Der ältere Kaufmann ist so im ganzen wie der Priester und der Krieger eine aristokratische Erscheinung. Der Handel größeren Stils bietet noch leichtere Möglich- keiten des Gewinnes als jene Berufe; er ist lange ein Monopol bestimmter Stämme, Städte, Familien; er fordert Talent, Mut, Charakter, er bietet Gelegenheit zu List, Gewalt und Herrschaft; daher ist der Merkur der Gott der Kaufleute und der Diebe. Für die naive ältere Auffassung ist der Kaufmann der stolze, hochmütige, zungenfertige, sprachkundige, weltbürgerliche, von der Heimat losgelöste Völkervermischer, welcher Kultur, Luxus, höhere Gesittung, aber auch Auflösung der bestehenden Sitten und allerlei Laster bringt. Neben dem aristokratischen Kaufmann, der in die Fremde zieht, stehen nun aber teils von Anfang an, teils bald darauf weitere arbeitsteilige Glieder von Handel und Verkehr, die mehr dem Mittelstande oder gar den unteren Klassen angehören. Schon die kleineren Hausierer, die teils im Gefolge des großen Kaufmannes, teils selbständig mit etwas höherer wirtschaftlicher Entwickelung entstehen, gehören hieher.
In dem Maße, wie aus den älteren Märkten, die einigemale im Jahre bei Ge- legenheit der Gerichts- und Volksversammlung, der kirchlichen Feste gehalten werden, täglich stattfindende Märkte werden, treffen wir seßhafte Kleinkaufleute, Krämer, Höker, welche, mit kleinem Gewinn sich begnügend, den lokalen Detailhandel übernehmen; es entsteht daneben ein offizielles Marktpersonal von Marktmeistern, Messern, Trägern, Maklern, Warenprobierern, denen sich erst der fremde Münzer und Geldwechsler, dann der heimische zugesellt. Aus letzteren erwächst später der Bankier und das ganze Kredit- geschäft, das aber lange auch von anderen Großkaufleuten, von Klöstern und Stadt- verwaltungen, von Goldschmieden nebenher betrieben wird, erst im Laufe der letzten 200 Jahre seine große, selbständige Ausbildung, seine Specialitäten, seine innere, weit- gehende Arbeitsteilung empfangen hat.
Das Verkehrsgeschäft ist sehr lange Sache des reisenden Kaufmanns selbst. Er verpflegt sich unterwegs selbst oder nimmt Gastfreundschaft in Anspruch, er besitzt eigene Schiffe, Pferde und Wagen, er oder seine Diener begleiten die Waren selbst. Im Orient kehrt er noch heute in der von den öffentlichen Gewalten hergestellten Karawanserei ein, die ihm nur leere Räume bietet. Gasthäuser sind erst langsam im Mittelalter auf- gekommen, noch im vorigen Jahrhundert mußte die preußische Verwaltung sich bemühen, sie durch besondere Begünstigungen ins Leben zu rufen, während heute das Gasthaus, die Bank und die Poststelle die ersten Häuser einer städtischen Neugründung in Amerika sind, und die europäische Gasthausindustrie eine der großartigsten, technisch und auch arbeitsteilig vollendetsten ist.
Die Entstehung eines besonderen Frachtgewerbes haben wir am Wasser zu suchen. Der Schiffer, der freilich lange zugleich Fischer bleibt, auch einzelne Zweige des Handels, so hauptsächlich den Getreide- und Holzhandel, mit seinem Frachtgewerbe verbindet, nimmt den Kaufmann und seine Waren schon bei den Phönikern und im Altertume auf; aber daneben bleiben vielfach die Großkaufleute der Seestädte Reeder und Schiffs- besitzer bis heute. Viel langsamer entwickelt sich ein besonderes Frachtfuhrgeschäft auf dem Lande. Das Altertum hat nur Spuren davon; die neueren Zeiten haben es vom 15.--18. Jahrhundert langsam entstehen sehen; die Metzger und Bauern an den Haupt- straßen beschäftigen lange ihre Pferde nebenher in dieser Weise, bis das regelmäßige Frachtfuhrgeschäft als selbständiges Gewerbe sich lohnte. Eine Post im Dienste der kaiserlichen Verwaltung hat das Altertum gekannt, aber nicht im Dienste des Verkehrs; erst aus den städtischen und fürstlichen Botenkursen des 15.--17. Jahrhunderts sind die Posten unserer Tage als selbständige, dem Brief-, Personen- und Frachtverkehr dienende Institute erwachsen. An sie knüpfen sich als große Privatunternehmungen oder Staats- institute unsere heutigen Eisenbahnen, Telegraphenanstalten, Postdampferlinien, Telephon- einrichtungen mit ihrem arbeitsteiligen Personal von Tausenden von Personen.
Alle diese Institutionen zusammen haben vom 16. Jahrhundert an unsern Handel und seine Einrichtungen in den civilisierten Staaten und zwischen ihnen gänzlich um- gestaltet. Nun konnte der Kaufmann zu Hause bleiben, durch Briefe und Frachtgeschäfte, welche andere besorgten, seinen Handel abmachen; er brauchte nicht mehr in gleichem
Die Entſtehung des Handels und der Händler.
Der ältere Kaufmann iſt ſo im ganzen wie der Prieſter und der Krieger eine ariſtokratiſche Erſcheinung. Der Handel größeren Stils bietet noch leichtere Möglich- keiten des Gewinnes als jene Berufe; er iſt lange ein Monopol beſtimmter Stämme, Städte, Familien; er fordert Talent, Mut, Charakter, er bietet Gelegenheit zu Liſt, Gewalt und Herrſchaft; daher iſt der Merkur der Gott der Kaufleute und der Diebe. Für die naive ältere Auffaſſung iſt der Kaufmann der ſtolze, hochmütige, zungenfertige, ſprachkundige, weltbürgerliche, von der Heimat losgelöſte Völkervermiſcher, welcher Kultur, Luxus, höhere Geſittung, aber auch Auflöſung der beſtehenden Sitten und allerlei Laſter bringt. Neben dem ariſtokratiſchen Kaufmann, der in die Fremde zieht, ſtehen nun aber teils von Anfang an, teils bald darauf weitere arbeitsteilige Glieder von Handel und Verkehr, die mehr dem Mittelſtande oder gar den unteren Klaſſen angehören. Schon die kleineren Hauſierer, die teils im Gefolge des großen Kaufmannes, teils ſelbſtändig mit etwas höherer wirtſchaftlicher Entwickelung entſtehen, gehören hieher.
In dem Maße, wie aus den älteren Märkten, die einigemale im Jahre bei Ge- legenheit der Gerichts- und Volksverſammlung, der kirchlichen Feſte gehalten werden, täglich ſtattfindende Märkte werden, treffen wir ſeßhafte Kleinkaufleute, Krämer, Höker, welche, mit kleinem Gewinn ſich begnügend, den lokalen Detailhandel übernehmen; es entſteht daneben ein offizielles Marktperſonal von Marktmeiſtern, Meſſern, Trägern, Maklern, Warenprobierern, denen ſich erſt der fremde Münzer und Geldwechsler, dann der heimiſche zugeſellt. Aus letzteren erwächſt ſpäter der Bankier und das ganze Kredit- geſchäft, das aber lange auch von anderen Großkaufleuten, von Klöſtern und Stadt- verwaltungen, von Goldſchmieden nebenher betrieben wird, erſt im Laufe der letzten 200 Jahre ſeine große, ſelbſtändige Ausbildung, ſeine Specialitäten, ſeine innere, weit- gehende Arbeitsteilung empfangen hat.
Das Verkehrsgeſchäft iſt ſehr lange Sache des reiſenden Kaufmanns ſelbſt. Er verpflegt ſich unterwegs ſelbſt oder nimmt Gaſtfreundſchaft in Anſpruch, er beſitzt eigene Schiffe, Pferde und Wagen, er oder ſeine Diener begleiten die Waren ſelbſt. Im Orient kehrt er noch heute in der von den öffentlichen Gewalten hergeſtellten Karawanſerei ein, die ihm nur leere Räume bietet. Gaſthäuſer ſind erſt langſam im Mittelalter auf- gekommen, noch im vorigen Jahrhundert mußte die preußiſche Verwaltung ſich bemühen, ſie durch beſondere Begünſtigungen ins Leben zu rufen, während heute das Gaſthaus, die Bank und die Poſtſtelle die erſten Häuſer einer ſtädtiſchen Neugründung in Amerika ſind, und die europäiſche Gaſthausinduſtrie eine der großartigſten, techniſch und auch arbeitsteilig vollendetſten iſt.
Die Entſtehung eines beſonderen Frachtgewerbes haben wir am Waſſer zu ſuchen. Der Schiffer, der freilich lange zugleich Fiſcher bleibt, auch einzelne Zweige des Handels, ſo hauptſächlich den Getreide- und Holzhandel, mit ſeinem Frachtgewerbe verbindet, nimmt den Kaufmann und ſeine Waren ſchon bei den Phönikern und im Altertume auf; aber daneben bleiben vielfach die Großkaufleute der Seeſtädte Reeder und Schiffs- beſitzer bis heute. Viel langſamer entwickelt ſich ein beſonderes Frachtfuhrgeſchäft auf dem Lande. Das Altertum hat nur Spuren davon; die neueren Zeiten haben es vom 15.—18. Jahrhundert langſam entſtehen ſehen; die Metzger und Bauern an den Haupt- ſtraßen beſchäftigen lange ihre Pferde nebenher in dieſer Weiſe, bis das regelmäßige Frachtfuhrgeſchäft als ſelbſtändiges Gewerbe ſich lohnte. Eine Poſt im Dienſte der kaiſerlichen Verwaltung hat das Altertum gekannt, aber nicht im Dienſte des Verkehrs; erſt aus den ſtädtiſchen und fürſtlichen Botenkurſen des 15.—17. Jahrhunderts ſind die Poſten unſerer Tage als ſelbſtändige, dem Brief-, Perſonen- und Frachtverkehr dienende Inſtitute erwachſen. An ſie knüpfen ſich als große Privatunternehmungen oder Staats- inſtitute unſere heutigen Eiſenbahnen, Telegraphenanſtalten, Poſtdampferlinien, Telephon- einrichtungen mit ihrem arbeitsteiligen Perſonal von Tauſenden von Perſonen.
Alle dieſe Inſtitutionen zuſammen haben vom 16. Jahrhundert an unſern Handel und ſeine Einrichtungen in den civiliſierten Staaten und zwiſchen ihnen gänzlich um- geſtaltet. Nun konnte der Kaufmann zu Hauſe bleiben, durch Briefe und Frachtgeſchäfte, welche andere beſorgten, ſeinen Handel abmachen; er brauchte nicht mehr in gleichem
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0351"n="335"/><fwplace="top"type="header">Die Entſtehung des Handels und der Händler.</fw><lb/><p>Der ältere Kaufmann iſt ſo im ganzen wie der Prieſter und der Krieger eine<lb/>
ariſtokratiſche Erſcheinung. Der Handel größeren Stils bietet noch leichtere Möglich-<lb/>
keiten des Gewinnes als jene Berufe; er iſt lange ein Monopol beſtimmter Stämme,<lb/>
Städte, Familien; er fordert Talent, Mut, Charakter, er bietet Gelegenheit zu Liſt,<lb/>
Gewalt und Herrſchaft; daher iſt der Merkur der Gott der Kaufleute und der Diebe.<lb/>
Für die naive ältere Auffaſſung iſt der Kaufmann der ſtolze, hochmütige, zungenfertige,<lb/>ſprachkundige, weltbürgerliche, von der Heimat losgelöſte Völkervermiſcher, welcher Kultur,<lb/>
Luxus, höhere Geſittung, aber auch Auflöſung der beſtehenden Sitten und allerlei Laſter<lb/>
bringt. Neben dem ariſtokratiſchen Kaufmann, der in die Fremde zieht, ſtehen nun aber<lb/>
teils von Anfang an, teils bald darauf weitere arbeitsteilige Glieder von Handel und<lb/>
Verkehr, die mehr dem Mittelſtande oder gar den unteren Klaſſen angehören. Schon<lb/>
die kleineren Hauſierer, die teils im Gefolge des großen Kaufmannes, teils ſelbſtändig<lb/>
mit etwas höherer wirtſchaftlicher Entwickelung entſtehen, gehören hieher.</p><lb/><p>In dem Maße, wie aus den älteren Märkten, die einigemale im Jahre bei Ge-<lb/>
legenheit der Gerichts- und Volksverſammlung, der kirchlichen Feſte gehalten werden,<lb/>
täglich ſtattfindende Märkte werden, treffen wir ſeßhafte Kleinkaufleute, Krämer, Höker,<lb/>
welche, mit kleinem Gewinn ſich begnügend, den lokalen Detailhandel übernehmen; es<lb/>
entſteht daneben ein offizielles Marktperſonal von Marktmeiſtern, Meſſern, Trägern,<lb/>
Maklern, Warenprobierern, denen ſich erſt der fremde Münzer und Geldwechsler, dann<lb/>
der heimiſche zugeſellt. Aus letzteren erwächſt ſpäter der Bankier und das ganze Kredit-<lb/>
geſchäft, das aber lange auch von anderen Großkaufleuten, von Klöſtern und Stadt-<lb/>
verwaltungen, von Goldſchmieden nebenher betrieben wird, erſt im Laufe der letzten<lb/>
200 Jahre ſeine große, ſelbſtändige Ausbildung, ſeine Specialitäten, ſeine innere, weit-<lb/>
gehende Arbeitsteilung empfangen hat.</p><lb/><p>Das Verkehrsgeſchäft iſt ſehr lange Sache des reiſenden Kaufmanns ſelbſt. Er<lb/>
verpflegt ſich unterwegs ſelbſt oder nimmt Gaſtfreundſchaft in Anſpruch, er beſitzt eigene<lb/>
Schiffe, Pferde und Wagen, er oder ſeine Diener begleiten die Waren ſelbſt. Im Orient<lb/>
kehrt er noch heute in der von den öffentlichen Gewalten hergeſtellten Karawanſerei ein,<lb/>
die ihm nur leere Räume bietet. Gaſthäuſer ſind erſt langſam im Mittelalter auf-<lb/>
gekommen, noch im vorigen Jahrhundert mußte die preußiſche Verwaltung ſich bemühen,<lb/>ſie durch beſondere Begünſtigungen ins Leben zu rufen, während heute das Gaſthaus,<lb/>
die Bank und die Poſtſtelle die erſten Häuſer einer ſtädtiſchen Neugründung in Amerika<lb/>ſind, und die europäiſche Gaſthausinduſtrie eine der großartigſten, techniſch und auch<lb/>
arbeitsteilig vollendetſten iſt.</p><lb/><p>Die Entſtehung eines beſonderen Frachtgewerbes haben wir am Waſſer zu ſuchen.<lb/>
Der Schiffer, der freilich lange zugleich Fiſcher bleibt, auch einzelne Zweige des Handels,<lb/>ſo hauptſächlich den Getreide- und Holzhandel, mit ſeinem Frachtgewerbe verbindet,<lb/>
nimmt den Kaufmann und ſeine Waren ſchon bei den Phönikern und im Altertume<lb/>
auf; aber daneben bleiben vielfach die Großkaufleute der Seeſtädte Reeder und Schiffs-<lb/>
beſitzer bis heute. Viel langſamer entwickelt ſich ein beſonderes Frachtfuhrgeſchäft auf<lb/>
dem Lande. Das Altertum hat nur Spuren davon; die neueren Zeiten haben es vom<lb/>
15.—18. Jahrhundert langſam entſtehen ſehen; die Metzger und Bauern an den Haupt-<lb/>ſtraßen beſchäftigen lange ihre Pferde nebenher in dieſer Weiſe, bis das regelmäßige<lb/>
Frachtfuhrgeſchäft als ſelbſtändiges Gewerbe ſich lohnte. Eine Poſt im Dienſte der<lb/>
kaiſerlichen Verwaltung hat das Altertum gekannt, aber nicht im Dienſte des Verkehrs;<lb/>
erſt aus den ſtädtiſchen und fürſtlichen Botenkurſen des 15.—17. Jahrhunderts ſind die<lb/>
Poſten unſerer Tage als ſelbſtändige, dem Brief-, Perſonen- und Frachtverkehr dienende<lb/>
Inſtitute erwachſen. An ſie knüpfen ſich als große Privatunternehmungen oder Staats-<lb/>
inſtitute unſere heutigen Eiſenbahnen, Telegraphenanſtalten, Poſtdampferlinien, Telephon-<lb/>
einrichtungen mit ihrem arbeitsteiligen Perſonal von Tauſenden von Perſonen.</p><lb/><p>Alle dieſe Inſtitutionen zuſammen haben vom 16. Jahrhundert an unſern Handel<lb/>
und ſeine Einrichtungen in den civiliſierten Staaten und zwiſchen ihnen gänzlich um-<lb/>
geſtaltet. Nun konnte der Kaufmann zu Hauſe bleiben, durch Briefe und Frachtgeſchäfte,<lb/>
welche andere beſorgten, ſeinen Handel abmachen; er brauchte nicht mehr in gleichem<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[335/0351]
Die Entſtehung des Handels und der Händler.
Der ältere Kaufmann iſt ſo im ganzen wie der Prieſter und der Krieger eine
ariſtokratiſche Erſcheinung. Der Handel größeren Stils bietet noch leichtere Möglich-
keiten des Gewinnes als jene Berufe; er iſt lange ein Monopol beſtimmter Stämme,
Städte, Familien; er fordert Talent, Mut, Charakter, er bietet Gelegenheit zu Liſt,
Gewalt und Herrſchaft; daher iſt der Merkur der Gott der Kaufleute und der Diebe.
Für die naive ältere Auffaſſung iſt der Kaufmann der ſtolze, hochmütige, zungenfertige,
ſprachkundige, weltbürgerliche, von der Heimat losgelöſte Völkervermiſcher, welcher Kultur,
Luxus, höhere Geſittung, aber auch Auflöſung der beſtehenden Sitten und allerlei Laſter
bringt. Neben dem ariſtokratiſchen Kaufmann, der in die Fremde zieht, ſtehen nun aber
teils von Anfang an, teils bald darauf weitere arbeitsteilige Glieder von Handel und
Verkehr, die mehr dem Mittelſtande oder gar den unteren Klaſſen angehören. Schon
die kleineren Hauſierer, die teils im Gefolge des großen Kaufmannes, teils ſelbſtändig
mit etwas höherer wirtſchaftlicher Entwickelung entſtehen, gehören hieher.
In dem Maße, wie aus den älteren Märkten, die einigemale im Jahre bei Ge-
legenheit der Gerichts- und Volksverſammlung, der kirchlichen Feſte gehalten werden,
täglich ſtattfindende Märkte werden, treffen wir ſeßhafte Kleinkaufleute, Krämer, Höker,
welche, mit kleinem Gewinn ſich begnügend, den lokalen Detailhandel übernehmen; es
entſteht daneben ein offizielles Marktperſonal von Marktmeiſtern, Meſſern, Trägern,
Maklern, Warenprobierern, denen ſich erſt der fremde Münzer und Geldwechsler, dann
der heimiſche zugeſellt. Aus letzteren erwächſt ſpäter der Bankier und das ganze Kredit-
geſchäft, das aber lange auch von anderen Großkaufleuten, von Klöſtern und Stadt-
verwaltungen, von Goldſchmieden nebenher betrieben wird, erſt im Laufe der letzten
200 Jahre ſeine große, ſelbſtändige Ausbildung, ſeine Specialitäten, ſeine innere, weit-
gehende Arbeitsteilung empfangen hat.
Das Verkehrsgeſchäft iſt ſehr lange Sache des reiſenden Kaufmanns ſelbſt. Er
verpflegt ſich unterwegs ſelbſt oder nimmt Gaſtfreundſchaft in Anſpruch, er beſitzt eigene
Schiffe, Pferde und Wagen, er oder ſeine Diener begleiten die Waren ſelbſt. Im Orient
kehrt er noch heute in der von den öffentlichen Gewalten hergeſtellten Karawanſerei ein,
die ihm nur leere Räume bietet. Gaſthäuſer ſind erſt langſam im Mittelalter auf-
gekommen, noch im vorigen Jahrhundert mußte die preußiſche Verwaltung ſich bemühen,
ſie durch beſondere Begünſtigungen ins Leben zu rufen, während heute das Gaſthaus,
die Bank und die Poſtſtelle die erſten Häuſer einer ſtädtiſchen Neugründung in Amerika
ſind, und die europäiſche Gaſthausinduſtrie eine der großartigſten, techniſch und auch
arbeitsteilig vollendetſten iſt.
Die Entſtehung eines beſonderen Frachtgewerbes haben wir am Waſſer zu ſuchen.
Der Schiffer, der freilich lange zugleich Fiſcher bleibt, auch einzelne Zweige des Handels,
ſo hauptſächlich den Getreide- und Holzhandel, mit ſeinem Frachtgewerbe verbindet,
nimmt den Kaufmann und ſeine Waren ſchon bei den Phönikern und im Altertume
auf; aber daneben bleiben vielfach die Großkaufleute der Seeſtädte Reeder und Schiffs-
beſitzer bis heute. Viel langſamer entwickelt ſich ein beſonderes Frachtfuhrgeſchäft auf
dem Lande. Das Altertum hat nur Spuren davon; die neueren Zeiten haben es vom
15.—18. Jahrhundert langſam entſtehen ſehen; die Metzger und Bauern an den Haupt-
ſtraßen beſchäftigen lange ihre Pferde nebenher in dieſer Weiſe, bis das regelmäßige
Frachtfuhrgeſchäft als ſelbſtändiges Gewerbe ſich lohnte. Eine Poſt im Dienſte der
kaiſerlichen Verwaltung hat das Altertum gekannt, aber nicht im Dienſte des Verkehrs;
erſt aus den ſtädtiſchen und fürſtlichen Botenkurſen des 15.—17. Jahrhunderts ſind die
Poſten unſerer Tage als ſelbſtändige, dem Brief-, Perſonen- und Frachtverkehr dienende
Inſtitute erwachſen. An ſie knüpfen ſich als große Privatunternehmungen oder Staats-
inſtitute unſere heutigen Eiſenbahnen, Telegraphenanſtalten, Poſtdampferlinien, Telephon-
einrichtungen mit ihrem arbeitsteiligen Perſonal von Tauſenden von Perſonen.
Alle dieſe Inſtitutionen zuſammen haben vom 16. Jahrhundert an unſern Handel
und ſeine Einrichtungen in den civiliſierten Staaten und zwiſchen ihnen gänzlich um-
geſtaltet. Nun konnte der Kaufmann zu Hauſe bleiben, durch Briefe und Frachtgeſchäfte,
welche andere beſorgten, ſeinen Handel abmachen; er brauchte nicht mehr in gleichem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/351>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.