Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Der Gegensatz von privater und öffentlicher Wirtschaft. Privatwirtschaft, obwohl sie principiell und im ganzen hiefür weniger taugt, zurückgeben.Die geschichtliche Entwickelung wird so in einem steten Vordringen der öffentlichen An- stalten innerhalb des für sie passenden Gebietes, aber auch in einem häufigen Zurück- weichen verlaufen. Aber stets wird der Privatwirtschaft ihr eigentliches Gebiet bleiben. Und stets wird die Schwankung zwischen Vordringen und Zurückweichen dadurch kom- plizierter werden, daß die Staats- und die Unternehmerthätigkeit, ihre Formen und Gepflogenheiten sehr verschieden sich gestalten können; die große Unternehmung hat mit ähnlichen Schwierigkeiten wie Staat und Gemeinde zu kämpfen; sie kann aber auch die Vorzüge dieser sich aneignen, kann durch weitsichtige, gemeinnützige Leitung, durch staat- liche Kontrolle, durch Abgabe eines Teiles ihrer Gewinne an Staat und Gemeinde sich diesen nähern; auch die staatliche Anstalt kann die Einrichtungen der Privatunternehmung sich aneignen; es können gemischte Formen der Organisation sich bilden. Sehen wir das einzelne in Staat und Gemeinde noch etwas näher an. a) Die heutige Gemeinde hat ein viel dichteres Wohnen und durch die Die Befriedigung der religiösen Bedürfnisse, die der Erziehung der Jugend hat Die Unterstützung und Erhaltung Kranker, Bedürftiger, Verunglückter war ur- Der Gegenſatz von privater und öffentlicher Wirtſchaft. Privatwirtſchaft, obwohl ſie principiell und im ganzen hiefür weniger taugt, zurückgeben.Die geſchichtliche Entwickelung wird ſo in einem ſteten Vordringen der öffentlichen An- ſtalten innerhalb des für ſie paſſenden Gebietes, aber auch in einem häufigen Zurück- weichen verlaufen. Aber ſtets wird der Privatwirtſchaft ihr eigentliches Gebiet bleiben. Und ſtets wird die Schwankung zwiſchen Vordringen und Zurückweichen dadurch kom- plizierter werden, daß die Staats- und die Unternehmerthätigkeit, ihre Formen und Gepflogenheiten ſehr verſchieden ſich geſtalten können; die große Unternehmung hat mit ähnlichen Schwierigkeiten wie Staat und Gemeinde zu kämpfen; ſie kann aber auch die Vorzüge dieſer ſich aneignen, kann durch weitſichtige, gemeinnützige Leitung, durch ſtaat- liche Kontrolle, durch Abgabe eines Teiles ihrer Gewinne an Staat und Gemeinde ſich dieſen nähern; auch die ſtaatliche Anſtalt kann die Einrichtungen der Privatunternehmung ſich aneignen; es können gemiſchte Formen der Organiſation ſich bilden. Sehen wir das einzelne in Staat und Gemeinde noch etwas näher an. a) Die heutige Gemeinde hat ein viel dichteres Wohnen und durch die Die Befriedigung der religiöſen Bedürfniſſe, die der Erziehung der Jugend hat Die Unterſtützung und Erhaltung Kranker, Bedürftiger, Verunglückter war ur- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0335" n="319"/><fw place="top" type="header">Der Gegenſatz von privater und öffentlicher Wirtſchaft.</fw><lb/> Privatwirtſchaft, obwohl ſie principiell und im ganzen hiefür weniger taugt, zurückgeben.<lb/> Die geſchichtliche Entwickelung wird ſo in einem ſteten Vordringen der öffentlichen An-<lb/> ſtalten innerhalb des für ſie paſſenden Gebietes, aber auch in einem häufigen Zurück-<lb/> weichen verlaufen. 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Der Zuſtand der Aborte und Dungſtätten, des<lb/> Trinkwaſſers, die Beſeitigung der Fäkalien, die mögliche Wirkung von Dampf und<lb/> Elektricität, von Rauch und Lärm, von Feuers- und Exploſionsgefahr auf die Nachbarn,<lb/> das Zuſammenwohnen von 5—40 ſtatt von 1—2 Familien auf einem Grundſtücke, die<lb/> Ordnung der Wege, der Platzanlagen, der Friedhöfe, die Beleuchtung der Märkte und<lb/> Straßen, die Verknüpfung aller Häuſer und Straßen durch ober- und unterirdiſche<lb/> Leitungen aller Art hat einen techniſch-wirtſchaftlichen Zuſtand geſchaffen, wobei nur<lb/> einheitliche Ordnungen, einheitliche Anſtalten die einſchlägigen Bedürfniſſe befriedigen<lb/> können. Nun kann gewiß auch heute noch ausnahmsweiſe ohne zu große Mißſtände<lb/> die Waſſerleitung, die Gasanſtalt, das Elektricitätswerk, das Abfuhrweſen, das Schlacht-<lb/> haus, die Markthalle in Privat-, Vereins- oder Aktienhänden liegen; aber das Monopol,<lb/> das entſteht, muß dann ſehr ſtreng in Leiſtungen und Preiſen kontrolliert, es muß durch<lb/> Abgabe eines Teiles des Monopolgewinnes an die Gemeinde korrigiert werden; es<lb/> erzeugt ſonſt nur zu leicht übergroße Gewinne für die Inhaber, ſchlechte Bedienung<lb/> des Publikums. Die Übernahme auf die Gemeinde iſt oft mit etwas größeren Koſten,<lb/> meiſt aber auch mit beſſerer Behandlung der Arbeiter und Beamten, mit beſſerer Ver-<lb/> ſorgung aller Bürger verbunden.</p><lb/> <p>Die Befriedigung der religiöſen Bedürfniſſe, die der Erziehung der Jugend hat<lb/> früh zu geſellſchaftlichen Organiſationen geführt; Kirche und Gemeinde traten ein; es iſt<lb/> klar, daß die Nachbarskinder billiger und beſſer durch einen gemeinſamen Lehrer im<lb/> gemeinſamen Schulhauſe unterrichtet werden, daß ohne dieſe Einrichtung nur die Reichſten<lb/> ſich einen Lehrer halten können. Heute kommen dazu Fortbildungs-, Ackerbau-, Gewerbe-<lb/> ſchulen, Bibliotheken, Theater, Muſik-, Turn- und Feſthallen, Spielplätze und Parks; auch<lb/> Derartiges kann in Privat- oder Vereinshänden ſein; am beſten aber ſorgt doch wohl<lb/> die Gemeinde dafür, ſofern ſie richtig organiſiert, nicht von einer Clique beherrſcht iſt.<lb/> Man hat mit Recht heute oft ſchon gefragt, ob nicht die allgemeinen Vergnügungen<lb/> und ihre Lokale, die Wirtshäuſer, Theater, Muſikaufführungen beſſer unter Gemeinde-<lb/> kontrolle oder -Verwaltung ſtünden; der private Erwerbstrieb wenigſtens hat hier vielfach<lb/> zur Großziehung von Laſter und Mißbrauch geführt; er macht die größten Wucher-<lb/> gewinne, wenn er dem Leichtſinne des Augenblickes dient. Das Verlangen der Muni-<lb/> cipaliſierung des Schankweſens wurde neulich von einem Gemeinderate Mancheſters<lb/> aufgeſtellt.</p><lb/> <p>Die Unterſtützung und Erhaltung Kranker, Bedürftiger, Verunglückter war ur-<lb/> ſprünglich Sache der Gentilverbände, ſpäter der Großfamilien und Grundherrſchaften,<lb/> der Dorf-, Zunft- und anderen Genoſſenſchaften, aushülfsweiſe auch der Kirche geweſen;<lb/> als dieſe Organiſationen verſagten, ſich auflöſten, zahlreiche Bettler entſtanden, legte der<lb/> Staat der Gemeinde als ſolcher die Pflicht der Armenunterſtützung auf, und dies<lb/> erſchien allerwärts um ſo natürlicher, als der Wohlſtand, die Geſittung und die<lb/> Arbeitsgelegenheit am Orte von den guten oder ſchlechten Gemeindeverwaltung weſentlich<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [319/0335]
Der Gegenſatz von privater und öffentlicher Wirtſchaft.
Privatwirtſchaft, obwohl ſie principiell und im ganzen hiefür weniger taugt, zurückgeben.
Die geſchichtliche Entwickelung wird ſo in einem ſteten Vordringen der öffentlichen An-
ſtalten innerhalb des für ſie paſſenden Gebietes, aber auch in einem häufigen Zurück-
weichen verlaufen. Aber ſtets wird der Privatwirtſchaft ihr eigentliches Gebiet bleiben.
Und ſtets wird die Schwankung zwiſchen Vordringen und Zurückweichen dadurch kom-
plizierter werden, daß die Staats- und die Unternehmerthätigkeit, ihre Formen und
Gepflogenheiten ſehr verſchieden ſich geſtalten können; die große Unternehmung hat mit
ähnlichen Schwierigkeiten wie Staat und Gemeinde zu kämpfen; ſie kann aber auch die
Vorzüge dieſer ſich aneignen, kann durch weitſichtige, gemeinnützige Leitung, durch ſtaat-
liche Kontrolle, durch Abgabe eines Teiles ihrer Gewinne an Staat und Gemeinde ſich
dieſen nähern; auch die ſtaatliche Anſtalt kann die Einrichtungen der Privatunternehmung
ſich aneignen; es können gemiſchte Formen der Organiſation ſich bilden.
Sehen wir das einzelne in Staat und Gemeinde noch etwas näher an.
a) Die heutige Gemeinde hat ein viel dichteres Wohnen und durch die
moderne Technik eine unendlich kompliziertere, nur von wenigen Sachverſtändigen erkannte
Einwirkung der Nachbarn aufeinander. Der Zuſtand der Aborte und Dungſtätten, des
Trinkwaſſers, die Beſeitigung der Fäkalien, die mögliche Wirkung von Dampf und
Elektricität, von Rauch und Lärm, von Feuers- und Exploſionsgefahr auf die Nachbarn,
das Zuſammenwohnen von 5—40 ſtatt von 1—2 Familien auf einem Grundſtücke, die
Ordnung der Wege, der Platzanlagen, der Friedhöfe, die Beleuchtung der Märkte und
Straßen, die Verknüpfung aller Häuſer und Straßen durch ober- und unterirdiſche
Leitungen aller Art hat einen techniſch-wirtſchaftlichen Zuſtand geſchaffen, wobei nur
einheitliche Ordnungen, einheitliche Anſtalten die einſchlägigen Bedürfniſſe befriedigen
können. Nun kann gewiß auch heute noch ausnahmsweiſe ohne zu große Mißſtände
die Waſſerleitung, die Gasanſtalt, das Elektricitätswerk, das Abfuhrweſen, das Schlacht-
haus, die Markthalle in Privat-, Vereins- oder Aktienhänden liegen; aber das Monopol,
das entſteht, muß dann ſehr ſtreng in Leiſtungen und Preiſen kontrolliert, es muß durch
Abgabe eines Teiles des Monopolgewinnes an die Gemeinde korrigiert werden; es
erzeugt ſonſt nur zu leicht übergroße Gewinne für die Inhaber, ſchlechte Bedienung
des Publikums. Die Übernahme auf die Gemeinde iſt oft mit etwas größeren Koſten,
meiſt aber auch mit beſſerer Behandlung der Arbeiter und Beamten, mit beſſerer Ver-
ſorgung aller Bürger verbunden.
Die Befriedigung der religiöſen Bedürfniſſe, die der Erziehung der Jugend hat
früh zu geſellſchaftlichen Organiſationen geführt; Kirche und Gemeinde traten ein; es iſt
klar, daß die Nachbarskinder billiger und beſſer durch einen gemeinſamen Lehrer im
gemeinſamen Schulhauſe unterrichtet werden, daß ohne dieſe Einrichtung nur die Reichſten
ſich einen Lehrer halten können. Heute kommen dazu Fortbildungs-, Ackerbau-, Gewerbe-
ſchulen, Bibliotheken, Theater, Muſik-, Turn- und Feſthallen, Spielplätze und Parks; auch
Derartiges kann in Privat- oder Vereinshänden ſein; am beſten aber ſorgt doch wohl
die Gemeinde dafür, ſofern ſie richtig organiſiert, nicht von einer Clique beherrſcht iſt.
Man hat mit Recht heute oft ſchon gefragt, ob nicht die allgemeinen Vergnügungen
und ihre Lokale, die Wirtshäuſer, Theater, Muſikaufführungen beſſer unter Gemeinde-
kontrolle oder -Verwaltung ſtünden; der private Erwerbstrieb wenigſtens hat hier vielfach
zur Großziehung von Laſter und Mißbrauch geführt; er macht die größten Wucher-
gewinne, wenn er dem Leichtſinne des Augenblickes dient. Das Verlangen der Muni-
cipaliſierung des Schankweſens wurde neulich von einem Gemeinderate Mancheſters
aufgeſtellt.
Die Unterſtützung und Erhaltung Kranker, Bedürftiger, Verunglückter war ur-
ſprünglich Sache der Gentilverbände, ſpäter der Großfamilien und Grundherrſchaften,
der Dorf-, Zunft- und anderen Genoſſenſchaften, aushülfsweiſe auch der Kirche geweſen;
als dieſe Organiſationen verſagten, ſich auflöſten, zahlreiche Bettler entſtanden, legte der
Staat der Gemeinde als ſolcher die Pflicht der Armenunterſtützung auf, und dies
erſchien allerwärts um ſo natürlicher, als der Wohlſtand, die Geſittung und die
Arbeitsgelegenheit am Orte von den guten oder ſchlechten Gemeindeverwaltung weſentlich
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