wandt damit, daß für den Einfluß auf das griechische dieß ein unbedeutender Unterschied ist. Ohne in die Lesung des A. T. in der Ursprache eingeweiht zu sein, ist es unmöglich, die Hebraismen richtig zu erkennen. Unmittelbar aber in das neutest. Sprachge- biet gehört die alexandrinische Übersezung des A. T. Hier ist eine Fülle von Hebraismen zu erwarten, weil, wenn jemand Werke aus der Muttersprache in eine andere ihm fremde über- sezt, er schwerlich alle Spuren der Ursprache verwischen kann, be- sonders wenn er die Verpflichtung der Treue hat, die durch die Heiligkeit des A. T. besonders bedingt war. Hier ist ein Sprach- gebiet, womit verglichen das neutest. als ein reineres anzusehen ist. Demnächst gehören hierher die Apokryphen des A. T., welche ursprünglich griechisch verfaßt sind, aber im hebräischen Sinn und Geist, die geschichtlichen wie die gnomischen. Diese gehören nach ihrer ganzen Structur, selbst in einzelnen Ausdrücken und Formen dem alttestam. Typus. Ferner die originell griechischen Schriften geborener Juden, wie des Josephus und Philo, ohne besondere Beziehung auf das A. T. Diese lernten das griechische theils aus der Schule theils aus dem Gebrauch im Leben; daher in ihren Schriften ein Kampf zwischen dem rein griechischen aus der Schule und dem gemein griechischen des gemeinen Lebens mit hebraisirenden Bestandtheilen. Auch abgesehen von dieser aramäi- schen Mischung, gehört das griechische des N. T. seiner Zeit nach der makedonischen Sprachperiode an, die von dem klassischen Cha- rakter verschieden ist. Es fällt aber unmittelbar in die Zeit der römischen Herrschaft. In Schriften aus dieser Zeit sind also dem obigen zu Folge Latinismen zu erwarten in gerichtlichen, admini- strativen, militärischen Ausdrücken. Allein in dem allen sind wir noch nicht sicher zu allem was im N. T. vorkommt bestimmte Analogien zu finden. Es entsteht die Frage, war das Christenthum etwas neues oder nicht? Ein Theil unsrer Theologen will das Christenthum als natürlich aus dem Judenthum entstanden, nur als Modification desselben angesehen wissen. Allein die herrschende Stimme nimmt es als etwas neues, sei es unter der Form gött-
wandt damit, daß fuͤr den Einfluß auf das griechiſche dieß ein unbedeutender Unterſchied iſt. Ohne in die Leſung des A. T. in der Urſprache eingeweiht zu ſein, iſt es unmoͤglich, die Hebraismen richtig zu erkennen. Unmittelbar aber in das neuteſt. Sprachge- biet gehoͤrt die alexandriniſche Überſezung des A. T. Hier iſt eine Fuͤlle von Hebraismen zu erwarten, weil, wenn jemand Werke aus der Mutterſprache in eine andere ihm fremde uͤber- ſezt, er ſchwerlich alle Spuren der Urſprache verwiſchen kann, be- ſonders wenn er die Verpflichtung der Treue hat, die durch die Heiligkeit des A. T. beſonders bedingt war. Hier iſt ein Sprach- gebiet, womit verglichen das neuteſt. als ein reineres anzuſehen iſt. Demnaͤchſt gehoͤren hierher die Apokryphen des A. T., welche urſpruͤnglich griechiſch verfaßt ſind, aber im hebraͤiſchen Sinn und Geiſt, die geſchichtlichen wie die gnomiſchen. Dieſe gehoͤren nach ihrer ganzen Structur, ſelbſt in einzelnen Ausdruͤcken und Formen dem altteſtam. Typus. Ferner die originell griechiſchen Schriften geborener Juden, wie des Joſephus und Philo, ohne beſondere Beziehung auf das A. T. Dieſe lernten das griechiſche theils aus der Schule theils aus dem Gebrauch im Leben; daher in ihren Schriften ein Kampf zwiſchen dem rein griechiſchen aus der Schule und dem gemein griechiſchen des gemeinen Lebens mit hebraiſirenden Beſtandtheilen. Auch abgeſehen von dieſer aramaͤi- ſchen Miſchung, gehoͤrt das griechiſche des N. T. ſeiner Zeit nach der makedoniſchen Sprachperiode an, die von dem klaſſiſchen Cha- rakter verſchieden iſt. Es faͤllt aber unmittelbar in die Zeit der roͤmiſchen Herrſchaft. In Schriften aus dieſer Zeit ſind alſo dem obigen zu Folge Latinismen zu erwarten in gerichtlichen, admini- ſtrativen, militaͤriſchen Ausdruͤcken. Allein in dem allen ſind wir noch nicht ſicher zu allem was im N. T. vorkommt beſtimmte Analogien zu finden. Es entſteht die Frage, war das Chriſtenthum etwas neues oder nicht? Ein Theil unſrer Theologen will das Chriſtenthum als natuͤrlich aus dem Judenthum entſtanden, nur als Modification deſſelben angeſehen wiſſen. Allein die herrſchende Stimme nimmt es als etwas neues, ſei es unter der Form goͤtt-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0087"n="63"/>
wandt damit, daß fuͤr den Einfluß auf das griechiſche dieß ein<lb/>
unbedeutender Unterſchied iſt. Ohne in die Leſung des A. T. in<lb/>
der Urſprache eingeweiht zu ſein, iſt es unmoͤglich, die Hebraismen<lb/>
richtig zu erkennen. Unmittelbar aber in das neuteſt. Sprachge-<lb/>
biet gehoͤrt die alexandriniſche Überſezung des A. T. Hier iſt<lb/>
eine Fuͤlle von Hebraismen zu erwarten, weil, wenn jemand<lb/>
Werke aus der Mutterſprache in eine andere ihm fremde uͤber-<lb/>ſezt, er ſchwerlich alle Spuren der Urſprache verwiſchen kann, be-<lb/>ſonders wenn er die Verpflichtung der Treue hat, die durch die<lb/>
Heiligkeit des A. T. beſonders bedingt war. Hier iſt ein Sprach-<lb/>
gebiet, womit verglichen das neuteſt. als ein reineres anzuſehen<lb/>
iſt. Demnaͤchſt gehoͤren hierher die Apokryphen des A. T., welche<lb/>
urſpruͤnglich griechiſch verfaßt ſind, aber im hebraͤiſchen Sinn und<lb/>
Geiſt, die geſchichtlichen wie die gnomiſchen. Dieſe gehoͤren nach<lb/>
ihrer ganzen Structur, ſelbſt in einzelnen Ausdruͤcken und Formen<lb/>
dem altteſtam. Typus. Ferner die originell griechiſchen Schriften<lb/>
geborener Juden, wie des Joſephus und Philo, ohne beſondere<lb/>
Beziehung auf das A. T. Dieſe lernten das griechiſche theils aus<lb/>
der Schule theils aus dem Gebrauch im Leben; daher in ihren<lb/>
Schriften ein Kampf zwiſchen dem rein griechiſchen aus der<lb/>
Schule und dem gemein griechiſchen des gemeinen Lebens mit<lb/>
hebraiſirenden Beſtandtheilen. Auch abgeſehen von dieſer aramaͤi-<lb/>ſchen Miſchung, gehoͤrt das griechiſche des N. T. ſeiner Zeit nach<lb/>
der makedoniſchen Sprachperiode an, die von dem klaſſiſchen Cha-<lb/>
rakter verſchieden iſt. Es faͤllt aber unmittelbar in die Zeit der<lb/>
roͤmiſchen Herrſchaft. In Schriften aus dieſer Zeit ſind alſo dem<lb/>
obigen zu Folge Latinismen zu erwarten in gerichtlichen, admini-<lb/>ſtrativen, militaͤriſchen Ausdruͤcken. Allein in dem allen ſind wir<lb/>
noch nicht ſicher zu allem was im N. T. vorkommt beſtimmte<lb/>
Analogien zu finden. Es entſteht die Frage, war das Chriſtenthum<lb/>
etwas neues oder nicht? Ein Theil unſrer Theologen will das<lb/>
Chriſtenthum als natuͤrlich aus dem Judenthum entſtanden, nur<lb/>
als Modification deſſelben angeſehen wiſſen. Allein die herrſchende<lb/>
Stimme nimmt es als etwas neues, ſei es unter der Form goͤtt-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[63/0087]
wandt damit, daß fuͤr den Einfluß auf das griechiſche dieß ein
unbedeutender Unterſchied iſt. Ohne in die Leſung des A. T. in
der Urſprache eingeweiht zu ſein, iſt es unmoͤglich, die Hebraismen
richtig zu erkennen. Unmittelbar aber in das neuteſt. Sprachge-
biet gehoͤrt die alexandriniſche Überſezung des A. T. Hier iſt
eine Fuͤlle von Hebraismen zu erwarten, weil, wenn jemand
Werke aus der Mutterſprache in eine andere ihm fremde uͤber-
ſezt, er ſchwerlich alle Spuren der Urſprache verwiſchen kann, be-
ſonders wenn er die Verpflichtung der Treue hat, die durch die
Heiligkeit des A. T. beſonders bedingt war. Hier iſt ein Sprach-
gebiet, womit verglichen das neuteſt. als ein reineres anzuſehen
iſt. Demnaͤchſt gehoͤren hierher die Apokryphen des A. T., welche
urſpruͤnglich griechiſch verfaßt ſind, aber im hebraͤiſchen Sinn und
Geiſt, die geſchichtlichen wie die gnomiſchen. Dieſe gehoͤren nach
ihrer ganzen Structur, ſelbſt in einzelnen Ausdruͤcken und Formen
dem altteſtam. Typus. Ferner die originell griechiſchen Schriften
geborener Juden, wie des Joſephus und Philo, ohne beſondere
Beziehung auf das A. T. Dieſe lernten das griechiſche theils aus
der Schule theils aus dem Gebrauch im Leben; daher in ihren
Schriften ein Kampf zwiſchen dem rein griechiſchen aus der
Schule und dem gemein griechiſchen des gemeinen Lebens mit
hebraiſirenden Beſtandtheilen. Auch abgeſehen von dieſer aramaͤi-
ſchen Miſchung, gehoͤrt das griechiſche des N. T. ſeiner Zeit nach
der makedoniſchen Sprachperiode an, die von dem klaſſiſchen Cha-
rakter verſchieden iſt. Es faͤllt aber unmittelbar in die Zeit der
roͤmiſchen Herrſchaft. In Schriften aus dieſer Zeit ſind alſo dem
obigen zu Folge Latinismen zu erwarten in gerichtlichen, admini-
ſtrativen, militaͤriſchen Ausdruͤcken. Allein in dem allen ſind wir
noch nicht ſicher zu allem was im N. T. vorkommt beſtimmte
Analogien zu finden. Es entſteht die Frage, war das Chriſtenthum
etwas neues oder nicht? Ein Theil unſrer Theologen will das
Chriſtenthum als natuͤrlich aus dem Judenthum entſtanden, nur
als Modification deſſelben angeſehen wiſſen. Allein die herrſchende
Stimme nimmt es als etwas neues, ſei es unter der Form goͤtt-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/87>, abgerufen am 05.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.