Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft. die Ursache, die Ordnerin des Betriebes sei; es ist dort ein Meister, hier ein Kaufmannoder Techniker, ein Kapitalist oder eine Gruppe von solchen; der Geselle hat dort, die Arbeiter haben hier, so bedeutsam ihre Intelligenz, ihr technisches Können auch ist, doch mehr nur eine passive Rolle, sie führen die Gedanken anderer aus. Und so weit es wahr ist, daß in den immer größer werdenden Geschäften und ihren Formen ein eigentlich gesellschaftlicher Prozeß sich uns offenbare, insoweit ist auch der Verteilungsprozeß ein gesellschaftlich geordneter und wird es täglich mehr. Daß er heute noch vielfach unvollkommen sei, die Spuren veralteter Einrichtungen oder des Übergangs in eine neue Zeit an sich trage, durch Sitte und Recht, durch gerechtere Einkommens- und Vermögensverteilung vollkommener zu gestalten sei, leugnen wir nicht nur nicht, sondern betonen wir mit aller Energie. Wir leugnen nur, daß durch diese Mißstände die Unhaltbarkeit alles privaten Kapitaleigentums bewiesen sei. Wir behaupten, daß es bis jetzt von niemandem nachgewiesen sei, wie ohne dasselbe die Menschen heute zu Fleiß und Anstrengung, zu Sparsamkeit und Kapitalbildung, zu kühnen Versuchen der Produktions- verbesserung veranlaßt würden. Wenn heute die großen Vermögen in erster Linie in den Händen glücklich Jedenfalls aber lassen sich zwei Reihen von Thatsachen und Überlegungen an- In ersterer Beziehung möchten wir betonen, daß die unteren Klassen nur in dem Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. die Urſache, die Ordnerin des Betriebes ſei; es iſt dort ein Meiſter, hier ein Kaufmannoder Techniker, ein Kapitaliſt oder eine Gruppe von ſolchen; der Geſelle hat dort, die Arbeiter haben hier, ſo bedeutſam ihre Intelligenz, ihr techniſches Können auch iſt, doch mehr nur eine paſſive Rolle, ſie führen die Gedanken anderer aus. Und ſo weit es wahr iſt, daß in den immer größer werdenden Geſchäften und ihren Formen ein eigentlich geſellſchaftlicher Prozeß ſich uns offenbare, inſoweit iſt auch der Verteilungsprozeß ein geſellſchaftlich geordneter und wird es täglich mehr. Daß er heute noch vielfach unvollkommen ſei, die Spuren veralteter Einrichtungen oder des Übergangs in eine neue Zeit an ſich trage, durch Sitte und Recht, durch gerechtere Einkommens- und Vermögensverteilung vollkommener zu geſtalten ſei, leugnen wir nicht nur nicht, ſondern betonen wir mit aller Energie. Wir leugnen nur, daß durch dieſe Mißſtände die Unhaltbarkeit alles privaten Kapitaleigentums bewieſen ſei. Wir behaupten, daß es bis jetzt von niemandem nachgewieſen ſei, wie ohne dasſelbe die Menſchen heute zu Fleiß und Anſtrengung, zu Sparſamkeit und Kapitalbildung, zu kühnen Verſuchen der Produktions- verbeſſerung veranlaßt würden. Wenn heute die großen Vermögen in erſter Linie in den Händen glücklich Jedenfalls aber laſſen ſich zwei Reihen von Thatſachen und Überlegungen an- In erſterer Beziehung möchten wir betonen, daß die unteren Klaſſen nur in dem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0398" n="382"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. 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An die erſtere<lb/> Alternative glaubt die Geſchäftswelt, zu letzterer neigen die ſocialiſtiſchen Schriftſteller,<lb/> oft auch das große Publikum. Die Wahrheit wird in der Mitte liegen. Es wird<lb/> jede Einſchränkung der Möglichkeit unreellen Erwerbes ein ſittlicher und ſocialer<lb/> Fortſchritt ſein, während das größere Eigentum für das größere Talent und die höhere<lb/> Leiſtung doch, ſoweit ſie ehrlich und anſtändig verfahren, von keinem Vernünftigen<lb/> ernſtlich beanſtandet werden kann. Nur darum kann es ſich handeln, die Wege zu<lb/> finden, um den maßloſen Monopolgewinn einzuſchränken oder zu beſeitigen, die Erwerbs-<lb/> arten nach ſeite des Rechts und der Geſchäftsſitten, eventuell durch beſtimmte Schranken<lb/> des Gelderwerbs ſo zu geſtalten, daß nicht zu viel rohe Emporkömmlinge und Protzen,<lb/> nicht zu viele unanſtändige Wucherer und gewiſſenloſe Spekulanten ſich als die<lb/> maßgebenden Spitzen der Geſellſchaft fühlen oder gar Gemeinde und Staat beherrſchen<lb/> können.</p><lb/> <p>Jedenfalls aber laſſen ſich zwei Reihen von Thatſachen und Überlegungen an-<lb/> führen, die für den hiſtoriſch Denkenden jede Wahrſcheinlichkeit beſeitigen, daß das<lb/> private Eigentum am Erwerbskapital im ſocialiſtiſchen Sinne überwiegend oder ganz<lb/> beſeitigt werden könnte. Es handelt ſich einerſeits um die pſychologiſch-ſittengeſchicht-<lb/> lichen Vorgänge, die heute unſer Erwerbsleben begleiten, andererſeits um die Rechts-<lb/> formen, in denen das Kapitaleigentum heute mehr und mehr auftritt.</p><lb/> <p>In erſterer Beziehung möchten wir betonen, daß die unteren Klaſſen nur in dem<lb/> Maße ſich wirtſchaftlich heben können, wie ſie ſelbſt diejenigen wirtſchaftlichen Eigen-<lb/> ſchaften des Fleißes, des Sparens, der Kindererziehung, des Zurücklegens für die Kinder<lb/> ſich erwerben, wie ſie heute als Folge des Eigentums, des Darlehens, der Geld- und<lb/> Kreditwirtſchaft die höheren und mittleren Klaſſen auszeichnen. Nur indem der<lb/> Arbeiter, der Handwerker, der Bauer rechnen, buchführen, kalkulieren lernt, alle Preiſe<lb/> kennt und verfolgt, kurz in gewiſſem Sinne ein Geſchäftsmann wird, kann er dem Druck<lb/> der Überlegenheit der heutigen Kaufleute und Unternehmer ſich entziehen. Nur Menſchen,<lb/> die fähig geworden ſind, Eigentum ſich zu erarbeiten, es richtig zu verwalten und ihren<lb/> Kindern entſprechende Gewohnheiten einzuimpfen, ſind auch fähig, Eigentumsanteile<lb/> an einem genoſſenſchaftlichen, gemeindeartigen oder ſtaatlich gemeinſamen Beſitz richtig<lb/> zu gebrauchen, ſofern und ſoweit die weitere Entwickelung Derartiges bringt. Vom<lb/> Drucke der Beſitzloſigkeit läßt ſich der heutige und zukünftige ſtädtiſche und gewerbliche<lb/> Arbeiter nur vereinzelt noch durch ein eigenes Häuschen oder ein eigenes Garten- und<lb/> Ackerſtück, aber ziemlich allgemein bei rechter Erziehung und Entwickelung durch einen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [382/0398]
Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
die Urſache, die Ordnerin des Betriebes ſei; es iſt dort ein Meiſter, hier ein Kaufmann
oder Techniker, ein Kapitaliſt oder eine Gruppe von ſolchen; der Geſelle hat dort, die
Arbeiter haben hier, ſo bedeutſam ihre Intelligenz, ihr techniſches Können auch iſt, doch
mehr nur eine paſſive Rolle, ſie führen die Gedanken anderer aus. Und ſo weit es wahr
iſt, daß in den immer größer werdenden Geſchäften und ihren Formen ein eigentlich
geſellſchaftlicher Prozeß ſich uns offenbare, inſoweit iſt auch der Verteilungsprozeß ein
geſellſchaftlich geordneter und wird es täglich mehr. Daß er heute noch vielfach
unvollkommen ſei, die Spuren veralteter Einrichtungen oder des Übergangs in eine
neue Zeit an ſich trage, durch Sitte und Recht, durch gerechtere Einkommens- und
Vermögensverteilung vollkommener zu geſtalten ſei, leugnen wir nicht nur nicht, ſondern
betonen wir mit aller Energie. Wir leugnen nur, daß durch dieſe Mißſtände die
Unhaltbarkeit alles privaten Kapitaleigentums bewieſen ſei. Wir behaupten, daß es
bis jetzt von niemandem nachgewieſen ſei, wie ohne dasſelbe die Menſchen heute zu Fleiß
und Anſtrengung, zu Sparſamkeit und Kapitalbildung, zu kühnen Verſuchen der Produktions-
verbeſſerung veranlaßt würden.
Wenn heute die großen Vermögen in erſter Linie in den Händen glücklich
operierender Händler und Großunternehmer, Bankiers und Gründer ſich ſammeln,
ſo iſt eben die Frage, ob ihre großen Gewinne mehr Folge außerordentlicher Talente
und ſeltener Leiſtungen oder Folge von Zufällen und Konjunkturen, von künſtlichen
oder thatſächlichen Monopolen oder gar von unredlichen Mitteln ſind. Und glatt,
allgemein läßt ſich hierauf weder mit ja, noch mit nein antworten. An die erſtere
Alternative glaubt die Geſchäftswelt, zu letzterer neigen die ſocialiſtiſchen Schriftſteller,
oft auch das große Publikum. Die Wahrheit wird in der Mitte liegen. Es wird
jede Einſchränkung der Möglichkeit unreellen Erwerbes ein ſittlicher und ſocialer
Fortſchritt ſein, während das größere Eigentum für das größere Talent und die höhere
Leiſtung doch, ſoweit ſie ehrlich und anſtändig verfahren, von keinem Vernünftigen
ernſtlich beanſtandet werden kann. Nur darum kann es ſich handeln, die Wege zu
finden, um den maßloſen Monopolgewinn einzuſchränken oder zu beſeitigen, die Erwerbs-
arten nach ſeite des Rechts und der Geſchäftsſitten, eventuell durch beſtimmte Schranken
des Gelderwerbs ſo zu geſtalten, daß nicht zu viel rohe Emporkömmlinge und Protzen,
nicht zu viele unanſtändige Wucherer und gewiſſenloſe Spekulanten ſich als die
maßgebenden Spitzen der Geſellſchaft fühlen oder gar Gemeinde und Staat beherrſchen
können.
Jedenfalls aber laſſen ſich zwei Reihen von Thatſachen und Überlegungen an-
führen, die für den hiſtoriſch Denkenden jede Wahrſcheinlichkeit beſeitigen, daß das
private Eigentum am Erwerbskapital im ſocialiſtiſchen Sinne überwiegend oder ganz
beſeitigt werden könnte. Es handelt ſich einerſeits um die pſychologiſch-ſittengeſchicht-
lichen Vorgänge, die heute unſer Erwerbsleben begleiten, andererſeits um die Rechts-
formen, in denen das Kapitaleigentum heute mehr und mehr auftritt.
In erſterer Beziehung möchten wir betonen, daß die unteren Klaſſen nur in dem
Maße ſich wirtſchaftlich heben können, wie ſie ſelbſt diejenigen wirtſchaftlichen Eigen-
ſchaften des Fleißes, des Sparens, der Kindererziehung, des Zurücklegens für die Kinder
ſich erwerben, wie ſie heute als Folge des Eigentums, des Darlehens, der Geld- und
Kreditwirtſchaft die höheren und mittleren Klaſſen auszeichnen. Nur indem der
Arbeiter, der Handwerker, der Bauer rechnen, buchführen, kalkulieren lernt, alle Preiſe
kennt und verfolgt, kurz in gewiſſem Sinne ein Geſchäftsmann wird, kann er dem Druck
der Überlegenheit der heutigen Kaufleute und Unternehmer ſich entziehen. Nur Menſchen,
die fähig geworden ſind, Eigentum ſich zu erarbeiten, es richtig zu verwalten und ihren
Kindern entſprechende Gewohnheiten einzuimpfen, ſind auch fähig, Eigentumsanteile
an einem genoſſenſchaftlichen, gemeindeartigen oder ſtaatlich gemeinſamen Beſitz richtig
zu gebrauchen, ſofern und ſoweit die weitere Entwickelung Derartiges bringt. Vom
Drucke der Beſitzloſigkeit läßt ſich der heutige und zukünftige ſtädtiſche und gewerbliche
Arbeiter nur vereinzelt noch durch ein eigenes Häuschen oder ein eigenes Garten- und
Ackerſtück, aber ziemlich allgemein bei rechter Erziehung und Entwickelung durch einen
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