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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Die deutsche Städtebildung bis ins 15. Jahrhundert, ihre Ursachen.
13, ins 13. 119, ins 14. 100, ins 15. 32. Diese 280 Städte dürften in der Zeit
ihres Aufkommens der Gesamtheit der deutschen Städte ungefähr entsprechen. Die älteren
sind die größeren, hauptsächlich durch Verkehr und Handel, Gewerbe und Marktwesen
emporgekommenen; die späteren Städte sind wesentlich die durch absichtliche Städtegründung
ins Leben gerufenen Landstädte, die den Marktmittelpunkt für einen ländlichen Bezirk
abgaben, diesen dadurch heben sollten. Vom 12.--15. Jahrhundert hat das Aufkommen
der deutschen Städte eine große Wanderbewegung vom Lande dahin erzeugt. Vom 15.
bis 17. handelt es sich um die letzten Stadien dieses Prozesses, dessen Endziel weniger
die Ausbildung großer als die zahlreicher Mittelpunkte der kleinen, selbständigen Wirt-
schaftsgebiete war. Wir werden im nächsten Kapitel die darauf fußende Stadtwirtschafts-
politik kennen lernen.

Daß sehr viele der Städte aus einem Dorfe oder aus mehreren zusammengelegten oder
zusammenziehenden Dörfern erwuchsen, ist ebenso sicher, wie daß die meisten Jahrhunderte
lang Ackerstädte blieben. Aber das erklärt nicht ihre Entstehung, nicht ihr Wesen.
Ebenso unzweifelhaft ist, daß die Umgebung mit Wall und Graben als Lebensbedingung
der Stadt damals und lange galt, daß das städtische Leben einen solchen Schutz voraus-
setzte; aber unzählige Burgen sind nicht zu Städten erwachsen; übrigens sind auch Dörfer
so geschützt worden. Jedenfalls könnte man außer der Umwallung auch den Bau größerer
Kirchen, Klöster, Pfalzen, Kauf- und Rathäuser, die baulichen Einrichtungen für Wage,
Münze, Handwerkerbänke und Ähnliches als Bedingung oder Folge des städtischen
Lebens anführen. Und das wirtschaftlich Entscheidende für die Stadtentstehung war doch
zuletzt, daß statt Dörfern und isolierten Fron- und Bauernhöfen mit 20--150 Seelen
Wohnplätze mit 1000--5000 Einwohnern entstanden waren, daß sie die wirtschaftlichen
Mittelpunkte ihrer Umgebung und weiterer Gebiete wurden, daß sie nicht bloß Bischofs-
sitze und Burgen, sondern Marktplätze und Sitze von Gewerbe und Handel waren;
endlich daß sie, durch eigentümliche Rechtsinstitutionen gefördert, zu besonderen vom
Lande getrennten Lebenskreisen, Genossenschaften, Korporationen erwuchsen.

Die Städte genossen, seit sie befestigt waren, eines besonderen königlichen Friedens;
sie wurden besondere Gerichtsbezirke; sie wußten die Rechtsverfassung oder, wenn man
will, das große Privileg für sich durchzusetzen, daß ihre Einwohner das ausschließ-
liche Recht des Handels und bald auch die persönliche Freiheit im Gegensatz zu den
meist unfreien Landbewohnern erhielten. Und weitere Privilegien kamen häufig hinzu:
z. B. die Zusicherung, daß auf so viel Meilen kein anderer Markt errichtet werde, daß
die Straßen sie nicht umgehen, die durchziehenden Handelsleute in ihnen rasten und
verkaufen müssen (Stapel-Recht); daß die ländliche Umgebung auf ihren Markt kommen
müsse; ferner die Verleihung von Zolleinnahmen und Zollfreiheiten und anderes mehr.
Die Summe von privat- und öffentlich-rechtlichen Satzungen, die so vom 12.--14. Jahr-
hundert als typisch für die Stadt sich herausbildeten, faßte man unter dem Begriff des
Stadtrechts zusammen und übertrug sie von Ort zu Ort.

Es ist ein großer, mehrere Jahrhunderte umspannender Prozeß, in welchen zuerst
die Könige, die Bischöfe, die Landesfürsten und großen Grundherren vielfach absichtlich
fördernd eingegriffen haben. Sie thaten es durch den Mauer- und anderen Bau, durch
Vergrößerung der Gemarkung, durch Herbeirufung von Kauf- und Gewerbsleuten, durch
Privilegien und Vorrechte aller Art, durch Übertragung des Gründungsgeschäftes an
kapitalkräftige Unternehmer, die dafür Gerichtseinkünfte und Schulzenrechte erhielten.
Die Gründung gelang aber doch nur, wenn die wirtschaftlichen und psychologischen
Vorbedingungen dafür vorhanden waren. Das heißt: es gehörten zum Aufblühen der
Städte Menschen, die fähig waren, in genossenschaftlichem Geiste die komplizierte Ver-
waltung der größeren Gemeinwesen mehr und mehr selbst in die Hand zu nehmen. Und
es gehörte eine Verdichtung der Bevölkerung, ein Bedürfnis nach Handwerk, Verkehr,
Marktwesen, eine gewisse Arbeitsteilung und Kapitalbildung, eine kaufkräftige Aristo-
kratie dazu.

Die älteren Städte erwuchsen im Südwesten Deutschlands gleichsam unter der
Vormundschaft der Könige, der Bischöfe, oft in Anlehnung an deren Fronhöfe und

Die deutſche Städtebildung bis ins 15. Jahrhundert, ihre Urſachen.
13, ins 13. 119, ins 14. 100, ins 15. 32. Dieſe 280 Städte dürften in der Zeit
ihres Aufkommens der Geſamtheit der deutſchen Städte ungefähr entſprechen. Die älteren
ſind die größeren, hauptſächlich durch Verkehr und Handel, Gewerbe und Marktweſen
emporgekommenen; die ſpäteren Städte ſind weſentlich die durch abſichtliche Städtegründung
ins Leben gerufenen Landſtädte, die den Marktmittelpunkt für einen ländlichen Bezirk
abgaben, dieſen dadurch heben ſollten. Vom 12.—15. Jahrhundert hat das Aufkommen
der deutſchen Städte eine große Wanderbewegung vom Lande dahin erzeugt. Vom 15.
bis 17. handelt es ſich um die letzten Stadien dieſes Prozeſſes, deſſen Endziel weniger
die Ausbildung großer als die zahlreicher Mittelpunkte der kleinen, ſelbſtändigen Wirt-
ſchaftsgebiete war. Wir werden im nächſten Kapitel die darauf fußende Stadtwirtſchafts-
politik kennen lernen.

Daß ſehr viele der Städte aus einem Dorfe oder aus mehreren zuſammengelegten oder
zuſammenziehenden Dörfern erwuchſen, iſt ebenſo ſicher, wie daß die meiſten Jahrhunderte
lang Ackerſtädte blieben. Aber das erklärt nicht ihre Entſtehung, nicht ihr Weſen.
Ebenſo unzweifelhaft iſt, daß die Umgebung mit Wall und Graben als Lebensbedingung
der Stadt damals und lange galt, daß das ſtädtiſche Leben einen ſolchen Schutz voraus-
ſetzte; aber unzählige Burgen ſind nicht zu Städten erwachſen; übrigens ſind auch Dörfer
ſo geſchützt worden. Jedenfalls könnte man außer der Umwallung auch den Bau größerer
Kirchen, Klöſter, Pfalzen, Kauf- und Rathäuſer, die baulichen Einrichtungen für Wage,
Münze, Handwerkerbänke und Ähnliches als Bedingung oder Folge des ſtädtiſchen
Lebens anführen. Und das wirtſchaftlich Entſcheidende für die Stadtentſtehung war doch
zuletzt, daß ſtatt Dörfern und iſolierten Fron- und Bauernhöfen mit 20—150 Seelen
Wohnplätze mit 1000—5000 Einwohnern entſtanden waren, daß ſie die wirtſchaftlichen
Mittelpunkte ihrer Umgebung und weiterer Gebiete wurden, daß ſie nicht bloß Biſchofs-
ſitze und Burgen, ſondern Marktplätze und Sitze von Gewerbe und Handel waren;
endlich daß ſie, durch eigentümliche Rechtsinſtitutionen gefördert, zu beſonderen vom
Lande getrennten Lebenskreiſen, Genoſſenſchaften, Korporationen erwuchſen.

Die Städte genoſſen, ſeit ſie befeſtigt waren, eines beſonderen königlichen Friedens;
ſie wurden beſondere Gerichtsbezirke; ſie wußten die Rechtsverfaſſung oder, wenn man
will, das große Privileg für ſich durchzuſetzen, daß ihre Einwohner das ausſchließ-
liche Recht des Handels und bald auch die perſönliche Freiheit im Gegenſatz zu den
meiſt unfreien Landbewohnern erhielten. Und weitere Privilegien kamen häufig hinzu:
z. B. die Zuſicherung, daß auf ſo viel Meilen kein anderer Markt errichtet werde, daß
die Straßen ſie nicht umgehen, die durchziehenden Handelsleute in ihnen raſten und
verkaufen müſſen (Stapel-Recht); daß die ländliche Umgebung auf ihren Markt kommen
müſſe; ferner die Verleihung von Zolleinnahmen und Zollfreiheiten und anderes mehr.
Die Summe von privat- und öffentlich-rechtlichen Satzungen, die ſo vom 12.—14. Jahr-
hundert als typiſch für die Stadt ſich herausbildeten, faßte man unter dem Begriff des
Stadtrechts zuſammen und übertrug ſie von Ort zu Ort.

Es iſt ein großer, mehrere Jahrhunderte umſpannender Prozeß, in welchen zuerſt
die Könige, die Biſchöfe, die Landesfürſten und großen Grundherren vielfach abſichtlich
fördernd eingegriffen haben. Sie thaten es durch den Mauer- und anderen Bau, durch
Vergrößerung der Gemarkung, durch Herbeirufung von Kauf- und Gewerbsleuten, durch
Privilegien und Vorrechte aller Art, durch Übertragung des Gründungsgeſchäftes an
kapitalkräftige Unternehmer, die dafür Gerichtseinkünfte und Schulzenrechte erhielten.
Die Gründung gelang aber doch nur, wenn die wirtſchaftlichen und pſychologiſchen
Vorbedingungen dafür vorhanden waren. Das heißt: es gehörten zum Aufblühen der
Städte Menſchen, die fähig waren, in genoſſenſchaftlichem Geiſte die komplizierte Ver-
waltung der größeren Gemeinweſen mehr und mehr ſelbſt in die Hand zu nehmen. Und
es gehörte eine Verdichtung der Bevölkerung, ein Bedürfnis nach Handwerk, Verkehr,
Marktweſen, eine gewiſſe Arbeitsteilung und Kapitalbildung, eine kaufkräftige Ariſto-
kratie dazu.

Die älteren Städte erwuchſen im Südweſten Deutſchlands gleichſam unter der
Vormundſchaft der Könige, der Biſchöfe, oft in Anlehnung an deren Fronhöfe und

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[265/0281] Die deutſche Städtebildung bis ins 15. Jahrhundert, ihre Urſachen. 13, ins 13. 119, ins 14. 100, ins 15. 32. Dieſe 280 Städte dürften in der Zeit ihres Aufkommens der Geſamtheit der deutſchen Städte ungefähr entſprechen. Die älteren ſind die größeren, hauptſächlich durch Verkehr und Handel, Gewerbe und Marktweſen emporgekommenen; die ſpäteren Städte ſind weſentlich die durch abſichtliche Städtegründung ins Leben gerufenen Landſtädte, die den Marktmittelpunkt für einen ländlichen Bezirk abgaben, dieſen dadurch heben ſollten. Vom 12.—15. Jahrhundert hat das Aufkommen der deutſchen Städte eine große Wanderbewegung vom Lande dahin erzeugt. Vom 15. bis 17. handelt es ſich um die letzten Stadien dieſes Prozeſſes, deſſen Endziel weniger die Ausbildung großer als die zahlreicher Mittelpunkte der kleinen, ſelbſtändigen Wirt- ſchaftsgebiete war. Wir werden im nächſten Kapitel die darauf fußende Stadtwirtſchafts- politik kennen lernen. Daß ſehr viele der Städte aus einem Dorfe oder aus mehreren zuſammengelegten oder zuſammenziehenden Dörfern erwuchſen, iſt ebenſo ſicher, wie daß die meiſten Jahrhunderte lang Ackerſtädte blieben. Aber das erklärt nicht ihre Entſtehung, nicht ihr Weſen. Ebenſo unzweifelhaft iſt, daß die Umgebung mit Wall und Graben als Lebensbedingung der Stadt damals und lange galt, daß das ſtädtiſche Leben einen ſolchen Schutz voraus- ſetzte; aber unzählige Burgen ſind nicht zu Städten erwachſen; übrigens ſind auch Dörfer ſo geſchützt worden. Jedenfalls könnte man außer der Umwallung auch den Bau größerer Kirchen, Klöſter, Pfalzen, Kauf- und Rathäuſer, die baulichen Einrichtungen für Wage, Münze, Handwerkerbänke und Ähnliches als Bedingung oder Folge des ſtädtiſchen Lebens anführen. Und das wirtſchaftlich Entſcheidende für die Stadtentſtehung war doch zuletzt, daß ſtatt Dörfern und iſolierten Fron- und Bauernhöfen mit 20—150 Seelen Wohnplätze mit 1000—5000 Einwohnern entſtanden waren, daß ſie die wirtſchaftlichen Mittelpunkte ihrer Umgebung und weiterer Gebiete wurden, daß ſie nicht bloß Biſchofs- ſitze und Burgen, ſondern Marktplätze und Sitze von Gewerbe und Handel waren; endlich daß ſie, durch eigentümliche Rechtsinſtitutionen gefördert, zu beſonderen vom Lande getrennten Lebenskreiſen, Genoſſenſchaften, Korporationen erwuchſen. Die Städte genoſſen, ſeit ſie befeſtigt waren, eines beſonderen königlichen Friedens; ſie wurden beſondere Gerichtsbezirke; ſie wußten die Rechtsverfaſſung oder, wenn man will, das große Privileg für ſich durchzuſetzen, daß ihre Einwohner das ausſchließ- liche Recht des Handels und bald auch die perſönliche Freiheit im Gegenſatz zu den meiſt unfreien Landbewohnern erhielten. Und weitere Privilegien kamen häufig hinzu: z. B. die Zuſicherung, daß auf ſo viel Meilen kein anderer Markt errichtet werde, daß die Straßen ſie nicht umgehen, die durchziehenden Handelsleute in ihnen raſten und verkaufen müſſen (Stapel-Recht); daß die ländliche Umgebung auf ihren Markt kommen müſſe; ferner die Verleihung von Zolleinnahmen und Zollfreiheiten und anderes mehr. Die Summe von privat- und öffentlich-rechtlichen Satzungen, die ſo vom 12.—14. Jahr- hundert als typiſch für die Stadt ſich herausbildeten, faßte man unter dem Begriff des Stadtrechts zuſammen und übertrug ſie von Ort zu Ort. Es iſt ein großer, mehrere Jahrhunderte umſpannender Prozeß, in welchen zuerſt die Könige, die Biſchöfe, die Landesfürſten und großen Grundherren vielfach abſichtlich fördernd eingegriffen haben. Sie thaten es durch den Mauer- und anderen Bau, durch Vergrößerung der Gemarkung, durch Herbeirufung von Kauf- und Gewerbsleuten, durch Privilegien und Vorrechte aller Art, durch Übertragung des Gründungsgeſchäftes an kapitalkräftige Unternehmer, die dafür Gerichtseinkünfte und Schulzenrechte erhielten. Die Gründung gelang aber doch nur, wenn die wirtſchaftlichen und pſychologiſchen Vorbedingungen dafür vorhanden waren. Das heißt: es gehörten zum Aufblühen der Städte Menſchen, die fähig waren, in genoſſenſchaftlichem Geiſte die komplizierte Ver- waltung der größeren Gemeinweſen mehr und mehr ſelbſt in die Hand zu nehmen. Und es gehörte eine Verdichtung der Bevölkerung, ein Bedürfnis nach Handwerk, Verkehr, Marktweſen, eine gewiſſe Arbeitsteilung und Kapitalbildung, eine kaufkräftige Ariſto- kratie dazu. Die älteren Städte erwuchſen im Südweſten Deutſchlands gleichſam unter der Vormundſchaft der Könige, der Biſchöfe, oft in Anlehnung an deren Fronhöfe und

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/281>, abgerufen am 22.11.2024.