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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft.
eines bestimmten Handels oder einer bestimmten specialisierten Produktion von Waren
zu einer selbständigen Anstalt mit bestimmter Verfassung, mit eigenem Lebensinteresse
wird. Nur in den späteren Stadien der antiken und in den letzten Jahrhunderten der
europäischen und der von ihr abhängigen kolonialen Kultur haben sich diese Unter-
nehmungen voll und ganz ausgebildet, während vorher nur Ansätze dazu, hauptsächlich
in den Handelsgeschäften, dann auch im Handwerk, in gewissen landwirtschaftlichen
Betrieben vorhanden waren und ähnlich noch heute in allen Ländern niedriger oder
halbentwickelter Kultur nur solche Anfänge der Unternehmung bestehen.

Es ist daher begreiflich, daß erst die beginnende Volkswirtschaftslehre des 18. Jahr-
hunderts von einem Unternehmer sprach, daß sie in ihrer Richtung auf Untersuchung
der Einkommensverteilung wesentlich die Frage erörterte, welche Natur der Unternehmer-
gewinn habe. Die Engländer sahen in ihm wesentlich einen Kapitalgewinn, identifizierten
ihn vielfach mit der Kapitalrente; die Franzosen sahen in ihm eine Art Arbeitslohn. Die
Deutschen begannen ihn als eine selbständige Einkommensart aufzufassen. Nachdem der
Socialismus gegen das Wesen der Unternehmung, als der Organisationsform, welche
den innersten Kern, den Pol der heutigen Volkswirtschaft ausmache, welche aus dem
Dienste der Gesamtheit private Gewinne für die Leiter herausschlage, seine heftigen
Angriffe gerichtet hatte, konnte die Wissenschaft nicht mehr bei der Frage stehen bleiben,
ob der Unternehmergewinn unter diese oder jene privatrechtliche oder wirtschaftliche
Kategorie falle; sie mußte beginnen, die verschiedenen Arten der Unternehmung zu
beschreiben, sie psychologisch und historisch, technisch und wirtschaftlich aus ihren Ursachen
zu erklären, um so zu einem abschließenden Urteil über ihr Wesen, ihre Entwickelung
und Berechtigung zu kommen, sie im Zusammenhang der ganzen socialen und gesell-
schaftlichen Organisationsfragen zu begreifen. --

Wir werfen zuerst einen Blick auf die Ausgangspunkte, aus denen heraus die
Unternehmung sich historisch entwickeln konnte: Wo Handel und Verkehr Platz greifen,
Nomaden und Schiffer auf Beute und Gewinn ausziehen, Märkte entstehen, da bildet
sich mit dem Tausch, mit der Erkenntnis der großen örtlichen Preisdifferenzen, mit der
Erspähung der verschiedenen Bedürfnisse da und dort der Sinn für den Handelsgewinn;
er ist der psychologische Keim der Geschäftsseite aller Unternehmung.

In die Wirtschaftsführung der Menschen und Familien kommt damit ein neues
anderes Element; der bisher ausschließlich auf die Hauswirtschaft gerichtete Sinn, der
nur Vorräte für den Gebrauch, nur ihre Herrichtung für den eigenen Bedarf kannte,
greift jetzt über diesen Kreis hinaus; er will erwerben, erbeuten, einkaufen, um fremden
Menschen die Ware zuzuführen, und damit einen Gewinn machen. Dazu gehört Welt-
und Menschenkenntnis, wagender Mut, rechnender Verstand, (vergl. oben S. 335). Die
bisher nur mit Familien und Stammesgenossen freundlich, mit Fremden feindlich
Verkehrenden kommen nun beim Tausch und Handel mit Fremden und bald auch mit
den Stammesgenossen in jene den Tauschverkehr charakterisierende Berührung, die
einerseits Sympathie und Rücksichtnahme zurücktreten läßt, andererseits den Verzicht
auf Tötung und Beraubung nach und nach fordert: man macht ein Geschäft, man hat
eine persönlich gleichgültige Berührung; Käufer und Verkäufer stehen sich gleichsam in
abstrakter Ferne gegenüber, ohne daß nähere sittliche Bande aus dem Geschäft entstehen,
wie sie bisher innerhalb der Familie, der Gens, des Stammes alle wirtschaftliche
Berührung begleitet hatten. Nur der lockende Gewinn, der sich dem Egoismus, dem
Erwerbstrieb darbietet, konnte den Umweg bilden, auf dem Fremde in andere als feindliche
Berührung kamen, einander dienstbar wurden. Aber die Art, wie sie sich dienstbar
wurden, wie sie in immer größerer Zahl vorübergehend, flüchtig, ohne näheres Kennen-
lernen, ohne dauernde Beziehung durch Tausch und Verkehr sich berührten, schloß auch
das engere Verbundensein, die weitergehenden gegenseitigen Pflichten aus, wie sie in
den engeren gesellschaftlichen Verbänden bisher gefordert wurden; Übervorteilung,
Täuschung, Bewucherung, ja unter Umständen List und Gewalt galt lange im Handel
als erlaubt. Sein Zweck ist nicht, einen Freund, einen Verwandten zu versorgen, sondern
einen Gewinn, ein rentierendes Geschäft zu machen, das Kapital einzusetzen, die Leiden-

Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
eines beſtimmten Handels oder einer beſtimmten ſpecialiſierten Produktion von Waren
zu einer ſelbſtändigen Anſtalt mit beſtimmter Verfaſſung, mit eigenem Lebensintereſſe
wird. Nur in den ſpäteren Stadien der antiken und in den letzten Jahrhunderten der
europäiſchen und der von ihr abhängigen kolonialen Kultur haben ſich dieſe Unter-
nehmungen voll und ganz ausgebildet, während vorher nur Anſätze dazu, hauptſächlich
in den Handelsgeſchäften, dann auch im Handwerk, in gewiſſen landwirtſchaftlichen
Betrieben vorhanden waren und ähnlich noch heute in allen Ländern niedriger oder
halbentwickelter Kultur nur ſolche Anfänge der Unternehmung beſtehen.

Es iſt daher begreiflich, daß erſt die beginnende Volkswirtſchaftslehre des 18. Jahr-
hunderts von einem Unternehmer ſprach, daß ſie in ihrer Richtung auf Unterſuchung
der Einkommensverteilung weſentlich die Frage erörterte, welche Natur der Unternehmer-
gewinn habe. Die Engländer ſahen in ihm weſentlich einen Kapitalgewinn, identifizierten
ihn vielfach mit der Kapitalrente; die Franzoſen ſahen in ihm eine Art Arbeitslohn. Die
Deutſchen begannen ihn als eine ſelbſtändige Einkommensart aufzufaſſen. Nachdem der
Socialismus gegen das Weſen der Unternehmung, als der Organiſationsform, welche
den innerſten Kern, den Pol der heutigen Volkswirtſchaft ausmache, welche aus dem
Dienſte der Geſamtheit private Gewinne für die Leiter herausſchlage, ſeine heftigen
Angriffe gerichtet hatte, konnte die Wiſſenſchaft nicht mehr bei der Frage ſtehen bleiben,
ob der Unternehmergewinn unter dieſe oder jene privatrechtliche oder wirtſchaftliche
Kategorie falle; ſie mußte beginnen, die verſchiedenen Arten der Unternehmung zu
beſchreiben, ſie pſychologiſch und hiſtoriſch, techniſch und wirtſchaftlich aus ihren Urſachen
zu erklären, um ſo zu einem abſchließenden Urteil über ihr Weſen, ihre Entwickelung
und Berechtigung zu kommen, ſie im Zuſammenhang der ganzen ſocialen und geſell-
ſchaftlichen Organiſationsfragen zu begreifen. —

Wir werfen zuerſt einen Blick auf die Ausgangspunkte, aus denen heraus die
Unternehmung ſich hiſtoriſch entwickeln konnte: Wo Handel und Verkehr Platz greifen,
Nomaden und Schiffer auf Beute und Gewinn ausziehen, Märkte entſtehen, da bildet
ſich mit dem Tauſch, mit der Erkenntnis der großen örtlichen Preisdifferenzen, mit der
Erſpähung der verſchiedenen Bedürfniſſe da und dort der Sinn für den Handelsgewinn;
er iſt der pſychologiſche Keim der Geſchäftsſeite aller Unternehmung.

In die Wirtſchaftsführung der Menſchen und Familien kommt damit ein neues
anderes Element; der bisher ausſchließlich auf die Hauswirtſchaft gerichtete Sinn, der
nur Vorräte für den Gebrauch, nur ihre Herrichtung für den eigenen Bedarf kannte,
greift jetzt über dieſen Kreis hinaus; er will erwerben, erbeuten, einkaufen, um fremden
Menſchen die Ware zuzuführen, und damit einen Gewinn machen. Dazu gehört Welt-
und Menſchenkenntnis, wagender Mut, rechnender Verſtand, (vergl. oben S. 335). Die
bisher nur mit Familien und Stammesgenoſſen freundlich, mit Fremden feindlich
Verkehrenden kommen nun beim Tauſch und Handel mit Fremden und bald auch mit
den Stammesgenoſſen in jene den Tauſchverkehr charakteriſierende Berührung, die
einerſeits Sympathie und Rückſichtnahme zurücktreten läßt, andererſeits den Verzicht
auf Tötung und Beraubung nach und nach fordert: man macht ein Geſchäft, man hat
eine perſönlich gleichgültige Berührung; Käufer und Verkäufer ſtehen ſich gleichſam in
abſtrakter Ferne gegenüber, ohne daß nähere ſittliche Bande aus dem Geſchäft entſtehen,
wie ſie bisher innerhalb der Familie, der Gens, des Stammes alle wirtſchaftliche
Berührung begleitet hatten. Nur der lockende Gewinn, der ſich dem Egoismus, dem
Erwerbstrieb darbietet, konnte den Umweg bilden, auf dem Fremde in andere als feindliche
Berührung kamen, einander dienſtbar wurden. Aber die Art, wie ſie ſich dienſtbar
wurden, wie ſie in immer größerer Zahl vorübergehend, flüchtig, ohne näheres Kennen-
lernen, ohne dauernde Beziehung durch Tauſch und Verkehr ſich berührten, ſchloß auch
das engere Verbundenſein, die weitergehenden gegenſeitigen Pflichten aus, wie ſie in
den engeren geſellſchaftlichen Verbänden bisher gefordert wurden; Übervorteilung,
Täuſchung, Bewucherung, ja unter Umſtänden Liſt und Gewalt galt lange im Handel
als erlaubt. Sein Zweck iſt nicht, einen Freund, einen Verwandten zu verſorgen, ſondern
einen Gewinn, ein rentierendes Geſchäft zu machen, das Kapital einzuſetzen, die Leiden-

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[414/0430] Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. eines beſtimmten Handels oder einer beſtimmten ſpecialiſierten Produktion von Waren zu einer ſelbſtändigen Anſtalt mit beſtimmter Verfaſſung, mit eigenem Lebensintereſſe wird. Nur in den ſpäteren Stadien der antiken und in den letzten Jahrhunderten der europäiſchen und der von ihr abhängigen kolonialen Kultur haben ſich dieſe Unter- nehmungen voll und ganz ausgebildet, während vorher nur Anſätze dazu, hauptſächlich in den Handelsgeſchäften, dann auch im Handwerk, in gewiſſen landwirtſchaftlichen Betrieben vorhanden waren und ähnlich noch heute in allen Ländern niedriger oder halbentwickelter Kultur nur ſolche Anfänge der Unternehmung beſtehen. Es iſt daher begreiflich, daß erſt die beginnende Volkswirtſchaftslehre des 18. Jahr- hunderts von einem Unternehmer ſprach, daß ſie in ihrer Richtung auf Unterſuchung der Einkommensverteilung weſentlich die Frage erörterte, welche Natur der Unternehmer- gewinn habe. Die Engländer ſahen in ihm weſentlich einen Kapitalgewinn, identifizierten ihn vielfach mit der Kapitalrente; die Franzoſen ſahen in ihm eine Art Arbeitslohn. Die Deutſchen begannen ihn als eine ſelbſtändige Einkommensart aufzufaſſen. Nachdem der Socialismus gegen das Weſen der Unternehmung, als der Organiſationsform, welche den innerſten Kern, den Pol der heutigen Volkswirtſchaft ausmache, welche aus dem Dienſte der Geſamtheit private Gewinne für die Leiter herausſchlage, ſeine heftigen Angriffe gerichtet hatte, konnte die Wiſſenſchaft nicht mehr bei der Frage ſtehen bleiben, ob der Unternehmergewinn unter dieſe oder jene privatrechtliche oder wirtſchaftliche Kategorie falle; ſie mußte beginnen, die verſchiedenen Arten der Unternehmung zu beſchreiben, ſie pſychologiſch und hiſtoriſch, techniſch und wirtſchaftlich aus ihren Urſachen zu erklären, um ſo zu einem abſchließenden Urteil über ihr Weſen, ihre Entwickelung und Berechtigung zu kommen, ſie im Zuſammenhang der ganzen ſocialen und geſell- ſchaftlichen Organiſationsfragen zu begreifen. — Wir werfen zuerſt einen Blick auf die Ausgangspunkte, aus denen heraus die Unternehmung ſich hiſtoriſch entwickeln konnte: Wo Handel und Verkehr Platz greifen, Nomaden und Schiffer auf Beute und Gewinn ausziehen, Märkte entſtehen, da bildet ſich mit dem Tauſch, mit der Erkenntnis der großen örtlichen Preisdifferenzen, mit der Erſpähung der verſchiedenen Bedürfniſſe da und dort der Sinn für den Handelsgewinn; er iſt der pſychologiſche Keim der Geſchäftsſeite aller Unternehmung. In die Wirtſchaftsführung der Menſchen und Familien kommt damit ein neues anderes Element; der bisher ausſchließlich auf die Hauswirtſchaft gerichtete Sinn, der nur Vorräte für den Gebrauch, nur ihre Herrichtung für den eigenen Bedarf kannte, greift jetzt über dieſen Kreis hinaus; er will erwerben, erbeuten, einkaufen, um fremden Menſchen die Ware zuzuführen, und damit einen Gewinn machen. Dazu gehört Welt- und Menſchenkenntnis, wagender Mut, rechnender Verſtand, (vergl. oben S. 335). Die bisher nur mit Familien und Stammesgenoſſen freundlich, mit Fremden feindlich Verkehrenden kommen nun beim Tauſch und Handel mit Fremden und bald auch mit den Stammesgenoſſen in jene den Tauſchverkehr charakteriſierende Berührung, die einerſeits Sympathie und Rückſichtnahme zurücktreten läßt, andererſeits den Verzicht auf Tötung und Beraubung nach und nach fordert: man macht ein Geſchäft, man hat eine perſönlich gleichgültige Berührung; Käufer und Verkäufer ſtehen ſich gleichſam in abſtrakter Ferne gegenüber, ohne daß nähere ſittliche Bande aus dem Geſchäft entſtehen, wie ſie bisher innerhalb der Familie, der Gens, des Stammes alle wirtſchaftliche Berührung begleitet hatten. Nur der lockende Gewinn, der ſich dem Egoismus, dem Erwerbstrieb darbietet, konnte den Umweg bilden, auf dem Fremde in andere als feindliche Berührung kamen, einander dienſtbar wurden. Aber die Art, wie ſie ſich dienſtbar wurden, wie ſie in immer größerer Zahl vorübergehend, flüchtig, ohne näheres Kennen- lernen, ohne dauernde Beziehung durch Tauſch und Verkehr ſich berührten, ſchloß auch das engere Verbundenſein, die weitergehenden gegenſeitigen Pflichten aus, wie ſie in den engeren geſellſchaftlichen Verbänden bisher gefordert wurden; Übervorteilung, Täuſchung, Bewucherung, ja unter Umſtänden Liſt und Gewalt galt lange im Handel als erlaubt. Sein Zweck iſt nicht, einen Freund, einen Verwandten zu verſorgen, ſondern einen Gewinn, ein rentierendes Geſchäft zu machen, das Kapital einzuſetzen, die Leiden-

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/430>, abgerufen am 25.11.2024.