Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft.
Bestrebungen abstarben, sind sie hier gediehen. Der Konkurrenzkampf war früher ein nur lokaler, heute ist er mindestens ein nationaler, oft ein internationaler; für alle leicht versendbaren Waren ist er so stark, daß er jede nicht unter den günstigsten Be- dingungen arbeitende Industrie beseitigt.
Je kleiner nun aber der Staat, je aufgeschlossener er durch das Meer oder die Eisenbahnen nach außen ist, je freier seine Handelspolitik, desto mehr setzt sich der Konkurrenzkampf und die Arbeitsteilung über die politischen Grenzen hinaus fort. Die großen kontinentalen europäischen Staaten erzeugen noch 75--90 % ihrer Lebensmittel selbst, Großbritannien nur noch 25--50 %. In der Industrie haben alle europäischen Großstaaten seit zwei Menschenaltern einzelne Branchen verloren, um andere desto mehr auszubilden. So ergänzen sie sich in gewissen Specialitäten gegenseitig und suchen ihren Export nach den Tropen- und Kolonialländern, nach den Ländern mit geringerer tech- nischer Entwickelung, nach den Ackerbaustaaten zu steigern. Deutschland setzt einen sehr großen Teil seines produzierten Zuckers, Branntweins, Papiers, seiner chemischen und Textilwaren im Auslande ab. Von den Seidenwaren des Krefelder Bezirkes gingen 1879 und 1880 für etwa 50 Mill. Mark ins Ausland, für 23--24 Mill. blieben in Deutsch- land, von den Barmer Strumpfwaren gehen 75 % nach außen. Laves hat den Versuch gemacht zu berechnen, welchen Teil seines Einkommens Deutschland 1880--82 für aus- wärtige Waren ausgegeben; er kommt zu dem Resultat, es müsse 1/5 --1/7 sein. Heute (1899) führen wir bei einem Nationaleinkommen von 20--22 für 5,5 Milliarden Mark ein.
Wenn wir mit Recht heute diese Fortschritte des Verkehrs und der Weltwirtschaft bewundern, ihre Folgen für menschliche Wohlfahrt, Frieden und Gesittung preisen, das dürfen wir daneben nicht übersehen, daß es keineswegs an sich eine Verbesserung bedeutet, wenn eine zunehmende Zahl Waren lange Wege zwischen den Orten der Produktion und der Konsumtion zurücklegen. Wo das nicht nötig ist, erscheint bei gleich guter und billiger Güterversorgung der Konsum am Orte oder in der nächsten Nähe der Produktion stets als das einfachere und natürlichere. Wenn heute noch die Mehrzahl aller Frauen ohne tauschwirtschaftliche Arbeitsteilung im Hause thätig ist, wenn die landwirtschaftliche Bevölkerung heute noch die Hälfte ihrer Produkte selbst verzehrt, wenn heute noch der größere Teil aller Arbeitsteilung sich in derselben Stadt, demselben Kreise, derselben Provinz, demselben Staate abspielt, so ist das ebenso natürlich und vorteilhaft, wie wenn einige unserer Großindustrien ihre Produkte in alle Weltteile absetzen. --
120. Die älteren Versuche der Beurteilung und die neuere zahlenmäßige Erfassung der Arbeitsteilung. Eine entwickelte Arbeits- teilung erzeugt sociale Klassen, entgegengesetzte Interessen, einen komplizierten socialen Mechanismus. Es war natürlich, daß auch die tiefere, nach Erkenntnis ringende Ein- sicht der großen Denker, geschweige denn die von Klasseninteressen getrübte Tagesmeinung über diese große gesellschaftliche Erscheinung nicht sofort nach allen Seiten das Rich- tige traf.
Die Alten faßten zunächst die psychologischen und sittlichen Folgen ins Auge, die das Leben des dem Staate dienenden Aristokraten und die Thätigkeit des kleinen Acker- bauers und Handwerkers, des als Betrüger verdächtigen fremden Kaufmannes, der als Barbaren verachteten Sklaven habe. Wenn Aristoteles sagt, daß die Handarbeit Körper und Geist abstumpfe, rohe, ungeschlachte Leute schaffe, wenn im Altertume die Klein- händler, Höker und Geldwechsler als schlechte, verworfene Menschen fast allgemein an- gesehen wurden, so lag darin neben unbedingter Wahrheit doch auch aristokratischer Hochmut und Verkennung des Wertes arbeitsteiliger Funktionen von dem Klassenstand- punkte aus, den die Philosophen und Schriftsteller einnahmen. Man sieht das schon aus den vergeblichen Bemühungen Solons und anderer, Gewerbe, Arbeit, Kaufmann- schaft in der socialen Achtung zu heben.
Die Kirchenväter und die Reformationszeit lehnen sich an die Anschauung der Alten an. Die Verachtung des Handels ist bei den Aristokraten des 13.--17. Jahr- hunderts eine ähnliche wie bei Plato; Neid und Mißgunst, Unverständnis in Bezug auf die Rolle des Handels und wirkliche Beobachtung wirkten zusammen, so daß noch
Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
Beſtrebungen abſtarben, ſind ſie hier gediehen. Der Konkurrenzkampf war früher ein nur lokaler, heute iſt er mindeſtens ein nationaler, oft ein internationaler; für alle leicht verſendbaren Waren iſt er ſo ſtark, daß er jede nicht unter den günſtigſten Be- dingungen arbeitende Induſtrie beſeitigt.
Je kleiner nun aber der Staat, je aufgeſchloſſener er durch das Meer oder die Eiſenbahnen nach außen iſt, je freier ſeine Handelspolitik, deſto mehr ſetzt ſich der Konkurrenzkampf und die Arbeitsteilung über die politiſchen Grenzen hinaus fort. Die großen kontinentalen europäiſchen Staaten erzeugen noch 75—90 % ihrer Lebensmittel ſelbſt, Großbritannien nur noch 25—50 %. In der Induſtrie haben alle europäiſchen Großſtaaten ſeit zwei Menſchenaltern einzelne Branchen verloren, um andere deſto mehr auszubilden. So ergänzen ſie ſich in gewiſſen Specialitäten gegenſeitig und ſuchen ihren Export nach den Tropen- und Kolonialländern, nach den Ländern mit geringerer tech- niſcher Entwickelung, nach den Ackerbauſtaaten zu ſteigern. Deutſchland ſetzt einen ſehr großen Teil ſeines produzierten Zuckers, Branntweins, Papiers, ſeiner chemiſchen und Textilwaren im Auslande ab. Von den Seidenwaren des Krefelder Bezirkes gingen 1879 und 1880 für etwa 50 Mill. Mark ins Ausland, für 23—24 Mill. blieben in Deutſch- land, von den Barmer Strumpfwaren gehen 75 % nach außen. Laves hat den Verſuch gemacht zu berechnen, welchen Teil ſeines Einkommens Deutſchland 1880—82 für aus- wärtige Waren ausgegeben; er kommt zu dem Reſultat, es müſſe ⅕—1/7 ſein. Heute (1899) führen wir bei einem Nationaleinkommen von 20—22 für 5,5 Milliarden Mark ein.
Wenn wir mit Recht heute dieſe Fortſchritte des Verkehrs und der Weltwirtſchaft bewundern, ihre Folgen für menſchliche Wohlfahrt, Frieden und Geſittung preiſen, das dürfen wir daneben nicht überſehen, daß es keineswegs an ſich eine Verbeſſerung bedeutet, wenn eine zunehmende Zahl Waren lange Wege zwiſchen den Orten der Produktion und der Konſumtion zurücklegen. Wo das nicht nötig iſt, erſcheint bei gleich guter und billiger Güterverſorgung der Konſum am Orte oder in der nächſten Nähe der Produktion ſtets als das einfachere und natürlichere. Wenn heute noch die Mehrzahl aller Frauen ohne tauſchwirtſchaftliche Arbeitsteilung im Hauſe thätig iſt, wenn die landwirtſchaftliche Bevölkerung heute noch die Hälfte ihrer Produkte ſelbſt verzehrt, wenn heute noch der größere Teil aller Arbeitsteilung ſich in derſelben Stadt, demſelben Kreiſe, derſelben Provinz, demſelben Staate abſpielt, ſo iſt das ebenſo natürlich und vorteilhaft, wie wenn einige unſerer Großinduſtrien ihre Produkte in alle Weltteile abſetzen. —
120. Die älteren Verſuche der Beurteilung und die neuere zahlenmäßige Erfaſſung der Arbeitsteilung. Eine entwickelte Arbeits- teilung erzeugt ſociale Klaſſen, entgegengeſetzte Intereſſen, einen komplizierten ſocialen Mechanismus. Es war natürlich, daß auch die tiefere, nach Erkenntnis ringende Ein- ſicht der großen Denker, geſchweige denn die von Klaſſenintereſſen getrübte Tagesmeinung über dieſe große geſellſchaftliche Erſcheinung nicht ſofort nach allen Seiten das Rich- tige traf.
Die Alten faßten zunächſt die pſychologiſchen und ſittlichen Folgen ins Auge, die das Leben des dem Staate dienenden Ariſtokraten und die Thätigkeit des kleinen Acker- bauers und Handwerkers, des als Betrüger verdächtigen fremden Kaufmannes, der als Barbaren verachteten Sklaven habe. Wenn Ariſtoteles ſagt, daß die Handarbeit Körper und Geiſt abſtumpfe, rohe, ungeſchlachte Leute ſchaffe, wenn im Altertume die Klein- händler, Höker und Geldwechsler als ſchlechte, verworfene Menſchen faſt allgemein an- geſehen wurden, ſo lag darin neben unbedingter Wahrheit doch auch ariſtokratiſcher Hochmut und Verkennung des Wertes arbeitsteiliger Funktionen von dem Klaſſenſtand- punkte aus, den die Philoſophen und Schriftſteller einnahmen. Man ſieht das ſchon aus den vergeblichen Bemühungen Solons und anderer, Gewerbe, Arbeit, Kaufmann- ſchaft in der ſocialen Achtung zu heben.
Die Kirchenväter und die Reformationszeit lehnen ſich an die Anſchauung der Alten an. Die Verachtung des Handels iſt bei den Ariſtokraten des 13.—17. Jahr- hunderts eine ähnliche wie bei Plato; Neid und Mißgunſt, Unverſtändnis in Bezug auf die Rolle des Handels und wirkliche Beobachtung wirkten zuſammen, ſo daß noch
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Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
Beſtrebungen abſtarben, ſind ſie hier gediehen. Der Konkurrenzkampf war früher ein
nur lokaler, heute iſt er mindeſtens ein nationaler, oft ein internationaler; für alle
leicht verſendbaren Waren iſt er ſo ſtark, daß er jede nicht unter den günſtigſten Be-
dingungen arbeitende Induſtrie beſeitigt.
Je kleiner nun aber der Staat, je aufgeſchloſſener er durch das Meer oder die
Eiſenbahnen nach außen iſt, je freier ſeine Handelspolitik, deſto mehr ſetzt ſich der
Konkurrenzkampf und die Arbeitsteilung über die politiſchen Grenzen hinaus fort. Die
großen kontinentalen europäiſchen Staaten erzeugen noch 75—90 % ihrer Lebensmittel
ſelbſt, Großbritannien nur noch 25—50 %. In der Induſtrie haben alle europäiſchen
Großſtaaten ſeit zwei Menſchenaltern einzelne Branchen verloren, um andere deſto mehr
auszubilden. So ergänzen ſie ſich in gewiſſen Specialitäten gegenſeitig und ſuchen ihren
Export nach den Tropen- und Kolonialländern, nach den Ländern mit geringerer tech-
niſcher Entwickelung, nach den Ackerbauſtaaten zu ſteigern. Deutſchland ſetzt einen ſehr
großen Teil ſeines produzierten Zuckers, Branntweins, Papiers, ſeiner chemiſchen und
Textilwaren im Auslande ab. Von den Seidenwaren des Krefelder Bezirkes gingen 1879
und 1880 für etwa 50 Mill. Mark ins Ausland, für 23—24 Mill. blieben in Deutſch-
land, von den Barmer Strumpfwaren gehen 75 % nach außen. Laves hat den Verſuch
gemacht zu berechnen, welchen Teil ſeines Einkommens Deutſchland 1880—82 für aus-
wärtige Waren ausgegeben; er kommt zu dem Reſultat, es müſſe ⅕—1/7 ſein. Heute
(1899) führen wir bei einem Nationaleinkommen von 20—22 für 5,5 Milliarden Mark ein.
Wenn wir mit Recht heute dieſe Fortſchritte des Verkehrs und der Weltwirtſchaft
bewundern, ihre Folgen für menſchliche Wohlfahrt, Frieden und Geſittung preiſen, das
dürfen wir daneben nicht überſehen, daß es keineswegs an ſich eine Verbeſſerung bedeutet,
wenn eine zunehmende Zahl Waren lange Wege zwiſchen den Orten der Produktion
und der Konſumtion zurücklegen. Wo das nicht nötig iſt, erſcheint bei gleich guter und
billiger Güterverſorgung der Konſum am Orte oder in der nächſten Nähe der Produktion
ſtets als das einfachere und natürlichere. Wenn heute noch die Mehrzahl aller Frauen
ohne tauſchwirtſchaftliche Arbeitsteilung im Hauſe thätig iſt, wenn die landwirtſchaftliche
Bevölkerung heute noch die Hälfte ihrer Produkte ſelbſt verzehrt, wenn heute noch der
größere Teil aller Arbeitsteilung ſich in derſelben Stadt, demſelben Kreiſe, derſelben
Provinz, demſelben Staate abſpielt, ſo iſt das ebenſo natürlich und vorteilhaft, wie
wenn einige unſerer Großinduſtrien ihre Produkte in alle Weltteile abſetzen. —
120. Die älteren Verſuche der Beurteilung und die neuere
zahlenmäßige Erfaſſung der Arbeitsteilung. Eine entwickelte Arbeits-
teilung erzeugt ſociale Klaſſen, entgegengeſetzte Intereſſen, einen komplizierten ſocialen
Mechanismus. Es war natürlich, daß auch die tiefere, nach Erkenntnis ringende Ein-
ſicht der großen Denker, geſchweige denn die von Klaſſenintereſſen getrübte Tagesmeinung
über dieſe große geſellſchaftliche Erſcheinung nicht ſofort nach allen Seiten das Rich-
tige traf.
Die Alten faßten zunächſt die pſychologiſchen und ſittlichen Folgen ins Auge, die
das Leben des dem Staate dienenden Ariſtokraten und die Thätigkeit des kleinen Acker-
bauers und Handwerkers, des als Betrüger verdächtigen fremden Kaufmannes, der als
Barbaren verachteten Sklaven habe. Wenn Ariſtoteles ſagt, daß die Handarbeit Körper
und Geiſt abſtumpfe, rohe, ungeſchlachte Leute ſchaffe, wenn im Altertume die Klein-
händler, Höker und Geldwechsler als ſchlechte, verworfene Menſchen faſt allgemein an-
geſehen wurden, ſo lag darin neben unbedingter Wahrheit doch auch ariſtokratiſcher
Hochmut und Verkennung des Wertes arbeitsteiliger Funktionen von dem Klaſſenſtand-
punkte aus, den die Philoſophen und Schriftſteller einnahmen. Man ſieht das ſchon
aus den vergeblichen Bemühungen Solons und anderer, Gewerbe, Arbeit, Kaufmann-
ſchaft in der ſocialen Achtung zu heben.
Die Kirchenväter und die Reformationszeit lehnen ſich an die Anſchauung der
Alten an. Die Verachtung des Handels iſt bei den Ariſtokraten des 13.—17. Jahr-
hunderts eine ähnliche wie bei Plato; Neid und Mißgunſt, Unverſtändnis in Bezug
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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/372>, abgerufen am 16.02.2025.
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