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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Das Wesen der Induktion. Die Teleologie als Reflexionsprincip.
gebiete, hauptsächlich über wissenschaftliche Nachbargebiete. Die angeblich rein induktive
historische Richtung ist es, die dies stets betont, die sich deduktiv nennende ist meist
ängstlich bemüht, nur fein säuberlich die wissenschaftlichen Grenzpfähle zu setzen und
niemals einen Hasen ins Nachbargebiet zu verfolgen, das sie weder kennt noch kennen lernen
will. Wundt hat es neuerdings als den wesentlichsten Gegensatz der Geistes- zu den
Naturwissenschaften bezeichnet, daß bei diesen eine starke Abstraktionskraft das mächtigste
Werkzeug sei, bei jenen der Erfolg vor allem von einem raschen Überblicke und reicher
Kombinationsfähigkeit abhänge. Das ist teils Sache der individuellen Begabung, ebenso
aber Sache der wissenschaftlichen Vorbildung. Je umfassender sie ist, desto größer ist
die Möglichkeit vielgliedriger kombinierter Schlüsse aus vorher feststehenden Wahrheiten.

Einzelner Hypothesen und teleologischer Sätze zur Unterstützung kausaler Schlüsse
bedienen sich alle Wissenschaften und alle Erkenntnisrichtungen. Wo unser kausales
Erkennen nicht ausreicht, und wir doch einen Zusammenhang sicher annehmen, da führt
die ausdeutende reflektierende Auffassung, wie wir mehrfach schon betont, zur Annahme
von Zwecken der Gottheit, der Geschichte, der schaffenden Natur, und von diesen ein-
heitlichen Gedanken aus suchen wir das empirisch nicht zu Erklärende wenigstens ungefähr
zu begreifen. Es ist ein unentbehrliches Reflexionsprincip. Die Annahme einer Einheit
und eines Zusammenhanges der Welt, die allgemeinen Gründe der Entwickelungstheorie
gründen sich auf solche teleologische Betrachtungen, ganz ähnlich wie die Harmonielehre
der älteren Volkswirtschaft oder der socialistische Glaube an eine dauernde Hebung der
unteren Klassen. An seiner Grenze mündet unser sicheres Wissen immer in unseren Glauben
und in unsere Hoffnungen. Das Ganze der letzten und wichtigsten Dinge erfassen wir
allein so. Wir müssen nur dahin streben, daß dieser Glaube auf immer besserer empirischer
Erkenntnis sich aufbaue, immer mehr gesicherte Wissenschaft in sich schließe, niemals mit
ihr in Widerspruch trete, daß er nicht beeinflußt sei von Partei- und Klasseninteressen,
von Vorurteilen und Leidenschaften. Davon sich frei zu machen, muß jeder Forscher
streben. Er wird dieses Ziel schwer erreichen, wenn er selbst zu aktiv an den Kämpfen
des Tages teilnimmt. Wenn man geglaubt hat, der, welcher das Wohl aller im Auge
habe, sei als Gelehrter gefeit gegen die Täuschungen des Klassenstandpunktes, die Vor-
urteile des Tages, so liegt darin doch ein gewisser Irrtum. Jeder leidenschaftliche Tages-
politiker glaubt heute das Wohl der Gesamtheit mit seinen einseitigen Anschauungen
und Vorschlägen zu vertreten. Nicht die Formel des allgemeinen Wohles, sondern die
universale Bildung, der geläuterte Charakter, die geistige Freiheit von allen Tages-
strömungen führt zu jener Höhe, welche neben der gesicherten Einzelerkenntnis die stets
halb verschwimmenden Linien der Gesamtentwickelung richtig zu erfassen gestattet.

5. Die Ausreifung der Volkswirtschaftslehre zur Wissenschaft im 19. Jahr-
hundert.
Über die statistische Methode: Knies, Die Statistik als selbständige Wissenschaft. 1850. --
Gustav Rümelin, Zur Theorie der Statistik. Z. f. St.W. 1863; dann in: R. A. 1, 1875,
mit einem Zusatz. --
Adolf Wagner, Die Gesetzmäßigkeit in den scheinbar willkürlichen Hand-
lungen. 1864; -- Ders., Statistik in Bluntschli, St.W. 1867. --
Drobisch, Die moralische
Statistik und die Willensfreiheit. 1867. --
Knapp, Quetelet als Theoretiker. J. f. N. 1. F. 18,
1872. --
Jahn, Geschichte der Statistik. 1, 1884. -- Meitzen, Geschichte, Theorie und Technik der
Statistik. 1886. --
Mayo-Smith, Statistics and economics. Publ. of the Americ. Econ.
Assoc. vol. III, no. 4 u.
5. 1888.
Über die geschichtliche Methode: Joh. Gustav Droysen, Grundriß der Historik. 1868.
3. Aufl. 1882. --
v. Sybel, Gesetze des historischen Wissens. 1864 (jetzt in Vorträge und
Aufsätze. 1874). --
Gustav Rümelin, Über Gesetze der Geschichte. 1878. R. A. 2. -- Lord
Acton
, German schools of history. English hist. review. 1, 1856. --
Ottokar Lorenz, Die
Geschichtswissenschaft in Hauptrichtungen und Aufgaben. 1886. --
Bernheim, Lehrbuch der
historischen Methode. 1889. --
Gothein, Die Aufgaben der Kulturgeschichte. 1889. -- Schäfer,
Geschichte und Kulturgeschichte. 1891.
Roscher, Grundriß zu Vorlesungen über die Staatswirtschaft nach geschichtlicher Methode.
1843; -- Ders., Der gegenwärtige Zustand der wissenschaftlichen Nationalökonomie und die notwendige

Das Weſen der Induktion. Die Teleologie als Reflexionsprincip.
gebiete, hauptſächlich über wiſſenſchaftliche Nachbargebiete. Die angeblich rein induktive
hiſtoriſche Richtung iſt es, die dies ſtets betont, die ſich deduktiv nennende iſt meiſt
ängſtlich bemüht, nur fein ſäuberlich die wiſſenſchaftlichen Grenzpfähle zu ſetzen und
niemals einen Haſen ins Nachbargebiet zu verfolgen, das ſie weder kennt noch kennen lernen
will. Wundt hat es neuerdings als den weſentlichſten Gegenſatz der Geiſtes- zu den
Naturwiſſenſchaften bezeichnet, daß bei dieſen eine ſtarke Abſtraktionskraft das mächtigſte
Werkzeug ſei, bei jenen der Erfolg vor allem von einem raſchen Überblicke und reicher
Kombinationsfähigkeit abhänge. Das iſt teils Sache der individuellen Begabung, ebenſo
aber Sache der wiſſenſchaftlichen Vorbildung. Je umfaſſender ſie iſt, deſto größer iſt
die Möglichkeit vielgliedriger kombinierter Schlüſſe aus vorher feſtſtehenden Wahrheiten.

Einzelner Hypotheſen und teleologiſcher Sätze zur Unterſtützung kauſaler Schlüſſe
bedienen ſich alle Wiſſenſchaften und alle Erkenntnisrichtungen. Wo unſer kauſales
Erkennen nicht ausreicht, und wir doch einen Zuſammenhang ſicher annehmen, da führt
die ausdeutende reflektierende Auffaſſung, wie wir mehrfach ſchon betont, zur Annahme
von Zwecken der Gottheit, der Geſchichte, der ſchaffenden Natur, und von dieſen ein-
heitlichen Gedanken aus ſuchen wir das empiriſch nicht zu Erklärende wenigſtens ungefähr
zu begreifen. Es iſt ein unentbehrliches Reflexionsprincip. Die Annahme einer Einheit
und eines Zuſammenhanges der Welt, die allgemeinen Gründe der Entwickelungstheorie
gründen ſich auf ſolche teleologiſche Betrachtungen, ganz ähnlich wie die Harmonielehre
der älteren Volkswirtſchaft oder der ſocialiſtiſche Glaube an eine dauernde Hebung der
unteren Klaſſen. An ſeiner Grenze mündet unſer ſicheres Wiſſen immer in unſeren Glauben
und in unſere Hoffnungen. Das Ganze der letzten und wichtigſten Dinge erfaſſen wir
allein ſo. Wir müſſen nur dahin ſtreben, daß dieſer Glaube auf immer beſſerer empiriſcher
Erkenntnis ſich aufbaue, immer mehr geſicherte Wiſſenſchaft in ſich ſchließe, niemals mit
ihr in Widerſpruch trete, daß er nicht beeinflußt ſei von Partei- und Klaſſenintereſſen,
von Vorurteilen und Leidenſchaften. Davon ſich frei zu machen, muß jeder Forſcher
ſtreben. Er wird dieſes Ziel ſchwer erreichen, wenn er ſelbſt zu aktiv an den Kämpfen
des Tages teilnimmt. Wenn man geglaubt hat, der, welcher das Wohl aller im Auge
habe, ſei als Gelehrter gefeit gegen die Täuſchungen des Klaſſenſtandpunktes, die Vor-
urteile des Tages, ſo liegt darin doch ein gewiſſer Irrtum. Jeder leidenſchaftliche Tages-
politiker glaubt heute das Wohl der Geſamtheit mit ſeinen einſeitigen Anſchauungen
und Vorſchlägen zu vertreten. Nicht die Formel des allgemeinen Wohles, ſondern die
univerſale Bildung, der geläuterte Charakter, die geiſtige Freiheit von allen Tages-
ſtrömungen führt zu jener Höhe, welche neben der geſicherten Einzelerkenntnis die ſtets
halb verſchwimmenden Linien der Geſamtentwickelung richtig zu erfaſſen geſtattet.

5. Die Ausreifung der Volkswirtſchaftslehre zur Wiſſenſchaft im 19. Jahr-
hundert.
Über die ſtatiſtiſche Methode: Knies, Die Statiſtik als ſelbſtändige Wiſſenſchaft. 1850. —
Guſtav Rümelin, Zur Theorie der Statiſtik. Z. f. St.W. 1863; dann in: R. A. 1, 1875,
mit einem Zuſatz. —
Adolf Wagner, Die Geſetzmäßigkeit in den ſcheinbar willkürlichen Hand-
lungen. 1864; — Derſ., Statiſtik in Bluntſchli, St.W. 1867. —
Drobiſch, Die moraliſche
Statiſtik und die Willensfreiheit. 1867. —
Knapp, Quetelet als Theoretiker. J. f. N. 1. F. 18,
1872. —
Jahn, Geſchichte der Statiſtik. 1, 1884. — Meitzen, Geſchichte, Theorie und Technik der
Statiſtik. 1886. —
Mayo-Smith, Statistics and economics. Publ. of the Americ. Econ.
Assoc. vol. III, no. 4 u.
5. 1888.
Über die geſchichtliche Methode: Joh. Guſtav Droyſen, Grundriß der Hiſtorik. 1868.
3. Aufl. 1882. —
v. Sybel, Geſetze des hiſtoriſchen Wiſſens. 1864 (jetzt in Vorträge und
Aufſätze. 1874). —
Guſtav Rümelin, Über Geſetze der Geſchichte. 1878. R. A. 2. — Lord
Acton
, German schools of history. English hist. review. 1, 1856. —
Ottokar Lorenz, Die
Geſchichtswiſſenſchaft in Hauptrichtungen und Aufgaben. 1886. —
Bernheim, Lehrbuch der
hiſtoriſchen Methode. 1889. —
Gothein, Die Aufgaben der Kulturgeſchichte. 1889. — Schäfer,
Geſchichte und Kulturgeſchichte. 1891.
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[111/0127] Das Weſen der Induktion. Die Teleologie als Reflexionsprincip. gebiete, hauptſächlich über wiſſenſchaftliche Nachbargebiete. Die angeblich rein induktive hiſtoriſche Richtung iſt es, die dies ſtets betont, die ſich deduktiv nennende iſt meiſt ängſtlich bemüht, nur fein ſäuberlich die wiſſenſchaftlichen Grenzpfähle zu ſetzen und niemals einen Haſen ins Nachbargebiet zu verfolgen, das ſie weder kennt noch kennen lernen will. Wundt hat es neuerdings als den weſentlichſten Gegenſatz der Geiſtes- zu den Naturwiſſenſchaften bezeichnet, daß bei dieſen eine ſtarke Abſtraktionskraft das mächtigſte Werkzeug ſei, bei jenen der Erfolg vor allem von einem raſchen Überblicke und reicher Kombinationsfähigkeit abhänge. Das iſt teils Sache der individuellen Begabung, ebenſo aber Sache der wiſſenſchaftlichen Vorbildung. Je umfaſſender ſie iſt, deſto größer iſt die Möglichkeit vielgliedriger kombinierter Schlüſſe aus vorher feſtſtehenden Wahrheiten. Einzelner Hypotheſen und teleologiſcher Sätze zur Unterſtützung kauſaler Schlüſſe bedienen ſich alle Wiſſenſchaften und alle Erkenntnisrichtungen. Wo unſer kauſales Erkennen nicht ausreicht, und wir doch einen Zuſammenhang ſicher annehmen, da führt die ausdeutende reflektierende Auffaſſung, wie wir mehrfach ſchon betont, zur Annahme von Zwecken der Gottheit, der Geſchichte, der ſchaffenden Natur, und von dieſen ein- heitlichen Gedanken aus ſuchen wir das empiriſch nicht zu Erklärende wenigſtens ungefähr zu begreifen. Es iſt ein unentbehrliches Reflexionsprincip. Die Annahme einer Einheit und eines Zuſammenhanges der Welt, die allgemeinen Gründe der Entwickelungstheorie gründen ſich auf ſolche teleologiſche Betrachtungen, ganz ähnlich wie die Harmonielehre der älteren Volkswirtſchaft oder der ſocialiſtiſche Glaube an eine dauernde Hebung der unteren Klaſſen. An ſeiner Grenze mündet unſer ſicheres Wiſſen immer in unſeren Glauben und in unſere Hoffnungen. Das Ganze der letzten und wichtigſten Dinge erfaſſen wir allein ſo. Wir müſſen nur dahin ſtreben, daß dieſer Glaube auf immer beſſerer empiriſcher Erkenntnis ſich aufbaue, immer mehr geſicherte Wiſſenſchaft in ſich ſchließe, niemals mit ihr in Widerſpruch trete, daß er nicht beeinflußt ſei von Partei- und Klaſſenintereſſen, von Vorurteilen und Leidenſchaften. Davon ſich frei zu machen, muß jeder Forſcher ſtreben. Er wird dieſes Ziel ſchwer erreichen, wenn er ſelbſt zu aktiv an den Kämpfen des Tages teilnimmt. Wenn man geglaubt hat, der, welcher das Wohl aller im Auge habe, ſei als Gelehrter gefeit gegen die Täuſchungen des Klaſſenſtandpunktes, die Vor- urteile des Tages, ſo liegt darin doch ein gewiſſer Irrtum. Jeder leidenſchaftliche Tages- politiker glaubt heute das Wohl der Geſamtheit mit ſeinen einſeitigen Anſchauungen und Vorſchlägen zu vertreten. Nicht die Formel des allgemeinen Wohles, ſondern die univerſale Bildung, der geläuterte Charakter, die geiſtige Freiheit von allen Tages- ſtrömungen führt zu jener Höhe, welche neben der geſicherten Einzelerkenntnis die ſtets halb verſchwimmenden Linien der Geſamtentwickelung richtig zu erfaſſen geſtattet. 5. Die Ausreifung der Volkswirtſchaftslehre zur Wiſſenſchaft im 19. Jahr- hundert. Über die ſtatiſtiſche Methode: Knies, Die Statiſtik als ſelbſtändige Wiſſenſchaft. 1850. — Guſtav Rümelin, Zur Theorie der Statiſtik. Z. f. St.W. 1863; dann in: R. A. 1, 1875, mit einem Zuſatz. — Adolf Wagner, Die Geſetzmäßigkeit in den ſcheinbar willkürlichen Hand- lungen. 1864; — Derſ., Statiſtik in Bluntſchli, St.W. 1867. — Drobiſch, Die moraliſche Statiſtik und die Willensfreiheit. 1867. — Knapp, Quetelet als Theoretiker. J. f. N. 1. F. 18, 1872. — Jahn, Geſchichte der Statiſtik. 1, 1884. — Meitzen, Geſchichte, Theorie und Technik der Statiſtik. 1886. — Mayo-Smith, Statistics and economics. Publ. of the Americ. Econ. Assoc. vol. III, no. 4 u. 5. 1888. Über die geſchichtliche Methode: Joh. Guſtav Droyſen, Grundriß der Hiſtorik. 1868. 3. Aufl. 1882. — v. Sybel, Geſetze des hiſtoriſchen Wiſſens. 1864 (jetzt in Vorträge und Aufſätze. 1874). — Guſtav Rümelin, Über Geſetze der Geſchichte. 1878. R. A. 2. — Lord Acton, German schools of history. English hist. review. 1, 1856. — Ottokar Lorenz, Die Geſchichtswiſſenſchaft in Hauptrichtungen und Aufgaben. 1886. — Bernheim, Lehrbuch der hiſtoriſchen Methode. 1889. — Gothein, Die Aufgaben der Kulturgeſchichte. 1889. — Schäfer, Geſchichte und Kulturgeſchichte. 1891. Roſcher, Grundriß zu Vorleſungen über die Staatswirtſchaft nach geſchichtlicher Methode. 1843; — Derſ., Der gegenwärtige Zuſtand der wiſſenſchaftlichen Nationalökonomie und die notwendige

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/127>, abgerufen am 23.11.2024.