Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Erstes Buch. Land, Leute und Technik. 10 ja 5000 Jahre ist auch nur Vereinzeltes von den Hauptkulturvölkern bekannt; nurüber die letzten zwanzig Jahrhunderte haben wir umfangreichere Überlieferungen. Noch sind sie aber nicht ganz erforscht und dargestellt. Nur wenige Kapitel aus der Geschichte der Technik sind gut bearbeitet. Und nun sollen wir hier nicht sowohl das unübersehbare Heer von technischen Einzelthatsachen, die wir kennen, vorführen, sondern es zu Gesamt- resultaten nach Zeitaltern und Völkern zusammenfassen und stets versuchen, die Ursachen und die Zusammenhänge mit dem ganzen volkswirtschaftlichen Leben darzulegen. Man hat diese Aufgabe durch verschiedene Einteilungen in technische Perioden zu Zum Schlusse dieser Vorbemerkung noch ein Wort über die allgemeinen mensch- Wir haben (S. 42) die Entstehung des Sittlichen in Zusammenhang gebracht Wenn der Mensch, wie der Affe, einen Stein zum Öffnen einer Frucht, einen Erſtes Buch. Land, Leute und Technik. 10 ja 5000 Jahre iſt auch nur Vereinzeltes von den Hauptkulturvölkern bekannt; nurüber die letzten zwanzig Jahrhunderte haben wir umfangreichere Überlieferungen. Noch ſind ſie aber nicht ganz erforſcht und dargeſtellt. Nur wenige Kapitel aus der Geſchichte der Technik ſind gut bearbeitet. Und nun ſollen wir hier nicht ſowohl das unüberſehbare Heer von techniſchen Einzelthatſachen, die wir kennen, vorführen, ſondern es zu Geſamt- reſultaten nach Zeitaltern und Völkern zuſammenfaſſen und ſtets verſuchen, die Urſachen und die Zuſammenhänge mit dem ganzen volkswirtſchaftlichen Leben darzulegen. Man hat dieſe Aufgabe durch verſchiedene Einteilungen in techniſche Perioden zu Zum Schluſſe dieſer Vorbemerkung noch ein Wort über die allgemeinen menſch- Wir haben (S. 42) die Entſtehung des Sittlichen in Zuſammenhang gebracht Wenn der Menſch, wie der Affe, einen Stein zum Öffnen einer Frucht, einen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0206" n="190"/><fw place="top" type="header">Erſtes Buch. Land, Leute und Technik.</fw><lb/> 10 ja 5000 Jahre iſt auch nur Vereinzeltes von den Hauptkulturvölkern bekannt; nur<lb/> über die letzten zwanzig Jahrhunderte haben wir umfangreichere Überlieferungen. Noch<lb/> ſind ſie aber nicht ganz erforſcht und dargeſtellt. Nur wenige Kapitel aus der Geſchichte<lb/> der Technik ſind gut bearbeitet. Und nun ſollen wir hier nicht ſowohl das unüberſehbare<lb/> Heer von techniſchen Einzelthatſachen, die wir kennen, vorführen, ſondern es zu Geſamt-<lb/> reſultaten nach Zeitaltern und Völkern zuſammenfaſſen und ſtets verſuchen, die Urſachen<lb/> und die Zuſammenhänge mit dem ganzen volkswirtſchaftlichen Leben darzulegen.</p><lb/> <p>Man hat dieſe Aufgabe durch verſchiedene Einteilungen in techniſche Perioden zu<lb/> erleichtern geſucht. Man unterſchied: Jagd-, Hirten-, Ackerbau-, Gewerbe-, Handels-<lb/> völker; ein Stein-, Kupfer-, Bronze-, Eiſenzeitalter; die Perioden der Wildheit, Barbarei,<lb/> Halb- und Ganzkultur; die der Werkzeuge und der Maſchinen, die Epochen der An-<lb/> wendung von Menſchen-, Tier-, Wind-, Waſſer-, Dampfkraft und Elektricität. Aber die<lb/> meiſten dieſer Einteilungen ſind heute als zu einſeitig oder auch als ungenau und irre-<lb/> führend erkannt. Und doch wird eine vorläufige hiſtoriſch-geographiſche Einteilung nicht<lb/> zu entbehren ſein. Wir verſuchen in einigen erſten Paragraphen je geſondert die Ent-<lb/> wickelung der Werkzeuge und die der techniſchen Methoden der Ernährung bis zur<lb/> hiſtoriſch beglaubigten Zeit darzuſtellen, dann laſſen wir die Epochen der vorderaſiatiſchen,<lb/> der europäiſchen Werkzeugtechnik und der modernen Maſchinentechnik folgen.</p><lb/> <p>Zum Schluſſe dieſer Vorbemerkung noch ein Wort über die allgemeinen menſch-<lb/> lichen und hiſtoriſchen Urſachen, die alle Entwickelung der Technik beherrſchen.</p><lb/> <p>Wir haben (S. 42) die Entſtehung des Sittlichen in Zuſammenhang gebracht<lb/> mit der Thatſache, daß der Menſch Werkzeuge ſchuf und arbeiten lernte. Wir führten<lb/> beides auf die Beſonnenheit zurück. Nicht umſonſt ſagt Franklin, der Menſch ſei ein<lb/> Tier, das Werkzeuge mache; andere meinten, ein Tier, das kochen gelernt habe. Auch<lb/> einzelne höhere Tiere haben gewiſſe Methoden der Nahrungsfürſorge und das Vorrats-<lb/> ſammeln durch Inſtinkte ausgebildet, die auf gewiſſen Erfahrungen beruhen mußten.<lb/> Lotze ſagt, auf der Feinheit unſeres Taſtſinnes, der in den Fingerſpitzen liegt, der Be-<lb/> weglichkeit unſerer Arme, der Muskelkraft unſerer Arme, Beine und Zähne, aber ebenſo<lb/> auf unſerer Fähigkeit zu beobachten, Vorſtellungen zu aſſociieren, zu ſchließen, beruhe<lb/> alle techniſche Entwickelung des Menſchen. Er drückt damit richtiger das aus, was ſchon<lb/> die Alten meinten, wenn ſie die Kultur auf den Bau der menſchlichen Hand zurück-<lb/> führten, oder was ein Schriftſteller andeuten wollte, der im Daumen, als dem wichtigſten<lb/> Finger, den Kern der Weltgeſchichte fand. E. Hermann hat den menſchlichen Körper<lb/> neuerdings eine reichgegliederte Maſchine genannt, die ſelbſt das Ergebnis der Übung<lb/> und Verbeſſerungsarbeit von Hunderttauſenden von Generationen ſei. Dieſe Übung mag<lb/> zuerſt unter der Leitung von Inſtinkten erfolgt ſein, hauptſächlich aber iſt ſie, wie alle<lb/> ſpäteren techniſchen Fortſchritte, das Ergebnis der denkenden Überlegung, der Beobachtung,<lb/> der Selbſtbeherrſchung, der Zielſetzung.</p><lb/> <p>Wenn der Menſch, wie der Affe, einen Stein zum Öffnen einer Frucht, einen<lb/> Stock zum Schlagen brauchte, ſo hatte er noch kein Werkzeug; erſt dann konnte man<lb/> davon ſprechen, wenn er dieſen Stein, dieſen Stock ſtetig bei ſich führte, wenn die<lb/> Erinnerung an den Nutzen dieſes Hülfsmittels die Unbequemlichkeit der Aufbewahrung,<lb/> des Mitſchleppens überwand. Damit der Urmenſch den Stein ſchärfte, mußte er beob-<lb/> achten und nachdenken. Wenn ihm dabei ſein Taſtſinn half, die Härte, die Beweglichkeit,<lb/> die Form der Stoffe herauszufühlen, wenn er in Hand und Arm das Vorbild der<lb/> Waffe und des Werkzeuges fand, ſo ändert das an dem geiſtigen Vorgange nichts.<lb/> Schon die Nachahmung ſetzt Nachdenken und Zweckſetzen voraus: die geballte Fauſt<lb/> wurde das Vorbild des Hammers, die Schneide desſelben ahmt Nägel und Zähne, die<lb/> Feile und Säge die Zahnreihe, die Beißzange und der Schraubſtock die greifende Hand<lb/> und das Doppelgebiß nach; der gekrümmte Finger wird zum Haken, der ſteife Finger<lb/> mit dem Nagel zum Bohrer, die hohle Hand zur Schale; die Lanze ſtellt den ver-<lb/> längerten Arm dar. Die Werkzeuge wie die ſpäter aus ihnen entwickelten Waffen,<lb/> Apparate und Maſchinen ſind — hat man geſagt — menſchliche Organprojektionen in<lb/> die Natur hinein; aber ſie entſtehen nur durch innere geiſtige Vorgänge, die bewußt<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [190/0206]
Erſtes Buch. Land, Leute und Technik.
10 ja 5000 Jahre iſt auch nur Vereinzeltes von den Hauptkulturvölkern bekannt; nur
über die letzten zwanzig Jahrhunderte haben wir umfangreichere Überlieferungen. Noch
ſind ſie aber nicht ganz erforſcht und dargeſtellt. Nur wenige Kapitel aus der Geſchichte
der Technik ſind gut bearbeitet. Und nun ſollen wir hier nicht ſowohl das unüberſehbare
Heer von techniſchen Einzelthatſachen, die wir kennen, vorführen, ſondern es zu Geſamt-
reſultaten nach Zeitaltern und Völkern zuſammenfaſſen und ſtets verſuchen, die Urſachen
und die Zuſammenhänge mit dem ganzen volkswirtſchaftlichen Leben darzulegen.
Man hat dieſe Aufgabe durch verſchiedene Einteilungen in techniſche Perioden zu
erleichtern geſucht. Man unterſchied: Jagd-, Hirten-, Ackerbau-, Gewerbe-, Handels-
völker; ein Stein-, Kupfer-, Bronze-, Eiſenzeitalter; die Perioden der Wildheit, Barbarei,
Halb- und Ganzkultur; die der Werkzeuge und der Maſchinen, die Epochen der An-
wendung von Menſchen-, Tier-, Wind-, Waſſer-, Dampfkraft und Elektricität. Aber die
meiſten dieſer Einteilungen ſind heute als zu einſeitig oder auch als ungenau und irre-
führend erkannt. Und doch wird eine vorläufige hiſtoriſch-geographiſche Einteilung nicht
zu entbehren ſein. Wir verſuchen in einigen erſten Paragraphen je geſondert die Ent-
wickelung der Werkzeuge und die der techniſchen Methoden der Ernährung bis zur
hiſtoriſch beglaubigten Zeit darzuſtellen, dann laſſen wir die Epochen der vorderaſiatiſchen,
der europäiſchen Werkzeugtechnik und der modernen Maſchinentechnik folgen.
Zum Schluſſe dieſer Vorbemerkung noch ein Wort über die allgemeinen menſch-
lichen und hiſtoriſchen Urſachen, die alle Entwickelung der Technik beherrſchen.
Wir haben (S. 42) die Entſtehung des Sittlichen in Zuſammenhang gebracht
mit der Thatſache, daß der Menſch Werkzeuge ſchuf und arbeiten lernte. Wir führten
beides auf die Beſonnenheit zurück. Nicht umſonſt ſagt Franklin, der Menſch ſei ein
Tier, das Werkzeuge mache; andere meinten, ein Tier, das kochen gelernt habe. Auch
einzelne höhere Tiere haben gewiſſe Methoden der Nahrungsfürſorge und das Vorrats-
ſammeln durch Inſtinkte ausgebildet, die auf gewiſſen Erfahrungen beruhen mußten.
Lotze ſagt, auf der Feinheit unſeres Taſtſinnes, der in den Fingerſpitzen liegt, der Be-
weglichkeit unſerer Arme, der Muskelkraft unſerer Arme, Beine und Zähne, aber ebenſo
auf unſerer Fähigkeit zu beobachten, Vorſtellungen zu aſſociieren, zu ſchließen, beruhe
alle techniſche Entwickelung des Menſchen. Er drückt damit richtiger das aus, was ſchon
die Alten meinten, wenn ſie die Kultur auf den Bau der menſchlichen Hand zurück-
führten, oder was ein Schriftſteller andeuten wollte, der im Daumen, als dem wichtigſten
Finger, den Kern der Weltgeſchichte fand. E. Hermann hat den menſchlichen Körper
neuerdings eine reichgegliederte Maſchine genannt, die ſelbſt das Ergebnis der Übung
und Verbeſſerungsarbeit von Hunderttauſenden von Generationen ſei. Dieſe Übung mag
zuerſt unter der Leitung von Inſtinkten erfolgt ſein, hauptſächlich aber iſt ſie, wie alle
ſpäteren techniſchen Fortſchritte, das Ergebnis der denkenden Überlegung, der Beobachtung,
der Selbſtbeherrſchung, der Zielſetzung.
Wenn der Menſch, wie der Affe, einen Stein zum Öffnen einer Frucht, einen
Stock zum Schlagen brauchte, ſo hatte er noch kein Werkzeug; erſt dann konnte man
davon ſprechen, wenn er dieſen Stein, dieſen Stock ſtetig bei ſich führte, wenn die
Erinnerung an den Nutzen dieſes Hülfsmittels die Unbequemlichkeit der Aufbewahrung,
des Mitſchleppens überwand. Damit der Urmenſch den Stein ſchärfte, mußte er beob-
achten und nachdenken. Wenn ihm dabei ſein Taſtſinn half, die Härte, die Beweglichkeit,
die Form der Stoffe herauszufühlen, wenn er in Hand und Arm das Vorbild der
Waffe und des Werkzeuges fand, ſo ändert das an dem geiſtigen Vorgange nichts.
Schon die Nachahmung ſetzt Nachdenken und Zweckſetzen voraus: die geballte Fauſt
wurde das Vorbild des Hammers, die Schneide desſelben ahmt Nägel und Zähne, die
Feile und Säge die Zahnreihe, die Beißzange und der Schraubſtock die greifende Hand
und das Doppelgebiß nach; der gekrümmte Finger wird zum Haken, der ſteife Finger
mit dem Nagel zum Bohrer, die hohle Hand zur Schale; die Lanze ſtellt den ver-
längerten Arm dar. Die Werkzeuge wie die ſpäter aus ihnen entwickelten Waffen,
Apparate und Maſchinen ſind — hat man geſagt — menſchliche Organprojektionen in
die Natur hinein; aber ſie entſtehen nur durch innere geiſtige Vorgänge, die bewußt
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