Die historische und verwaltungsrechtliche Ausbildung der staatlichen Wirtschaft.
25433 subalterne und 39217 Unterbeamte des Staates, zusammen 74149. Im Jahre 1898 beschäftigte die deutsche Reichspost ein Personal von 173976, das preußische Staatsbahnsystem ein solches von 345903 Personen, worunter 113814 etatsmäßige, 15590 diätarische Beamte und 216499 Arbeiter waren. Wie weit geht das hinaus über die wenigen großen Privatgeschäfte oder Aktiengesellschaften, die 10000 oder gar 40000 Personen beschäftigen.
In nie ruhender Arbeit muß man versuchen, solche Massen von Menschen in präciser, einheitlicher, ineinandergreifender Thätigkeit zu erhalten, sie bis zu dem Maße von Ehrlichkeit und Fleiß, von Energie und Ausdauer zu bringen, das der Mensch so viel leichter für sich, so schwer im Dienste anderer hat. Die allgemeine Zunahme der Bildung, der Intelligenz, der Moralität ist hiefür gewiß das Wichtigste. Aber mit der Größe des Verwaltungsapparates und der Zunahme der Versuchungen, der Schwierigkeit und Kompliziertheit der Aufgaben versagen die Kräfte immer wieder. Die geographische Zerstreutheit des Personals, die Konflikte der Ressorts, der oberen und unteren Instanzen erschweren die Ordnung und die Disciplin; die Einschulung, die Schaffung und Erhaltung der besseren Traditionen bietet stets erneute Schwierigkeit. Neben den all- gemeinen Fortschritten in Intelligenz und Moralität müssen bestimmte äußere technische Hülfsmittel und Einrichtungen kommen, um den Beamtenapparat zu kontrollieren und zu disciplinieren; sie werden zugleich das Hauptmittel, ihn moralisch und intellektuell zu heben.
Dabei ist das Wichtigste ein geordnetes Schrifttum. Die Völker mit ausgebildetem Schriftwesen, die Ägypter, die Römer, haben auch die ersten leidlich geordneten Finanzen gehabt; doch hat erst Augustus ein Verzeichnis aller Einnahmen, Vorräte und Kassen- bestände des römischen Reiches zustande gebracht. Das ganze Mittelalter hindurch kämpften alle fürstlichen Haushaltungen mit der Schwierigkeit, richtige Güter- und Schuldenverzeichnisse herstellen zu können. Noch im 17. und 18. Jahrhundert schwebt infolge der Unvollkommenheit der Aufzeichnungen in zahlreichen Staaten über Hunderten von Gütern, über ebenso vielen fiskalischen Rechten der Staaten die stete Unsicherheit, wem sie eigentlich zustehen. Und noch viel schwerer als den Besitzstand des Fiskus und aller seiner Organe zu verzeichnen, fiel es den Behörden und Beauftragten, nach und nach die täglichen Ausgaben und Einnahmen zu buchen und die Belege für ihre Berechtigung zu sammeln. Ein wie ausgebildetes Rechnungswesen für ihre Finanzen die Griechen und die Römer schon hatten, es war doch immer so unvollkommen, daß selbst die größten und edelsten Staatsmänner jener Tage samt und sonders dem Verdachte nicht entgingen, die Staatskasse um Hunderttausende bestohlen zu haben. Die Rechnungs- führung der neueren Staaten ist teilweise Jahrhunderte alt, vollkommen aber erst seit wenigen Menschenaltern. Die jährliche Wirtschaftsführung des Staates vor Beginn des Jahres einheitlich zu überschlagen, den mit einer Volksvertretung fixierten Über- schlag, den sogenannten Etat, dann der Wirtschaftsführung zu Grunde zu legen, um so einigermaßen gegen Zufälle und Wechselfälle, gegen plötzliche Ebbe in der Kasse geschützt zu sein, ist heute wohl allgemein üblich, aber in Preußen z. B. nicht über 200 Jahre alt. Es hat allerwärts langer Kämpfe bedurft, bis man sich diesem Zwange, der jetzt meist gesetzlich genau vorgeschrieben und in seiner Durchführung sicher gestellt ist, fügte.
Und ebenso lange hat es gedauert, bis ein geordnetes Rechnungswesen mit Belegen und genauer Nachprüfung, ein ganz geordnetes einheitliches Kassenwesen mit absolut genauer rechtlicher Bestimmung, wer jede Ausgabe anzuweisen habe, entstand. Heute wird jeder Schritt des ganzen staatlichen Finanzapparates schriftlich fixiert und mehrfach nachgeprüft, jeder bewegt sich in festen Formen und Formularen, die ihn legitimieren. Ein bis ins kleinste Detail ausgebildetes Finanz- und Disciplinarrecht hat all' das fixiert, ein ausgebildetes Steuergesetz- und Steuerstrafrecht umgiebt jede fiskalische Forderung mit den Kautelen gegen Mißbrauch.
Endlich ist eines wichtigen Mittels zu gedenken, das den Schattenseiten einer allzu ausgedehnten Beamtenwirtschaft mit ihrer Patronage, ihrem Strebertume, ihrer Neigung, Gehalte ohne zu viel Anstrengung einzustreichen, entgegenwirkt: das unbezahlte E[h]ren-
Die hiſtoriſche und verwaltungsrechtliche Ausbildung der ſtaatlichen Wirtſchaft.
25433 ſubalterne und 39217 Unterbeamte des Staates, zuſammen 74149. Im Jahre 1898 beſchäftigte die deutſche Reichspoſt ein Perſonal von 173976, das preußiſche Staatsbahnſyſtem ein ſolches von 345903 Perſonen, worunter 113814 etatsmäßige, 15590 diätariſche Beamte und 216499 Arbeiter waren. Wie weit geht das hinaus über die wenigen großen Privatgeſchäfte oder Aktiengeſellſchaften, die 10000 oder gar 40000 Perſonen beſchäftigen.
In nie ruhender Arbeit muß man verſuchen, ſolche Maſſen von Menſchen in präciſer, einheitlicher, ineinandergreifender Thätigkeit zu erhalten, ſie bis zu dem Maße von Ehrlichkeit und Fleiß, von Energie und Ausdauer zu bringen, das der Menſch ſo viel leichter für ſich, ſo ſchwer im Dienſte anderer hat. Die allgemeine Zunahme der Bildung, der Intelligenz, der Moralität iſt hiefür gewiß das Wichtigſte. Aber mit der Größe des Verwaltungsapparates und der Zunahme der Verſuchungen, der Schwierigkeit und Kompliziertheit der Aufgaben verſagen die Kräfte immer wieder. Die geographiſche Zerſtreutheit des Perſonals, die Konflikte der Reſſorts, der oberen und unteren Inſtanzen erſchweren die Ordnung und die Disciplin; die Einſchulung, die Schaffung und Erhaltung der beſſeren Traditionen bietet ſtets erneute Schwierigkeit. Neben den all- gemeinen Fortſchritten in Intelligenz und Moralität müſſen beſtimmte äußere techniſche Hülfsmittel und Einrichtungen kommen, um den Beamtenapparat zu kontrollieren und zu disciplinieren; ſie werden zugleich das Hauptmittel, ihn moraliſch und intellektuell zu heben.
Dabei iſt das Wichtigſte ein geordnetes Schrifttum. Die Völker mit ausgebildetem Schriftweſen, die Ägypter, die Römer, haben auch die erſten leidlich geordneten Finanzen gehabt; doch hat erſt Auguſtus ein Verzeichnis aller Einnahmen, Vorräte und Kaſſen- beſtände des römiſchen Reiches zuſtande gebracht. Das ganze Mittelalter hindurch kämpften alle fürſtlichen Haushaltungen mit der Schwierigkeit, richtige Güter- und Schuldenverzeichniſſe herſtellen zu können. Noch im 17. und 18. Jahrhundert ſchwebt infolge der Unvollkommenheit der Aufzeichnungen in zahlreichen Staaten über Hunderten von Gütern, über ebenſo vielen fiskaliſchen Rechten der Staaten die ſtete Unſicherheit, wem ſie eigentlich zuſtehen. Und noch viel ſchwerer als den Beſitzſtand des Fiskus und aller ſeiner Organe zu verzeichnen, fiel es den Behörden und Beauftragten, nach und nach die täglichen Ausgaben und Einnahmen zu buchen und die Belege für ihre Berechtigung zu ſammeln. Ein wie ausgebildetes Rechnungsweſen für ihre Finanzen die Griechen und die Römer ſchon hatten, es war doch immer ſo unvollkommen, daß ſelbſt die größten und edelſten Staatsmänner jener Tage ſamt und ſonders dem Verdachte nicht entgingen, die Staatskaſſe um Hunderttauſende beſtohlen zu haben. Die Rechnungs- führung der neueren Staaten iſt teilweiſe Jahrhunderte alt, vollkommen aber erſt ſeit wenigen Menſchenaltern. Die jährliche Wirtſchaftsführung des Staates vor Beginn des Jahres einheitlich zu überſchlagen, den mit einer Volksvertretung fixierten Über- ſchlag, den ſogenannten Etat, dann der Wirtſchaftsführung zu Grunde zu legen, um ſo einigermaßen gegen Zufälle und Wechſelfälle, gegen plötzliche Ebbe in der Kaſſe geſchützt zu ſein, iſt heute wohl allgemein üblich, aber in Preußen z. B. nicht über 200 Jahre alt. Es hat allerwärts langer Kämpfe bedurft, bis man ſich dieſem Zwange, der jetzt meiſt geſetzlich genau vorgeſchrieben und in ſeiner Durchführung ſicher geſtellt iſt, fügte.
Und ebenſo lange hat es gedauert, bis ein geordnetes Rechnungsweſen mit Belegen und genauer Nachprüfung, ein ganz geordnetes einheitliches Kaſſenweſen mit abſolut genauer rechtlicher Beſtimmung, wer jede Ausgabe anzuweiſen habe, entſtand. Heute wird jeder Schritt des ganzen ſtaatlichen Finanzapparates ſchriftlich fixiert und mehrfach nachgeprüft, jeder bewegt ſich in feſten Formen und Formularen, die ihn legitimieren. Ein bis ins kleinſte Detail ausgebildetes Finanz- und Disciplinarrecht hat all’ das fixiert, ein ausgebildetes Steuergeſetz- und Steuerſtrafrecht umgiebt jede fiskaliſche Forderung mit den Kautelen gegen Mißbrauch.
Endlich iſt eines wichtigen Mittels zu gedenken, das den Schattenſeiten einer allzu ausgedehnten Beamtenwirtſchaft mit ihrer Patronage, ihrem Strebertume, ihrer Neigung, Gehalte ohne zu viel Anſtrengung einzuſtreichen, entgegenwirkt: das unbezahlte E[h]ren-
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Die hiſtoriſche und verwaltungsrechtliche Ausbildung der ſtaatlichen Wirtſchaft.
25433 ſubalterne und 39217 Unterbeamte des Staates, zuſammen 74149. Im Jahre
1898 beſchäftigte die deutſche Reichspoſt ein Perſonal von 173976, das preußiſche
Staatsbahnſyſtem ein ſolches von 345903 Perſonen, worunter 113814 etatsmäßige,
15590 diätariſche Beamte und 216499 Arbeiter waren. Wie weit geht das hinaus
über die wenigen großen Privatgeſchäfte oder Aktiengeſellſchaften, die 10000 oder gar
40000 Perſonen beſchäftigen.
In nie ruhender Arbeit muß man verſuchen, ſolche Maſſen von Menſchen in
präciſer, einheitlicher, ineinandergreifender Thätigkeit zu erhalten, ſie bis zu dem Maße
von Ehrlichkeit und Fleiß, von Energie und Ausdauer zu bringen, das der Menſch ſo
viel leichter für ſich, ſo ſchwer im Dienſte anderer hat. Die allgemeine Zunahme der
Bildung, der Intelligenz, der Moralität iſt hiefür gewiß das Wichtigſte. Aber mit der
Größe des Verwaltungsapparates und der Zunahme der Verſuchungen, der Schwierigkeit
und Kompliziertheit der Aufgaben verſagen die Kräfte immer wieder. Die geographiſche
Zerſtreutheit des Perſonals, die Konflikte der Reſſorts, der oberen und unteren
Inſtanzen erſchweren die Ordnung und die Disciplin; die Einſchulung, die Schaffung und
Erhaltung der beſſeren Traditionen bietet ſtets erneute Schwierigkeit. Neben den all-
gemeinen Fortſchritten in Intelligenz und Moralität müſſen beſtimmte äußere techniſche
Hülfsmittel und Einrichtungen kommen, um den Beamtenapparat zu kontrollieren und
zu disciplinieren; ſie werden zugleich das Hauptmittel, ihn moraliſch und intellektuell
zu heben.
Dabei iſt das Wichtigſte ein geordnetes Schrifttum. Die Völker mit ausgebildetem
Schriftweſen, die Ägypter, die Römer, haben auch die erſten leidlich geordneten Finanzen
gehabt; doch hat erſt Auguſtus ein Verzeichnis aller Einnahmen, Vorräte und Kaſſen-
beſtände des römiſchen Reiches zuſtande gebracht. Das ganze Mittelalter hindurch
kämpften alle fürſtlichen Haushaltungen mit der Schwierigkeit, richtige Güter- und
Schuldenverzeichniſſe herſtellen zu können. Noch im 17. und 18. Jahrhundert ſchwebt
infolge der Unvollkommenheit der Aufzeichnungen in zahlreichen Staaten über Hunderten
von Gütern, über ebenſo vielen fiskaliſchen Rechten der Staaten die ſtete Unſicherheit,
wem ſie eigentlich zuſtehen. Und noch viel ſchwerer als den Beſitzſtand des Fiskus
und aller ſeiner Organe zu verzeichnen, fiel es den Behörden und Beauftragten, nach
und nach die täglichen Ausgaben und Einnahmen zu buchen und die Belege für ihre
Berechtigung zu ſammeln. Ein wie ausgebildetes Rechnungsweſen für ihre Finanzen die
Griechen und die Römer ſchon hatten, es war doch immer ſo unvollkommen, daß ſelbſt
die größten und edelſten Staatsmänner jener Tage ſamt und ſonders dem Verdachte
nicht entgingen, die Staatskaſſe um Hunderttauſende beſtohlen zu haben. Die Rechnungs-
führung der neueren Staaten iſt teilweiſe Jahrhunderte alt, vollkommen aber erſt
ſeit wenigen Menſchenaltern. Die jährliche Wirtſchaftsführung des Staates vor Beginn
des Jahres einheitlich zu überſchlagen, den mit einer Volksvertretung fixierten Über-
ſchlag, den ſogenannten Etat, dann der Wirtſchaftsführung zu Grunde zu legen, um ſo
einigermaßen gegen Zufälle und Wechſelfälle, gegen plötzliche Ebbe in der Kaſſe geſchützt
zu ſein, iſt heute wohl allgemein üblich, aber in Preußen z. B. nicht über 200 Jahre
alt. Es hat allerwärts langer Kämpfe bedurft, bis man ſich dieſem Zwange, der jetzt
meiſt geſetzlich genau vorgeſchrieben und in ſeiner Durchführung ſicher geſtellt iſt, fügte.
Und ebenſo lange hat es gedauert, bis ein geordnetes Rechnungsweſen mit Belegen
und genauer Nachprüfung, ein ganz geordnetes einheitliches Kaſſenweſen mit abſolut
genauer rechtlicher Beſtimmung, wer jede Ausgabe anzuweiſen habe, entſtand. Heute
wird jeder Schritt des ganzen ſtaatlichen Finanzapparates ſchriftlich fixiert und mehrfach
nachgeprüft, jeder bewegt ſich in feſten Formen und Formularen, die ihn legitimieren.
Ein bis ins kleinſte Detail ausgebildetes Finanz- und Disciplinarrecht hat all’ das
fixiert, ein ausgebildetes Steuergeſetz- und Steuerſtrafrecht umgiebt jede fiskaliſche
Forderung mit den Kautelen gegen Mißbrauch.
Endlich iſt eines wichtigen Mittels zu gedenken, das den Schattenſeiten einer allzu
ausgedehnten Beamtenwirtſchaft mit ihrer Patronage, ihrem Strebertume, ihrer Neigung,
Gehalte ohne zu viel Anſtrengung einzuſtreichen, entgegenwirkt: das unbezahlte Ehren-
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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/329>, abgerufen am 16.02.2025.
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