ach geh nicht mit mir ins Gericht! wo ist der Wu- cher denn von meinem Pfunde blieben, das du mir anvertraut in dieser Sterblichkeit; du hast den Uber- schlag in allem aufgeschrieben, verschwendet hab ich nur die theure Gnaden-Zeit. Ich habe wohl ge- schmeckt, wie freundlich du gewesen, es gieng kein Augenblick ohn deinen Segen hin. Doch du hast wenig Frucht vor deine Huld gelesen, weil ich ein Schuldner stets in deinem Buche bin. Du hast mich mit Gedult so lange Zeit getragen, und den und jenen dort in Sünden hingerafft, da du auch billich mich zu Boden können schlagen, weil deine Langmuth nichts zur Busse hat geschafft. Wenn du mich auch gestrafft, so hab ich wohl versprochen, ich wollte frömmer seyn, und deinen Willen thun. Allein, wie öfters ist der Vorsatz schon gebrochen, die Sünde will nur stets vor meiner Thüre ruhn. Jetzt schre- cket mich dein Zorn, jetzt weckt mich mein Gewissen, wo soll ich aber hin vor deinem Antlitz gehn? Hier wind ich armer Wurm mich, HErr! vor deinen Füssen, laß Gnade gehn vor Recht, sonst kan ich nicht bestehn. Mein Hirte, suche doch das arme Schäflein wieder, nimm das verlohrne Kind, du lieber Vatter! auf: Laß deinen Gnaden-Stuhl zu nen Seuffzern nieder, hingegen meine Noth für dei- nen Thron hinauf. Ach hast du noch ein Hertz, so laß es jetzo wallen, hast du noch einen Trost, so ruf ihn mir doch zu? Es darf ein Wörtlein nur aus deinem Munde schallen, das von der Gna- de spricht, so geb ich mich zur Ruh. Wohlan!
ich
Abend-Gebett am Dienſtage.
ach geh nicht mit mir ins Gericht! wo iſt der Wu- cher denn von meinem Pfunde blieben, das du mir anvertraut in dieſer Sterblichkeit; du haſt den Uber- ſchlag in allem aufgeſchrieben, verſchwendet hab ich nur die theure Gnaden-Zeit. Ich habe wohl ge- ſchmeckt, wie freundlich du geweſen, es gieng kein Augenblick ohn deinen Segen hin. Doch du haſt wenig Frucht vor deine Huld geleſen, weil ich ein Schuldner ſtets in deinem Buche bin. Du haſt mich mit Gedult ſo lange Zeit getragen, und den und jenen dort in Sünden hingerafft, da du auch billich mich zu Boden können ſchlagen, weil deine Langmuth nichts zur Buſſe hat geſchafft. Wenn du mich auch geſtrafft, ſo hab ich wohl verſprochen, ich wollte frömmer ſeyn, und deinen Willen thun. Allein, wie öfters iſt der Vorſatz ſchon gebrochen, die Sünde will nur ſtets vor meiner Thüre ruhn. Jetzt ſchre- cket mich dein Zorn, jetzt weckt mich mein Gewiſſen, wo ſoll ich aber hin vor deinem Antlitz gehn? Hier wind ich armer Wurm mich, HErr! vor deinen Füſſen, laß Gnade gehn vor Recht, ſonſt kan ich nicht beſtehn. Mein Hirte, ſuche doch das arme Schäflein wieder, nimm das verlohrne Kind, du lieber Vatter! auf: Laß deinen Gnaden-Stuhl zu nen Seuffzern nieder, hingegen meine Noth für dei- nen Thron hinauf. Ach haſt du noch ein Hertz, ſo laß es jetzo wallen, haſt du noch einen Troſt, ſo ruf ihn mir doch zu? Es darf ein Wörtlein nur aus deinem Munde ſchallen, das von der Gna- de ſpricht, ſo geb ich mich zur Ruh. Wohlan!
ich
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Abend-Gebett am Dienſtage.
ach geh nicht mit mir ins Gericht! wo iſt der Wu-
cher denn von meinem Pfunde blieben, das du mir
anvertraut in dieſer Sterblichkeit; du haſt den Uber-
ſchlag in allem aufgeſchrieben, verſchwendet hab ich
nur die theure Gnaden-Zeit. Ich habe wohl ge-
ſchmeckt, wie freundlich du geweſen, es gieng kein
Augenblick ohn deinen Segen hin. Doch du haſt
wenig Frucht vor deine Huld geleſen, weil ich ein
Schuldner ſtets in deinem Buche bin. Du haſt
mich mit Gedult ſo lange Zeit getragen, und den und
jenen dort in Sünden hingerafft, da du auch billich
mich zu Boden können ſchlagen, weil deine Langmuth
nichts zur Buſſe hat geſchafft. Wenn du mich auch
geſtrafft, ſo hab ich wohl verſprochen, ich wollte
frömmer ſeyn, und deinen Willen thun. Allein, wie
öfters iſt der Vorſatz ſchon gebrochen, die Sünde
will nur ſtets vor meiner Thüre ruhn. Jetzt ſchre-
cket mich dein Zorn, jetzt weckt mich mein Gewiſſen,
wo ſoll ich aber hin vor deinem Antlitz gehn? Hier
wind ich armer Wurm mich, HErr! vor deinen
Füſſen, laß Gnade gehn vor Recht, ſonſt kan ich
nicht beſtehn. Mein Hirte, ſuche doch das arme
Schäflein wieder, nimm das verlohrne Kind, du
lieber Vatter! auf: Laß deinen Gnaden-Stuhl zu
nen Seuffzern nieder, hingegen meine Noth für dei-
nen Thron hinauf. Ach haſt du noch ein Hertz,
ſo laß es jetzo wallen, haſt du noch einen Troſt, ſo
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Schmolck, Benjamin: Das Himmlische Vergnügen in Gott, oder vollständiges Gebett-Buch. Neue Aufl. Basel, 1753, S. 749. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmolck_vergnuegen_1753/771>, abgerufen am 02.07.2024.
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