Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Der Einfluß der Rasse, d. Arbeitsteilung u. d. Eigentumsverteilung auf d. Klassenbildung. Gruppen der Gesellschaft einen eigentümlichen Stempel aufdrücken. Solange der Herrund der Knecht dasselbe thaten, ganz gleichmäßig lebten, konnte es keinen großen Klassen- gegensatz zwischen ihnen geben; wo aber der Ritter aufhörte, den Pflug, der Bauer das Schwert zu führen, bedingte die Verschiedenheit des Berufes und der Arbeit den socialen Gegensatz. Die Thatsache der verschiedenen Arbeits- und Berufssphären schafft so verschiedenen Die Fortschritte der Technik, der Arbeit, des geistigen Lebens mußten sich zunächst Man hat die Wahrheit der vorstehenden Sätze teils mit politischen Partei- Ich habe nie gesagt: jede Arbeitsteilung wirke klassenbildend, sondern: "nur die Man hat mir eingeworfen, die Erblichkeit der Berufsarbeit der deutschen Hand- Der Einfluß der Raſſe, d. Arbeitsteilung u. d. Eigentumsverteilung auf d. Klaſſenbildung. Gruppen der Geſellſchaft einen eigentümlichen Stempel aufdrücken. Solange der Herrund der Knecht dasſelbe thaten, ganz gleichmäßig lebten, konnte es keinen großen Klaſſen- gegenſatz zwiſchen ihnen geben; wo aber der Ritter aufhörte, den Pflug, der Bauer das Schwert zu führen, bedingte die Verſchiedenheit des Berufes und der Arbeit den ſocialen Gegenſatz. Die Thatſache der verſchiedenen Arbeits- und Berufsſphären ſchafft ſo verſchiedenen Die Fortſchritte der Technik, der Arbeit, des geiſtigen Lebens mußten ſich zunächſt Man hat die Wahrheit der vorſtehenden Sätze teils mit politiſchen Partei- Ich habe nie geſagt: jede Arbeitsteilung wirke klaſſenbildend, ſondern: „nur die Man hat mir eingeworfen, die Erblichkeit der Berufsarbeit der deutſchen Hand- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0413" n="397"/><fw place="top" type="header">Der Einfluß der Raſſe, d. Arbeitsteilung u. d. Eigentumsverteilung auf d. Klaſſenbildung.</fw><lb/> Gruppen der Geſellſchaft einen eigentümlichen Stempel aufdrücken. Solange der Herr<lb/> und der Knecht dasſelbe thaten, ganz gleichmäßig lebten, konnte es keinen großen Klaſſen-<lb/> gegenſatz zwiſchen ihnen geben; wo aber der Ritter aufhörte, den Pflug, der Bauer das<lb/> Schwert zu führen, bedingte die Verſchiedenheit des Berufes und der Arbeit den ſocialen<lb/> Gegenſatz.</p><lb/> <p>Die Thatſache der verſchiedenen Arbeits- und Berufsſphären ſchafft ſo verſchiedenen<lb/> Blutlauf, verſchiedene körperliche und geiſtige Ausbildung, verſchiedene Ideale und<lb/> Lebenszwecke. Die bisher Gleichen, die ſich vorher als Verwandte und Genoſſen be-<lb/> handelten, werden ſich fremder. Die Umbildung erſt der einzelnen, in einer neuen<lb/> Specialität thätigen Perſonen, dann die Variation von Generation zu Generation<lb/> innerhalb einer Gruppe, welche unter dem Einfluß gleicher Faktoren die Abweichung<lb/> fixiert, muß ſo klaſſenbildend wirken.</p><lb/> <p>Die Fortſchritte der Technik, der Arbeit, des geiſtigen Lebens mußten ſich zunächſt<lb/> ſtets auf einzelne, dann auf kleinere Kreiſe beſchränken; ſie können unmöglich ſofort auf<lb/> ganze Stämme und Völker ſich übertragen; ſie werden teils durch Vererbung, teils<lb/> durch Überlieferung und Unterricht in dieſen Kreiſen bewahrt, vielfach als Geheimnis und<lb/> Monopol gehütet: die Münzer ganz Europas bildeten vom 15. bis 19. Jahrhundert einen<lb/> kleinen eng geſchloſſenen Kreis von erblich dazu beſtimmten Perſonen. Was bei dieſem<lb/> Vorgang auf biologiſche Vererbung, was auf Erziehung und geſellſchaftliche Einrichtung<lb/> zurückzuführen ſei, läßt ſich ſchwer ſagen; aber ſicher iſt, daß beides mitwirkt, daß ſo<lb/> alle Prieſter-, Krieger-, Händlerklaſſen, die Gruppen der Handwerker, die der liberalen<lb/> Berufe entſtanden ſeien, daß ſo unſere Gutsbeſitzer und Bauern, unſere meiſten Arbeiter-<lb/> typen einen mit dem Beruf und der Arbeitsteilung zuſammenhängenden ſpeciellen<lb/> körperlichen und geiſtigen Stempel an ſich tragen.</p><lb/> <p>Man hat die Wahrheit der vorſtehenden Sätze teils mit politiſchen Partei-<lb/> argumenten angegriffen: ſie ſeien eine Verherrlichung der <hi rendition="#aq">beati possidentes,</hi> des Kaſten-<lb/> weſens; teils hat man ſie durch übertreibende angeblich notwendige Schlußfolgerungen<lb/> aus ihnen zu widerlegen geſucht, die, an ſich falſch, nichts beweiſen.</p><lb/> <p>Ich habe nie geſagt: jede Arbeitsteilung wirke klaſſenbildend, ſondern: „nur die<lb/> großen, tief einſchneidenden, breitere Teile eines Volkes umfaſſenden, mit erheblichen<lb/> techniſchen, geiſtigen, moraliſchen und organiſatoriſchen Verbeſſerungen verbundenen Phaſen<lb/> der fortſchreitenden Arbeitsteilung“ hätten dieſe Folge. Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß der<lb/> Philologenſohn keine Vokabeln, der Schneiderſohn keine Kenntnis des Zuſchneidens von<lb/> ſeinem Vater erbt. Aber ein ſo kritiſcher Forſcher wie De Candolle ſagt: der Sohn des<lb/> Generals hat oft die Neigung zum Befehlen, der des Mathematikers zum Rechnen. Alle<lb/> Lehrbücher der Pſychiatrie, ſagt Ribot, bilden ein unwiderſtehliches Plaidoyer für die<lb/> Erblichkeit. Ich habe oben ſchon erwähnt, daß über die Vererbung der von den Eltern<lb/> erworbenen Eigenſchaften heute ein noch nicht ausgetragener Streit beſtehe, aber auch<lb/> daß ſie von keiner Seite ganz geleugnet werde. Das zu thun, hieße den Fortſchritt der<lb/> Menſchheit vom Wilden zum Kulturmenſchen negieren. Auch über die Frage, welche<lb/> Eigenſchaften mehr, welche weniger vererbt werden, iſt heute der Streit nicht geſchloſſen.<lb/> Aber die beſten Forſcher nehmen an, daß in erſter Linie die Inſtinkte und die Fähigkeit<lb/> zu Sinneswahrnehmungen, dann die Gefühle und der Charakter, endlich die Intelligenz<lb/> vererbt wird, und zwar von dieſer die einfachere Form mehr, die kompliziertere weniger;<lb/> man hat mit Grund behauptet, die höchſte Intelligenz werde als eine ſeltene Kombination<lb/> nicht leicht, aber die allgemeinen Richtungen der Intelligenz eines Volkes, einer Klaſſe<lb/> werden regelmäßig im Durchſchnitt vererbt. Bei ſolcher Auffaſſung bleibt der Individuali-<lb/> tät ihr Recht, aber auch den Erfahrungen der hiſtoriſchen und maſſenpſychologiſchen<lb/> Beobachtung.</p><lb/> <p>Man hat mir eingeworfen, die Erblichkeit der Berufsarbeit der deutſchen Hand-<lb/> werker und Pfarrer vom 16.—18. Jahrhundert habe degenerierend gewirkt; nach meiner<lb/> Theorie müßte die Erblichkeit in dieſem Berufe Vervollkommnung bedeutet haben. Ich<lb/> habe aber die möglichen ungünſtigen Folgen der zu einſeitigen Ausbildung der Arbeits-<lb/> teilung ſtets betont, und ich habe unterſchieden zwiſchen aufſtrebenden und finkenden<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [397/0413]
Der Einfluß der Raſſe, d. Arbeitsteilung u. d. Eigentumsverteilung auf d. Klaſſenbildung.
Gruppen der Geſellſchaft einen eigentümlichen Stempel aufdrücken. Solange der Herr
und der Knecht dasſelbe thaten, ganz gleichmäßig lebten, konnte es keinen großen Klaſſen-
gegenſatz zwiſchen ihnen geben; wo aber der Ritter aufhörte, den Pflug, der Bauer das
Schwert zu führen, bedingte die Verſchiedenheit des Berufes und der Arbeit den ſocialen
Gegenſatz.
Die Thatſache der verſchiedenen Arbeits- und Berufsſphären ſchafft ſo verſchiedenen
Blutlauf, verſchiedene körperliche und geiſtige Ausbildung, verſchiedene Ideale und
Lebenszwecke. Die bisher Gleichen, die ſich vorher als Verwandte und Genoſſen be-
handelten, werden ſich fremder. Die Umbildung erſt der einzelnen, in einer neuen
Specialität thätigen Perſonen, dann die Variation von Generation zu Generation
innerhalb einer Gruppe, welche unter dem Einfluß gleicher Faktoren die Abweichung
fixiert, muß ſo klaſſenbildend wirken.
Die Fortſchritte der Technik, der Arbeit, des geiſtigen Lebens mußten ſich zunächſt
ſtets auf einzelne, dann auf kleinere Kreiſe beſchränken; ſie können unmöglich ſofort auf
ganze Stämme und Völker ſich übertragen; ſie werden teils durch Vererbung, teils
durch Überlieferung und Unterricht in dieſen Kreiſen bewahrt, vielfach als Geheimnis und
Monopol gehütet: die Münzer ganz Europas bildeten vom 15. bis 19. Jahrhundert einen
kleinen eng geſchloſſenen Kreis von erblich dazu beſtimmten Perſonen. Was bei dieſem
Vorgang auf biologiſche Vererbung, was auf Erziehung und geſellſchaftliche Einrichtung
zurückzuführen ſei, läßt ſich ſchwer ſagen; aber ſicher iſt, daß beides mitwirkt, daß ſo
alle Prieſter-, Krieger-, Händlerklaſſen, die Gruppen der Handwerker, die der liberalen
Berufe entſtanden ſeien, daß ſo unſere Gutsbeſitzer und Bauern, unſere meiſten Arbeiter-
typen einen mit dem Beruf und der Arbeitsteilung zuſammenhängenden ſpeciellen
körperlichen und geiſtigen Stempel an ſich tragen.
Man hat die Wahrheit der vorſtehenden Sätze teils mit politiſchen Partei-
argumenten angegriffen: ſie ſeien eine Verherrlichung der beati possidentes, des Kaſten-
weſens; teils hat man ſie durch übertreibende angeblich notwendige Schlußfolgerungen
aus ihnen zu widerlegen geſucht, die, an ſich falſch, nichts beweiſen.
Ich habe nie geſagt: jede Arbeitsteilung wirke klaſſenbildend, ſondern: „nur die
großen, tief einſchneidenden, breitere Teile eines Volkes umfaſſenden, mit erheblichen
techniſchen, geiſtigen, moraliſchen und organiſatoriſchen Verbeſſerungen verbundenen Phaſen
der fortſchreitenden Arbeitsteilung“ hätten dieſe Folge. Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß der
Philologenſohn keine Vokabeln, der Schneiderſohn keine Kenntnis des Zuſchneidens von
ſeinem Vater erbt. Aber ein ſo kritiſcher Forſcher wie De Candolle ſagt: der Sohn des
Generals hat oft die Neigung zum Befehlen, der des Mathematikers zum Rechnen. Alle
Lehrbücher der Pſychiatrie, ſagt Ribot, bilden ein unwiderſtehliches Plaidoyer für die
Erblichkeit. Ich habe oben ſchon erwähnt, daß über die Vererbung der von den Eltern
erworbenen Eigenſchaften heute ein noch nicht ausgetragener Streit beſtehe, aber auch
daß ſie von keiner Seite ganz geleugnet werde. Das zu thun, hieße den Fortſchritt der
Menſchheit vom Wilden zum Kulturmenſchen negieren. Auch über die Frage, welche
Eigenſchaften mehr, welche weniger vererbt werden, iſt heute der Streit nicht geſchloſſen.
Aber die beſten Forſcher nehmen an, daß in erſter Linie die Inſtinkte und die Fähigkeit
zu Sinneswahrnehmungen, dann die Gefühle und der Charakter, endlich die Intelligenz
vererbt wird, und zwar von dieſer die einfachere Form mehr, die kompliziertere weniger;
man hat mit Grund behauptet, die höchſte Intelligenz werde als eine ſeltene Kombination
nicht leicht, aber die allgemeinen Richtungen der Intelligenz eines Volkes, einer Klaſſe
werden regelmäßig im Durchſchnitt vererbt. Bei ſolcher Auffaſſung bleibt der Individuali-
tät ihr Recht, aber auch den Erfahrungen der hiſtoriſchen und maſſenpſychologiſchen
Beobachtung.
Man hat mir eingeworfen, die Erblichkeit der Berufsarbeit der deutſchen Hand-
werker und Pfarrer vom 16.—18. Jahrhundert habe degenerierend gewirkt; nach meiner
Theorie müßte die Erblichkeit in dieſem Berufe Vervollkommnung bedeutet haben. Ich
habe aber die möglichen ungünſtigen Folgen der zu einſeitigen Ausbildung der Arbeits-
teilung ſtets betont, und ich habe unterſchieden zwiſchen aufſtrebenden und finkenden
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