Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft.
zu verwalten, zu erhalten, zu mehren gelehrt hat, welches die wichtigsten wirtschaft- lichen Gewohnheiten der Kulturvölker bis zum Siege der neueren Konkurrenzwirtschaft erzeugte.
In der Zeit der ausschließlichen Herrschaft dieser patriarchalischen Familie besteht die Gesellschaft, hat man gesagt, aus einem völkerrechtlichen Bunde von Familienhäuptern; alle ihnen untergeordneten Familienglieder haben nur durch sie Beziehungen zum Ganzen und zu den höheren socialen Organen; sie wirtschaften nicht für sich, sondern nur für die Familienväter. Die Folgen dieser Familienverfassung sind nach allen Seiten hin bedeutungsvoll.
Aus der patriarchalischen Familie gingen die Verwandtschaftssysteme hervor, die heute das Recht aller Kulturvölker beherrschen; alles heute bestehende Erbrecht ist ein Ergebnis dieser Familienverfassung. Alle älteren Unternehmungsformen, heute noch die des Handwerks, der Kleinbauern, sowie die patriarchalische Fabrikverfassung sind aus der Familie ebenso entsprungen wie die kriegerischen Gefolgschaften, die Fronhofs- verfassung, die Grund- und Gutsherrschaft. Die Klöster und andere kirchliche Institutionen sind Nachahmungen der Familienverfassung; die Lehrlingschaft und alle älteren Er- ziehungsanstalten knüpfen an die patriarchalische Familie an. Die Formen der heutigen Handelsgesellschaften haben ihre eine Wurzel in der Familie; die offene Handelsgesell- schaft ist heute noch meist an die Familie angelehnt. Das patriarchalische Königtum wie das Aufkommen aristokratischer Kreise beruht auf dem Emporwachsen einzelner patriarchalischer Familien; in China und Rußland gilt die höchste Gewalt noch heute als eine väterliche. -- Die politische und kriegerische Verfassung der heroischen Zeitalter und aller Staaten bis zu dem Punkte, da eine moderne Staatsgewalt sich ausbildet, beruht auf Elementen, die der patriarchalischen Familienverfassung angehören; die erb- liche Monarchie ist das in unsere Zeit hereinragende Ergebnis derselben. Die sociale Klassenbildung entspringt in einzelnen ihrer Keime der patriarchalischen Familien- verfassung; bei der Sklaverei ist das an sich klar, aber auch die leibeigenschaftlichen und grundherrlichen Zustände gehen teilweise aus ihr hervor; wo die Familie übergroß wurde, spaltete sie sich leicht in eine führende, grundherrschaftlich befehlende, und in eine Reihe abhängiger, dienender Familien.
In der Überlieferung der wichtigsten Kulturvölker, in ihrer Religion und Litte- ratur, in ihren Sitten, ihrem Rechte nahm die patriarchalische Familie so sehr den beherrschenden Mittelpunkt ein, daß sie naturgemäß von ungezählten Generationen als eine ewige Form des socialen Lebens, als eine unverrückbare göttliche Anordnung betrachtet wurde.
Freilich hat sie nie alle Kreise der Kulturvölker in gleicher Weise beherrscht, sie kam frühe ins Wanken, wo die Geldwirtschaft und Arbeitsteilung sich energischer aus- bildeten, wo moderne Staatsgewalten und Unternehmungsformen siegten, wo größere Menschenmengen in den Städten sich sammelten, ein individualistischer Geist mit ihrem Zwang, ihren Überlieferungen in Widerspruch kam. Es ist ein Prozeß, der zur Blüte- zeit Athens und Roms ebenso einsetzte wie in dem Italien der Renaissancezeit und bald nachher in den heutigen Kulturstaaten.
Aber erhebliche Züge und Elemente der älteren Familienverfassung sind auch heute noch überall vorhanden; viele werden sich dauernd erhalten, andere werden noch mehr als bisher verschwinden.
Wenn heute die meisten konservativen und kirchlichen Elemente sich bemühen, von der patriarchalischen Familienverfassung und ihren Ablegern so viel zu retten wie möglich, so haben sie darin Recht, daß alle Auflösung dieser alten Ordnungen leicht das Ver- schwinden der Zucht, des Gehorsams, der Ordnung und Gesittung überhaupt bedeutet -- aber sie haben Unrecht, wenn sie glauben, es gäbe auch für die intellektuell und sittlich gehobenen, individuell ausgebildeten Menschen kein anderes Erziehungsmittel als die alte despotisch-harte, oft brutale patriarchalische Familienzucht. --
91. Die neuere verkleinerte Familie, ihre Wirtschaft und deren Ursachen. Sie steht zur patriarchalischen Familie nicht in so schroffem Gegensatze
Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
zu verwalten, zu erhalten, zu mehren gelehrt hat, welches die wichtigſten wirtſchaft- lichen Gewohnheiten der Kulturvölker bis zum Siege der neueren Konkurrenzwirtſchaft erzeugte.
In der Zeit der ausſchließlichen Herrſchaft dieſer patriarchaliſchen Familie beſteht die Geſellſchaft, hat man geſagt, aus einem völkerrechtlichen Bunde von Familienhäuptern; alle ihnen untergeordneten Familienglieder haben nur durch ſie Beziehungen zum Ganzen und zu den höheren ſocialen Organen; ſie wirtſchaften nicht für ſich, ſondern nur für die Familienväter. Die Folgen dieſer Familienverfaſſung ſind nach allen Seiten hin bedeutungsvoll.
Aus der patriarchaliſchen Familie gingen die Verwandtſchaftsſyſteme hervor, die heute das Recht aller Kulturvölker beherrſchen; alles heute beſtehende Erbrecht iſt ein Ergebnis dieſer Familienverfaſſung. Alle älteren Unternehmungsformen, heute noch die des Handwerks, der Kleinbauern, ſowie die patriarchaliſche Fabrikverfaſſung ſind aus der Familie ebenſo entſprungen wie die kriegeriſchen Gefolgſchaften, die Fronhofs- verfaſſung, die Grund- und Gutsherrſchaft. Die Klöſter und andere kirchliche Inſtitutionen ſind Nachahmungen der Familienverfaſſung; die Lehrlingſchaft und alle älteren Er- ziehungsanſtalten knüpfen an die patriarchaliſche Familie an. Die Formen der heutigen Handelsgeſellſchaften haben ihre eine Wurzel in der Familie; die offene Handelsgeſell- ſchaft iſt heute noch meiſt an die Familie angelehnt. Das patriarchaliſche Königtum wie das Aufkommen ariſtokratiſcher Kreiſe beruht auf dem Emporwachſen einzelner patriarchaliſcher Familien; in China und Rußland gilt die höchſte Gewalt noch heute als eine väterliche. — Die politiſche und kriegeriſche Verfaſſung der heroiſchen Zeitalter und aller Staaten bis zu dem Punkte, da eine moderne Staatsgewalt ſich ausbildet, beruht auf Elementen, die der patriarchaliſchen Familienverfaſſung angehören; die erb- liche Monarchie iſt das in unſere Zeit hereinragende Ergebnis derſelben. Die ſociale Klaſſenbildung entſpringt in einzelnen ihrer Keime der patriarchaliſchen Familien- verfaſſung; bei der Sklaverei iſt das an ſich klar, aber auch die leibeigenſchaftlichen und grundherrlichen Zuſtände gehen teilweiſe aus ihr hervor; wo die Familie übergroß wurde, ſpaltete ſie ſich leicht in eine führende, grundherrſchaftlich befehlende, und in eine Reihe abhängiger, dienender Familien.
In der Überlieferung der wichtigſten Kulturvölker, in ihrer Religion und Litte- ratur, in ihren Sitten, ihrem Rechte nahm die patriarchaliſche Familie ſo ſehr den beherrſchenden Mittelpunkt ein, daß ſie naturgemäß von ungezählten Generationen als eine ewige Form des ſocialen Lebens, als eine unverrückbare göttliche Anordnung betrachtet wurde.
Freilich hat ſie nie alle Kreiſe der Kulturvölker in gleicher Weiſe beherrſcht, ſie kam frühe ins Wanken, wo die Geldwirtſchaft und Arbeitsteilung ſich energiſcher aus- bildeten, wo moderne Staatsgewalten und Unternehmungsformen ſiegten, wo größere Menſchenmengen in den Städten ſich ſammelten, ein individualiſtiſcher Geiſt mit ihrem Zwang, ihren Überlieferungen in Widerſpruch kam. Es iſt ein Prozeß, der zur Blüte- zeit Athens und Roms ebenſo einſetzte wie in dem Italien der Renaiſſancezeit und bald nachher in den heutigen Kulturſtaaten.
Aber erhebliche Züge und Elemente der älteren Familienverfaſſung ſind auch heute noch überall vorhanden; viele werden ſich dauernd erhalten, andere werden noch mehr als bisher verſchwinden.
Wenn heute die meiſten konſervativen und kirchlichen Elemente ſich bemühen, von der patriarchaliſchen Familienverfaſſung und ihren Ablegern ſo viel zu retten wie möglich, ſo haben ſie darin Recht, daß alle Auflöſung dieſer alten Ordnungen leicht das Ver- ſchwinden der Zucht, des Gehorſams, der Ordnung und Geſittung überhaupt bedeutet — aber ſie haben Unrecht, wenn ſie glauben, es gäbe auch für die intellektuell und ſittlich gehobenen, individuell ausgebildeten Menſchen kein anderes Erziehungsmittel als die alte despotiſch-harte, oft brutale patriarchaliſche Familienzucht. —
91. Die neuere verkleinerte Familie, ihre Wirtſchaft und deren Urſachen. Sie ſteht zur patriarchaliſchen Familie nicht in ſo ſchroffem Gegenſatze
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Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
zu verwalten, zu erhalten, zu mehren gelehrt hat, welches die wichtigſten wirtſchaft-
lichen Gewohnheiten der Kulturvölker bis zum Siege der neueren Konkurrenzwirtſchaft
erzeugte.
In der Zeit der ausſchließlichen Herrſchaft dieſer patriarchaliſchen Familie beſteht
die Geſellſchaft, hat man geſagt, aus einem völkerrechtlichen Bunde von Familienhäuptern;
alle ihnen untergeordneten Familienglieder haben nur durch ſie Beziehungen zum Ganzen
und zu den höheren ſocialen Organen; ſie wirtſchaften nicht für ſich, ſondern nur für
die Familienväter. Die Folgen dieſer Familienverfaſſung ſind nach allen Seiten hin
bedeutungsvoll.
Aus der patriarchaliſchen Familie gingen die Verwandtſchaftsſyſteme hervor, die
heute das Recht aller Kulturvölker beherrſchen; alles heute beſtehende Erbrecht iſt ein
Ergebnis dieſer Familienverfaſſung. Alle älteren Unternehmungsformen, heute noch die
des Handwerks, der Kleinbauern, ſowie die patriarchaliſche Fabrikverfaſſung ſind aus
der Familie ebenſo entſprungen wie die kriegeriſchen Gefolgſchaften, die Fronhofs-
verfaſſung, die Grund- und Gutsherrſchaft. Die Klöſter und andere kirchliche Inſtitutionen
ſind Nachahmungen der Familienverfaſſung; die Lehrlingſchaft und alle älteren Er-
ziehungsanſtalten knüpfen an die patriarchaliſche Familie an. Die Formen der heutigen
Handelsgeſellſchaften haben ihre eine Wurzel in der Familie; die offene Handelsgeſell-
ſchaft iſt heute noch meiſt an die Familie angelehnt. Das patriarchaliſche Königtum
wie das Aufkommen ariſtokratiſcher Kreiſe beruht auf dem Emporwachſen einzelner
patriarchaliſcher Familien; in China und Rußland gilt die höchſte Gewalt noch heute
als eine väterliche. — Die politiſche und kriegeriſche Verfaſſung der heroiſchen Zeitalter
und aller Staaten bis zu dem Punkte, da eine moderne Staatsgewalt ſich ausbildet,
beruht auf Elementen, die der patriarchaliſchen Familienverfaſſung angehören; die erb-
liche Monarchie iſt das in unſere Zeit hereinragende Ergebnis derſelben. Die ſociale
Klaſſenbildung entſpringt in einzelnen ihrer Keime der patriarchaliſchen Familien-
verfaſſung; bei der Sklaverei iſt das an ſich klar, aber auch die leibeigenſchaftlichen und
grundherrlichen Zuſtände gehen teilweiſe aus ihr hervor; wo die Familie übergroß
wurde, ſpaltete ſie ſich leicht in eine führende, grundherrſchaftlich befehlende, und in
eine Reihe abhängiger, dienender Familien.
In der Überlieferung der wichtigſten Kulturvölker, in ihrer Religion und Litte-
ratur, in ihren Sitten, ihrem Rechte nahm die patriarchaliſche Familie ſo ſehr den
beherrſchenden Mittelpunkt ein, daß ſie naturgemäß von ungezählten Generationen als
eine ewige Form des ſocialen Lebens, als eine unverrückbare göttliche Anordnung
betrachtet wurde.
Freilich hat ſie nie alle Kreiſe der Kulturvölker in gleicher Weiſe beherrſcht, ſie
kam frühe ins Wanken, wo die Geldwirtſchaft und Arbeitsteilung ſich energiſcher aus-
bildeten, wo moderne Staatsgewalten und Unternehmungsformen ſiegten, wo größere
Menſchenmengen in den Städten ſich ſammelten, ein individualiſtiſcher Geiſt mit ihrem
Zwang, ihren Überlieferungen in Widerſpruch kam. Es iſt ein Prozeß, der zur Blüte-
zeit Athens und Roms ebenſo einſetzte wie in dem Italien der Renaiſſancezeit und
bald nachher in den heutigen Kulturſtaaten.
Aber erhebliche Züge und Elemente der älteren Familienverfaſſung ſind auch heute
noch überall vorhanden; viele werden ſich dauernd erhalten, andere werden noch mehr
als bisher verſchwinden.
Wenn heute die meiſten konſervativen und kirchlichen Elemente ſich bemühen, von
der patriarchaliſchen Familienverfaſſung und ihren Ablegern ſo viel zu retten wie möglich,
ſo haben ſie darin Recht, daß alle Auflöſung dieſer alten Ordnungen leicht das Ver-
ſchwinden der Zucht, des Gehorſams, der Ordnung und Geſittung überhaupt bedeutet —
aber ſie haben Unrecht, wenn ſie glauben, es gäbe auch für die intellektuell und ſittlich
gehobenen, individuell ausgebildeten Menſchen kein anderes Erziehungsmittel als die
alte despotiſch-harte, oft brutale patriarchaliſche Familienzucht. —
91. Die neuere verkleinerte Familie, ihre Wirtſchaft und deren
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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/260>, abgerufen am 16.02.2025.
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