Dörfer. Es ist das die bis heute vorherrschende Meinung, die durch geographische Siedlungsstudien mannigfache Unterstützung fand.
Nicht sowohl sie bekämpfen als etwas korrigieren wollte Inama mit seinen Unter- suchungen über die Höfe und Dörfer der Alpen. Er will einzelne Urdörfer, die vor den Höfen dagewesen sind, nicht leugnen. Aber er will beweisen, daß schon Tacitus Dorf und Hof neben einander gekannt habe, daß die ältere Kulturausdehnung dann in den Alpen mehr durch Höfe erfolgt sei, daß die größeren Dörfer ihnen erst als späteres Ergebnis hauptsächlich der Grundherrschaft folgten. Die überwiegende Viehzucht und Feldgraswirtschaft des älteren Mittelalters in den Alpen und die Careysche Vorstellung, daß die Besiedlung von den Höfen und Berghängen ins Thal gegangen sei, haben wesentlich seine Gedanken beherrscht, die er in seiner Wirtschaftsgeschichte aber dahin modifiziert, daß in der ältesten Zeit die kleinen Dörfer, die einzelnen Ausbauten, die sogenannten Bifange im Walde, und die Höfe gar keinen festen Gegensatz gebildet hätten, daß von der Karolinger Zeit an die Höfe zurückgetreten, die Dörfer größer geworden seien. Diese Auffassung stimmt mit dem Resultat der Untersuchungen von Landau, Arnold und Mone, daß im älteren Mittelalter die Zahl der kleinen Niederlassungen außerordentlich groß gewesen, später durch Kriege, grundherrschaftliche Tendenzen und andere Ursachen ihre Zahl auf die Hälfte oder noch mehr zurückgegangen sei.
August Meitzen führt in seinen feinsinnigen Untersuchungen über die Siedlung der West- und Ostgermanen, der Kelten, Romanen, Finnen und Slaven uns ein Bild ganz Europas vor und bringt die verschiedene Siedlung wesentlich in Zusammenhang mit dem verschiedenen Volkscharakter; die größeren Gebiete des Hofsystems in Deutsch- land (Westfalen), Frankreich, Belgien, Großbritannien und Irland sieht er als ein Ergebnis keltischer, die des Dorfsystems als ein solches germanischer Siedlung an. Er läßt die indogermanischen Völker als Nomaden in Europa einwandern; die germanischen Marken von etwa 2--8 Geviertmeilen (ca. 100--400 Geviertkilometer) stellt er sich als Sitze der Weidegenossenschaften von 120 Familien oder 1000 Seelen vor, die durch Übervölkerung etwa im Beginne unserer Zeitrechnung genötigt sind, für den größeren Teil ihrer weniger Vieh besitzenden Genossen zum Ackerbau und fester Siedlung in Dörfern überzugehen: Gruppen von 5--30 Familien erwerben durch Vertrag mit der Mark- genossenschaft feste Dorffluren, legen die Dörfer an, teilen das zunächst dem Dorfe liegende Ackerland in Gewanne, d. h. längliche Quadrate nach der Bodengüte; jeder Hufner erhält im Dorfe Hausstätte und Gartenland, in jedem Ackergewann seinen Anteil von je 1/2 bis 1 Morgen, außerdem die Nutzung in der gemeinsamen Dorfweide, event. auch noch in der Mark. Die vorherrschende Gleichheit der Germanen, ihr demokratisch- genossenschaftlicher Geist soll so am leichtesten über jeden Streit weggekommen sein, die Dorfverfassung als eine feste nationale Institution erzeugt haben, die sie nun überall mit sich brachten, wo sie nach der Zeit ihrer Ausbildung eindrangen. Nur einzelne früher in Bewegung gekommene Stämme, welche in ihrer nomadischen Verfassung erobernd in das Keltengebiet sich vorschoben, sollen da der keltischen Hofsiedlungsweise sich bequemt haben.
Daß die Kelten relativ früh zum vorherrschenden Hofsystem gekommen seien, folgert Meitzen in erster Linie aus dem Studium der irischen Altertümer; hauptsächlich die irischen Karten und historischen Nachrichten aus der Zeit nach 1600 zeigen ihm eine Landaufteilung nach Hofsystem, dessen Entstehung er in die Zeit gegen 600 n. Chr. ver- setzt. Die vorher bestandenen Weidegenossenschaften von je sechzehn zusammen wohnenden und unter einem Häuptling zusammen wirtschaftenden Familien läßt er, auch infolge von Übervölkerung, in ackerbauende, separierte Hofbauern sich verwandeln. Die große Gewalt der Klanhäuptlinge läßt ihm den Vorgang, der die wirtschaftliche Zweckmäßig- keit für sich gehabt habe, begreiflich erscheinen. Und in ähnlicher Weise denkt er sich einige Jahrhunderte früher den Übergang der gallischen Kelten zu Ackerbau und Hof- system; das wirtschaftliche Leben derselben erscheint ihm demgemäß relativ hoch entwickelt.
Wir können hier auf die weiteren Stützen, welche Meitzen seiner Hypothese durch Untersuchung der Hausbauformen und der Wanderungen giebt, so wenig eingehen wie
Hof- und Dorfſyſtem nach Möſer, Inama, Meitzen.
Dörfer. Es iſt das die bis heute vorherrſchende Meinung, die durch geographiſche Siedlungsſtudien mannigfache Unterſtützung fand.
Nicht ſowohl ſie bekämpfen als etwas korrigieren wollte Inama mit ſeinen Unter- ſuchungen über die Höfe und Dörfer der Alpen. Er will einzelne Urdörfer, die vor den Höfen dageweſen ſind, nicht leugnen. Aber er will beweiſen, daß ſchon Tacitus Dorf und Hof neben einander gekannt habe, daß die ältere Kulturausdehnung dann in den Alpen mehr durch Höfe erfolgt ſei, daß die größeren Dörfer ihnen erſt als ſpäteres Ergebnis hauptſächlich der Grundherrſchaft folgten. Die überwiegende Viehzucht und Feldgraswirtſchaft des älteren Mittelalters in den Alpen und die Careyſche Vorſtellung, daß die Beſiedlung von den Höfen und Berghängen ins Thal gegangen ſei, haben weſentlich ſeine Gedanken beherrſcht, die er in ſeiner Wirtſchaftsgeſchichte aber dahin modifiziert, daß in der älteſten Zeit die kleinen Dörfer, die einzelnen Ausbauten, die ſogenannten Bifange im Walde, und die Höfe gar keinen feſten Gegenſatz gebildet hätten, daß von der Karolinger Zeit an die Höfe zurückgetreten, die Dörfer größer geworden ſeien. Dieſe Auffaſſung ſtimmt mit dem Reſultat der Unterſuchungen von Landau, Arnold und Mone, daß im älteren Mittelalter die Zahl der kleinen Niederlaſſungen außerordentlich groß geweſen, ſpäter durch Kriege, grundherrſchaftliche Tendenzen und andere Urſachen ihre Zahl auf die Hälfte oder noch mehr zurückgegangen ſei.
Auguſt Meitzen führt in ſeinen feinſinnigen Unterſuchungen über die Siedlung der Weſt- und Oſtgermanen, der Kelten, Romanen, Finnen und Slaven uns ein Bild ganz Europas vor und bringt die verſchiedene Siedlung weſentlich in Zuſammenhang mit dem verſchiedenen Volkscharakter; die größeren Gebiete des Hofſyſtems in Deutſch- land (Weſtfalen), Frankreich, Belgien, Großbritannien und Irland ſieht er als ein Ergebnis keltiſcher, die des Dorfſyſtems als ein ſolches germaniſcher Siedlung an. Er läßt die indogermaniſchen Völker als Nomaden in Europa einwandern; die germaniſchen Marken von etwa 2—8 Geviertmeilen (ca. 100—400 Geviertkilometer) ſtellt er ſich als Sitze der Weidegenoſſenſchaften von 120 Familien oder 1000 Seelen vor, die durch Übervölkerung etwa im Beginne unſerer Zeitrechnung genötigt ſind, für den größeren Teil ihrer weniger Vieh beſitzenden Genoſſen zum Ackerbau und feſter Siedlung in Dörfern überzugehen: Gruppen von 5—30 Familien erwerben durch Vertrag mit der Mark- genoſſenſchaft feſte Dorffluren, legen die Dörfer an, teilen das zunächſt dem Dorfe liegende Ackerland in Gewanne, d. h. längliche Quadrate nach der Bodengüte; jeder Hufner erhält im Dorfe Hausſtätte und Gartenland, in jedem Ackergewann ſeinen Anteil von je ½ bis 1 Morgen, außerdem die Nutzung in der gemeinſamen Dorfweide, event. auch noch in der Mark. Die vorherrſchende Gleichheit der Germanen, ihr demokratiſch- genoſſenſchaftlicher Geiſt ſoll ſo am leichteſten über jeden Streit weggekommen ſein, die Dorfverfaſſung als eine feſte nationale Inſtitution erzeugt haben, die ſie nun überall mit ſich brachten, wo ſie nach der Zeit ihrer Ausbildung eindrangen. Nur einzelne früher in Bewegung gekommene Stämme, welche in ihrer nomadiſchen Verfaſſung erobernd in das Keltengebiet ſich vorſchoben, ſollen da der keltiſchen Hofſiedlungsweiſe ſich bequemt haben.
Daß die Kelten relativ früh zum vorherrſchenden Hofſyſtem gekommen ſeien, folgert Meitzen in erſter Linie aus dem Studium der iriſchen Altertümer; hauptſächlich die iriſchen Karten und hiſtoriſchen Nachrichten aus der Zeit nach 1600 zeigen ihm eine Landaufteilung nach Hofſyſtem, deſſen Entſtehung er in die Zeit gegen 600 n. Chr. ver- ſetzt. Die vorher beſtandenen Weidegenoſſenſchaften von je ſechzehn zuſammen wohnenden und unter einem Häuptling zuſammen wirtſchaftenden Familien läßt er, auch infolge von Übervölkerung, in ackerbauende, ſeparierte Hofbauern ſich verwandeln. Die große Gewalt der Klanhäuptlinge läßt ihm den Vorgang, der die wirtſchaftliche Zweckmäßig- keit für ſich gehabt habe, begreiflich erſcheinen. Und in ähnlicher Weiſe denkt er ſich einige Jahrhunderte früher den Übergang der galliſchen Kelten zu Ackerbau und Hof- ſyſtem; das wirtſchaftliche Leben derſelben erſcheint ihm demgemäß relativ hoch entwickelt.
Wir können hier auf die weiteren Stützen, welche Meitzen ſeiner Hypotheſe durch Unterſuchung der Hausbauformen und der Wanderungen giebt, ſo wenig eingehen wie
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Hof- und Dorfſyſtem nach Möſer, Inama, Meitzen.
Dörfer. Es iſt das die bis heute vorherrſchende Meinung, die durch geographiſche
Siedlungsſtudien mannigfache Unterſtützung fand.
Nicht ſowohl ſie bekämpfen als etwas korrigieren wollte Inama mit ſeinen Unter-
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Höfen dageweſen ſind, nicht leugnen. Aber er will beweiſen, daß ſchon Tacitus Dorf
und Hof neben einander gekannt habe, daß die ältere Kulturausdehnung dann in den
Alpen mehr durch Höfe erfolgt ſei, daß die größeren Dörfer ihnen erſt als ſpäteres
Ergebnis hauptſächlich der Grundherrſchaft folgten. Die überwiegende Viehzucht und
Feldgraswirtſchaft des älteren Mittelalters in den Alpen und die Careyſche Vorſtellung,
daß die Beſiedlung von den Höfen und Berghängen ins Thal gegangen ſei, haben
weſentlich ſeine Gedanken beherrſcht, die er in ſeiner Wirtſchaftsgeſchichte aber dahin
modifiziert, daß in der älteſten Zeit die kleinen Dörfer, die einzelnen Ausbauten, die
ſogenannten Bifange im Walde, und die Höfe gar keinen feſten Gegenſatz gebildet hätten,
daß von der Karolinger Zeit an die Höfe zurückgetreten, die Dörfer größer geworden
ſeien. Dieſe Auffaſſung ſtimmt mit dem Reſultat der Unterſuchungen von Landau,
Arnold und Mone, daß im älteren Mittelalter die Zahl der kleinen Niederlaſſungen
außerordentlich groß geweſen, ſpäter durch Kriege, grundherrſchaftliche Tendenzen und
andere Urſachen ihre Zahl auf die Hälfte oder noch mehr zurückgegangen ſei.
Auguſt Meitzen führt in ſeinen feinſinnigen Unterſuchungen über die Siedlung
der Weſt- und Oſtgermanen, der Kelten, Romanen, Finnen und Slaven uns ein Bild
ganz Europas vor und bringt die verſchiedene Siedlung weſentlich in Zuſammenhang
mit dem verſchiedenen Volkscharakter; die größeren Gebiete des Hofſyſtems in Deutſch-
land (Weſtfalen), Frankreich, Belgien, Großbritannien und Irland ſieht er als ein
Ergebnis keltiſcher, die des Dorfſyſtems als ein ſolches germaniſcher Siedlung an. Er
läßt die indogermaniſchen Völker als Nomaden in Europa einwandern; die germaniſchen
Marken von etwa 2—8 Geviertmeilen (ca. 100—400 Geviertkilometer) ſtellt er ſich als
Sitze der Weidegenoſſenſchaften von 120 Familien oder 1000 Seelen vor, die durch
Übervölkerung etwa im Beginne unſerer Zeitrechnung genötigt ſind, für den größeren Teil
ihrer weniger Vieh beſitzenden Genoſſen zum Ackerbau und feſter Siedlung in Dörfern
überzugehen: Gruppen von 5—30 Familien erwerben durch Vertrag mit der Mark-
genoſſenſchaft feſte Dorffluren, legen die Dörfer an, teilen das zunächſt dem Dorfe liegende
Ackerland in Gewanne, d. h. längliche Quadrate nach der Bodengüte; jeder Hufner
erhält im Dorfe Hausſtätte und Gartenland, in jedem Ackergewann ſeinen Anteil von
je ½ bis 1 Morgen, außerdem die Nutzung in der gemeinſamen Dorfweide, event. auch
noch in der Mark. Die vorherrſchende Gleichheit der Germanen, ihr demokratiſch-
genoſſenſchaftlicher Geiſt ſoll ſo am leichteſten über jeden Streit weggekommen ſein, die
Dorfverfaſſung als eine feſte nationale Inſtitution erzeugt haben, die ſie nun überall
mit ſich brachten, wo ſie nach der Zeit ihrer Ausbildung eindrangen. Nur einzelne
früher in Bewegung gekommene Stämme, welche in ihrer nomadiſchen Verfaſſung
erobernd in das Keltengebiet ſich vorſchoben, ſollen da der keltiſchen Hofſiedlungsweiſe
ſich bequemt haben.
Daß die Kelten relativ früh zum vorherrſchenden Hofſyſtem gekommen ſeien, folgert
Meitzen in erſter Linie aus dem Studium der iriſchen Altertümer; hauptſächlich die
iriſchen Karten und hiſtoriſchen Nachrichten aus der Zeit nach 1600 zeigen ihm eine
Landaufteilung nach Hofſyſtem, deſſen Entſtehung er in die Zeit gegen 600 n. Chr. ver-
ſetzt. Die vorher beſtandenen Weidegenoſſenſchaften von je ſechzehn zuſammen wohnenden
und unter einem Häuptling zuſammen wirtſchaftenden Familien läßt er, auch infolge
von Übervölkerung, in ackerbauende, ſeparierte Hofbauern ſich verwandeln. Die große
Gewalt der Klanhäuptlinge läßt ihm den Vorgang, der die wirtſchaftliche Zweckmäßig-
keit für ſich gehabt habe, begreiflich erſcheinen. Und in ähnlicher Weiſe denkt er ſich
einige Jahrhunderte früher den Übergang der galliſchen Kelten zu Ackerbau und Hof-
ſyſtem; das wirtſchaftliche Leben derſelben erſcheint ihm demgemäß relativ hoch entwickelt.
Wir können hier auf die weiteren Stützen, welche Meitzen ſeiner Hypotheſe durch
Unterſuchung der Hausbauformen und der Wanderungen giebt, ſo wenig eingehen wie
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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/277>, abgerufen am 16.02.2025.
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