Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft.
Ebenso klar aber ist, daß mit dem Eigentum des Privatmannes, welches das direkte Bedürfnis seiner Person, seiner Familie überschreitet, Mißbräuche gesellschaftlicher Art verbunden sein können. Das Eigentum giebt eine Sphäre der Freiheit, einen Spiel- raum für individuelles und mannigfaltiges Thun, und je größer diese Freiheitssphäre, desto wechselvoller können die Folgen sein. Der größere Grundbesitz, das größere Kapital giebt Macht, die recht und die falsch gebraucht werden, die der Gesellschaft nützlich oder schädlich sein kann. Alles größere Eigentum legt mehr sittliche als rechtliche Pflichten auf, die erfüllt und vernachlässigt oder verletzt werden können. Und darnach wird die Gesellschaft urteilen, darnach wird ihr Urteil über die bestehenden Eigentumsverhältnisse ausfallen.
In der antiken Geschichte war das ältere gebundene und genossenschaftliche Eigentum zu rasch und zu plötzlich in den freien Latifundienbesitz einer kleinen entarteten, mehr durch Ausbeutung ihrer politischen Herrschaft als durch Arbeit überreich gewordenen Aristokratie umgeschlagen, während die Menge ebenso faul und genußsüchtig wie eigentumslos war. Der römische Principat legte auf das wertvollste Eigentum an Bergwerken, Salinen, Gütern und Fabriken durch Konfiskation und in anderer Weise die Hand und sammelte so gewaltsam ein Riesenvermögen, um das ungeheure Reich damit zu regieren, den Pöbel der Hauptstädte durch Brotspenden und Spiele zufrieden zu stellen; die großen aristokratischen Vermögen, die daneben in Privathänden, im Besitz der Possessoren blieben, wurden mit solchen Lasten im Staatsinteresse belegt, daß die Eigentümer bald lieber ihren Besitz aufgaben, durch erblichen Zwang in ihrer Stellung festgehalten werden mußten.
Die neuere Entwickelung war viel langsamer, viel komplizierter, sie war in ihren wirtschaftlichen und sittlichen Folgen eine viel günstigere.
Von dem großen Grundeigentum, das im Mittelalter sich bildete, und das einst die Grundlage der politischen und lokalen Verwaltung, der Kirche, des kriegerischen Dienstes gewesen war, ist der größere Teil später in die Hände freier mittlerer und kleinerer Eigentümer gekommen. So weit der Großgrundbesitz sich erhielt oder neu in den letzten 200--300 Jahren sich bildete, gehört er überwiegend dem Staate, den Kor- porationen oder einer Aristokratie, welche politische Pflichten erfüllt, die lokale Selbst- verwaltung ermöglicht, Träger des technisch landwirtschaftlichen Fortschrittes ist. Es ist von seiten der Socialisten und der Verherrlicher des Großbetriebes neuerdings öfter behauptet worden, bald werde und müsse alles Ackerland zu Großbetrieben vereinigt werden, um besser und mehr zu produzieren. Aber selbst in Nordamerika machen die Riesenfarmen nur einen verschwindenden Bruchteil des bestellten Landes aus; in England sind die Pachteinheiten viel kleiner als die Eigentumseinheiten; auf dem ganzen europäischen Kontinent dehnt der landwirtschaftliche Großbetrieb sich heute nicht nur nicht aus, sondern er weicht da und dort bereits dem Kleinbetrieb. Auch ist es nicht allgemein wahr, daß er größere Ernten billiger erzeuge als der Mittel-, vollends als der Klein- und Gartenbetrieb. Ob künftige Fortschritte in der landwirtschaftlichen Technik das ändern werden, muß dahingestellt bleiben. Für jetzt ist das Nebeneinanderfortbestehen der kleinen, mittleren und großen Güter als das der Produktion und der Gesellschaft Zuträglichste anzusehen. Jedenfalls hätten wir, falls heute ein Gesetz das bestehende Grundeigentum durch Rentenentschädigung der Grundeigentümer einziehen wollte, keine fähigen genossenschaftlichen oder anderweiten Organe, denen mit denkbar günstigem Erfolg das Land in direkte Pacht oder zur Unterverpachtung übergeben werden könnte. Genossen- schaften unserer Bauern und unserer Landarbeiter wie unsere Landgemeinden wären gleich unfähig dazu. Und alles, was wir heute an Triebkräften des Fleißes und der Sparsam- keit in eigenem Besitz so segensreich wirken sehen, was wir an gesunder Verbindung von Familienwirtschaft und landwirtschaftlichem Kleinbesitz, an Verwachsung der Generationen mit dem Hofe der Väter besitzen, wäre mutwillig zerstört. Von den landwirtschaftlichen Arbeitern verlangen heute die meisten nach einem kleinen individuellen, nicht nach einem genossenschaftlichen oder staatlichen Eigentum.
Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
Ebenſo klar aber iſt, daß mit dem Eigentum des Privatmannes, welches das direkte Bedürfnis ſeiner Perſon, ſeiner Familie überſchreitet, Mißbräuche geſellſchaftlicher Art verbunden ſein können. Das Eigentum giebt eine Sphäre der Freiheit, einen Spiel- raum für individuelles und mannigfaltiges Thun, und je größer dieſe Freiheitsſphäre, deſto wechſelvoller können die Folgen ſein. Der größere Grundbeſitz, das größere Kapital giebt Macht, die recht und die falſch gebraucht werden, die der Geſellſchaft nützlich oder ſchädlich ſein kann. Alles größere Eigentum legt mehr ſittliche als rechtliche Pflichten auf, die erfüllt und vernachläſſigt oder verletzt werden können. Und darnach wird die Geſellſchaft urteilen, darnach wird ihr Urteil über die beſtehenden Eigentumsverhältniſſe ausfallen.
In der antiken Geſchichte war das ältere gebundene und genoſſenſchaftliche Eigentum zu raſch und zu plötzlich in den freien Latifundienbeſitz einer kleinen entarteten, mehr durch Ausbeutung ihrer politiſchen Herrſchaft als durch Arbeit überreich gewordenen Ariſtokratie umgeſchlagen, während die Menge ebenſo faul und genußſüchtig wie eigentumslos war. Der römiſche Principat legte auf das wertvollſte Eigentum an Bergwerken, Salinen, Gütern und Fabriken durch Konfiskation und in anderer Weiſe die Hand und ſammelte ſo gewaltſam ein Rieſenvermögen, um das ungeheure Reich damit zu regieren, den Pöbel der Hauptſtädte durch Brotſpenden und Spiele zufrieden zu ſtellen; die großen ariſtokratiſchen Vermögen, die daneben in Privathänden, im Beſitz der Poſſeſſoren blieben, wurden mit ſolchen Laſten im Staatsintereſſe belegt, daß die Eigentümer bald lieber ihren Beſitz aufgaben, durch erblichen Zwang in ihrer Stellung feſtgehalten werden mußten.
Die neuere Entwickelung war viel langſamer, viel komplizierter, ſie war in ihren wirtſchaftlichen und ſittlichen Folgen eine viel günſtigere.
Von dem großen Grundeigentum, das im Mittelalter ſich bildete, und das einſt die Grundlage der politiſchen und lokalen Verwaltung, der Kirche, des kriegeriſchen Dienſtes geweſen war, iſt der größere Teil ſpäter in die Hände freier mittlerer und kleinerer Eigentümer gekommen. So weit der Großgrundbeſitz ſich erhielt oder neu in den letzten 200—300 Jahren ſich bildete, gehört er überwiegend dem Staate, den Kor- porationen oder einer Ariſtokratie, welche politiſche Pflichten erfüllt, die lokale Selbſt- verwaltung ermöglicht, Träger des techniſch landwirtſchaftlichen Fortſchrittes iſt. Es iſt von ſeiten der Socialiſten und der Verherrlicher des Großbetriebes neuerdings öfter behauptet worden, bald werde und müſſe alles Ackerland zu Großbetrieben vereinigt werden, um beſſer und mehr zu produzieren. Aber ſelbſt in Nordamerika machen die Rieſenfarmen nur einen verſchwindenden Bruchteil des beſtellten Landes aus; in England ſind die Pachteinheiten viel kleiner als die Eigentumseinheiten; auf dem ganzen europäiſchen Kontinent dehnt der landwirtſchaftliche Großbetrieb ſich heute nicht nur nicht aus, ſondern er weicht da und dort bereits dem Kleinbetrieb. Auch iſt es nicht allgemein wahr, daß er größere Ernten billiger erzeuge als der Mittel-, vollends als der Klein- und Gartenbetrieb. Ob künftige Fortſchritte in der landwirtſchaftlichen Technik das ändern werden, muß dahingeſtellt bleiben. Für jetzt iſt das Nebeneinanderfortbeſtehen der kleinen, mittleren und großen Güter als das der Produktion und der Geſellſchaft Zuträglichſte anzuſehen. Jedenfalls hätten wir, falls heute ein Geſetz das beſtehende Grundeigentum durch Rentenentſchädigung der Grundeigentümer einziehen wollte, keine fähigen genoſſenſchaftlichen oder anderweiten Organe, denen mit denkbar günſtigem Erfolg das Land in direkte Pacht oder zur Unterverpachtung übergeben werden könnte. Genoſſen- ſchaften unſerer Bauern und unſerer Landarbeiter wie unſere Landgemeinden wären gleich unfähig dazu. Und alles, was wir heute an Triebkräften des Fleißes und der Sparſam- keit in eigenem Beſitz ſo ſegensreich wirken ſehen, was wir an geſunder Verbindung von Familienwirtſchaft und landwirtſchaftlichem Kleinbeſitz, an Verwachſung der Generationen mit dem Hofe der Väter beſitzen, wäre mutwillig zerſtört. Von den landwirtſchaftlichen Arbeitern verlangen heute die meiſten nach einem kleinen individuellen, nicht nach einem genoſſenſchaftlichen oder ſtaatlichen Eigentum.
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Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
Ebenſo klar aber iſt, daß mit dem Eigentum des Privatmannes, welches das direkte
Bedürfnis ſeiner Perſon, ſeiner Familie überſchreitet, Mißbräuche geſellſchaftlicher Art
verbunden ſein können. Das Eigentum giebt eine Sphäre der Freiheit, einen Spiel-
raum für individuelles und mannigfaltiges Thun, und je größer dieſe Freiheitsſphäre,
deſto wechſelvoller können die Folgen ſein. Der größere Grundbeſitz, das größere Kapital
giebt Macht, die recht und die falſch gebraucht werden, die der Geſellſchaft nützlich oder
ſchädlich ſein kann. Alles größere Eigentum legt mehr ſittliche als rechtliche Pflichten
auf, die erfüllt und vernachläſſigt oder verletzt werden können. Und darnach wird die
Geſellſchaft urteilen, darnach wird ihr Urteil über die beſtehenden Eigentumsverhältniſſe
ausfallen.
In der antiken Geſchichte war das ältere gebundene und genoſſenſchaftliche Eigentum
zu raſch und zu plötzlich in den freien Latifundienbeſitz einer kleinen entarteten, mehr
durch Ausbeutung ihrer politiſchen Herrſchaft als durch Arbeit überreich gewordenen
Ariſtokratie umgeſchlagen, während die Menge ebenſo faul und genußſüchtig wie
eigentumslos war. Der römiſche Principat legte auf das wertvollſte Eigentum an
Bergwerken, Salinen, Gütern und Fabriken durch Konfiskation und in anderer Weiſe
die Hand und ſammelte ſo gewaltſam ein Rieſenvermögen, um das ungeheure Reich
damit zu regieren, den Pöbel der Hauptſtädte durch Brotſpenden und Spiele zufrieden
zu ſtellen; die großen ariſtokratiſchen Vermögen, die daneben in Privathänden, im
Beſitz der Poſſeſſoren blieben, wurden mit ſolchen Laſten im Staatsintereſſe belegt, daß
die Eigentümer bald lieber ihren Beſitz aufgaben, durch erblichen Zwang in ihrer
Stellung feſtgehalten werden mußten.
Die neuere Entwickelung war viel langſamer, viel komplizierter, ſie war in ihren
wirtſchaftlichen und ſittlichen Folgen eine viel günſtigere.
Von dem großen Grundeigentum, das im Mittelalter ſich bildete, und das einſt
die Grundlage der politiſchen und lokalen Verwaltung, der Kirche, des kriegeriſchen
Dienſtes geweſen war, iſt der größere Teil ſpäter in die Hände freier mittlerer und
kleinerer Eigentümer gekommen. So weit der Großgrundbeſitz ſich erhielt oder neu in
den letzten 200—300 Jahren ſich bildete, gehört er überwiegend dem Staate, den Kor-
porationen oder einer Ariſtokratie, welche politiſche Pflichten erfüllt, die lokale Selbſt-
verwaltung ermöglicht, Träger des techniſch landwirtſchaftlichen Fortſchrittes iſt. Es
iſt von ſeiten der Socialiſten und der Verherrlicher des Großbetriebes neuerdings öfter
behauptet worden, bald werde und müſſe alles Ackerland zu Großbetrieben vereinigt
werden, um beſſer und mehr zu produzieren. Aber ſelbſt in Nordamerika machen die
Rieſenfarmen nur einen verſchwindenden Bruchteil des beſtellten Landes aus; in England
ſind die Pachteinheiten viel kleiner als die Eigentumseinheiten; auf dem ganzen
europäiſchen Kontinent dehnt der landwirtſchaftliche Großbetrieb ſich heute nicht nur
nicht aus, ſondern er weicht da und dort bereits dem Kleinbetrieb. Auch iſt es nicht
allgemein wahr, daß er größere Ernten billiger erzeuge als der Mittel-, vollends als
der Klein- und Gartenbetrieb. Ob künftige Fortſchritte in der landwirtſchaftlichen Technik
das ändern werden, muß dahingeſtellt bleiben. Für jetzt iſt das Nebeneinanderfortbeſtehen
der kleinen, mittleren und großen Güter als das der Produktion und der Geſellſchaft
Zuträglichſte anzuſehen. Jedenfalls hätten wir, falls heute ein Geſetz das beſtehende
Grundeigentum durch Rentenentſchädigung der Grundeigentümer einziehen wollte, keine
fähigen genoſſenſchaftlichen oder anderweiten Organe, denen mit denkbar günſtigem Erfolg
das Land in direkte Pacht oder zur Unterverpachtung übergeben werden könnte. Genoſſen-
ſchaften unſerer Bauern und unſerer Landarbeiter wie unſere Landgemeinden wären gleich
unfähig dazu. Und alles, was wir heute an Triebkräften des Fleißes und der Sparſam-
keit in eigenem Beſitz ſo ſegensreich wirken ſehen, was wir an geſunder Verbindung von
Familienwirtſchaft und landwirtſchaftlichem Kleinbeſitz, an Verwachſung der Generationen
mit dem Hofe der Väter beſitzen, wäre mutwillig zerſtört. Von den landwirtſchaftlichen
Arbeitern verlangen heute die meiſten nach einem kleinen individuellen, nicht nach einem
genoſſenſchaftlichen oder ſtaatlichen Eigentum.
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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/402>, abgerufen am 22.11.2024.
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