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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Der Handel als Keim der Unternehmung. Die ältere Arbeitsgenossenschaft.
schaften und Schwächen der Menschen zu nützen, die Preisdifferenzen zu verfolgen, sich
bezahlen zu lassen in einer Weise, daß auch die Gegengabe wieder Vorteil bringe. Es
ist eine gänzlich andere moralisch-psychologische Atmosphäre, die mit dem Handel ent-
steht, die erst langsam und nach und nach ihre Sitte, ihr Recht, ihre Moral, ihre
socialen Schranken erhielt. Die Auffassung der socialen Beziehungen zu allen ferner
Stehenden unter dem Gesichtswinkel des Gelderwerbes, die damit verbundene Geistes-
thätigkeit und Willensrichtung wird das zunächst rohe, aber unentbehrliche Hülfsmittel,
um nach und nach die ganze Produktion umzugestalten, die Volkswirtschaft und in
weiterer Linie den Welthandel zu schaffen. Diese bestimmte psychologisch-geistige Atmo-
sphäre ist noch heute die Voraussetzung des überwiegenden privatwirtschaftlichen Geschäfts-
getriebes; sie kann, mit moralischen Elementen durchsetzt, nach und nach selbst eine ver-
sittlichte werden. Nur darf man von ihr nicht den Verzicht auch auf den reellen Gewinn
fordern. Wer allen Gewinn als "Profitwut" anklagt und aus der Volkswirtschaft
entfernen will, tötet ihre Seele und muß nachweisen, welch' andere Seele er ihr ein-
zuhauchen im stande sei.

Wie, durch welche Stadien, Einrichtungen, mit Hülfe welcher Anordnungen von
Gemeinde und Staat der Handelsgeist sich nach und nach entwickele, haben wir hier
nicht zu verfolgen. Nur das sei noch betont, daß aller Tausch und aller Handel, so
sehr er der Organisation von Genossenschaften, Sippen, Karawanen, Gemeinden und
Staaten bedarf, doch von Haus aus Sache der Individuen, zuerst der Häuptlinge, oft
der großen Grundbesitzer, dann der Händler ist, und daß naturgemäß die Familien-
glieder, die Sklaven und Diener der Betreffenden zu Gehülfen des Handelsgeschäftes
dabei werden. Dazu braucht der Händler die Fähigkeiten und die Eigenschaften, die
später überhaupt für jeden Unternehmer größerer Geschäfte nötig sind: die Kunst,
Menschen zu behandeln und an sich zu ketten, vielköpfige Anstalten einheitlich zu leiten,
richtig zu befehlen und Gehorsam zu finden.

Haben wir so eine Vorstellung, wie an die Geschäftsseite der Unternehmung,
welche mit dem Handel entsteht, die organisatorische Zusammenfassung mehrerer sich
anschließt, so ist, um sie richtig und ganz zu verstehen, von der Frage auszugehen,
welche Rolle die älteren Formen socialer Organisation dabei gespielt haben, die genossen-
schaftliche, wie sie mit der Sippe, die herrschaftliche, wie sie mit der Familie gegeben war.

Die älteren Gentilverbände, die Sippen haben wir oben (S. 236--239) kennen
gelernt: sie beruhen auf sehr starken Gemeingefühlen, sie fassen in einer Zeit ohne erheb-
lichen individuellen und Familienbesitz je eine größere Zahl Männer zu Kriegs- und
Beutezügen, zu Schiffs- und Hausbau, zu Rodung und Feldgemeinschaft zusammen.
Als Unternehmungen können wir sie nicht bezeichnen, sie wollen keinen Gewinn machen;
aber sie sind Arbeitsgenossenschaften und schulen die Menschen in gemeinsamer Thätigkeit.
In der historischen Zeit der Kulturvölker sind sie meist in Auflösung begriffen oder in
Mark- und Dorfgenossenschaften umgebildet, der wichtigere Teil aller wirtschaftlichen
Arbeit ist jetzt auf die Familien übergegangen. Aber die alten Sitten des gruppen-
weisen Zusammenarbeitens dauern doch in bestimmten Fällen da und dort umfangreich
fort: eine Anzahl Männer jagen und fischen gemeinsam, arbeiten als Flößer und Schiffer
zusammen, brechen Steine, bauen Erzgruben ab, übernehmen Fuhren, arbeiten später als
Träger, Packer, Unterkäufer oder sonst wie gemeinschaftlich. Es handelt sich um lauter
relativ einfache Arbeitsthätigkeiten, die, außerhalb der Hauswirtschaft geübt, das Zusammen-
wirken mehrerer nötig machen. Männer mit einfachen Werkzeugen, gleicher Kraft und
Geschicklichkeit, ohne ausgebildeten Erwerbstrieb, ohne eigentliche Arbeitsteilung, als
Verwandte, Nachbarn, Freunde und durch die Schule der gemeinsamen Arbeit von
einem naiven Gemeinschaftsgefühl beherrscht, treten ohne schriftlichen Vertrag unter
einfachen Formen, z. B. unter Küssung eines Heiligenbildes, unter Trunk aus einem
gemeinsamen Becher zusammen; damit ist der Bund unter den herkömmlichen, jedem
bekannten Bedingungen geschlossen; ein Führer wird gewählt; oft wird für die Zeit
der gemeinsamen Arbeit gemeinsames Mahl gehalten. Eine Kasse, ein gemeinsames
Vermögen, eine Buchführung bestehen meist nicht oder nur in kümmerlichen Anfängen.

Der Handel als Keim der Unternehmung. Die ältere Arbeitsgenoſſenſchaft.
ſchaften und Schwächen der Menſchen zu nützen, die Preisdifferenzen zu verfolgen, ſich
bezahlen zu laſſen in einer Weiſe, daß auch die Gegengabe wieder Vorteil bringe. Es
iſt eine gänzlich andere moraliſch-pſychologiſche Atmoſphäre, die mit dem Handel ent-
ſteht, die erſt langſam und nach und nach ihre Sitte, ihr Recht, ihre Moral, ihre
ſocialen Schranken erhielt. Die Auffaſſung der ſocialen Beziehungen zu allen ferner
Stehenden unter dem Geſichtswinkel des Gelderwerbes, die damit verbundene Geiſtes-
thätigkeit und Willensrichtung wird das zunächſt rohe, aber unentbehrliche Hülfsmittel,
um nach und nach die ganze Produktion umzugeſtalten, die Volkswirtſchaft und in
weiterer Linie den Welthandel zu ſchaffen. Dieſe beſtimmte pſychologiſch-geiſtige Atmo-
ſphäre iſt noch heute die Vorausſetzung des überwiegenden privatwirtſchaftlichen Geſchäfts-
getriebes; ſie kann, mit moraliſchen Elementen durchſetzt, nach und nach ſelbſt eine ver-
ſittlichte werden. Nur darf man von ihr nicht den Verzicht auch auf den reellen Gewinn
fordern. Wer allen Gewinn als „Profitwut“ anklagt und aus der Volkswirtſchaft
entfernen will, tötet ihre Seele und muß nachweiſen, welch’ andere Seele er ihr ein-
zuhauchen im ſtande ſei.

Wie, durch welche Stadien, Einrichtungen, mit Hülfe welcher Anordnungen von
Gemeinde und Staat der Handelsgeiſt ſich nach und nach entwickele, haben wir hier
nicht zu verfolgen. Nur das ſei noch betont, daß aller Tauſch und aller Handel, ſo
ſehr er der Organiſation von Genoſſenſchaften, Sippen, Karawanen, Gemeinden und
Staaten bedarf, doch von Haus aus Sache der Individuen, zuerſt der Häuptlinge, oft
der großen Grundbeſitzer, dann der Händler iſt, und daß naturgemäß die Familien-
glieder, die Sklaven und Diener der Betreffenden zu Gehülfen des Handelsgeſchäftes
dabei werden. Dazu braucht der Händler die Fähigkeiten und die Eigenſchaften, die
ſpäter überhaupt für jeden Unternehmer größerer Geſchäfte nötig ſind: die Kunſt,
Menſchen zu behandeln und an ſich zu ketten, vielköpfige Anſtalten einheitlich zu leiten,
richtig zu befehlen und Gehorſam zu finden.

Haben wir ſo eine Vorſtellung, wie an die Geſchäftsſeite der Unternehmung,
welche mit dem Handel entſteht, die organiſatoriſche Zuſammenfaſſung mehrerer ſich
anſchließt, ſo iſt, um ſie richtig und ganz zu verſtehen, von der Frage auszugehen,
welche Rolle die älteren Formen ſocialer Organiſation dabei geſpielt haben, die genoſſen-
ſchaftliche, wie ſie mit der Sippe, die herrſchaftliche, wie ſie mit der Familie gegeben war.

Die älteren Gentilverbände, die Sippen haben wir oben (S. 236—239) kennen
gelernt: ſie beruhen auf ſehr ſtarken Gemeingefühlen, ſie faſſen in einer Zeit ohne erheb-
lichen individuellen und Familienbeſitz je eine größere Zahl Männer zu Kriegs- und
Beutezügen, zu Schiffs- und Hausbau, zu Rodung und Feldgemeinſchaft zuſammen.
Als Unternehmungen können wir ſie nicht bezeichnen, ſie wollen keinen Gewinn machen;
aber ſie ſind Arbeitsgenoſſenſchaften und ſchulen die Menſchen in gemeinſamer Thätigkeit.
In der hiſtoriſchen Zeit der Kulturvölker ſind ſie meiſt in Auflöſung begriffen oder in
Mark- und Dorfgenoſſenſchaften umgebildet, der wichtigere Teil aller wirtſchaftlichen
Arbeit iſt jetzt auf die Familien übergegangen. Aber die alten Sitten des gruppen-
weiſen Zuſammenarbeitens dauern doch in beſtimmten Fällen da und dort umfangreich
fort: eine Anzahl Männer jagen und fiſchen gemeinſam, arbeiten als Flößer und Schiffer
zuſammen, brechen Steine, bauen Erzgruben ab, übernehmen Fuhren, arbeiten ſpäter als
Träger, Packer, Unterkäufer oder ſonſt wie gemeinſchaftlich. Es handelt ſich um lauter
relativ einfache Arbeitsthätigkeiten, die, außerhalb der Hauswirtſchaft geübt, das Zuſammen-
wirken mehrerer nötig machen. Männer mit einfachen Werkzeugen, gleicher Kraft und
Geſchicklichkeit, ohne ausgebildeten Erwerbstrieb, ohne eigentliche Arbeitsteilung, als
Verwandte, Nachbarn, Freunde und durch die Schule der gemeinſamen Arbeit von
einem naiven Gemeinſchaftsgefühl beherrſcht, treten ohne ſchriftlichen Vertrag unter
einfachen Formen, z. B. unter Küſſung eines Heiligenbildes, unter Trunk aus einem
gemeinſamen Becher zuſammen; damit iſt der Bund unter den herkömmlichen, jedem
bekannten Bedingungen geſchloſſen; ein Führer wird gewählt; oft wird für die Zeit
der gemeinſamen Arbeit gemeinſames Mahl gehalten. Eine Kaſſe, ein gemeinſames
Vermögen, eine Buchführung beſtehen meiſt nicht oder nur in kümmerlichen Anfängen.

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[415/0431] Der Handel als Keim der Unternehmung. Die ältere Arbeitsgenoſſenſchaft. ſchaften und Schwächen der Menſchen zu nützen, die Preisdifferenzen zu verfolgen, ſich bezahlen zu laſſen in einer Weiſe, daß auch die Gegengabe wieder Vorteil bringe. Es iſt eine gänzlich andere moraliſch-pſychologiſche Atmoſphäre, die mit dem Handel ent- ſteht, die erſt langſam und nach und nach ihre Sitte, ihr Recht, ihre Moral, ihre ſocialen Schranken erhielt. Die Auffaſſung der ſocialen Beziehungen zu allen ferner Stehenden unter dem Geſichtswinkel des Gelderwerbes, die damit verbundene Geiſtes- thätigkeit und Willensrichtung wird das zunächſt rohe, aber unentbehrliche Hülfsmittel, um nach und nach die ganze Produktion umzugeſtalten, die Volkswirtſchaft und in weiterer Linie den Welthandel zu ſchaffen. Dieſe beſtimmte pſychologiſch-geiſtige Atmo- ſphäre iſt noch heute die Vorausſetzung des überwiegenden privatwirtſchaftlichen Geſchäfts- getriebes; ſie kann, mit moraliſchen Elementen durchſetzt, nach und nach ſelbſt eine ver- ſittlichte werden. Nur darf man von ihr nicht den Verzicht auch auf den reellen Gewinn fordern. Wer allen Gewinn als „Profitwut“ anklagt und aus der Volkswirtſchaft entfernen will, tötet ihre Seele und muß nachweiſen, welch’ andere Seele er ihr ein- zuhauchen im ſtande ſei. Wie, durch welche Stadien, Einrichtungen, mit Hülfe welcher Anordnungen von Gemeinde und Staat der Handelsgeiſt ſich nach und nach entwickele, haben wir hier nicht zu verfolgen. Nur das ſei noch betont, daß aller Tauſch und aller Handel, ſo ſehr er der Organiſation von Genoſſenſchaften, Sippen, Karawanen, Gemeinden und Staaten bedarf, doch von Haus aus Sache der Individuen, zuerſt der Häuptlinge, oft der großen Grundbeſitzer, dann der Händler iſt, und daß naturgemäß die Familien- glieder, die Sklaven und Diener der Betreffenden zu Gehülfen des Handelsgeſchäftes dabei werden. Dazu braucht der Händler die Fähigkeiten und die Eigenſchaften, die ſpäter überhaupt für jeden Unternehmer größerer Geſchäfte nötig ſind: die Kunſt, Menſchen zu behandeln und an ſich zu ketten, vielköpfige Anſtalten einheitlich zu leiten, richtig zu befehlen und Gehorſam zu finden. Haben wir ſo eine Vorſtellung, wie an die Geſchäftsſeite der Unternehmung, welche mit dem Handel entſteht, die organiſatoriſche Zuſammenfaſſung mehrerer ſich anſchließt, ſo iſt, um ſie richtig und ganz zu verſtehen, von der Frage auszugehen, welche Rolle die älteren Formen ſocialer Organiſation dabei geſpielt haben, die genoſſen- ſchaftliche, wie ſie mit der Sippe, die herrſchaftliche, wie ſie mit der Familie gegeben war. Die älteren Gentilverbände, die Sippen haben wir oben (S. 236—239) kennen gelernt: ſie beruhen auf ſehr ſtarken Gemeingefühlen, ſie faſſen in einer Zeit ohne erheb- lichen individuellen und Familienbeſitz je eine größere Zahl Männer zu Kriegs- und Beutezügen, zu Schiffs- und Hausbau, zu Rodung und Feldgemeinſchaft zuſammen. Als Unternehmungen können wir ſie nicht bezeichnen, ſie wollen keinen Gewinn machen; aber ſie ſind Arbeitsgenoſſenſchaften und ſchulen die Menſchen in gemeinſamer Thätigkeit. In der hiſtoriſchen Zeit der Kulturvölker ſind ſie meiſt in Auflöſung begriffen oder in Mark- und Dorfgenoſſenſchaften umgebildet, der wichtigere Teil aller wirtſchaftlichen Arbeit iſt jetzt auf die Familien übergegangen. Aber die alten Sitten des gruppen- weiſen Zuſammenarbeitens dauern doch in beſtimmten Fällen da und dort umfangreich fort: eine Anzahl Männer jagen und fiſchen gemeinſam, arbeiten als Flößer und Schiffer zuſammen, brechen Steine, bauen Erzgruben ab, übernehmen Fuhren, arbeiten ſpäter als Träger, Packer, Unterkäufer oder ſonſt wie gemeinſchaftlich. Es handelt ſich um lauter relativ einfache Arbeitsthätigkeiten, die, außerhalb der Hauswirtſchaft geübt, das Zuſammen- wirken mehrerer nötig machen. Männer mit einfachen Werkzeugen, gleicher Kraft und Geſchicklichkeit, ohne ausgebildeten Erwerbstrieb, ohne eigentliche Arbeitsteilung, als Verwandte, Nachbarn, Freunde und durch die Schule der gemeinſamen Arbeit von einem naiven Gemeinſchaftsgefühl beherrſcht, treten ohne ſchriftlichen Vertrag unter einfachen Formen, z. B. unter Küſſung eines Heiligenbildes, unter Trunk aus einem gemeinſamen Becher zuſammen; damit iſt der Bund unter den herkömmlichen, jedem bekannten Bedingungen geſchloſſen; ein Führer wird gewählt; oft wird für die Zeit der gemeinſamen Arbeit gemeinſames Mahl gehalten. Eine Kaſſe, ein gemeinſames Vermögen, eine Buchführung beſtehen meiſt nicht oder nur in kümmerlichen Anfängen.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/431>, abgerufen am 22.11.2024.