Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft.
zünfte durch ihre örtlichen Markt-, Gerichts- und Polizeibefugnisse, durch die Konkurrenz-
regulierung, die in ihren Händen lag.

Die Innungen sind städtische Genossenschaften, welche die Gewerbetreibenden einer
bestimmten Art umfassen. Teils aus hofrechtlichen, von großen Grundherren für ihre
Zwecke geordneten Verbänden und Ämtern, teils aus geistlichen Bruderschaften und
teils aus freien Einungen hervorgehend, im Norden da und dort aus den Gilden aller
am Markt Beteiligten als Teile ausgeschieden oder sich loslösend, wurden sie 1100 bis
1300 oftmals unterdrückt, aber immer wieder geduldet, zuletzt von Fürsten und Stadt-
räten anerkannt; sie erstarkten schon 1300--1400 so, daß sie in der Zunftrevolution
nach dem Ratsstuhl greifen konnten, wurden aber von 1400 an meist wieder strenge
dem städtischen Rate untergeordnet. Von 1400--1600 bildete sich in Deutschland
wenigstens erst das Innungsrecht im einzelnen aus, dehnte sich von einigen wenigen
auf die Mehrzahl der besetzteren Gewerbe, ja auf alle möglichen sonstigen Schichten der
Gesellschaft, wie Spielleute, Soldaten etc. aus. Die Innungen wurden in dieser Epoche
ebenso sehr städtische Selbstverwaltungskörper, dem Rate untergeordnete, zu Steuer-,
Verwaltungs-, Wahl-, Militärzwecken gebrauchte Teilgemeinden, wie sie Vereine Gewerbe-
treibender waren, die unter bestimmten sittlichen, technischen, rechtlichen, auch Vermögens-
bedingungen Gesellen aufnahmen und für ihre Mitglieder das ausschließliche Recht des
Gewerbebetriebes in ihrem Fache und im Stadtbezirk beanspruchten, da und dort auch
wohl sich erblich abschlossen, ihre Wirtschaftsinteressen gemeinsam verfolgten, als Unter-
stützungsvereine und Censurbehörden, sowie im Auftrage des Rates als Gewerbepolizei-
und Gewerbegerichtsbehörden wirkten.

Eine ähnliche genossenschaftliche Verfassung bildeten die Gesellen von 1400 an aus.
Von 1500 an traten durch den zunehmenden Verkehr die einzelstädtischen Innungen,
wie die Gesellenbruderschaften immer mehr zu provinziellen, ja nationalen Bünden
zusammen, bis diese im 18. Jahrhundert mehr oder weniger unterdrückt wurden. Die
monopolistischen Mißbräuche der einzelnen Innungen und Gesellenbruderschaften erzeugten
vom 16. und 17. Jahrhundert an eine gegen sie gerichtete Landes- und Reichsgesetz-
gebung, welche zuerst sich bemühte, dieselben in eine staatliche Gewerbepolizeiinstitution
zu verwandeln, und sie dann zuletzt ganz beseitigte oder zur Bedeutungslosigkeit herab-
drückte. Es geschah dies von 1600--1869 in den meisten europäischen Staaten unter
der Einwirkung der modernen Geldwirtschaft, der modernen Staatsbildung, des freien
inneren staatlichen Marktes, der interlokalen Arbeitsteilung, der neuen Betriebsformen;
vor allem aber war es die individualistische, mit der Staatsautorität verbündete
Gedankenwelt des 18. Jahrhunderts, welche auf volkswirtschaftlichem und socialem
Gebiete nur noch den Staat und das Individuum dulden wollte. Der leidenschaftliche
Kampf gegen alles Ständewesen und alle ständischen Korporationen und Vereine war
das Thor, durch welches der moderne Rechtsstaat allein seinen Einzug halten konnte.

136. Die neuere sociale Gliederung nach Aufhebung der Erblich-
lichkeit und der ständischen Rechtsschranken der Berufe. Das Recht
der Vereinsbildung
. Wir können sagen, die überwuchernde Blüte und Vollkraft
der bündischen korporativen Organisation der socialen Klassen, des Ständetums und die
erbliche Übertragung von Beruf und Ständerecht gehören den Epochen der Geschichte
an, in welchen die alte Gentilverfassung sich auflöst, die bloße Kanton- und Stadt-
gemeindeverfassung die geschiedenen Klasseninteressen nicht mehr befriedigen kann, und der
centralisierte starke Rechtsstaat, der sie notwendig in gewisse Schranken zurückweist, noch
nicht aufgerichtet ist oder wieder aufgelöst war. Die ständische korporative Organisation
der Klassen, der Priester und Krieger, der Kaufleute und Handwerker, der Bauern und
gewisser höher stehender Arbeiter, z. B. der Berg- und Salinenarbeiter, der Matrosen etc.
hat ebenso viele glänzende und segensreiche Blüten erzeugt wie durch engherzigen Klassen-
egoismus geschadet, zu Revolutionen und vergiftenden Kämpfen Anlaß gegeben.

Was ursprünglich natürlich gewesen war, die Erblichkeit der Berufe, wurde nach
und nach durch Sitte und Recht, durch Privilegium und Exklusivität ein Unrecht und
eine unerträgliche Härte; sie hielt Leute in Berufen fest, zu denen sie nicht paßten; sie

Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
zünfte durch ihre örtlichen Markt-, Gerichts- und Polizeibefugniſſe, durch die Konkurrenz-
regulierung, die in ihren Händen lag.

Die Innungen ſind ſtädtiſche Genoſſenſchaften, welche die Gewerbetreibenden einer
beſtimmten Art umfaſſen. Teils aus hofrechtlichen, von großen Grundherren für ihre
Zwecke geordneten Verbänden und Ämtern, teils aus geiſtlichen Bruderſchaften und
teils aus freien Einungen hervorgehend, im Norden da und dort aus den Gilden aller
am Markt Beteiligten als Teile ausgeſchieden oder ſich loslöſend, wurden ſie 1100 bis
1300 oftmals unterdrückt, aber immer wieder geduldet, zuletzt von Fürſten und Stadt-
räten anerkannt; ſie erſtarkten ſchon 1300—1400 ſo, daß ſie in der Zunftrevolution
nach dem Ratsſtuhl greifen konnten, wurden aber von 1400 an meiſt wieder ſtrenge
dem ſtädtiſchen Rate untergeordnet. Von 1400—1600 bildete ſich in Deutſchland
wenigſtens erſt das Innungsrecht im einzelnen aus, dehnte ſich von einigen wenigen
auf die Mehrzahl der beſetzteren Gewerbe, ja auf alle möglichen ſonſtigen Schichten der
Geſellſchaft, wie Spielleute, Soldaten ꝛc. aus. Die Innungen wurden in dieſer Epoche
ebenſo ſehr ſtädtiſche Selbſtverwaltungskörper, dem Rate untergeordnete, zu Steuer-,
Verwaltungs-, Wahl-, Militärzwecken gebrauchte Teilgemeinden, wie ſie Vereine Gewerbe-
treibender waren, die unter beſtimmten ſittlichen, techniſchen, rechtlichen, auch Vermögens-
bedingungen Geſellen aufnahmen und für ihre Mitglieder das ausſchließliche Recht des
Gewerbebetriebes in ihrem Fache und im Stadtbezirk beanſpruchten, da und dort auch
wohl ſich erblich abſchloſſen, ihre Wirtſchaftsintereſſen gemeinſam verfolgten, als Unter-
ſtützungsvereine und Cenſurbehörden, ſowie im Auftrage des Rates als Gewerbepolizei-
und Gewerbegerichtsbehörden wirkten.

Eine ähnliche genoſſenſchaftliche Verfaſſung bildeten die Geſellen von 1400 an aus.
Von 1500 an traten durch den zunehmenden Verkehr die einzelſtädtiſchen Innungen,
wie die Geſellenbruderſchaften immer mehr zu provinziellen, ja nationalen Bünden
zuſammen, bis dieſe im 18. Jahrhundert mehr oder weniger unterdrückt wurden. Die
monopoliſtiſchen Mißbräuche der einzelnen Innungen und Geſellenbruderſchaften erzeugten
vom 16. und 17. Jahrhundert an eine gegen ſie gerichtete Landes- und Reichsgeſetz-
gebung, welche zuerſt ſich bemühte, dieſelben in eine ſtaatliche Gewerbepolizeiinſtitution
zu verwandeln, und ſie dann zuletzt ganz beſeitigte oder zur Bedeutungsloſigkeit herab-
drückte. Es geſchah dies von 1600—1869 in den meiſten europäiſchen Staaten unter
der Einwirkung der modernen Geldwirtſchaft, der modernen Staatsbildung, des freien
inneren ſtaatlichen Marktes, der interlokalen Arbeitsteilung, der neuen Betriebsformen;
vor allem aber war es die individualiſtiſche, mit der Staatsautorität verbündete
Gedankenwelt des 18. Jahrhunderts, welche auf volkswirtſchaftlichem und ſocialem
Gebiete nur noch den Staat und das Individuum dulden wollte. Der leidenſchaftliche
Kampf gegen alles Ständeweſen und alle ſtändiſchen Korporationen und Vereine war
das Thor, durch welches der moderne Rechtsſtaat allein ſeinen Einzug halten konnte.

136. Die neuere ſociale Gliederung nach Aufhebung der Erblich-
lichkeit und der ſtändiſchen Rechtsſchranken der Berufe. Das Recht
der Vereinsbildung
. Wir können ſagen, die überwuchernde Blüte und Vollkraft
der bündiſchen korporativen Organiſation der ſocialen Klaſſen, des Ständetums und die
erbliche Übertragung von Beruf und Ständerecht gehören den Epochen der Geſchichte
an, in welchen die alte Gentilverfaſſung ſich auflöſt, die bloße Kanton- und Stadt-
gemeindeverfaſſung die geſchiedenen Klaſſenintereſſen nicht mehr befriedigen kann, und der
centraliſierte ſtarke Rechtsſtaat, der ſie notwendig in gewiſſe Schranken zurückweiſt, noch
nicht aufgerichtet iſt oder wieder aufgelöſt war. Die ſtändiſche korporative Organiſation
der Klaſſen, der Prieſter und Krieger, der Kaufleute und Handwerker, der Bauern und
gewiſſer höher ſtehender Arbeiter, z. B. der Berg- und Salinenarbeiter, der Matroſen ꝛc.
hat ebenſo viele glänzende und ſegensreiche Blüten erzeugt wie durch engherzigen Klaſſen-
egoismus geſchadet, zu Revolutionen und vergiftenden Kämpfen Anlaß gegeben.

Was urſprünglich natürlich geweſen war, die Erblichkeit der Berufe, wurde nach
und nach durch Sitte und Recht, durch Privilegium und Exkluſivität ein Unrecht und
eine unerträgliche Härte; ſie hielt Leute in Berufen feſt, zu denen ſie nicht paßten; ſie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0420" n="404"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Die ge&#x017F;ell&#x017F;chaftliche Verfa&#x017F;&#x017F;ung der Volkswirt&#x017F;chaft.</fw><lb/>
zünfte durch ihre örtlichen Markt-, Gerichts- und Polizeibefugni&#x017F;&#x017F;e, durch die Konkurrenz-<lb/>
regulierung, die in ihren Händen lag.</p><lb/>
          <p>Die Innungen &#x017F;ind &#x017F;tädti&#x017F;che Geno&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften, welche die Gewerbetreibenden einer<lb/>
be&#x017F;timmten Art umfa&#x017F;&#x017F;en. Teils aus hofrechtlichen, von großen Grundherren für ihre<lb/>
Zwecke geordneten Verbänden und Ämtern, teils aus gei&#x017F;tlichen Bruder&#x017F;chaften und<lb/>
teils aus freien Einungen hervorgehend, im Norden da und dort aus den Gilden aller<lb/>
am Markt Beteiligten als Teile ausge&#x017F;chieden oder &#x017F;ich loslö&#x017F;end, wurden &#x017F;ie 1100 bis<lb/>
1300 oftmals unterdrückt, aber immer wieder geduldet, zuletzt von Für&#x017F;ten und Stadt-<lb/>
räten anerkannt; &#x017F;ie er&#x017F;tarkten &#x017F;chon 1300&#x2014;1400 &#x017F;o, daß &#x017F;ie in der Zunftrevolution<lb/>
nach dem Rats&#x017F;tuhl greifen konnten, wurden aber von 1400 an mei&#x017F;t wieder &#x017F;trenge<lb/>
dem &#x017F;tädti&#x017F;chen Rate untergeordnet. Von 1400&#x2014;1600 bildete &#x017F;ich in Deut&#x017F;chland<lb/>
wenig&#x017F;tens er&#x017F;t das Innungsrecht im einzelnen aus, dehnte &#x017F;ich von einigen wenigen<lb/>
auf die Mehrzahl der be&#x017F;etzteren Gewerbe, ja auf alle möglichen &#x017F;on&#x017F;tigen Schichten der<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, wie Spielleute, Soldaten &#xA75B;c. aus. Die Innungen wurden in die&#x017F;er Epoche<lb/>
eben&#x017F;o &#x017F;ehr &#x017F;tädti&#x017F;che Selb&#x017F;tverwaltungskörper, dem Rate untergeordnete, zu Steuer-,<lb/>
Verwaltungs-, Wahl-, Militärzwecken gebrauchte Teilgemeinden, wie &#x017F;ie Vereine Gewerbe-<lb/>
treibender waren, die unter be&#x017F;timmten &#x017F;ittlichen, techni&#x017F;chen, rechtlichen, auch Vermögens-<lb/>
bedingungen Ge&#x017F;ellen aufnahmen und für ihre Mitglieder das aus&#x017F;chließliche Recht des<lb/>
Gewerbebetriebes in ihrem Fache und im Stadtbezirk bean&#x017F;pruchten, da und dort auch<lb/>
wohl &#x017F;ich erblich ab&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, ihre Wirt&#x017F;chaftsintere&#x017F;&#x017F;en gemein&#x017F;am verfolgten, als Unter-<lb/>
&#x017F;tützungsvereine und Cen&#x017F;urbehörden, &#x017F;owie im Auftrage des Rates als Gewerbepolizei-<lb/>
und Gewerbegerichtsbehörden wirkten.</p><lb/>
          <p>Eine ähnliche geno&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche Verfa&#x017F;&#x017F;ung bildeten die Ge&#x017F;ellen von 1400 an aus.<lb/>
Von 1500 an traten durch den zunehmenden Verkehr die einzel&#x017F;tädti&#x017F;chen Innungen,<lb/>
wie die Ge&#x017F;ellenbruder&#x017F;chaften immer mehr zu provinziellen, ja nationalen Bünden<lb/>
zu&#x017F;ammen, bis die&#x017F;e im 18. Jahrhundert mehr oder weniger unterdrückt wurden. Die<lb/>
monopoli&#x017F;ti&#x017F;chen Mißbräuche der einzelnen Innungen und Ge&#x017F;ellenbruder&#x017F;chaften erzeugten<lb/>
vom 16. und 17. Jahrhundert an eine gegen &#x017F;ie gerichtete Landes- und Reichsge&#x017F;etz-<lb/>
gebung, welche zuer&#x017F;t &#x017F;ich bemühte, die&#x017F;elben in eine &#x017F;taatliche Gewerbepolizeiin&#x017F;titution<lb/>
zu verwandeln, und &#x017F;ie dann zuletzt ganz be&#x017F;eitigte oder zur Bedeutungslo&#x017F;igkeit herab-<lb/>
drückte. Es ge&#x017F;chah dies von 1600&#x2014;1869 in den mei&#x017F;ten europäi&#x017F;chen Staaten unter<lb/>
der Einwirkung der modernen Geldwirt&#x017F;chaft, der modernen Staatsbildung, des freien<lb/>
inneren &#x017F;taatlichen Marktes, der interlokalen Arbeitsteilung, der neuen Betriebsformen;<lb/>
vor allem aber war es die individuali&#x017F;ti&#x017F;che, mit der Staatsautorität verbündete<lb/>
Gedankenwelt des 18. Jahrhunderts, welche auf volkswirt&#x017F;chaftlichem und &#x017F;ocialem<lb/>
Gebiete nur noch den Staat und das Individuum dulden wollte. Der leiden&#x017F;chaftliche<lb/>
Kampf gegen alles Ständewe&#x017F;en und alle &#x017F;tändi&#x017F;chen Korporationen und Vereine war<lb/>
das Thor, durch welches der moderne Rechts&#x017F;taat allein &#x017F;einen Einzug halten konnte.</p><lb/>
          <p>136. <hi rendition="#g">Die neuere &#x017F;ociale Gliederung nach Aufhebung der Erblich-<lb/>
lichkeit und der &#x017F;tändi&#x017F;chen Rechts&#x017F;chranken der Berufe. Das Recht<lb/>
der Vereinsbildung</hi>. Wir können &#x017F;agen, die überwuchernde Blüte und Vollkraft<lb/>
der bündi&#x017F;chen korporativen Organi&#x017F;ation der &#x017F;ocialen Kla&#x017F;&#x017F;en, des Ständetums und die<lb/>
erbliche Übertragung von Beruf und Ständerecht gehören den Epochen der Ge&#x017F;chichte<lb/>
an, in welchen die alte Gentilverfa&#x017F;&#x017F;ung &#x017F;ich auflö&#x017F;t, die bloße Kanton- und Stadt-<lb/>
gemeindeverfa&#x017F;&#x017F;ung die ge&#x017F;chiedenen Kla&#x017F;&#x017F;enintere&#x017F;&#x017F;en nicht mehr befriedigen kann, und der<lb/>
centrali&#x017F;ierte &#x017F;tarke Rechts&#x017F;taat, der &#x017F;ie notwendig in gewi&#x017F;&#x017F;e Schranken zurückwei&#x017F;t, noch<lb/>
nicht aufgerichtet i&#x017F;t oder wieder aufgelö&#x017F;t war. Die &#x017F;tändi&#x017F;che korporative Organi&#x017F;ation<lb/>
der Kla&#x017F;&#x017F;en, der Prie&#x017F;ter und Krieger, der Kaufleute und Handwerker, der Bauern und<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;er höher &#x017F;tehender Arbeiter, z. B. der Berg- und Salinenarbeiter, der Matro&#x017F;en &#xA75B;c.<lb/>
hat eben&#x017F;o viele glänzende und &#x017F;egensreiche Blüten erzeugt wie durch engherzigen Kla&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
egoismus ge&#x017F;chadet, zu Revolutionen und vergiftenden Kämpfen Anlaß gegeben.</p><lb/>
          <p>Was ur&#x017F;prünglich natürlich gewe&#x017F;en war, die Erblichkeit der Berufe, wurde nach<lb/>
und nach durch Sitte und Recht, durch Privilegium und Exklu&#x017F;ivität ein Unrecht und<lb/>
eine unerträgliche Härte; &#x017F;ie hielt Leute in Berufen fe&#x017F;t, zu denen &#x017F;ie nicht paßten; &#x017F;ie<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[404/0420] Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. zünfte durch ihre örtlichen Markt-, Gerichts- und Polizeibefugniſſe, durch die Konkurrenz- regulierung, die in ihren Händen lag. Die Innungen ſind ſtädtiſche Genoſſenſchaften, welche die Gewerbetreibenden einer beſtimmten Art umfaſſen. Teils aus hofrechtlichen, von großen Grundherren für ihre Zwecke geordneten Verbänden und Ämtern, teils aus geiſtlichen Bruderſchaften und teils aus freien Einungen hervorgehend, im Norden da und dort aus den Gilden aller am Markt Beteiligten als Teile ausgeſchieden oder ſich loslöſend, wurden ſie 1100 bis 1300 oftmals unterdrückt, aber immer wieder geduldet, zuletzt von Fürſten und Stadt- räten anerkannt; ſie erſtarkten ſchon 1300—1400 ſo, daß ſie in der Zunftrevolution nach dem Ratsſtuhl greifen konnten, wurden aber von 1400 an meiſt wieder ſtrenge dem ſtädtiſchen Rate untergeordnet. Von 1400—1600 bildete ſich in Deutſchland wenigſtens erſt das Innungsrecht im einzelnen aus, dehnte ſich von einigen wenigen auf die Mehrzahl der beſetzteren Gewerbe, ja auf alle möglichen ſonſtigen Schichten der Geſellſchaft, wie Spielleute, Soldaten ꝛc. aus. Die Innungen wurden in dieſer Epoche ebenſo ſehr ſtädtiſche Selbſtverwaltungskörper, dem Rate untergeordnete, zu Steuer-, Verwaltungs-, Wahl-, Militärzwecken gebrauchte Teilgemeinden, wie ſie Vereine Gewerbe- treibender waren, die unter beſtimmten ſittlichen, techniſchen, rechtlichen, auch Vermögens- bedingungen Geſellen aufnahmen und für ihre Mitglieder das ausſchließliche Recht des Gewerbebetriebes in ihrem Fache und im Stadtbezirk beanſpruchten, da und dort auch wohl ſich erblich abſchloſſen, ihre Wirtſchaftsintereſſen gemeinſam verfolgten, als Unter- ſtützungsvereine und Cenſurbehörden, ſowie im Auftrage des Rates als Gewerbepolizei- und Gewerbegerichtsbehörden wirkten. Eine ähnliche genoſſenſchaftliche Verfaſſung bildeten die Geſellen von 1400 an aus. Von 1500 an traten durch den zunehmenden Verkehr die einzelſtädtiſchen Innungen, wie die Geſellenbruderſchaften immer mehr zu provinziellen, ja nationalen Bünden zuſammen, bis dieſe im 18. Jahrhundert mehr oder weniger unterdrückt wurden. Die monopoliſtiſchen Mißbräuche der einzelnen Innungen und Geſellenbruderſchaften erzeugten vom 16. und 17. Jahrhundert an eine gegen ſie gerichtete Landes- und Reichsgeſetz- gebung, welche zuerſt ſich bemühte, dieſelben in eine ſtaatliche Gewerbepolizeiinſtitution zu verwandeln, und ſie dann zuletzt ganz beſeitigte oder zur Bedeutungsloſigkeit herab- drückte. Es geſchah dies von 1600—1869 in den meiſten europäiſchen Staaten unter der Einwirkung der modernen Geldwirtſchaft, der modernen Staatsbildung, des freien inneren ſtaatlichen Marktes, der interlokalen Arbeitsteilung, der neuen Betriebsformen; vor allem aber war es die individualiſtiſche, mit der Staatsautorität verbündete Gedankenwelt des 18. Jahrhunderts, welche auf volkswirtſchaftlichem und ſocialem Gebiete nur noch den Staat und das Individuum dulden wollte. Der leidenſchaftliche Kampf gegen alles Ständeweſen und alle ſtändiſchen Korporationen und Vereine war das Thor, durch welches der moderne Rechtsſtaat allein ſeinen Einzug halten konnte. 136. Die neuere ſociale Gliederung nach Aufhebung der Erblich- lichkeit und der ſtändiſchen Rechtsſchranken der Berufe. Das Recht der Vereinsbildung. Wir können ſagen, die überwuchernde Blüte und Vollkraft der bündiſchen korporativen Organiſation der ſocialen Klaſſen, des Ständetums und die erbliche Übertragung von Beruf und Ständerecht gehören den Epochen der Geſchichte an, in welchen die alte Gentilverfaſſung ſich auflöſt, die bloße Kanton- und Stadt- gemeindeverfaſſung die geſchiedenen Klaſſenintereſſen nicht mehr befriedigen kann, und der centraliſierte ſtarke Rechtsſtaat, der ſie notwendig in gewiſſe Schranken zurückweiſt, noch nicht aufgerichtet iſt oder wieder aufgelöſt war. Die ſtändiſche korporative Organiſation der Klaſſen, der Prieſter und Krieger, der Kaufleute und Handwerker, der Bauern und gewiſſer höher ſtehender Arbeiter, z. B. der Berg- und Salinenarbeiter, der Matroſen ꝛc. hat ebenſo viele glänzende und ſegensreiche Blüten erzeugt wie durch engherzigen Klaſſen- egoismus geſchadet, zu Revolutionen und vergiftenden Kämpfen Anlaß gegeben. Was urſprünglich natürlich geweſen war, die Erblichkeit der Berufe, wurde nach und nach durch Sitte und Recht, durch Privilegium und Exkluſivität ein Unrecht und eine unerträgliche Härte; ſie hielt Leute in Berufen feſt, zu denen ſie nicht paßten; ſie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/420
Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/420>, abgerufen am 22.11.2024.