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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Die geographische Arbeitsteilung.
ihrer Handelsplätze und Ackerbaudistrikte; die intensivste Arbeitsteilung setzt stets staatliche
Zusammengehörigkeit voraus, wie umgekehrt jede staatliche Zusammengehörigkeit mit der
Zeit darauf hinarbeitet, daß die politisch verbundenen Teile auch durch eine erhebliche
wirtschaftliche Arbeitsteilung verknüpft werden. Alle moderne nationale Wirtschafts-
und Schutzzollpolitik beruht darauf. Daneben aber greift dieselbe Tendenz der lokalen
Arbeitsteilung doch notwendig über die einzelnen Staaten hinaus; erst befreundete und
benachbarte, später alle civilisierten Länder kommen mit einander in Verkehr auf Grund
völkerrechtlicher Abmachungen und handelspolitischer Verträge (vergl. S. 286--287). Aus
der interlokalen wird die internationale Arbeitsteilung; aus den Nationalwirtschaften hat
sich neuerdings die Weltwirtschaft entwickelt, die ihr Ideal im allgemeinen Weltfrieden
und im Siege des Freihandels hat. Die beiden Tendenzen der nationalen und der
internationalen Arbeitsteilung gehen gleichberechtigt nebeneinander her; so oft sie sich
auch bekämpfen, müssen sie immer wieder die den realen Verhältnissen angepaßten
Kompromisse schließen.

Für Deutschland sehen wir hauptsächlich seit dem 15. Jahrhundert die interlokale
Teilung zwischen verschiedenen Städten und Gegenden eintreten. Die früher allerwärts
blühende Tuchindustrie konzentriert sich auf bestimmte Orte, an den anderen geht sie
zurück. Zur selben Zeit fängt die Ulmer und Augsburger Barchentweberei, die Nürn-
berger Metallindustrie, die Solinger Klingenindustrie, die Baseler Papierindustrie an,
mehr für andere Städte als für den lokalen Markt zu arbeiten, wie es schon früher
die flandrische und niederrheinische Tuchindustrie gethan. Die Messen, auf denen diese
interlokale Arbeitsteilung ihre Produkte tauscht, werden für Deutschland von 1500 bis
1800 so wichtig wie früher die lokalen Wochen- und Jahrmärkte. Für viele Orte
bedeutete dieser Umbildungsprozeß einen unwiederbringlichen Verlust; zahlreiche kleine
Städte sind von da an zurückgegangen; Klagen darüber treffen wir daher auch in
Deutschland wie in England seit dem 16. Jahrhundert. Die ältere gewerbliche Uni-
versalität jeder Stadt war für immer verloren, wo und insoweit diese interlokale
Arbeitsteilung siegte. Roschers Untersuchungen über den Standort der einzelnen Industrie-
zweige enthalten im wesentlichen den Nachweis, daß in älterer Zeit die meisten Gewerbe
nur an dem Orte des Absatzes gediehen, später an entfernteren Orten mit bestimmten
Produktionsvorteilen. Seine zahlreichen Beispiele enthalten hauptsächlich Beweise der
Verschiebung der Standorte innerhalb desselben Landes.

Heute stellt jedes größere Land ein um so ausgebildeteres System räumlicher
Arbeitsteilung dar, je ausgebauter sein Verkehrswesen, je abschließender seine Handels-
politik ist. In der Hauptstadt konzentriert sich heute mehr als früher die Central-
regierung, die Kunst, die Litteratur, die großen Kreditgeschäfte; in den großen Hafen-
plätzen konzentriert sich mehr als früher alle Aus- und Einfuhr, schon weil sie allein
die besten Docks, Lagerhäuser und Freihafeneinrichtungen haben, weil hieher die fremden
Besteller am meisten kommen. Aus Hunderten von kleineren Getreide- und Viehhandels-
plätzen werden einige wenige gut gelegene große, wie in Deutschland Danzig, Berlin
und Mannheim. Während früher jede Stadt Wall und Graben hatte, übernehmen
jetzt wenige große Festungen den Schutz des ganzen Staates. Wie die Landes- und
Reichshauptstadt, so wachsen die Provinzialhauptstädte durch die Konzentration der
Provinzialverwaltung, durch die provinziellen Anstalten, Sammlungen und Schulen.
An einer Stelle werden die Irren oder Kranken bestimmter Art für eine Provinz oder
einen Bezirk verpflegt, die früher zerstreut waren. Die einzelnen Städte bilden sich
mehr und mehr zu städtischen Specialitäten aus (vergl. S. 273). In wenigen Punkten
oder Gegenden konzentrieren sich die großen Industrien des Maschinenbaues, der Spinnerei,
der Weberei, der Gerberei, der Eisenverhüttung, der Zuckerindustrie für den ganzen
Staat. Hier sind Fachschulen, Techniker, Maschinenbau, Arbeiterbevölkerung darauf ein-
gerichtet, Verkehr und Kreditorganisation paßt sich den speciellen Bedürfnissen an. Den
Anstoß hiezu haben die verschiedenartigsten Ursachen gegeben: Gunst der Natur, Ein-
wanderung von Gewerbsleuten, ältere verwandte Industrien, besondere Pflege; meist
reichen die Keime Jahrhunderte zurück; aber während an anderen Orten die ähnlichen

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Die geographiſche Arbeitsteilung.
ihrer Handelsplätze und Ackerbaudiſtrikte; die intenſivſte Arbeitsteilung ſetzt ſtets ſtaatliche
Zuſammengehörigkeit voraus, wie umgekehrt jede ſtaatliche Zuſammengehörigkeit mit der
Zeit darauf hinarbeitet, daß die politiſch verbundenen Teile auch durch eine erhebliche
wirtſchaftliche Arbeitsteilung verknüpft werden. Alle moderne nationale Wirtſchafts-
und Schutzzollpolitik beruht darauf. Daneben aber greift dieſelbe Tendenz der lokalen
Arbeitsteilung doch notwendig über die einzelnen Staaten hinaus; erſt befreundete und
benachbarte, ſpäter alle civiliſierten Länder kommen mit einander in Verkehr auf Grund
völkerrechtlicher Abmachungen und handelspolitiſcher Verträge (vergl. S. 286—287). Aus
der interlokalen wird die internationale Arbeitsteilung; aus den Nationalwirtſchaften hat
ſich neuerdings die Weltwirtſchaft entwickelt, die ihr Ideal im allgemeinen Weltfrieden
und im Siege des Freihandels hat. Die beiden Tendenzen der nationalen und der
internationalen Arbeitsteilung gehen gleichberechtigt nebeneinander her; ſo oft ſie ſich
auch bekämpfen, müſſen ſie immer wieder die den realen Verhältniſſen angepaßten
Kompromiſſe ſchließen.

Für Deutſchland ſehen wir hauptſächlich ſeit dem 15. Jahrhundert die interlokale
Teilung zwiſchen verſchiedenen Städten und Gegenden eintreten. Die früher allerwärts
blühende Tuchinduſtrie konzentriert ſich auf beſtimmte Orte, an den anderen geht ſie
zurück. Zur ſelben Zeit fängt die Ulmer und Augsburger Barchentweberei, die Nürn-
berger Metallinduſtrie, die Solinger Klingeninduſtrie, die Baſeler Papierinduſtrie an,
mehr für andere Städte als für den lokalen Markt zu arbeiten, wie es ſchon früher
die flandriſche und niederrheiniſche Tuchinduſtrie gethan. Die Meſſen, auf denen dieſe
interlokale Arbeitsteilung ihre Produkte tauſcht, werden für Deutſchland von 1500 bis
1800 ſo wichtig wie früher die lokalen Wochen- und Jahrmärkte. Für viele Orte
bedeutete dieſer Umbildungsprozeß einen unwiederbringlichen Verluſt; zahlreiche kleine
Städte ſind von da an zurückgegangen; Klagen darüber treffen wir daher auch in
Deutſchland wie in England ſeit dem 16. Jahrhundert. Die ältere gewerbliche Uni-
verſalität jeder Stadt war für immer verloren, wo und inſoweit dieſe interlokale
Arbeitsteilung ſiegte. Roſchers Unterſuchungen über den Standort der einzelnen Induſtrie-
zweige enthalten im weſentlichen den Nachweis, daß in älterer Zeit die meiſten Gewerbe
nur an dem Orte des Abſatzes gediehen, ſpäter an entfernteren Orten mit beſtimmten
Produktionsvorteilen. Seine zahlreichen Beiſpiele enthalten hauptſächlich Beweiſe der
Verſchiebung der Standorte innerhalb desſelben Landes.

Heute ſtellt jedes größere Land ein um ſo ausgebildeteres Syſtem räumlicher
Arbeitsteilung dar, je ausgebauter ſein Verkehrsweſen, je abſchließender ſeine Handels-
politik iſt. In der Hauptſtadt konzentriert ſich heute mehr als früher die Central-
regierung, die Kunſt, die Litteratur, die großen Kreditgeſchäfte; in den großen Hafen-
plätzen konzentriert ſich mehr als früher alle Aus- und Einfuhr, ſchon weil ſie allein
die beſten Docks, Lagerhäuſer und Freihafeneinrichtungen haben, weil hieher die fremden
Beſteller am meiſten kommen. Aus Hunderten von kleineren Getreide- und Viehhandels-
plätzen werden einige wenige gut gelegene große, wie in Deutſchland Danzig, Berlin
und Mannheim. Während früher jede Stadt Wall und Graben hatte, übernehmen
jetzt wenige große Feſtungen den Schutz des ganzen Staates. Wie die Landes- und
Reichshauptſtadt, ſo wachſen die Provinzialhauptſtädte durch die Konzentration der
Provinzialverwaltung, durch die provinziellen Anſtalten, Sammlungen und Schulen.
An einer Stelle werden die Irren oder Kranken beſtimmter Art für eine Provinz oder
einen Bezirk verpflegt, die früher zerſtreut waren. Die einzelnen Städte bilden ſich
mehr und mehr zu ſtädtiſchen Specialitäten aus (vergl. S. 273). In wenigen Punkten
oder Gegenden konzentrieren ſich die großen Induſtrien des Maſchinenbaues, der Spinnerei,
der Weberei, der Gerberei, der Eiſenverhüttung, der Zuckerinduſtrie für den ganzen
Staat. Hier ſind Fachſchulen, Techniker, Maſchinenbau, Arbeiterbevölkerung darauf ein-
gerichtet, Verkehr und Kreditorganiſation paßt ſich den ſpeciellen Bedürfniſſen an. Den
Anſtoß hiezu haben die verſchiedenartigſten Urſachen gegeben: Gunſt der Natur, Ein-
wanderung von Gewerbsleuten, ältere verwandte Induſtrien, beſondere Pflege; meiſt
reichen die Keime Jahrhunderte zurück; aber während an anderen Orten die ähnlichen

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[355/0371] Die geographiſche Arbeitsteilung. ihrer Handelsplätze und Ackerbaudiſtrikte; die intenſivſte Arbeitsteilung ſetzt ſtets ſtaatliche Zuſammengehörigkeit voraus, wie umgekehrt jede ſtaatliche Zuſammengehörigkeit mit der Zeit darauf hinarbeitet, daß die politiſch verbundenen Teile auch durch eine erhebliche wirtſchaftliche Arbeitsteilung verknüpft werden. Alle moderne nationale Wirtſchafts- und Schutzzollpolitik beruht darauf. Daneben aber greift dieſelbe Tendenz der lokalen Arbeitsteilung doch notwendig über die einzelnen Staaten hinaus; erſt befreundete und benachbarte, ſpäter alle civiliſierten Länder kommen mit einander in Verkehr auf Grund völkerrechtlicher Abmachungen und handelspolitiſcher Verträge (vergl. S. 286—287). Aus der interlokalen wird die internationale Arbeitsteilung; aus den Nationalwirtſchaften hat ſich neuerdings die Weltwirtſchaft entwickelt, die ihr Ideal im allgemeinen Weltfrieden und im Siege des Freihandels hat. Die beiden Tendenzen der nationalen und der internationalen Arbeitsteilung gehen gleichberechtigt nebeneinander her; ſo oft ſie ſich auch bekämpfen, müſſen ſie immer wieder die den realen Verhältniſſen angepaßten Kompromiſſe ſchließen. Für Deutſchland ſehen wir hauptſächlich ſeit dem 15. Jahrhundert die interlokale Teilung zwiſchen verſchiedenen Städten und Gegenden eintreten. Die früher allerwärts blühende Tuchinduſtrie konzentriert ſich auf beſtimmte Orte, an den anderen geht ſie zurück. Zur ſelben Zeit fängt die Ulmer und Augsburger Barchentweberei, die Nürn- berger Metallinduſtrie, die Solinger Klingeninduſtrie, die Baſeler Papierinduſtrie an, mehr für andere Städte als für den lokalen Markt zu arbeiten, wie es ſchon früher die flandriſche und niederrheiniſche Tuchinduſtrie gethan. Die Meſſen, auf denen dieſe interlokale Arbeitsteilung ihre Produkte tauſcht, werden für Deutſchland von 1500 bis 1800 ſo wichtig wie früher die lokalen Wochen- und Jahrmärkte. Für viele Orte bedeutete dieſer Umbildungsprozeß einen unwiederbringlichen Verluſt; zahlreiche kleine Städte ſind von da an zurückgegangen; Klagen darüber treffen wir daher auch in Deutſchland wie in England ſeit dem 16. Jahrhundert. Die ältere gewerbliche Uni- verſalität jeder Stadt war für immer verloren, wo und inſoweit dieſe interlokale Arbeitsteilung ſiegte. Roſchers Unterſuchungen über den Standort der einzelnen Induſtrie- zweige enthalten im weſentlichen den Nachweis, daß in älterer Zeit die meiſten Gewerbe nur an dem Orte des Abſatzes gediehen, ſpäter an entfernteren Orten mit beſtimmten Produktionsvorteilen. Seine zahlreichen Beiſpiele enthalten hauptſächlich Beweiſe der Verſchiebung der Standorte innerhalb desſelben Landes. Heute ſtellt jedes größere Land ein um ſo ausgebildeteres Syſtem räumlicher Arbeitsteilung dar, je ausgebauter ſein Verkehrsweſen, je abſchließender ſeine Handels- politik iſt. In der Hauptſtadt konzentriert ſich heute mehr als früher die Central- regierung, die Kunſt, die Litteratur, die großen Kreditgeſchäfte; in den großen Hafen- plätzen konzentriert ſich mehr als früher alle Aus- und Einfuhr, ſchon weil ſie allein die beſten Docks, Lagerhäuſer und Freihafeneinrichtungen haben, weil hieher die fremden Beſteller am meiſten kommen. Aus Hunderten von kleineren Getreide- und Viehhandels- plätzen werden einige wenige gut gelegene große, wie in Deutſchland Danzig, Berlin und Mannheim. Während früher jede Stadt Wall und Graben hatte, übernehmen jetzt wenige große Feſtungen den Schutz des ganzen Staates. Wie die Landes- und Reichshauptſtadt, ſo wachſen die Provinzialhauptſtädte durch die Konzentration der Provinzialverwaltung, durch die provinziellen Anſtalten, Sammlungen und Schulen. An einer Stelle werden die Irren oder Kranken beſtimmter Art für eine Provinz oder einen Bezirk verpflegt, die früher zerſtreut waren. Die einzelnen Städte bilden ſich mehr und mehr zu ſtädtiſchen Specialitäten aus (vergl. S. 273). In wenigen Punkten oder Gegenden konzentrieren ſich die großen Induſtrien des Maſchinenbaues, der Spinnerei, der Weberei, der Gerberei, der Eiſenverhüttung, der Zuckerinduſtrie für den ganzen Staat. Hier ſind Fachſchulen, Techniker, Maſchinenbau, Arbeiterbevölkerung darauf ein- gerichtet, Verkehr und Kreditorganiſation paßt ſich den ſpeciellen Bedürfniſſen an. Den Anſtoß hiezu haben die verſchiedenartigſten Urſachen gegeben: Gunſt der Natur, Ein- wanderung von Gewerbsleuten, ältere verwandte Induſtrien, beſondere Pflege; meiſt reichen die Keime Jahrhunderte zurück; aber während an anderen Orten die ähnlichen 23*

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/371>, abgerufen am 25.11.2024.