Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Die Grundherrschaft und ihre wirtschaftliche Verfassung. Dienste und Lieferungen aufzulegen: der Ritter hat nur Kriegsdienst zu leisten, derHandwerker gewisse Produkte zu liefern, der Bauer wurde von der alten Gerichts- und Kriegspflicht befreit, damit er seiner Landwirtschaft leben, seine in der älteren Zeit mäßigen naturalwirtschaftlichen Pflichten erfüllen konnte. Der Ministeriale, der Ritter, der Förster, der Bauer, der Handwerker, der Köhler und Zeidler, kurz alle, die zum grundherrlichen Verbande gehörten, hatten für sich ihre meist auskömmliche agrarische Eigenwirtschaft, aber daneben waren sie dienende Glieder der Grundherrschaft, und es fragte sich, wie stark sie von hier aus in Anspruch genommen, gut oder schlecht behandelt, gefördert oder gedrückt wurden. Wo sich die genossenschaftliche und Gerichts- verfassung des Dorfes erhielt, lag darin ein Schutz gegen die Erhöhung der Lasten; wo die Abgaben und Dienste durch Recht und Herkommen, durch Aufzeichnung in Hofrechten und Weistümern gegen Änderung geschützt waren, wo und so lange an Bauern und Hintersassen eher ein Mangel als ein Überfluß vorhanden, ein leichter Abzug nach Städten und neuen Kolonien möglich war, wo der Bodenwert und die Rohproduktenpreise bei gleich bleibenden Naturallasten stiegen, da konnte die Lage des unfreien Bauern eine leidliche, ja eine allmählich sich verbessernde sein, wie es thatsächlich in vielen Ländern bis ins 14. und 15. Jahrhundert der Fall war. Die geistlichen Grundherrschaften, Bistümer, Stifte, Klöster wurden im älteren Der Eintritt in den Verband der Grundherrschaft setzte Geburt aus einer zugehö- Vom 15. Jahrhundert an haben sie die in den Weistümern aufgestellten Schranken 19*
Die Grundherrſchaft und ihre wirtſchaftliche Verfaſſung. Dienſte und Lieferungen aufzulegen: der Ritter hat nur Kriegsdienſt zu leiſten, derHandwerker gewiſſe Produkte zu liefern, der Bauer wurde von der alten Gerichts- und Kriegspflicht befreit, damit er ſeiner Landwirtſchaft leben, ſeine in der älteren Zeit mäßigen naturalwirtſchaftlichen Pflichten erfüllen konnte. Der Miniſteriale, der Ritter, der Förſter, der Bauer, der Handwerker, der Köhler und Zeidler, kurz alle, die zum grundherrlichen Verbande gehörten, hatten für ſich ihre meiſt auskömmliche agrariſche Eigenwirtſchaft, aber daneben waren ſie dienende Glieder der Grundherrſchaft, und es fragte ſich, wie ſtark ſie von hier aus in Anſpruch genommen, gut oder ſchlecht behandelt, gefördert oder gedrückt wurden. Wo ſich die genoſſenſchaftliche und Gerichts- verfaſſung des Dorfes erhielt, lag darin ein Schutz gegen die Erhöhung der Laſten; wo die Abgaben und Dienſte durch Recht und Herkommen, durch Aufzeichnung in Hofrechten und Weistümern gegen Änderung geſchützt waren, wo und ſo lange an Bauern und Hinterſaſſen eher ein Mangel als ein Überfluß vorhanden, ein leichter Abzug nach Städten und neuen Kolonien möglich war, wo der Bodenwert und die Rohproduktenpreiſe bei gleich bleibenden Naturallaſten ſtiegen, da konnte die Lage des unfreien Bauern eine leidliche, ja eine allmählich ſich verbeſſernde ſein, wie es thatſächlich in vielen Ländern bis ins 14. und 15. Jahrhundert der Fall war. Die geiſtlichen Grundherrſchaften, Bistümer, Stifte, Klöſter wurden im älteren Der Eintritt in den Verband der Grundherrſchaft ſetzte Geburt aus einer zugehö- Vom 15. Jahrhundert an haben ſie die in den Weistümern aufgeſtellten Schranken 19*
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Die Grundherren ſchufen dann nach und nach auch Märkte und Münzſtätten,<lb/> bauten Mühlen und Backhäuſer, Keltern und Kalköfen. So geſchah hier manches, was<lb/> auch den abhängigen Bauern zu gute kam, die dafür freilich die herrſchaftlichen Ein-<lb/> richtungen gegen Entgelt benutzen, auf der herrſchaftlichen Mühle mahlen, aus der<lb/> herrſchaftlichen Brauerei ihr Bier beziehen mußten.</p><lb/> <p>Der Eintritt in den Verband der Grundherrſchaft ſetzte Geburt aus einer zugehö-<lb/> rigen Familie oder freiwillige Ergebung und Aufnahme voraus; wer hofrechtliche Grund-<lb/> ſtücke erwarb, mußte ſich vom Herrn belehnen laſſen; der vom Herrn Aufgenommene<lb/> mußte auch von der halbfreien Genoſſenſchaft recipiert werden. Ein freies Austrittsrecht<lb/> fehlte gänzlich; es wurde als Fortſchritt empfunden, wenn der Herr den Leibeigenen<lb/> nicht mehr ohne ſeine Hufe verkaufen durfte; Heirat war nur zwiſchen Gliedern derſelben<lb/> grundherrlichen „Familie“, wie man die Geſamtheit der der Herrſchaft Unterthänigen<lb/> bezeichnend nannte, ohne weiteres geſtattet; darüber hinaus gehörte, wie zu jedem Aus-<lb/> tritte, Zuſtimmung des Herrn und Loskauf. Noch nach dem preußiſchen Landrecht entläßt<lb/> der Gutsherr einen Hinterfaſſen, den er nicht beſchäftigen, dem er nicht Unterhalt ver-<lb/> ſchaffen kann, nicht definitiv, ſondern er giebt ihm, wie bis 1860 der ruſſiſche Grundherr<lb/> und jetzt die ruſſiſche Gemeinde, eine Kundſchaft, einen Paß, um auswärts Brot zu<lb/> ſuchen. Der Grundſtückverkehr, Veräußerung, Teilung, Verpfändung war, abgeſehen<lb/> von der Zuſtimmung der nächſten Verwandten, an die des Grundherrn gebunden, jeden-<lb/> falls nur innerhalb des hofrechtlichen Verbandes erlaubt. Auch für das Vieh, das<lb/> Getreide, die Wolle des grundherrlich gebundenen Bauern maßte ſich die Herrſchaft<lb/> teilweiſe ein Vorkaufsrecht an, als mit dem Aufkommen der Städte ein ſolcher Abſatz<lb/> bedeutungsvoll wurde. Ein gewiſſes Beſteuerungsrecht hatten die Grundherrſchaften<lb/> früh geübt; ſie haben meiſt das Recht in Anſpruch genommen, ſtaatliche und andere<lb/> ſolche Laſten zu verteilen und dabei etwas für ſich zu erheben.</p><lb/> <p>Vom 15. Jahrhundert an haben ſie die in den Weistümern aufgeſtellten Schranken<lb/> bezüglich der bäuerlichen Dienſte und Abgaben meiſt abzuſtreifen, die Bauern mehr und<lb/> <fw place="bottom" type="sig">19*</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [291/0307]
Die Grundherrſchaft und ihre wirtſchaftliche Verfaſſung.
Dienſte und Lieferungen aufzulegen: der Ritter hat nur Kriegsdienſt zu leiſten, der
Handwerker gewiſſe Produkte zu liefern, der Bauer wurde von der alten Gerichts-
und Kriegspflicht befreit, damit er ſeiner Landwirtſchaft leben, ſeine in der älteren
Zeit mäßigen naturalwirtſchaftlichen Pflichten erfüllen konnte. Der Miniſteriale, der
Ritter, der Förſter, der Bauer, der Handwerker, der Köhler und Zeidler, kurz alle,
die zum grundherrlichen Verbande gehörten, hatten für ſich ihre meiſt auskömmliche
agrariſche Eigenwirtſchaft, aber daneben waren ſie dienende Glieder der Grundherrſchaft,
und es fragte ſich, wie ſtark ſie von hier aus in Anſpruch genommen, gut oder ſchlecht
behandelt, gefördert oder gedrückt wurden. Wo ſich die genoſſenſchaftliche und Gerichts-
verfaſſung des Dorfes erhielt, lag darin ein Schutz gegen die Erhöhung der Laſten; wo
die Abgaben und Dienſte durch Recht und Herkommen, durch Aufzeichnung in Hofrechten
und Weistümern gegen Änderung geſchützt waren, wo und ſo lange an Bauern und
Hinterſaſſen eher ein Mangel als ein Überfluß vorhanden, ein leichter Abzug nach
Städten und neuen Kolonien möglich war, wo der Bodenwert und die Rohproduktenpreiſe
bei gleich bleibenden Naturallaſten ſtiegen, da konnte die Lage des unfreien Bauern eine
leidliche, ja eine allmählich ſich verbeſſernde ſein, wie es thatſächlich in vielen Ländern
bis ins 14. und 15. Jahrhundert der Fall war.
Die geiſtlichen Grundherrſchaften, Bistümer, Stifte, Klöſter wurden im älteren
Mittelalter die Mittelpunkte der höheren Kultur, der feineren Technik, die Schulen und
Erziehungsanſtalten für den geiſtlichen und weltlichen Adel, teilweiſe auch die Ausgangs-
punkte für die ältere Städtebildung. Hier und auf den weltlichen großen und kleinen
Grundherrſchaften fand ein gewiſſer Fortſchritt in Acker- und Wieſenbau, Viehzucht
und techniſchen Gewerben ſtatt; von hier aus wurden die letzten großen Rodungen
unternommen, hier waren Kapitalmittel für Wege-, Burgen-, Kirchen- und Mauerbau
vorhanden; die Vorratsſammlung und die große Zahl Dienender erlaubten, die höheren
Bedürfniſſe des Herrenhofes beförderten manchen wirtſchaftlich-techniſchen Fortſchritt.
Die Organiſation eines Boten- und Fuhrwerksdienſtes brachte Verkehr und einige Abſatz-
möglichkeit. Die Grundherren ſchufen dann nach und nach auch Märkte und Münzſtätten,
bauten Mühlen und Backhäuſer, Keltern und Kalköfen. So geſchah hier manches, was
auch den abhängigen Bauern zu gute kam, die dafür freilich die herrſchaftlichen Ein-
richtungen gegen Entgelt benutzen, auf der herrſchaftlichen Mühle mahlen, aus der
herrſchaftlichen Brauerei ihr Bier beziehen mußten.
Der Eintritt in den Verband der Grundherrſchaft ſetzte Geburt aus einer zugehö-
rigen Familie oder freiwillige Ergebung und Aufnahme voraus; wer hofrechtliche Grund-
ſtücke erwarb, mußte ſich vom Herrn belehnen laſſen; der vom Herrn Aufgenommene
mußte auch von der halbfreien Genoſſenſchaft recipiert werden. Ein freies Austrittsrecht
fehlte gänzlich; es wurde als Fortſchritt empfunden, wenn der Herr den Leibeigenen
nicht mehr ohne ſeine Hufe verkaufen durfte; Heirat war nur zwiſchen Gliedern derſelben
grundherrlichen „Familie“, wie man die Geſamtheit der der Herrſchaft Unterthänigen
bezeichnend nannte, ohne weiteres geſtattet; darüber hinaus gehörte, wie zu jedem Aus-
tritte, Zuſtimmung des Herrn und Loskauf. Noch nach dem preußiſchen Landrecht entläßt
der Gutsherr einen Hinterfaſſen, den er nicht beſchäftigen, dem er nicht Unterhalt ver-
ſchaffen kann, nicht definitiv, ſondern er giebt ihm, wie bis 1860 der ruſſiſche Grundherr
und jetzt die ruſſiſche Gemeinde, eine Kundſchaft, einen Paß, um auswärts Brot zu
ſuchen. Der Grundſtückverkehr, Veräußerung, Teilung, Verpfändung war, abgeſehen
von der Zuſtimmung der nächſten Verwandten, an die des Grundherrn gebunden, jeden-
falls nur innerhalb des hofrechtlichen Verbandes erlaubt. Auch für das Vieh, das
Getreide, die Wolle des grundherrlich gebundenen Bauern maßte ſich die Herrſchaft
teilweiſe ein Vorkaufsrecht an, als mit dem Aufkommen der Städte ein ſolcher Abſatz
bedeutungsvoll wurde. Ein gewiſſes Beſteuerungsrecht hatten die Grundherrſchaften
früh geübt; ſie haben meiſt das Recht in Anſpruch genommen, ſtaatliche und andere
ſolche Laſten zu verteilen und dabei etwas für ſich zu erheben.
Vom 15. Jahrhundert an haben ſie die in den Weistümern aufgeſtellten Schranken
bezüglich der bäuerlichen Dienſte und Abgaben meiſt abzuſtreifen, die Bauern mehr und
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