Vorstellung sei ein Theater-Wort, meint Hr. Herder, und denkt sich also beim ganzen Titel und Buche lauter theatrali- sches und mimisches. Aber Vorstellung ist ein ganz allgemeines Wort, so gar ein Kanzelwort ("wir wollen eurer Liebe vor- stellen --"), und nichts weniger als dem Schauplatze eigen. Freilich hat Hr. Base- dow eine Vorstellung an Menschenfreunde geschrieben. Freilich sagt man: heute wird vorgestellet -- --; aber ist deswe- gen auch heute ein Theaterwort? Hat der Hr. Consistorial-Rath den Kopf so voll von Theater, Komödien, Komödianten etc., daß ihm die Wörter heute, vorstellen, nie vors Trommelfell fallen, ohne ihn im Gei- ste aufs Theater zu versetzen: so mag ers. Nur muß er nicht verlangen, daß seine so zufällig und individuell determinirte Ein- bildungskraft den Sprachgebrauch des deut- schen Publici bestimme. Bei dem Römi- schen Matrosen war conscendo ein Schiffs- wort, und bedeutete an Bord gehen: aber wer conscendere equum sagt, redet deswegen nicht navigatorisch, will deswegen nicht, mit Mohämmed, das Pferd oder das Kameel
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§. 8.
Vorstellung ſei ein Theater-Wort, meint Hr. Herder, und denkt ſich alſo beim ganzen Titel und Buche lauter theatrali- ſches und mimiſches. Aber Vorſtellung iſt ein ganz allgemeines Wort, ſo gar ein Kanzelwort (“wir wollen eurer Liebe vor- ſtellen —„), und nichts weniger als dem Schauplatze eigen. Freilich hat Hr. Baſe- dow eine Vorſtellung an Menſchenfreunde geſchrieben. Freilich ſagt man: heute wird vorgeſtellet — —; aber iſt deswe- gen auch heute ein Theaterwort? Hat der Hr. Conſiſtorial-Rath den Kopf ſo voll von Theater, Komoͤdien, Komoͤdianten ꝛc., daß ihm die Woͤrter heute, vorſtellen, nie vors Trommelfell fallen, ohne ihn im Gei- ſte aufs Theater zu verſetzen: ſo mag ers. Nur muß er nicht verlangen, daß ſeine ſo zufaͤllig und individuell determinirte Ein- bildungskraft den Sprachgebrauch des deut- ſchen Publici beſtimme. Bei dem Roͤmi- ſchen Matroſen war conſcendo ein Schiffs- wort, und bedeutete an Bord gehen: aber wer conſcendere equum ſagt, redet deswegen nicht navigatoriſch, will deswegen nicht, mit Mohaͤmmed, das Pferd oder das Kameel
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[239[15]/0035]
§. 8.
Vorstellung ſei ein Theater-Wort,
meint Hr. Herder, und denkt ſich alſo beim
ganzen Titel und Buche lauter theatrali-
ſches und mimiſches. Aber Vorſtellung
iſt ein ganz allgemeines Wort, ſo gar ein
Kanzelwort (“wir wollen eurer Liebe vor-
ſtellen —„), und nichts weniger als dem
Schauplatze eigen. Freilich hat Hr. Baſe-
dow eine Vorſtellung an Menſchenfreunde
geſchrieben. Freilich ſagt man: heute
wird vorgeſtellet — —; aber iſt deswe-
gen auch heute ein Theaterwort? Hat der
Hr. Conſiſtorial-Rath den Kopf ſo voll von
Theater, Komoͤdien, Komoͤdianten ꝛc., daß
ihm die Woͤrter heute, vorſtellen, nie
vors Trommelfell fallen, ohne ihn im Gei-
ſte aufs Theater zu verſetzen: ſo mag ers.
Nur muß er nicht verlangen, daß ſeine ſo
zufaͤllig und individuell determinirte Ein-
bildungskraft den Sprachgebrauch des deut-
ſchen Publici beſtimme. Bei dem Roͤmi-
ſchen Matroſen war conſcendo ein Schiffs-
wort, und bedeutete an Bord gehen: aber
wer conſcendere equum ſagt, redet deswegen
nicht navigatoriſch, will deswegen nicht, mit
Mohaͤmmed, das Pferd oder das Kameel
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Schlözer, August Ludwig von: August Ludwig Schlözers [...] Vorstellung seiner Universal-Historie. Bd. 2. Göttingen u. a., 1773, S. 239[15]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schloezer_universalhistorie02_1773/35>, abgerufen am 22.02.2025.
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