Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Die Notwendigkeit des individuellen Kapitaleigentums. Das Erbrecht. Anteil, eine verzinsliche Forderung an eine Sparkasse oder eine Genossenschaft, durchein Inhaberpapier irgend welcher Art befreien. Und damit sind wir beim zweiten Punkt: ein steigender Teil alles Kapital- und 130. Das Erbrecht. Ehe ich nun aber versuche, kurz die Ergebnisse der Die Erblichkeit alles Eigentums hat ihren Ursprung in der Familienverfassung. So natürlich nun aber das Erbrecht der Kinder allen Kulturvölkern seit langer Die Notwendigkeit des individuellen Kapitaleigentums. Das Erbrecht. Anteil, eine verzinsliche Forderung an eine Sparkaſſe oder eine Genoſſenſchaft, durchein Inhaberpapier irgend welcher Art befreien. Und damit ſind wir beim zweiten Punkt: ein ſteigender Teil alles Kapital- und 130. Das Erbrecht. Ehe ich nun aber verſuche, kurz die Ergebniſſe der Die Erblichkeit alles Eigentums hat ihren Urſprung in der Familienverfaſſung. So natürlich nun aber das Erbrecht der Kinder allen Kulturvölkern ſeit langer <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0399" n="383"/><fw place="top" type="header">Die Notwendigkeit des individuellen Kapitaleigentums. Das Erbrecht.</fw><lb/> Anteil, eine verzinsliche Forderung an eine Sparkaſſe oder eine Genoſſenſchaft, durch<lb/> ein Inhaberpapier irgend welcher Art befreien.</p><lb/> <p>Und damit ſind wir beim zweiten Punkt: ein ſteigender Teil alles Kapital- und<lb/> Grundeigentums geht heute in Forderungs- und Anteilrechte von Aktionären, Genoſſen-<lb/> ſchaftern, Pfandbrief- und Sparkaſſenbuchinhabern, von Hypotheken-, Staats- und Gemeinde-<lb/> gläubigern über. Aus dem realen wird eine Art Buch- oder Papiereigentum, das<lb/> gewiß neue Mißſtände und ſociale Gefahren erzeugt, in ſeiner Geteiltheit aber allen<lb/> Kreiſen der Geſellſchaft, auch den unterſten zugänglich iſt. Die hieher gehörigen<lb/> Einrichtungen ſind nicht denkbar ohne den Mechanismus der Wert- und Preisbildung<lb/> ſowie ohne das Inſtitut des verzinslichen Darlehens; ſie bringen aber einen immer<lb/> größeren Teil des produktiven Kapitals aus Privathänden in die thatſächliche Verwaltung<lb/> von Staat, Gemeinde, öffentlicher Korporationen, halböffentlicher Anſtalten, Geſellſchaften<lb/> und Genoſſenſchaften. Die Ausbildung der entſprechenden ſocialen Organe, die dieſe<lb/> Art gemiſchten, nach der Rentenſeite individualiſtiſchen, nach der Verwaltungsſeite<lb/> gemeinſamen Eigentums verwalten können, iſt die Vorausſetzung des Fortſchrittes nach<lb/> dieſer Richtung. Wir kommen darauf in anderem Zuſammenhang zurück. Nur daran<lb/> ſei erinnert, daß jede ſolche Organiſation in gewiſſer Weiſe ſchwerfällig iſt, Betrug und<lb/> Unterſchleif erzeugen kann, auf zahlreiche Schwierigkeiten ſtößt, die in der Familienwirtſchaft<lb/> und der herrſchaftlichen Privatunternehmung fehlen. Daher werden die Fortſchritte auf<lb/> dieſem Gebiete immer langſame ſein. Aber ebenſo unzweifelhaft iſt, daß damit der<lb/> formale Weg angebahnt iſt, auf dem das kollektive Eigentum der Zukunft ſich aus-<lb/> dehnen wird. Das rententragende Bucheigentum iſt der Demokratiſierung fähig; ſeine<lb/> Mißbräuche und ſeine zu ungleiche Verteilung können bis zu einem gewiſſen Grade<lb/> durch Sitte und Recht verbeſſert werden; durch Regulierung der zuläſſigen Erwerbsarten,<lb/> durch gerechtere Einkommensverteilung, durch ſucceſſives Steigen des Lohnes und ſucceſſives<lb/> Sinken des Zinsfußes kann die künftige Eigentumsverteilung eine gerechtere und geſündere<lb/> werden, ohne daß die ſegensreichen Folgen des Eigentums für individuelle Freiheit und<lb/> für wirtſchaftliche Erziehung verſchwinden.</p><lb/> <p>130. <hi rendition="#g">Das Erbrecht</hi>. Ehe ich nun aber verſuche, kurz die Ergebniſſe der<lb/> geſchichtlichen Betrachtung zuſammenzufaſſen, ſei ein Wort über die Erblichkeit alles<lb/> privaten Eigentums hier eingeſchaltet.</p><lb/> <p>Die Erblichkeit alles Eigentums hat ihren Urſprung in der Familienverfaſſung.<lb/> Die ältere Familie hatte wirtſchaftlich eine durch Generationen hindurch fortgeſetzte<lb/> Exiſtenz. Die aus der Familie hinaus heiratenden Töchter hatten urſprünglich kein<lb/> Erbrecht, ſo wenig wie Söhne, die mit einer gewiſſen Ausſtattung das Elternhaus<lb/> verlaſſen hatten, „abgeſchichtet“ waren. Die beim Tode der Eltern vorhandenen Kinder<lb/> ſetzten ungeteilt die Wirtſchaft fort. Niemandem konnte einfallen, ihnen die Habe zu<lb/> nehmen, welche die Grundlage ihrer Wirtſchaft war. Später, mit dem ſteigenden Beſitz<lb/> und dem erwachenden Individualismus forderte jedes Kind einen gleichen Erbteil,<lb/> ſoweit nicht im Geſamtintereſſe der Familie oder des Staates einzelne Kinder bevorzugt<lb/> wurden. Jedenfalls aber wird, wo heute ein geſundes und kräftiges Familienleben<lb/> vorhanden iſt, überall das Erbrecht der Kinder als etwas Gerechtes und Selbſtverſtändliches<lb/> angeſehen; jedermann ſieht, daß dieſes Erbrecht ein wichtiges Mittel des wirtſchaftlichen<lb/> Fortſchrittes iſt; gerade die fähigen und kräftigen Eltern werden zur höchſten Anſpannung<lb/> ihrer Kräfte am meiſten dadurch veranlaßt, daß ſie ihren Kindern eine beſſere Stellung<lb/> erwerben wollen. Der wichtigſte Teil der Motive, die heute Fleiß, Anſtrengung und<lb/> Kapitalbildung erzeugen, wäre ſtillgeſtellt, wenn das Erbrecht der Kinder wegfiele.<lb/> Das Erbrecht entfernterer Seitenverwandten dagegen wird in dem Maße als ein<lb/> Überlebſel aus der Zeit der alten Sippen- oder patriarchaliſchen Familienverfaſſung<lb/> erſcheinen, wie die moderne kleine Familie ſiegt, die Verwandtſchaftsbeziehungen zu<lb/> entfernteren Verwandten verblaſſen.</p><lb/> <p>So natürlich nun aber das Erbrecht der Kinder allen Kulturvölkern ſeit langer<lb/> Zeit erſchien, ſo mußte doch, ſobald der Beſitz etwas größer und ungleicher geworden<lb/> war, das ererbte Eigentum in anderem ſocialen Licht erſcheinen als das ſelbſt erworbene.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [383/0399]
Die Notwendigkeit des individuellen Kapitaleigentums. Das Erbrecht.
Anteil, eine verzinsliche Forderung an eine Sparkaſſe oder eine Genoſſenſchaft, durch
ein Inhaberpapier irgend welcher Art befreien.
Und damit ſind wir beim zweiten Punkt: ein ſteigender Teil alles Kapital- und
Grundeigentums geht heute in Forderungs- und Anteilrechte von Aktionären, Genoſſen-
ſchaftern, Pfandbrief- und Sparkaſſenbuchinhabern, von Hypotheken-, Staats- und Gemeinde-
gläubigern über. Aus dem realen wird eine Art Buch- oder Papiereigentum, das
gewiß neue Mißſtände und ſociale Gefahren erzeugt, in ſeiner Geteiltheit aber allen
Kreiſen der Geſellſchaft, auch den unterſten zugänglich iſt. Die hieher gehörigen
Einrichtungen ſind nicht denkbar ohne den Mechanismus der Wert- und Preisbildung
ſowie ohne das Inſtitut des verzinslichen Darlehens; ſie bringen aber einen immer
größeren Teil des produktiven Kapitals aus Privathänden in die thatſächliche Verwaltung
von Staat, Gemeinde, öffentlicher Korporationen, halböffentlicher Anſtalten, Geſellſchaften
und Genoſſenſchaften. Die Ausbildung der entſprechenden ſocialen Organe, die dieſe
Art gemiſchten, nach der Rentenſeite individualiſtiſchen, nach der Verwaltungsſeite
gemeinſamen Eigentums verwalten können, iſt die Vorausſetzung des Fortſchrittes nach
dieſer Richtung. Wir kommen darauf in anderem Zuſammenhang zurück. Nur daran
ſei erinnert, daß jede ſolche Organiſation in gewiſſer Weiſe ſchwerfällig iſt, Betrug und
Unterſchleif erzeugen kann, auf zahlreiche Schwierigkeiten ſtößt, die in der Familienwirtſchaft
und der herrſchaftlichen Privatunternehmung fehlen. Daher werden die Fortſchritte auf
dieſem Gebiete immer langſame ſein. Aber ebenſo unzweifelhaft iſt, daß damit der
formale Weg angebahnt iſt, auf dem das kollektive Eigentum der Zukunft ſich aus-
dehnen wird. Das rententragende Bucheigentum iſt der Demokratiſierung fähig; ſeine
Mißbräuche und ſeine zu ungleiche Verteilung können bis zu einem gewiſſen Grade
durch Sitte und Recht verbeſſert werden; durch Regulierung der zuläſſigen Erwerbsarten,
durch gerechtere Einkommensverteilung, durch ſucceſſives Steigen des Lohnes und ſucceſſives
Sinken des Zinsfußes kann die künftige Eigentumsverteilung eine gerechtere und geſündere
werden, ohne daß die ſegensreichen Folgen des Eigentums für individuelle Freiheit und
für wirtſchaftliche Erziehung verſchwinden.
130. Das Erbrecht. Ehe ich nun aber verſuche, kurz die Ergebniſſe der
geſchichtlichen Betrachtung zuſammenzufaſſen, ſei ein Wort über die Erblichkeit alles
privaten Eigentums hier eingeſchaltet.
Die Erblichkeit alles Eigentums hat ihren Urſprung in der Familienverfaſſung.
Die ältere Familie hatte wirtſchaftlich eine durch Generationen hindurch fortgeſetzte
Exiſtenz. Die aus der Familie hinaus heiratenden Töchter hatten urſprünglich kein
Erbrecht, ſo wenig wie Söhne, die mit einer gewiſſen Ausſtattung das Elternhaus
verlaſſen hatten, „abgeſchichtet“ waren. Die beim Tode der Eltern vorhandenen Kinder
ſetzten ungeteilt die Wirtſchaft fort. Niemandem konnte einfallen, ihnen die Habe zu
nehmen, welche die Grundlage ihrer Wirtſchaft war. Später, mit dem ſteigenden Beſitz
und dem erwachenden Individualismus forderte jedes Kind einen gleichen Erbteil,
ſoweit nicht im Geſamtintereſſe der Familie oder des Staates einzelne Kinder bevorzugt
wurden. Jedenfalls aber wird, wo heute ein geſundes und kräftiges Familienleben
vorhanden iſt, überall das Erbrecht der Kinder als etwas Gerechtes und Selbſtverſtändliches
angeſehen; jedermann ſieht, daß dieſes Erbrecht ein wichtiges Mittel des wirtſchaftlichen
Fortſchrittes iſt; gerade die fähigen und kräftigen Eltern werden zur höchſten Anſpannung
ihrer Kräfte am meiſten dadurch veranlaßt, daß ſie ihren Kindern eine beſſere Stellung
erwerben wollen. Der wichtigſte Teil der Motive, die heute Fleiß, Anſtrengung und
Kapitalbildung erzeugen, wäre ſtillgeſtellt, wenn das Erbrecht der Kinder wegfiele.
Das Erbrecht entfernterer Seitenverwandten dagegen wird in dem Maße als ein
Überlebſel aus der Zeit der alten Sippen- oder patriarchaliſchen Familienverfaſſung
erſcheinen, wie die moderne kleine Familie ſiegt, die Verwandtſchaftsbeziehungen zu
entfernteren Verwandten verblaſſen.
So natürlich nun aber das Erbrecht der Kinder allen Kulturvölkern ſeit langer
Zeit erſchien, ſo mußte doch, ſobald der Beſitz etwas größer und ungleicher geworden
war, das ererbte Eigentum in anderem ſocialen Licht erſcheinen als das ſelbſt erworbene.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |