mangelnden und vereinzelten bis zur stärksten Düngung, von geringer zu starker Vieh- haltung, vom extensiven Betrieb einer rohen Feldgraswirtschaft bis zum intensiven Fruchtwechsel. Aber wir wollen zunächst von diesen Graden der Intensivität, d. h. von der Zunahme der Verwendung von Arbeit und Kapital auf dieselbe Bodenfläche ab- sehen und im allgemeinen fragen, welche Bedeutung der Ackerbau überhaupt für die Ent- wickelung der Technik und Kultur der Menschen habe.
Wir sehen es, wenn wir ihn und seine Folgen mit den Zuständen des Jägers, des Nomaden und des Hackbauers vergleichen; der Hackbau hat freilich mancherlei Folgen mit dem Ackerbau gemein, wie z. B. die Wirkung auf Fleiß und Anstrengung, die Begünstigung des Seßhaftwerdens, der dichteren Bevölkerung, eines Anfanges der Arbeitsteilung und der Feldgemeinschaft. Aber er unterscheidet sich doch im wesentlichen von ihm: auch wenn der hölzerne Haken, aus dem der Pflug entstand, ursprünglich durch Mann und Frau (conjux, conjugium) gezogen wurde, im ganzen wurde die tierische Kraft benützt und damit der Boden sehr viel leichter und tiefer gelockert. Die Benutzung der tierischen Kräfte zum Anbau, zur Lastenbeförderung, bald auch als Hülfsmittel für Göpel und Triebrad bedeutet einen außerordentlichen Fortschritt gegenüber der viel schwächeren Menschenkraft; sie wurde gleichsam verdoppelt oder vervierfacht. Der Anbau wurde aus einer bloßen Weiber- ziemlich allgemein Männersache; größere Flächen wurden bestellt, ertragsreichere Früchte gebaut. Die bisherigen Gemüse-, Knollen- und Wurzel- esser erhielten mit Gerste, Roggen und Weizen und den weiteren daran sich schließenden Früchten eine viel bessere und sicherere Ernährung. Die Erinnerung an den großen Fortschritt lebte im Altertum lebendig fort, wie z. B. Homer die ältesten Einwohner Ägyp- tens, die sich von Lotos und Bohnen nährten, vergleicht mit den starken Männern, welche die Früchte des Halmes genießen; jene hätten jedes Auftrags und jeder Pflicht vergessen. Forssac berechnete 1840, der Ackerbau nähre 20--30 mal so viel Menschen wie die Nomadie, diese 20 mal so viel wie die Jagd. Wir haben oben (S. 183) die steigende Ernährungsmöglichkeit, welche der Ackerbau schafft, schon zahlenmäßig nach dem Stande der heutigen Statistik belegt. Die Verbindung der Getreide-, Fleisch- und Milchnahrung erzeugt die kräftigsten Menschen, ist bis heute als die physiologisch günstigste angesehen. Wenn auch Viehsterben und Mißernten noch lange große Gefahren brachten, die Unsicherheit der Jäger-, Fischer- und Nomadenwirtschaft war doch beseitigt und wich weiter in dem Maße, wie die Vielseitigkeit des Anbaues verschiedener Früchte wuchs, die Vorratssammlung ernster genommen wurde.
Wie die erforderliche Arbeit sich vermehrte, so steigerte sich die Gewöhnung an Arbeit, Umsicht, Besonnenheit mit dem Ackerbau sehr; das komplizierte Ineinandergreifen der Viehhaltung und des Anbaues nötigten zu Plänen und Berechnungen aller Art, zur Fürsorge für den Winter, für die Zukunft. Die Ackerwerkzeuge, der ganze Betrieb, der Bau von Haus, Stall und Scheuer wurden komplizierter. Und all das steigerte sich noch sehr, wenn der Anbau von Obstbäumen, die Pflanzung des Wein- und Olivenbaumes, die Terrassierungsarbeiten, die Wasserbenützung und die Wasserbauten, die Düngung hinzukamen. Die definitive Seßhaftigkeit war mit dem Hausbau, der Bodenverteilung und -vermessung, dem bessern Anbau für immer gegeben.
Aber nicht nur die Arbeit des einzelnen wurde eine ganz andere, nicht nur die Hauswirtschaft der Familie bildete sich feiner als beim Hackbau aus, auch die gemein- samen Arbeiten des Stammes, der Sippen, der zusammen im Dorfe Wohnenden steigerten sich gegenüber den ähnlichen Einrichtungen beim Hackbau, teilweise auch gegen- über denen der Nomaden. Da und dort entstand gemeinsamer Anbau; oft wenigstens spannten zwei bis vier Familienväter ihre Ochsen bei schwerem Boden gemeinsam vor den Pflug; die Dorfgenossen wohnten gemeinsam, bauten gemeinsam ihre Holzhäuser, hüteten gemeinsam ihr Vieh, legten ihre Ackerbeete und ihre Wege nach gemeinsamem Plane an, verwalteten Wald und Weide gemeinsam: Flurzwang und Feldgemeinschaft sind die weitverbreiteten genossenschaftlichen Folgen erst des Hack-, aber noch mehr des Ackerbaues. Noch viel größer werden die gemeinsamen Arbeiten, wo die Wasserzu- oder Ableitung eine große Rolle spielt, wie in Ägypten und anderwärts; da wird der Ackerbau zu einer
Die Nomaden. Die eigentlichen Ackerbauer.
mangelnden und vereinzelten bis zur ſtärkſten Düngung, von geringer zu ſtarker Vieh- haltung, vom extenſiven Betrieb einer rohen Feldgraswirtſchaft bis zum intenſiven Fruchtwechſel. Aber wir wollen zunächſt von dieſen Graden der Intenſivität, d. h. von der Zunahme der Verwendung von Arbeit und Kapital auf dieſelbe Bodenfläche ab- ſehen und im allgemeinen fragen, welche Bedeutung der Ackerbau überhaupt für die Ent- wickelung der Technik und Kultur der Menſchen habe.
Wir ſehen es, wenn wir ihn und ſeine Folgen mit den Zuſtänden des Jägers, des Nomaden und des Hackbauers vergleichen; der Hackbau hat freilich mancherlei Folgen mit dem Ackerbau gemein, wie z. B. die Wirkung auf Fleiß und Anſtrengung, die Begünſtigung des Seßhaftwerdens, der dichteren Bevölkerung, eines Anfanges der Arbeitsteilung und der Feldgemeinſchaft. Aber er unterſcheidet ſich doch im weſentlichen von ihm: auch wenn der hölzerne Haken, aus dem der Pflug entſtand, urſprünglich durch Mann und Frau (conjux, conjugium) gezogen wurde, im ganzen wurde die tieriſche Kraft benützt und damit der Boden ſehr viel leichter und tiefer gelockert. Die Benutzung der tieriſchen Kräfte zum Anbau, zur Laſtenbeförderung, bald auch als Hülfsmittel für Göpel und Triebrad bedeutet einen außerordentlichen Fortſchritt gegenüber der viel ſchwächeren Menſchenkraft; ſie wurde gleichſam verdoppelt oder vervierfacht. Der Anbau wurde aus einer bloßen Weiber- ziemlich allgemein Männerſache; größere Flächen wurden beſtellt, ertragsreichere Früchte gebaut. Die bisherigen Gemüſe-, Knollen- und Wurzel- eſſer erhielten mit Gerſte, Roggen und Weizen und den weiteren daran ſich ſchließenden Früchten eine viel beſſere und ſicherere Ernährung. Die Erinnerung an den großen Fortſchritt lebte im Altertum lebendig fort, wie z. B. Homer die älteſten Einwohner Ägyp- tens, die ſich von Lotos und Bohnen nährten, vergleicht mit den ſtarken Männern, welche die Früchte des Halmes genießen; jene hätten jedes Auftrags und jeder Pflicht vergeſſen. Forſſac berechnete 1840, der Ackerbau nähre 20—30 mal ſo viel Menſchen wie die Nomadie, dieſe 20 mal ſo viel wie die Jagd. Wir haben oben (S. 183) die ſteigende Ernährungsmöglichkeit, welche der Ackerbau ſchafft, ſchon zahlenmäßig nach dem Stande der heutigen Statiſtik belegt. Die Verbindung der Getreide-, Fleiſch- und Milchnahrung erzeugt die kräftigſten Menſchen, iſt bis heute als die phyſiologiſch günſtigſte angeſehen. Wenn auch Viehſterben und Mißernten noch lange große Gefahren brachten, die Unſicherheit der Jäger-, Fiſcher- und Nomadenwirtſchaft war doch beſeitigt und wich weiter in dem Maße, wie die Vielſeitigkeit des Anbaues verſchiedener Früchte wuchs, die Vorratsſammlung ernſter genommen wurde.
Wie die erforderliche Arbeit ſich vermehrte, ſo ſteigerte ſich die Gewöhnung an Arbeit, Umſicht, Beſonnenheit mit dem Ackerbau ſehr; das komplizierte Ineinandergreifen der Viehhaltung und des Anbaues nötigten zu Plänen und Berechnungen aller Art, zur Fürſorge für den Winter, für die Zukunft. Die Ackerwerkzeuge, der ganze Betrieb, der Bau von Haus, Stall und Scheuer wurden komplizierter. Und all das ſteigerte ſich noch ſehr, wenn der Anbau von Obſtbäumen, die Pflanzung des Wein- und Olivenbaumes, die Terraſſierungsarbeiten, die Waſſerbenützung und die Waſſerbauten, die Düngung hinzukamen. Die definitive Seßhaftigkeit war mit dem Hausbau, der Bodenverteilung und -vermeſſung, dem beſſern Anbau für immer gegeben.
Aber nicht nur die Arbeit des einzelnen wurde eine ganz andere, nicht nur die Hauswirtſchaft der Familie bildete ſich feiner als beim Hackbau aus, auch die gemein- ſamen Arbeiten des Stammes, der Sippen, der zuſammen im Dorfe Wohnenden ſteigerten ſich gegenüber den ähnlichen Einrichtungen beim Hackbau, teilweiſe auch gegen- über denen der Nomaden. Da und dort entſtand gemeinſamer Anbau; oft wenigſtens ſpannten zwei bis vier Familienväter ihre Ochſen bei ſchwerem Boden gemeinſam vor den Pflug; die Dorfgenoſſen wohnten gemeinſam, bauten gemeinſam ihre Holzhäuſer, hüteten gemeinſam ihr Vieh, legten ihre Ackerbeete und ihre Wege nach gemeinſamem Plane an, verwalteten Wald und Weide gemeinſam: Flurzwang und Feldgemeinſchaft ſind die weitverbreiteten genoſſenſchaftlichen Folgen erſt des Hack-, aber noch mehr des Ackerbaues. Noch viel größer werden die gemeinſamen Arbeiten, wo die Waſſerzu- oder Ableitung eine große Rolle ſpielt, wie in Ägypten und anderwärts; da wird der Ackerbau zu einer
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[199/0215]
Die Nomaden. Die eigentlichen Ackerbauer.
mangelnden und vereinzelten bis zur ſtärkſten Düngung, von geringer zu ſtarker Vieh-
haltung, vom extenſiven Betrieb einer rohen Feldgraswirtſchaft bis zum intenſiven
Fruchtwechſel. Aber wir wollen zunächſt von dieſen Graden der Intenſivität, d. h. von
der Zunahme der Verwendung von Arbeit und Kapital auf dieſelbe Bodenfläche ab-
ſehen und im allgemeinen fragen, welche Bedeutung der Ackerbau überhaupt für die Ent-
wickelung der Technik und Kultur der Menſchen habe.
Wir ſehen es, wenn wir ihn und ſeine Folgen mit den Zuſtänden des Jägers, des
Nomaden und des Hackbauers vergleichen; der Hackbau hat freilich mancherlei Folgen mit
dem Ackerbau gemein, wie z. B. die Wirkung auf Fleiß und Anſtrengung, die Begünſtigung
des Seßhaftwerdens, der dichteren Bevölkerung, eines Anfanges der Arbeitsteilung und
der Feldgemeinſchaft. Aber er unterſcheidet ſich doch im weſentlichen von ihm: auch wenn
der hölzerne Haken, aus dem der Pflug entſtand, urſprünglich durch Mann und Frau
(conjux, conjugium) gezogen wurde, im ganzen wurde die tieriſche Kraft benützt und
damit der Boden ſehr viel leichter und tiefer gelockert. Die Benutzung der tieriſchen
Kräfte zum Anbau, zur Laſtenbeförderung, bald auch als Hülfsmittel für Göpel und
Triebrad bedeutet einen außerordentlichen Fortſchritt gegenüber der viel ſchwächeren
Menſchenkraft; ſie wurde gleichſam verdoppelt oder vervierfacht. Der Anbau wurde
aus einer bloßen Weiber- ziemlich allgemein Männerſache; größere Flächen wurden
beſtellt, ertragsreichere Früchte gebaut. Die bisherigen Gemüſe-, Knollen- und Wurzel-
eſſer erhielten mit Gerſte, Roggen und Weizen und den weiteren daran ſich ſchließenden
Früchten eine viel beſſere und ſicherere Ernährung. Die Erinnerung an den großen
Fortſchritt lebte im Altertum lebendig fort, wie z. B. Homer die älteſten Einwohner Ägyp-
tens, die ſich von Lotos und Bohnen nährten, vergleicht mit den ſtarken Männern,
welche die Früchte des Halmes genießen; jene hätten jedes Auftrags und jeder Pflicht
vergeſſen. Forſſac berechnete 1840, der Ackerbau nähre 20—30 mal ſo viel Menſchen
wie die Nomadie, dieſe 20 mal ſo viel wie die Jagd. Wir haben oben (S. 183) die
ſteigende Ernährungsmöglichkeit, welche der Ackerbau ſchafft, ſchon zahlenmäßig nach dem
Stande der heutigen Statiſtik belegt. Die Verbindung der Getreide-, Fleiſch- und
Milchnahrung erzeugt die kräftigſten Menſchen, iſt bis heute als die phyſiologiſch
günſtigſte angeſehen. Wenn auch Viehſterben und Mißernten noch lange große Gefahren
brachten, die Unſicherheit der Jäger-, Fiſcher- und Nomadenwirtſchaft war doch beſeitigt
und wich weiter in dem Maße, wie die Vielſeitigkeit des Anbaues verſchiedener Früchte
wuchs, die Vorratsſammlung ernſter genommen wurde.
Wie die erforderliche Arbeit ſich vermehrte, ſo ſteigerte ſich die Gewöhnung an
Arbeit, Umſicht, Beſonnenheit mit dem Ackerbau ſehr; das komplizierte Ineinandergreifen
der Viehhaltung und des Anbaues nötigten zu Plänen und Berechnungen aller Art,
zur Fürſorge für den Winter, für die Zukunft. Die Ackerwerkzeuge, der ganze Betrieb,
der Bau von Haus, Stall und Scheuer wurden komplizierter. Und all das ſteigerte
ſich noch ſehr, wenn der Anbau von Obſtbäumen, die Pflanzung des Wein- und
Olivenbaumes, die Terraſſierungsarbeiten, die Waſſerbenützung und die Waſſerbauten,
die Düngung hinzukamen. Die definitive Seßhaftigkeit war mit dem Hausbau, der
Bodenverteilung und -vermeſſung, dem beſſern Anbau für immer gegeben.
Aber nicht nur die Arbeit des einzelnen wurde eine ganz andere, nicht nur die
Hauswirtſchaft der Familie bildete ſich feiner als beim Hackbau aus, auch die gemein-
ſamen Arbeiten des Stammes, der Sippen, der zuſammen im Dorfe Wohnenden
ſteigerten ſich gegenüber den ähnlichen Einrichtungen beim Hackbau, teilweiſe auch gegen-
über denen der Nomaden. Da und dort entſtand gemeinſamer Anbau; oft wenigſtens
ſpannten zwei bis vier Familienväter ihre Ochſen bei ſchwerem Boden gemeinſam vor
den Pflug; die Dorfgenoſſen wohnten gemeinſam, bauten gemeinſam ihre Holzhäuſer,
hüteten gemeinſam ihr Vieh, legten ihre Ackerbeete und ihre Wege nach gemeinſamem Plane
an, verwalteten Wald und Weide gemeinſam: Flurzwang und Feldgemeinſchaft ſind die
weitverbreiteten genoſſenſchaftlichen Folgen erſt des Hack-, aber noch mehr des Ackerbaues.
Noch viel größer werden die gemeinſamen Arbeiten, wo die Waſſerzu- oder Ableitung eine
große Rolle ſpielt, wie in Ägypten und anderwärts; da wird der Ackerbau zu einer
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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/215>, abgerufen am 19.07.2024.
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