noch immer zahlreichen, besonders auf dem Lande, im Gebirge verbreiteten kleinen Produzenten, die oft hausierend durch Familienglieder gewerbliche Produkte an anderen Orten vertreiben, zur Hausindustrie rechnen soll, ist eine untergeordnete Frage. Ihre Zahl ist nicht sehr groß.
Das Wesentliche der Entstehung dieser Betriebsform ist, daß eine alte hergebrachte Technik und Produktionsweise durch Handel und Verkehr einen besseren Absatz erhielt, daß ein häuslicher oder handwerksmäßiger Körper einen kaufmännischen Kopf bekam. Zwei sociale Klassen, häusliche Produzenten und kaufmännische Vermittler sind auf- einander angewiesen: hier Kleinmeister, Bauern, Weiber und Kinder, vielfach bisher Be- schäftigungslose, die ohne viel Kapital, ohne viel Arbeitsteilung mit beschränktem Gesichtskreis froh sind, mit häuslicher, herkömmlicher Technik etwas zu verdienen und dabei in den gewohnten Lebensgeleisen zu bleiben; dort kühne Hausierer, spekulative Fuhrleute, kluge und reichere Meister, welche die Produkte ihrer Mitmeister aufkaufen und die Jahrmärkte beziehen, hauptsächlich aber lokale Krämer und Kaufleute aus den größeren Städten, kurz lauter intelligente und wagende Leute, die mit einem gewissen Kapital, hauptsächlich aber durch ihre Marktkenntnis, ihre Zahlungsfähigkeit, ihren Kredit und ihre Verbindungen den Absatz schaffen; es sind Persönlichkeiten, die man im 17. Jahr- hundert als die nützlichsten Glieder der Gesellschaft feiert, welche Tausenden Nahrung gäben. Sie machen die großen Gewinne, steigen empor, werden reich; sie heißen Verleger, weil sie Vorschuß, Verlag geben können. Schon weil stets zur Verlegerstellung nur wenige, zur Stellung des Heimarbeiters sehr viele brauchbar sind, zeigen alle Hausindustrien dieselbe sociale Struktur, die je nach dem Überfluß der Arbeitskräfte, ihrer Bildung, ihrem Besitz, ihrer örtlichen Zerstreuung, je nach der rechtlichen und sittlichen Ordnung der Hausindustrie, je nach der Weite und Schroffheit des Abstandes zwischen Verleger und Heimarbeiter, teils ein Bild glücklicher, socialer Organisation, teils ein solches harter, wucherischer Ausbeutung bietet.
Die Hausindustrien sind nicht mehr, wie das Handwerk, lokal überall und gleich- mäßig angesiedelt; sie erblühen in einzelnen Städten, Gegenden, Thälern und Gebirgen, wo sie günstige Vorbedingungen finden, und vertreiben von da ihre Waren. Eine lokale Verkehrs- und Absatzorganisation ist auf eine Anzahl Meilen nötig für das Zusammenwirken von Verlegern und Heimarbeitern, eine solche auf Dutzende und Hunderte von Meilen für den Warenvertrieb. Im Mittelpunkt sitzen die großen Ver- legergeschäfte mit ihren Comptoiren und Warenlagern; sie haben teilweise bereits technische Hülfsanstalten, um die Produkte fertig machen, färben, appretieren, zusammen- setzen zu lassen, oft Zweigniederlassungen an anderen Orten und Weltteilen. Sie bestellen oder kaufen oft die Waren nicht bei denen, die sie herstellen, sondern beziehen sie von kleinen Verlegern, wie in Remscheid. Oft haben sie reisende Commis, oft Annahme- und Abgabestellen in den umliegenden Dörfern; oft besorgen von ihnen abhängige oder selbständige Faktoren (Fercher), Zwischenmeister die Vermittlung zwischen ihnen und den Heimarbeitern. Diese sind vielfach harte, wucherische Persönlichkeiten gewesen, welche die Heimarbeiter ausbeuteten, ihnen den Rohstoff zu teuer anrechneten, am Verdienst oder Lohn so viel wie möglich abzogen. Das in den Verlegergeschäften angelegte Kapital ist wesentlich umlaufendes: Geldkapital, um die Heimarbeiter zu lohnen und fertige Waren zu kaufen, Rohstoff, um ihn an die Arbeiter auszugeben. Das Geschäft ist ein überwiegend kaufmännisches, beruht ursprünglich ausschließlich auf Wareneinkauf und -vertrieb, erzeugt also an sich keine näheren persönlichen Bande zwischen den Kontra- henten, also auch keine Verpflichtung dauernder Beschäftigung, regelmäßiger Abnahme der von den Heimarbeitern hergestellten Waren. Wo Zwischenglieder vermitteln, kennt der große Verleger die Dutzende oder Hunderte von Heimarbeitern, die er beschäftigt, gar nicht.
Dennoch haben sich früher und teilweise auch heute noch patriarchalische Beziehungen zwischen Verleger und Heimarbeiter gebildet, die auf eine möglichst gleichmäßige Be- schäftigung hinwirkten; bis zur Einführung der Gewerbefreiheit haben die staatlichen Reglements und die Staatsverwaltung mit Energie auf dieses Ziel hingearbeitet. In
Entſtehung und Weſen der Hausinduſtrie.
noch immer zahlreichen, beſonders auf dem Lande, im Gebirge verbreiteten kleinen Produzenten, die oft hauſierend durch Familienglieder gewerbliche Produkte an anderen Orten vertreiben, zur Hausinduſtrie rechnen ſoll, iſt eine untergeordnete Frage. Ihre Zahl iſt nicht ſehr groß.
Das Weſentliche der Entſtehung dieſer Betriebsform iſt, daß eine alte hergebrachte Technik und Produktionsweiſe durch Handel und Verkehr einen beſſeren Abſatz erhielt, daß ein häuslicher oder handwerksmäßiger Körper einen kaufmänniſchen Kopf bekam. Zwei ſociale Klaſſen, häusliche Produzenten und kaufmänniſche Vermittler ſind auf- einander angewieſen: hier Kleinmeiſter, Bauern, Weiber und Kinder, vielfach bisher Be- ſchäftigungsloſe, die ohne viel Kapital, ohne viel Arbeitsteilung mit beſchränktem Geſichtskreis froh ſind, mit häuslicher, herkömmlicher Technik etwas zu verdienen und dabei in den gewohnten Lebensgeleiſen zu bleiben; dort kühne Hauſierer, ſpekulative Fuhrleute, kluge und reichere Meiſter, welche die Produkte ihrer Mitmeiſter aufkaufen und die Jahrmärkte beziehen, hauptſächlich aber lokale Krämer und Kaufleute aus den größeren Städten, kurz lauter intelligente und wagende Leute, die mit einem gewiſſen Kapital, hauptſächlich aber durch ihre Marktkenntnis, ihre Zahlungsfähigkeit, ihren Kredit und ihre Verbindungen den Abſatz ſchaffen; es ſind Perſönlichkeiten, die man im 17. Jahr- hundert als die nützlichſten Glieder der Geſellſchaft feiert, welche Tauſenden Nahrung gäben. Sie machen die großen Gewinne, ſteigen empor, werden reich; ſie heißen Verleger, weil ſie Vorſchuß, Verlag geben können. Schon weil ſtets zur Verlegerſtellung nur wenige, zur Stellung des Heimarbeiters ſehr viele brauchbar ſind, zeigen alle Hausinduſtrien dieſelbe ſociale Struktur, die je nach dem Überfluß der Arbeitskräfte, ihrer Bildung, ihrem Beſitz, ihrer örtlichen Zerſtreuung, je nach der rechtlichen und ſittlichen Ordnung der Hausinduſtrie, je nach der Weite und Schroffheit des Abſtandes zwiſchen Verleger und Heimarbeiter, teils ein Bild glücklicher, ſocialer Organiſation, teils ein ſolches harter, wucheriſcher Ausbeutung bietet.
Die Hausinduſtrien ſind nicht mehr, wie das Handwerk, lokal überall und gleich- mäßig angeſiedelt; ſie erblühen in einzelnen Städten, Gegenden, Thälern und Gebirgen, wo ſie günſtige Vorbedingungen finden, und vertreiben von da ihre Waren. Eine lokale Verkehrs- und Abſatzorganiſation iſt auf eine Anzahl Meilen nötig für das Zuſammenwirken von Verlegern und Heimarbeitern, eine ſolche auf Dutzende und Hunderte von Meilen für den Warenvertrieb. Im Mittelpunkt ſitzen die großen Ver- legergeſchäfte mit ihren Comptoiren und Warenlagern; ſie haben teilweiſe bereits techniſche Hülfsanſtalten, um die Produkte fertig machen, färben, appretieren, zuſammen- ſetzen zu laſſen, oft Zweigniederlaſſungen an anderen Orten und Weltteilen. Sie beſtellen oder kaufen oft die Waren nicht bei denen, die ſie herſtellen, ſondern beziehen ſie von kleinen Verlegern, wie in Remſcheid. Oft haben ſie reiſende Commis, oft Annahme- und Abgabeſtellen in den umliegenden Dörfern; oft beſorgen von ihnen abhängige oder ſelbſtändige Faktoren (Fercher), Zwiſchenmeiſter die Vermittlung zwiſchen ihnen und den Heimarbeitern. Dieſe ſind vielfach harte, wucheriſche Perſönlichkeiten geweſen, welche die Heimarbeiter ausbeuteten, ihnen den Rohſtoff zu teuer anrechneten, am Verdienſt oder Lohn ſo viel wie möglich abzogen. Das in den Verlegergeſchäften angelegte Kapital iſt weſentlich umlaufendes: Geldkapital, um die Heimarbeiter zu lohnen und fertige Waren zu kaufen, Rohſtoff, um ihn an die Arbeiter auszugeben. Das Geſchäft iſt ein überwiegend kaufmänniſches, beruht urſprünglich ausſchließlich auf Wareneinkauf und -vertrieb, erzeugt alſo an ſich keine näheren perſönlichen Bande zwiſchen den Kontra- henten, alſo auch keine Verpflichtung dauernder Beſchäftigung, regelmäßiger Abnahme der von den Heimarbeitern hergeſtellten Waren. Wo Zwiſchenglieder vermitteln, kennt der große Verleger die Dutzende oder Hunderte von Heimarbeitern, die er beſchäftigt, gar nicht.
Dennoch haben ſich früher und teilweiſe auch heute noch patriarchaliſche Beziehungen zwiſchen Verleger und Heimarbeiter gebildet, die auf eine möglichſt gleichmäßige Be- ſchäftigung hinwirkten; bis zur Einführung der Gewerbefreiheit haben die ſtaatlichen Reglements und die Staatsverwaltung mit Energie auf dieſes Ziel hingearbeitet. In
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Entſtehung und Weſen der Hausinduſtrie.
noch immer zahlreichen, beſonders auf dem Lande, im Gebirge verbreiteten kleinen
Produzenten, die oft hauſierend durch Familienglieder gewerbliche Produkte an anderen
Orten vertreiben, zur Hausinduſtrie rechnen ſoll, iſt eine untergeordnete Frage. Ihre
Zahl iſt nicht ſehr groß.
Das Weſentliche der Entſtehung dieſer Betriebsform iſt, daß eine alte hergebrachte
Technik und Produktionsweiſe durch Handel und Verkehr einen beſſeren Abſatz erhielt,
daß ein häuslicher oder handwerksmäßiger Körper einen kaufmänniſchen Kopf bekam.
Zwei ſociale Klaſſen, häusliche Produzenten und kaufmänniſche Vermittler ſind auf-
einander angewieſen: hier Kleinmeiſter, Bauern, Weiber und Kinder, vielfach bisher Be-
ſchäftigungsloſe, die ohne viel Kapital, ohne viel Arbeitsteilung mit beſchränktem
Geſichtskreis froh ſind, mit häuslicher, herkömmlicher Technik etwas zu verdienen und
dabei in den gewohnten Lebensgeleiſen zu bleiben; dort kühne Hauſierer, ſpekulative
Fuhrleute, kluge und reichere Meiſter, welche die Produkte ihrer Mitmeiſter aufkaufen
und die Jahrmärkte beziehen, hauptſächlich aber lokale Krämer und Kaufleute aus den
größeren Städten, kurz lauter intelligente und wagende Leute, die mit einem gewiſſen
Kapital, hauptſächlich aber durch ihre Marktkenntnis, ihre Zahlungsfähigkeit, ihren Kredit
und ihre Verbindungen den Abſatz ſchaffen; es ſind Perſönlichkeiten, die man im 17. Jahr-
hundert als die nützlichſten Glieder der Geſellſchaft feiert, welche Tauſenden Nahrung gäben.
Sie machen die großen Gewinne, ſteigen empor, werden reich; ſie heißen Verleger, weil
ſie Vorſchuß, Verlag geben können. Schon weil ſtets zur Verlegerſtellung nur wenige,
zur Stellung des Heimarbeiters ſehr viele brauchbar ſind, zeigen alle Hausinduſtrien
dieſelbe ſociale Struktur, die je nach dem Überfluß der Arbeitskräfte, ihrer Bildung, ihrem
Beſitz, ihrer örtlichen Zerſtreuung, je nach der rechtlichen und ſittlichen Ordnung der
Hausinduſtrie, je nach der Weite und Schroffheit des Abſtandes zwiſchen Verleger und
Heimarbeiter, teils ein Bild glücklicher, ſocialer Organiſation, teils ein ſolches harter,
wucheriſcher Ausbeutung bietet.
Die Hausinduſtrien ſind nicht mehr, wie das Handwerk, lokal überall und gleich-
mäßig angeſiedelt; ſie erblühen in einzelnen Städten, Gegenden, Thälern und Gebirgen,
wo ſie günſtige Vorbedingungen finden, und vertreiben von da ihre Waren. Eine
lokale Verkehrs- und Abſatzorganiſation iſt auf eine Anzahl Meilen nötig für das
Zuſammenwirken von Verlegern und Heimarbeitern, eine ſolche auf Dutzende und
Hunderte von Meilen für den Warenvertrieb. Im Mittelpunkt ſitzen die großen Ver-
legergeſchäfte mit ihren Comptoiren und Warenlagern; ſie haben teilweiſe bereits
techniſche Hülfsanſtalten, um die Produkte fertig machen, färben, appretieren, zuſammen-
ſetzen zu laſſen, oft Zweigniederlaſſungen an anderen Orten und Weltteilen. Sie beſtellen
oder kaufen oft die Waren nicht bei denen, die ſie herſtellen, ſondern beziehen ſie von
kleinen Verlegern, wie in Remſcheid. Oft haben ſie reiſende Commis, oft Annahme-
und Abgabeſtellen in den umliegenden Dörfern; oft beſorgen von ihnen abhängige oder
ſelbſtändige Faktoren (Fercher), Zwiſchenmeiſter die Vermittlung zwiſchen ihnen und
den Heimarbeitern. Dieſe ſind vielfach harte, wucheriſche Perſönlichkeiten geweſen, welche
die Heimarbeiter ausbeuteten, ihnen den Rohſtoff zu teuer anrechneten, am Verdienſt
oder Lohn ſo viel wie möglich abzogen. Das in den Verlegergeſchäften angelegte Kapital
iſt weſentlich umlaufendes: Geldkapital, um die Heimarbeiter zu lohnen und fertige
Waren zu kaufen, Rohſtoff, um ihn an die Arbeiter auszugeben. Das Geſchäft iſt ein
überwiegend kaufmänniſches, beruht urſprünglich ausſchließlich auf Wareneinkauf und
-vertrieb, erzeugt alſo an ſich keine näheren perſönlichen Bande zwiſchen den Kontra-
henten, alſo auch keine Verpflichtung dauernder Beſchäftigung, regelmäßiger Abnahme
der von den Heimarbeitern hergeſtellten Waren. Wo Zwiſchenglieder vermitteln, kennt
der große Verleger die Dutzende oder Hunderte von Heimarbeitern, die er beſchäftigt,
gar nicht.
Dennoch haben ſich früher und teilweiſe auch heute noch patriarchaliſche Beziehungen
zwiſchen Verleger und Heimarbeiter gebildet, die auf eine möglichſt gleichmäßige Be-
ſchäftigung hinwirkten; bis zur Einführung der Gewerbefreiheit haben die ſtaatlichen
Reglements und die Staatsverwaltung mit Energie auf dieſes Ziel hingearbeitet. In
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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/441>, abgerufen am 16.02.2025.
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