch ſetzen ſie die Entwickelung des modernen Erwerbs-<lb/> triebes und kaufmänniſcher Gewinnabſichten ſowie die Gewohnheiten der Geldwirtſchaft<lb/> voraus; aber das Charakteriſtiſche für ſie iſt die Verbindung dieſer Motive und Strebungen<lb/> mit höheren Gefühlen, mit Pflichttreue und Hingebung an engere oder weitere Kreiſe. —<lb/> Wir betrachten zunächſt das kaufmänniſche Geſellſchaftsweſen und zwar deren wichtigſte<lb/> Formen, die offene Handelsgeſellſchaft und die Aktiengeſellſchaft. Die unwichtigeren<lb/> Formen, wie die Kommanditgeſellſchaft, die neuen deutſchen Geſellſchaften mit beſchränkter<lb/> Haftung müſſen wir ebenſo übergehen, wie wir ſelbſtverſtändlich auf die Einzelheiten der<lb/> Geſetzgebung der verſchiedenen Länder nicht eingehen können.</p><lb/> <p>In den antiken Staaten haben wahrſcheinlich zeitweiſe Bildungen dieſer Art ſich<lb/> auch in reicher Fülle entwickelt, aber ſie ſind unter dem Druck der zügelloſen egoiſtiſchen<lb/> Gewinnſucht, der Sklavenwirtſchaft, der ſpäteren großen fiskaliſchen Betriebe — abgeſehen<lb/> von den zu halb öffentlichen Korporationen gewordenen Steuer- und Domänenpacht-<lb/> geſellſchaften raſch — verkümmert und zurückgetreten; das ſpätrömiſche Recht kennt eigentlich<lb/> nur die Gelegenheitsgeſellſchaft für einzelne Spekulationen. Viel reicher hat in den<lb/> mittelalterlichen und neueren Staaten die langſamere pſychologiſche und ſociale Ent-<lb/> wickelung das Geſellſchaftsweſen ausgebildet.</p><lb/> <p>Wir ſehen aus den uralten Fiſcher- und Schiffahrtsgenoſſenſchaften im Mittelmeer<lb/> und in den nördlichen Meeren vom 11.—18. Jahrhundert das Inſtitut der Schiffs-<lb/> partnerſchaft ſich entwickeln; es bildete ſich als ein Societätsverhältnis zwiſchen einer<lb/> kleinen Zahl von Perſonen; ſie gehören den beſitzenden, Handel und Schiffahrt treibenden<lb/> Klaſſen der Seeſtädte an; mehrere ſich perſönlich nahe ſtehende und auf die Geſchäfts-<lb/> führung Einfluß habende Partner umgeben den an der Spitze ſtehenden Patron, der<lb/> häufig Haupteigentümer des Schiffes iſt und es führt; die Anteile gelten als Kapital-<lb/> anlage und ſind beliebt, weil ſie leicht veräußerlich ſind.</p><lb/> <p>Aus der Familien- und Hausgemeinſchaft entwickelt ſich zuerſt ſichtbar in Italien<lb/> vom 12.—14. Jahrhundert die Brot- und Arbeitsgemeinſchaft mehrerer Familienglieder,<lb/> welche gemeinſam einen Handel oder ein Handwerk treiben; ſie wächſt aber im 14. und<lb/> 15. Jahrhundert durch Vertrag und Eintragung der Socii in ein öffentliches Geſellſchafts-<lb/> regiſter, durch die Ausbildung der Firma und des geſonderten Firmenregiſters über die<lb/> Familiengemeinſchaft hinaus, nimmt andere Socii auf, wird ſo zum Kerne der offenen<lb/> Handelsgeſellſchaft; dieſe verbreitet ſich dann vom 15.—18. Jahrhundert über ganz<lb/> Europa.</p><lb/> <p>Daneben ſpielt in den italieniſchen Geſchäftshäuſern des 14.—16. Jahrhunderts<lb/> die Bezahlung der Handlungsgehülfen durch Gewinnanteile und das Kapitaldarlehen<lb/> gegen Gewinnanteil eine große Rolle: Verhältniſſe, die ſchon frühe vorkamen, zur<lb/><hi rendition="#aq">societas maris,</hi> der ſtillen und Kommanditgeſellſchaft führten und fähig waren, die<lb/> blühenden Handelsgeſellſchaften des 15.—18. Jahrhunderts mit größeren Kapitalien<lb/> und mit paſſenden Gehülfen zu verſehen. Nur auf dem Boden der ſtädtiſchen Kredit-<lb/> entwickelung jener Tage waren die beſten, meiſt befreundeten und verwandten Elemente<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [440/0456]
Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
144. Die offenen Handels- und die Aktiengeſellſchaften. Wir haben
geſehen, daß an die Stelle der Einzelunternehmer heute in großer Zahl Kollektiv-
perſönlichkeiten treten: Staat und Gemeinde, Innungen und Vereine, Korporationen
der verſchiedenſten Art, vor allem aber die kaufmänniſchen Geſellſchaften und die neueren
Genoſſenſchaften, nebſt den höheren Zuſammenfaſſungen und Verbänden beider, die
Kartelle und Centralgenoſſenſchaften kommen da in Betracht. Von dieſen letzteren Formen
haben wir hier noch zu reden. Ihre raſche und großartige Entwickelung ſeit den letzten
50 Jahren ſcheint der ganzen Volkswirtſchaft und ſpeciell dem Charakter des Unter-
nehmungsweſens eine andere Geſtalt und Farbe zu geben.
Alle dieſe neueren Geſellſchaften und Genoſſenſchaften haben gewiſſe gemeinſame
Wurzeln und Züge. Sie knüpfen teils an ſehr alte ſippen- und familienartige Ver-
bindungen an, teils ſind ſie das Ergebnis neuerer Geſchäfts- und Kreditgepflogenheiten
und Inſtitutionen. Sie ruhen auf praktiſch wirtſchaftlichen Bedürfniſſen, aber ihre
Geſtalt iſt im einzelnen von den nach Zeit und Land verſchiedenen Rechtsſitten und
Geſetzen beſtimmt. Pſychologiſch ſetzen ſie die Entwickelung des modernen Erwerbs-
triebes und kaufmänniſcher Gewinnabſichten ſowie die Gewohnheiten der Geldwirtſchaft
voraus; aber das Charakteriſtiſche für ſie iſt die Verbindung dieſer Motive und Strebungen
mit höheren Gefühlen, mit Pflichttreue und Hingebung an engere oder weitere Kreiſe. —
Wir betrachten zunächſt das kaufmänniſche Geſellſchaftsweſen und zwar deren wichtigſte
Formen, die offene Handelsgeſellſchaft und die Aktiengeſellſchaft. Die unwichtigeren
Formen, wie die Kommanditgeſellſchaft, die neuen deutſchen Geſellſchaften mit beſchränkter
Haftung müſſen wir ebenſo übergehen, wie wir ſelbſtverſtändlich auf die Einzelheiten der
Geſetzgebung der verſchiedenen Länder nicht eingehen können.
In den antiken Staaten haben wahrſcheinlich zeitweiſe Bildungen dieſer Art ſich
auch in reicher Fülle entwickelt, aber ſie ſind unter dem Druck der zügelloſen egoiſtiſchen
Gewinnſucht, der Sklavenwirtſchaft, der ſpäteren großen fiskaliſchen Betriebe — abgeſehen
von den zu halb öffentlichen Korporationen gewordenen Steuer- und Domänenpacht-
geſellſchaften raſch — verkümmert und zurückgetreten; das ſpätrömiſche Recht kennt eigentlich
nur die Gelegenheitsgeſellſchaft für einzelne Spekulationen. Viel reicher hat in den
mittelalterlichen und neueren Staaten die langſamere pſychologiſche und ſociale Ent-
wickelung das Geſellſchaftsweſen ausgebildet.
Wir ſehen aus den uralten Fiſcher- und Schiffahrtsgenoſſenſchaften im Mittelmeer
und in den nördlichen Meeren vom 11.—18. Jahrhundert das Inſtitut der Schiffs-
partnerſchaft ſich entwickeln; es bildete ſich als ein Societätsverhältnis zwiſchen einer
kleinen Zahl von Perſonen; ſie gehören den beſitzenden, Handel und Schiffahrt treibenden
Klaſſen der Seeſtädte an; mehrere ſich perſönlich nahe ſtehende und auf die Geſchäfts-
führung Einfluß habende Partner umgeben den an der Spitze ſtehenden Patron, der
häufig Haupteigentümer des Schiffes iſt und es führt; die Anteile gelten als Kapital-
anlage und ſind beliebt, weil ſie leicht veräußerlich ſind.
Aus der Familien- und Hausgemeinſchaft entwickelt ſich zuerſt ſichtbar in Italien
vom 12.—14. Jahrhundert die Brot- und Arbeitsgemeinſchaft mehrerer Familienglieder,
welche gemeinſam einen Handel oder ein Handwerk treiben; ſie wächſt aber im 14. und
15. Jahrhundert durch Vertrag und Eintragung der Socii in ein öffentliches Geſellſchafts-
regiſter, durch die Ausbildung der Firma und des geſonderten Firmenregiſters über die
Familiengemeinſchaft hinaus, nimmt andere Socii auf, wird ſo zum Kerne der offenen
Handelsgeſellſchaft; dieſe verbreitet ſich dann vom 15.—18. Jahrhundert über ganz
Europa.
Daneben ſpielt in den italieniſchen Geſchäftshäuſern des 14.—16. Jahrhunderts
die Bezahlung der Handlungsgehülfen durch Gewinnanteile und das Kapitaldarlehen
gegen Gewinnanteil eine große Rolle: Verhältniſſe, die ſchon frühe vorkamen, zur
societas maris, der ſtillen und Kommanditgeſellſchaft führten und fähig waren, die
blühenden Handelsgeſellſchaften des 15.—18. Jahrhunderts mit größeren Kapitalien
und mit paſſenden Gehülfen zu verſehen. Nur auf dem Boden der ſtädtiſchen Kredit-
entwickelung jener Tage waren die beſten, meiſt befreundeten und verwandten Elemente
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