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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Die Priesterherrschaft und ihre Beseitigung. Die Krieger.
schreibende, buchführende Verwaltung hat Jahrhunderte lang da und dort in ihren
Händen gelegen. Ihr hohes Einkommen haben sie ursprünglich zur Sammlung von
Familienvermögen, später, zumal wo der Cölibat herrschte, wie in der mittelalterlichen
Kirche, zur Anhäufung von Tempel- und Kirchenvermögen verwandt.

Die Nachwirkungen dieser Institutionen und dieser Vermögensverteilung sind in
den meisten europäischen Staaten heute noch vorhanden. Die Priesterherrschaft aber ist
fast allerwärts beseitigt oder zurückgedrängt durch die Konkurrenz der selbständigen
geistig-sittlichen Kräfte, die in den gesamten höheren und mittleren Klassen sich ent-
wickelten, hauptsächlich heute in den verschiedenen liberalen Berufen sich finden. Ein großer
Teil dieser letzteren ist direkt oder indirekt aus den Einrichtungen und Traditionen der
Priester hervorgegangen. Der Typus von Personen, die durch ausschließliche oder über-
wiegende geistige Kraft und Arbeit sich eine höhere oder besondere Stellung erwerben,
ist seit den Tagen des Priesterberufes nicht mehr verschwunden. Alle spätere Aristokratie
hat sich ihre Stellung in dem Maße erwerben und behaupten können, wie sie, ähnlich
den einstigen Priestern, sich durch Bildung und Kenntnisse, geistige Kraft und moralische
Zucht auszeichnete. Manche Naturforscher glauben, die höheren geistigen Leistungen
beruhten physiologisch auf der viel stärkeren Zuleitung des Blutes zum Gehirn, wie die
mechanischen auf der zu den Muskeln, und es sei ausgeschlossen, daß große Fähigkeiten
nach der einen oder anderen Seite möglich seien ohne diese physiologische Einseitigkeit.
Es dürfte dies eine Übertreibung sein, die nur teilweise wahr ist; es liegt sicher die
Möglichkeit einer harmonischen Ausbildung der körperlichen und der geistigen Kräfte
vor; sie ist nur praktisch, je weiter die Arbeitsteilung voranschreitet, um so viel
schwieriger, d. h. nur bis zu einem gewissen Grade durch immer kompliziertere Gesell-
schafts- und Erziehungseinrichtungen herbeizuführen. --

Neben den geistlichen haben die meisten Stämme und Völker eine Gruppe von
weltlichen Aristokraten, Häuptlingen, Principes, Adeligen und Kriegern
frühe entstehen sehen, die wohl von Anfang an auch durch Klugheit und moralische
Eigenschaften, in der Hauptsache und vor allem aber als große Jäger, kühne Kämpfer,
als Viehzüchter und Tierbändiger, als Anführer von Beutezügen, als kraftvolle, im-
ponierende Persönlichkeiten sich auszeichneten. Sie waren diejenigen, die am frühesten
sich zahlreiche Weiber und Kinder, großen Vieh- und Sklavenbesitz zu verschaffen wußten,
die in Zusammenhang mit ihrer Stellung, mit ihrem Menschen- und Viehbesitz später
auch den größeren Landbesitz erwarben. Wir kommen darauf zurück.

Die letzte Ursache aber ihres Besitzes waren ihre persönlichen Eigenschaften; durch
diese stiegen sie unter den Volksgenossen empor, durch diese erhielten sie die Richter-, die
Häuptlings-, die Anführerstellen, die Ämter. Die Tapferkeit (virtus) galt nicht bloß bei
den Römern als die einzig wahre Tugend, sie war für alle älteren Zeiten eben die für die
Stämme und Sippen, ihre Existenz, ihre Kämpfe wichtigste, um sich zu behaupten. Und
darum erwies man ihr eine Ehrfurcht, die heute kaum mehr vorhanden sein kann, nur
etwa in der Stellung unseres Offizierstandes noch nachklingt. Die kriegerischen Aristo-
kratien gingen aus diesen Tapferen und ihren Gefolgschaften hervor.

Freilich ist die Entstehung eines besonderen Kriegerstandes bei den tüchtigsten und
kühnsten Stämmen nicht der Anfang ihrer Militärverfassung. Besonders einzelne Stämme
mit Viehbesitz, mit kräftigen Rasseeigenschaften, durch Klima, Schicksale und Wanderung
auf stete Kämpfe hingewiesen, haben unter der Leitung begabter Führer eine Verfassung
ausgebildet, nach der jeder erwachsene Mann zugleich Krieger war. Die bedeutendsten
indogermanischen Völker, Griechen, Römer, Germanen, sind hieher zu rechnen, welche in
ihren Wandertagen und auch noch später in ihrer Gesamtheit Hirten, Ackerbauer und
Krieger zugleich waren. Allerdings waren auch bei ihnen bald gewisse Modifikationen
der allgemeinen Kriegspflicht nötig. Man bot jahres- oder zeitweise nur die Hälfte der
Männer auf, während die anderen für diese arbeiteten. Man ließ zu kleineren Zügen
nur die Jugend oder die Altersklassen bis zum 30., 40., 45. Jahre ausrücken; man
begann die schwere Last der Ausrüstung und eigenen Verpflegung wie den Kriegsdienst
selbst nach der Größe des Grundbesitzes oder Vermögens abzustufen.

Die Prieſterherrſchaft und ihre Beſeitigung. Die Krieger.
ſchreibende, buchführende Verwaltung hat Jahrhunderte lang da und dort in ihren
Händen gelegen. Ihr hohes Einkommen haben ſie urſprünglich zur Sammlung von
Familienvermögen, ſpäter, zumal wo der Cölibat herrſchte, wie in der mittelalterlichen
Kirche, zur Anhäufung von Tempel- und Kirchenvermögen verwandt.

Die Nachwirkungen dieſer Inſtitutionen und dieſer Vermögensverteilung ſind in
den meiſten europäiſchen Staaten heute noch vorhanden. Die Prieſterherrſchaft aber iſt
faſt allerwärts beſeitigt oder zurückgedrängt durch die Konkurrenz der ſelbſtändigen
geiſtig-ſittlichen Kräfte, die in den geſamten höheren und mittleren Klaſſen ſich ent-
wickelten, hauptſächlich heute in den verſchiedenen liberalen Berufen ſich finden. Ein großer
Teil dieſer letzteren iſt direkt oder indirekt aus den Einrichtungen und Traditionen der
Prieſter hervorgegangen. Der Typus von Perſonen, die durch ausſchließliche oder über-
wiegende geiſtige Kraft und Arbeit ſich eine höhere oder beſondere Stellung erwerben,
iſt ſeit den Tagen des Prieſterberufes nicht mehr verſchwunden. Alle ſpätere Ariſtokratie
hat ſich ihre Stellung in dem Maße erwerben und behaupten können, wie ſie, ähnlich
den einſtigen Prieſtern, ſich durch Bildung und Kenntniſſe, geiſtige Kraft und moraliſche
Zucht auszeichnete. Manche Naturforſcher glauben, die höheren geiſtigen Leiſtungen
beruhten phyſiologiſch auf der viel ſtärkeren Zuleitung des Blutes zum Gehirn, wie die
mechaniſchen auf der zu den Muskeln, und es ſei ausgeſchloſſen, daß große Fähigkeiten
nach der einen oder anderen Seite möglich ſeien ohne dieſe phyſiologiſche Einſeitigkeit.
Es dürfte dies eine Übertreibung ſein, die nur teilweiſe wahr iſt; es liegt ſicher die
Möglichkeit einer harmoniſchen Ausbildung der körperlichen und der geiſtigen Kräfte
vor; ſie iſt nur praktiſch, je weiter die Arbeitsteilung voranſchreitet, um ſo viel
ſchwieriger, d. h. nur bis zu einem gewiſſen Grade durch immer kompliziertere Geſell-
ſchafts- und Erziehungseinrichtungen herbeizuführen. —

Neben den geiſtlichen haben die meiſten Stämme und Völker eine Gruppe von
weltlichen Ariſtokraten, Häuptlingen, Principes, Adeligen und Kriegern
frühe entſtehen ſehen, die wohl von Anfang an auch durch Klugheit und moraliſche
Eigenſchaften, in der Hauptſache und vor allem aber als große Jäger, kühne Kämpfer,
als Viehzüchter und Tierbändiger, als Anführer von Beutezügen, als kraftvolle, im-
ponierende Perſönlichkeiten ſich auszeichneten. Sie waren diejenigen, die am früheſten
ſich zahlreiche Weiber und Kinder, großen Vieh- und Sklavenbeſitz zu verſchaffen wußten,
die in Zuſammenhang mit ihrer Stellung, mit ihrem Menſchen- und Viehbeſitz ſpäter
auch den größeren Landbeſitz erwarben. Wir kommen darauf zurück.

Die letzte Urſache aber ihres Beſitzes waren ihre perſönlichen Eigenſchaften; durch
dieſe ſtiegen ſie unter den Volksgenoſſen empor, durch dieſe erhielten ſie die Richter-, die
Häuptlings-, die Anführerſtellen, die Ämter. Die Tapferkeit (virtus) galt nicht bloß bei
den Römern als die einzig wahre Tugend, ſie war für alle älteren Zeiten eben die für die
Stämme und Sippen, ihre Exiſtenz, ihre Kämpfe wichtigſte, um ſich zu behaupten. Und
darum erwies man ihr eine Ehrfurcht, die heute kaum mehr vorhanden ſein kann, nur
etwa in der Stellung unſeres Offizierſtandes noch nachklingt. Die kriegeriſchen Ariſto-
kratien gingen aus dieſen Tapferen und ihren Gefolgſchaften hervor.

Freilich iſt die Entſtehung eines beſonderen Kriegerſtandes bei den tüchtigſten und
kühnſten Stämmen nicht der Anfang ihrer Militärverfaſſung. Beſonders einzelne Stämme
mit Viehbeſitz, mit kräftigen Raſſeeigenſchaften, durch Klima, Schickſale und Wanderung
auf ſtete Kämpfe hingewieſen, haben unter der Leitung begabter Führer eine Verfaſſung
ausgebildet, nach der jeder erwachſene Mann zugleich Krieger war. Die bedeutendſten
indogermaniſchen Völker, Griechen, Römer, Germanen, ſind hieher zu rechnen, welche in
ihren Wandertagen und auch noch ſpäter in ihrer Geſamtheit Hirten, Ackerbauer und
Krieger zugleich waren. Allerdings waren auch bei ihnen bald gewiſſe Modifikationen
der allgemeinen Kriegspflicht nötig. Man bot jahres- oder zeitweiſe nur die Hälfte der
Männer auf, während die anderen für dieſe arbeiteten. Man ließ zu kleineren Zügen
nur die Jugend oder die Altersklaſſen bis zum 30., 40., 45. Jahre ausrücken; man
begann die ſchwere Laſt der Ausrüſtung und eigenen Verpflegung wie den Kriegsdienſt
ſelbſt nach der Größe des Grundbeſitzes oder Vermögens abzuſtufen.

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[331/0347] Die Prieſterherrſchaft und ihre Beſeitigung. Die Krieger. ſchreibende, buchführende Verwaltung hat Jahrhunderte lang da und dort in ihren Händen gelegen. Ihr hohes Einkommen haben ſie urſprünglich zur Sammlung von Familienvermögen, ſpäter, zumal wo der Cölibat herrſchte, wie in der mittelalterlichen Kirche, zur Anhäufung von Tempel- und Kirchenvermögen verwandt. Die Nachwirkungen dieſer Inſtitutionen und dieſer Vermögensverteilung ſind in den meiſten europäiſchen Staaten heute noch vorhanden. Die Prieſterherrſchaft aber iſt faſt allerwärts beſeitigt oder zurückgedrängt durch die Konkurrenz der ſelbſtändigen geiſtig-ſittlichen Kräfte, die in den geſamten höheren und mittleren Klaſſen ſich ent- wickelten, hauptſächlich heute in den verſchiedenen liberalen Berufen ſich finden. Ein großer Teil dieſer letzteren iſt direkt oder indirekt aus den Einrichtungen und Traditionen der Prieſter hervorgegangen. Der Typus von Perſonen, die durch ausſchließliche oder über- wiegende geiſtige Kraft und Arbeit ſich eine höhere oder beſondere Stellung erwerben, iſt ſeit den Tagen des Prieſterberufes nicht mehr verſchwunden. Alle ſpätere Ariſtokratie hat ſich ihre Stellung in dem Maße erwerben und behaupten können, wie ſie, ähnlich den einſtigen Prieſtern, ſich durch Bildung und Kenntniſſe, geiſtige Kraft und moraliſche Zucht auszeichnete. Manche Naturforſcher glauben, die höheren geiſtigen Leiſtungen beruhten phyſiologiſch auf der viel ſtärkeren Zuleitung des Blutes zum Gehirn, wie die mechaniſchen auf der zu den Muskeln, und es ſei ausgeſchloſſen, daß große Fähigkeiten nach der einen oder anderen Seite möglich ſeien ohne dieſe phyſiologiſche Einſeitigkeit. Es dürfte dies eine Übertreibung ſein, die nur teilweiſe wahr iſt; es liegt ſicher die Möglichkeit einer harmoniſchen Ausbildung der körperlichen und der geiſtigen Kräfte vor; ſie iſt nur praktiſch, je weiter die Arbeitsteilung voranſchreitet, um ſo viel ſchwieriger, d. h. nur bis zu einem gewiſſen Grade durch immer kompliziertere Geſell- ſchafts- und Erziehungseinrichtungen herbeizuführen. — Neben den geiſtlichen haben die meiſten Stämme und Völker eine Gruppe von weltlichen Ariſtokraten, Häuptlingen, Principes, Adeligen und Kriegern frühe entſtehen ſehen, die wohl von Anfang an auch durch Klugheit und moraliſche Eigenſchaften, in der Hauptſache und vor allem aber als große Jäger, kühne Kämpfer, als Viehzüchter und Tierbändiger, als Anführer von Beutezügen, als kraftvolle, im- ponierende Perſönlichkeiten ſich auszeichneten. Sie waren diejenigen, die am früheſten ſich zahlreiche Weiber und Kinder, großen Vieh- und Sklavenbeſitz zu verſchaffen wußten, die in Zuſammenhang mit ihrer Stellung, mit ihrem Menſchen- und Viehbeſitz ſpäter auch den größeren Landbeſitz erwarben. Wir kommen darauf zurück. Die letzte Urſache aber ihres Beſitzes waren ihre perſönlichen Eigenſchaften; durch dieſe ſtiegen ſie unter den Volksgenoſſen empor, durch dieſe erhielten ſie die Richter-, die Häuptlings-, die Anführerſtellen, die Ämter. Die Tapferkeit (virtus) galt nicht bloß bei den Römern als die einzig wahre Tugend, ſie war für alle älteren Zeiten eben die für die Stämme und Sippen, ihre Exiſtenz, ihre Kämpfe wichtigſte, um ſich zu behaupten. Und darum erwies man ihr eine Ehrfurcht, die heute kaum mehr vorhanden ſein kann, nur etwa in der Stellung unſeres Offizierſtandes noch nachklingt. Die kriegeriſchen Ariſto- kratien gingen aus dieſen Tapferen und ihren Gefolgſchaften hervor. Freilich iſt die Entſtehung eines beſonderen Kriegerſtandes bei den tüchtigſten und kühnſten Stämmen nicht der Anfang ihrer Militärverfaſſung. Beſonders einzelne Stämme mit Viehbeſitz, mit kräftigen Raſſeeigenſchaften, durch Klima, Schickſale und Wanderung auf ſtete Kämpfe hingewieſen, haben unter der Leitung begabter Führer eine Verfaſſung ausgebildet, nach der jeder erwachſene Mann zugleich Krieger war. Die bedeutendſten indogermaniſchen Völker, Griechen, Römer, Germanen, ſind hieher zu rechnen, welche in ihren Wandertagen und auch noch ſpäter in ihrer Geſamtheit Hirten, Ackerbauer und Krieger zugleich waren. Allerdings waren auch bei ihnen bald gewiſſe Modifikationen der allgemeinen Kriegspflicht nötig. Man bot jahres- oder zeitweiſe nur die Hälfte der Männer auf, während die anderen für dieſe arbeiteten. Man ließ zu kleineren Zügen nur die Jugend oder die Altersklaſſen bis zum 30., 40., 45. Jahre ausrücken; man begann die ſchwere Laſt der Ausrüſtung und eigenen Verpflegung wie den Kriegsdienſt ſelbſt nach der Größe des Grundbeſitzes oder Vermögens abzuſtufen.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/347>, abgerufen am 22.11.2024.