Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Würdigung der Grundherrschaft; ihre Auflösung. gewährten Schutzes, der unzweifelhaften Überlegenheit folgen; auf der anderen Seitekräftigstes Selbstgefühl, Glauben an den eigenen Herrscherberuf, aber auch menschliche Rücksicht, Anerkennung des ärmsten Grundholden als Glied der sogenannten "familia", Schutz in Not, Beistand im Unglück; auch der gedrückte Hinterfasse hat seine Kate, sein Ackerland, sein Familienleben, seine rechtlich fixierte Stelle in dem grund- und guts- herrschaftlichen Verbande. Gewiß war dabei die Organisation eine rohe und eine enge, stets mit einer Die sich vom 16.--19. Jahrhundert ausbildende Gutsherrschaft hat ihre unteren Seit dem 13., noch mehr seit dem 15. Jahrhundert hatte an begünstigten Stellen 105. Die ältere Stadtwirtschaft. Die Wirtschaft des Dorfes ruhte auf Die Entstehung der Städte im Altertume und Mittelalter haben wir im vorigen Würdigung der Grundherrſchaft; ihre Auflöſung. gewährten Schutzes, der unzweifelhaften Überlegenheit folgen; auf der anderen Seitekräftigſtes Selbſtgefühl, Glauben an den eigenen Herrſcherberuf, aber auch menſchliche Rückſicht, Anerkennung des ärmſten Grundholden als Glied der ſogenannten „familia“, Schutz in Not, Beiſtand im Unglück; auch der gedrückte Hinterfaſſe hat ſeine Kate, ſein Ackerland, ſein Familienleben, ſeine rechtlich fixierte Stelle in dem grund- und guts- herrſchaftlichen Verbande. Gewiß war dabei die Organiſation eine rohe und eine enge, ſtets mit einer Die ſich vom 16.—19. Jahrhundert ausbildende Gutsherrſchaft hat ihre unteren Seit dem 13., noch mehr ſeit dem 15. Jahrhundert hatte an begünſtigten Stellen 105. Die ältere Stadtwirtſchaft. Die Wirtſchaft des Dorfes ruhte auf Die Entſtehung der Städte im Altertume und Mittelalter haben wir im vorigen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0309" n="293"/><fw place="top" type="header">Würdigung der Grundherrſchaft; ihre Auflöſung.</fw><lb/> gewährten Schutzes, der unzweifelhaften Überlegenheit folgen; auf der anderen Seite<lb/> kräftigſtes Selbſtgefühl, Glauben an den eigenen Herrſcherberuf, aber auch menſchliche<lb/> Rückſicht, Anerkennung des ärmſten Grundholden als Glied der ſogenannten <hi rendition="#aq">„familia“,</hi><lb/> Schutz in Not, Beiſtand im Unglück; auch der gedrückte Hinterfaſſe hat ſeine Kate, ſein<lb/> Ackerland, ſein Familienleben, ſeine rechtlich fixierte Stelle in dem grund- und guts-<lb/> herrſchaftlichen Verbande.</p><lb/> <p>Gewiß war dabei die Organiſation eine rohe und eine enge, ſtets mit einer<lb/> gewiſſen Härte für die Untergebenen verbunden; die herrſchaftliche Spitze vertrat, was<lb/> heute Staat, Provinz, Kreis, Gemeinde, Kirche und Schule, Armee, Gericht, Polizei,<lb/> Unternehmung, Arbeitgeber, Armenhaus, Unterſtützungsgenoſſenſchaft als getrennte Or-<lb/> gane verfolgen. Viele, vielleicht die meiſten Individuen wurden in engſtem Kreiſe für<lb/> die herrſchaftlichen Zwecke gebraucht, eine Anzahl verbraucht; höhere techniſche und<lb/> geiſtige Kultur war ſo nur für die an der Spitze Stehenden möglich. Aber immer war<lb/> die Grundherrſchaft und die Gutsherrſchaft für Millionen und Milliarden einfacher<lb/> Menſchen eine in gewiſſer Beziehung erziehende und ſie befriedigende ſociale Lebensform,<lb/> ein Ring in der Kette zu größeren und vollendeteren geſellſchaftlichen Formen, in mancher<lb/> Beziehung teilweiſe vollkommener als ein Teil unſerer heutigen Großunternehmungen<lb/> mit ihren freien, aber proletariſchen Arbeitern.</p><lb/> <p>Die ſich vom 16.—19. Jahrhundert ausbildende Gutsherrſchaft hat ihre unteren<lb/> Glieder noch ſtärker gedrückt als die ältere Grundherrſchaft, weil ſie die Eigenwirtſchaft<lb/> der Leute beſchnitt, dieſelbe mehr und mehr zu einer geſteigerten Marktproduktion ver-<lb/> wendete; freilich blieben ſtets gewiſſe Schranken des Rechtes und des Herkommens, zu<lb/> denen dann die neuen der fürſtlichen Gewalt kamen; dieſe wollte im hörigen Bauern<lb/> den Soldaten, den Steuerzahler, den Unterthan ſchützen. Auch die Gutsherrſchaft wurde<lb/> nicht reine Unternehmung, ſondern blieb ein Mittelding zwiſchen ihr und patriarchaliſcher<lb/> Lokalverwaltung. Das hinderte aber nicht, daß die Mißſtimmung und gegenſeitige<lb/> Erbitterung zwiſchen Gutsherrſchaft und halbfreien Bauern von 1700—1800 ſo wuchs,<lb/> daß ſie auch die vorhandenen techniſch-wirtſchaftlichen Fortſchritte der Gutswirtſchaften<lb/> ſo hemmte, daß die Auflöſung dieſes Verhältniſſes von 1789—1860 in ganz Europa<lb/> zu der wichtigſten volkswirtſchaftlichen Reformfrage wurde.</p><lb/> <p>Seit dem 13., noch mehr ſeit dem 15. Jahrhundert hatte an begünſtigten Stellen<lb/> dieſer Auflöſungsprozeß begonnen; in den meiſten Staaten iſt er erſt durch große<lb/> ſtaatliche Reformmaßregeln 1750—1870 durchgeführt worden: das Eigentum und die<lb/> Perſonen wurden frei, Gutsbeſitzer und Bauern mußten lernen, mit freiem Geſinde und<lb/> freien Arbeitern zu wirtſchaften, ſich im freien Getriebe der Volkswirtſchaft zu Groß-<lb/> und Kleinunternehmern umzubilden. Der ältere agrariſche Verfaſſungszuſtand war ſeit<lb/> Jahrhunderten um ſo ſchlimmer geworden, je mehr die Geldwirtſchaft vordrang, die<lb/> patriarchaliſchen Gefühle ſchwanden, der individualiſtiſche Erwerbstrieb bei Gutsherren<lb/> und Hinterſaſſen zunahm, die vor Jahrhunderten ausgebildeten Rechtsformen ſtarr und<lb/> unbildſam geworden, für die intenſivere Landwirtſchaft, für die Marktproduktion und<lb/> den neuen Verkehr ſich nicht mehr eigneten; der ſociale Druck hatte für die unteren<lb/> Klaſſen außerordentlich zugenommen, ohne den oberen entſprechende Vorteile zu gewähren.<lb/> Freilich klammerte ſich die ländliche Ariſtokratie noch immer an ihre alten Vorrechte<lb/> an, obwohl ſie längſt den Kriegsdienſt und die Lokalverwaltung nicht mehr beſorgte,<lb/> ihre ſocial-patriarchaliſchen Pflichten nicht mehr wie früher erfüllte, weil ſie vom Geiſte<lb/> des Erwerbstriebes ergriffen war. —</p><lb/> <p>105. <hi rendition="#g">Die ältere Stadtwirtſchaft</hi>. Die Wirtſchaft des Dorfes ruhte auf<lb/> einer genoſſenſchaftlichen, die der Grundherrſchaft auf einer herrſchaftlichen Gebietsorgani-<lb/> ſation, beide hatten es zu gemeinſamen Wirtſchaftseinrichtungen, aber nicht zu einer<lb/> über den Einzelwirtſchaften ſtehenden ſelbſtändigen, aktiv führenden Korporationswirtſchaft<lb/> gebracht. Das gelang nun der komplizierteren Stadtwirtſchaft.</p><lb/> <p>Die Entſtehung der Städte im Altertume und Mittelalter haben wir im vorigen<lb/> Kapitel (S. 257 u. 263) erörtert. Hier haben wir uns auf die Ausbildung der Stadt-<lb/> wirtſchaft in der zweitgenannten Epoche zu beſchränken. Man wird an dem Ausbildungs-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [293/0309]
Würdigung der Grundherrſchaft; ihre Auflöſung.
gewährten Schutzes, der unzweifelhaften Überlegenheit folgen; auf der anderen Seite
kräftigſtes Selbſtgefühl, Glauben an den eigenen Herrſcherberuf, aber auch menſchliche
Rückſicht, Anerkennung des ärmſten Grundholden als Glied der ſogenannten „familia“,
Schutz in Not, Beiſtand im Unglück; auch der gedrückte Hinterfaſſe hat ſeine Kate, ſein
Ackerland, ſein Familienleben, ſeine rechtlich fixierte Stelle in dem grund- und guts-
herrſchaftlichen Verbande.
Gewiß war dabei die Organiſation eine rohe und eine enge, ſtets mit einer
gewiſſen Härte für die Untergebenen verbunden; die herrſchaftliche Spitze vertrat, was
heute Staat, Provinz, Kreis, Gemeinde, Kirche und Schule, Armee, Gericht, Polizei,
Unternehmung, Arbeitgeber, Armenhaus, Unterſtützungsgenoſſenſchaft als getrennte Or-
gane verfolgen. Viele, vielleicht die meiſten Individuen wurden in engſtem Kreiſe für
die herrſchaftlichen Zwecke gebraucht, eine Anzahl verbraucht; höhere techniſche und
geiſtige Kultur war ſo nur für die an der Spitze Stehenden möglich. Aber immer war
die Grundherrſchaft und die Gutsherrſchaft für Millionen und Milliarden einfacher
Menſchen eine in gewiſſer Beziehung erziehende und ſie befriedigende ſociale Lebensform,
ein Ring in der Kette zu größeren und vollendeteren geſellſchaftlichen Formen, in mancher
Beziehung teilweiſe vollkommener als ein Teil unſerer heutigen Großunternehmungen
mit ihren freien, aber proletariſchen Arbeitern.
Die ſich vom 16.—19. Jahrhundert ausbildende Gutsherrſchaft hat ihre unteren
Glieder noch ſtärker gedrückt als die ältere Grundherrſchaft, weil ſie die Eigenwirtſchaft
der Leute beſchnitt, dieſelbe mehr und mehr zu einer geſteigerten Marktproduktion ver-
wendete; freilich blieben ſtets gewiſſe Schranken des Rechtes und des Herkommens, zu
denen dann die neuen der fürſtlichen Gewalt kamen; dieſe wollte im hörigen Bauern
den Soldaten, den Steuerzahler, den Unterthan ſchützen. Auch die Gutsherrſchaft wurde
nicht reine Unternehmung, ſondern blieb ein Mittelding zwiſchen ihr und patriarchaliſcher
Lokalverwaltung. Das hinderte aber nicht, daß die Mißſtimmung und gegenſeitige
Erbitterung zwiſchen Gutsherrſchaft und halbfreien Bauern von 1700—1800 ſo wuchs,
daß ſie auch die vorhandenen techniſch-wirtſchaftlichen Fortſchritte der Gutswirtſchaften
ſo hemmte, daß die Auflöſung dieſes Verhältniſſes von 1789—1860 in ganz Europa
zu der wichtigſten volkswirtſchaftlichen Reformfrage wurde.
Seit dem 13., noch mehr ſeit dem 15. Jahrhundert hatte an begünſtigten Stellen
dieſer Auflöſungsprozeß begonnen; in den meiſten Staaten iſt er erſt durch große
ſtaatliche Reformmaßregeln 1750—1870 durchgeführt worden: das Eigentum und die
Perſonen wurden frei, Gutsbeſitzer und Bauern mußten lernen, mit freiem Geſinde und
freien Arbeitern zu wirtſchaften, ſich im freien Getriebe der Volkswirtſchaft zu Groß-
und Kleinunternehmern umzubilden. Der ältere agrariſche Verfaſſungszuſtand war ſeit
Jahrhunderten um ſo ſchlimmer geworden, je mehr die Geldwirtſchaft vordrang, die
patriarchaliſchen Gefühle ſchwanden, der individualiſtiſche Erwerbstrieb bei Gutsherren
und Hinterſaſſen zunahm, die vor Jahrhunderten ausgebildeten Rechtsformen ſtarr und
unbildſam geworden, für die intenſivere Landwirtſchaft, für die Marktproduktion und
den neuen Verkehr ſich nicht mehr eigneten; der ſociale Druck hatte für die unteren
Klaſſen außerordentlich zugenommen, ohne den oberen entſprechende Vorteile zu gewähren.
Freilich klammerte ſich die ländliche Ariſtokratie noch immer an ihre alten Vorrechte
an, obwohl ſie längſt den Kriegsdienſt und die Lokalverwaltung nicht mehr beſorgte,
ihre ſocial-patriarchaliſchen Pflichten nicht mehr wie früher erfüllte, weil ſie vom Geiſte
des Erwerbstriebes ergriffen war. —
105. Die ältere Stadtwirtſchaft. Die Wirtſchaft des Dorfes ruhte auf
einer genoſſenſchaftlichen, die der Grundherrſchaft auf einer herrſchaftlichen Gebietsorgani-
ſation, beide hatten es zu gemeinſamen Wirtſchaftseinrichtungen, aber nicht zu einer
über den Einzelwirtſchaften ſtehenden ſelbſtändigen, aktiv führenden Korporationswirtſchaft
gebracht. Das gelang nun der komplizierteren Stadtwirtſchaft.
Die Entſtehung der Städte im Altertume und Mittelalter haben wir im vorigen
Kapitel (S. 257 u. 263) erörtert. Hier haben wir uns auf die Ausbildung der Stadt-
wirtſchaft in der zweitgenannten Epoche zu beſchränken. Man wird an dem Ausbildungs-
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