Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Dieß (das intensive Talent) geht in die Tiefe. Beide sind
nothwendig, aber selten verbunden, müssen sich also gegenseitig
ergänzen.

11. Nicht alles Reden ist gleich sehr Gegenstand der
Auslegekunst. Einige Reden haben für dieselbe einen Null-
werth, andere einen absoluten; das meiste liegt zwischen die-
sen beiden Punkten.

1. Einen Nullwerth hat was weder Interesse hat als That
noch Bedeutung für die Sprache. Es wird geredet, weil die
Sprache sich nur in der Continuität der Wiederholung erhält. Was
aber nur schon vorhanden gewesenes wiederholt ist an sich nichts.
Wettergespräche. Allein dieß Null ist nicht das absolute Nichts
sondern nur ein Minimum. Denn es entwickelt sich an demsel-
ben das Bedeutende.

Das Minimum ist die gemeine Rede im Geschäftlichen und
in dem gewöhnlichen Gespräch im gemeinen Leben.

2. Auf jeder Seite giebt es ein Maximum, auf der gram-
matischen nemlich, was am meisten produktiv ist und am wenig-
sten wiederholend, das klassische. Auf der psychologischen Seite
was am meisten eigenthümlich ist und am wenigsten gemein,
das originelle. Absolut ist aber nur die Identität von beiden,
das genialische oder urbildliche für die Sprache in der Ge-
dankenproduktion.

3. Das klassische aber muß nicht vorübergehend sein sondern
die folgenden Produktionen bestimmen. Eben so das originelle.
Aber auch das absolute (Maximum) darf nicht frei davon sein,
bestimmt worden zu sein durch früheres und allgemeineres.

Zusaz 1): Dazwischenliegendes zwischen dem Minimum und
Maximum nähert sich an eins von beiden; a) an das gemeine
die relative Inhaltsnichtigkeit und die anmuthige Darstellung,
b) an das geniale, die Klassicität in der Sprache, die aber

1) Randanmerk. v. 1828.

Dieß (das intenſive Talent) geht in die Tiefe. Beide ſind
nothwendig, aber ſelten verbunden, muͤſſen ſich alſo gegenſeitig
ergaͤnzen.

11. Nicht alles Reden iſt gleich ſehr Gegenſtand der
Auslegekunſt. Einige Reden haben fuͤr dieſelbe einen Null-
werth, andere einen abſoluten; das meiſte liegt zwiſchen die-
ſen beiden Punkten.

1. Einen Nullwerth hat was weder Intereſſe hat als That
noch Bedeutung fuͤr die Sprache. Es wird geredet, weil die
Sprache ſich nur in der Continuitaͤt der Wiederholung erhaͤlt. Was
aber nur ſchon vorhanden geweſenes wiederholt iſt an ſich nichts.
Wettergeſpraͤche. Allein dieß Null iſt nicht das abſolute Nichts
ſondern nur ein Minimum. Denn es entwickelt ſich an demſel-
ben das Bedeutende.

Das Minimum iſt die gemeine Rede im Geſchaͤftlichen und
in dem gewoͤhnlichen Geſpraͤch im gemeinen Leben.

2. Auf jeder Seite giebt es ein Maximum, auf der gram-
matiſchen nemlich, was am meiſten produktiv iſt und am wenig-
ſten wiederholend, das klaſſiſche. Auf der pſychologiſchen Seite
was am meiſten eigenthuͤmlich iſt und am wenigſten gemein,
das originelle. Abſolut iſt aber nur die Identitaͤt von beiden,
das genialiſche oder urbildliche fuͤr die Sprache in der Ge-
dankenproduktion.

3. Das klaſſiſche aber muß nicht voruͤbergehend ſein ſondern
die folgenden Produktionen beſtimmen. Eben ſo das originelle.
Aber auch das abſolute (Maximum) darf nicht frei davon ſein,
beſtimmt worden zu ſein durch fruͤheres und allgemeineres.

Zuſaz 1): Dazwiſchenliegendes zwiſchen dem Minimum und
Maximum naͤhert ſich an eins von beiden; a) an das gemeine
die relative Inhaltsnichtigkeit und die anmuthige Darſtellung,
b) an das geniale, die Klaſſicitaͤt in der Sprache, die aber

1) Randanmerk. v. 1828.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0042" n="18"/>
Dieß (das inten&#x017F;ive Talent) geht in die Tiefe. Beide &#x017F;ind<lb/>
nothwendig, aber &#x017F;elten verbunden, mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich al&#x017F;o gegen&#x017F;eitig<lb/>
erga&#x0364;nzen.</p><lb/>
            <p>11. Nicht alles Reden i&#x017F;t gleich &#x017F;ehr Gegen&#x017F;tand der<lb/>
Auslegekun&#x017F;t. Einige Reden haben fu&#x0364;r die&#x017F;elbe einen Null-<lb/>
werth, andere einen ab&#x017F;oluten; das mei&#x017F;te liegt zwi&#x017F;chen die-<lb/>
&#x017F;en beiden Punkten.</p><lb/>
            <p>1. Einen Nullwerth hat was weder Intere&#x017F;&#x017F;e hat als That<lb/>
noch Bedeutung fu&#x0364;r die Sprache. Es wird geredet, weil die<lb/>
Sprache &#x017F;ich nur in der Continuita&#x0364;t der Wiederholung erha&#x0364;lt. Was<lb/>
aber nur &#x017F;chon vorhanden gewe&#x017F;enes wiederholt i&#x017F;t an &#x017F;ich nichts.<lb/>
Wetterge&#x017F;pra&#x0364;che. Allein dieß Null i&#x017F;t nicht das ab&#x017F;olute Nichts<lb/>
&#x017F;ondern nur ein Minimum. Denn es entwickelt &#x017F;ich an dem&#x017F;el-<lb/>
ben das Bedeutende.</p><lb/>
            <p>Das Minimum i&#x017F;t die gemeine Rede im Ge&#x017F;cha&#x0364;ftlichen und<lb/>
in dem gewo&#x0364;hnlichen Ge&#x017F;pra&#x0364;ch im gemeinen Leben.</p><lb/>
            <p>2. Auf jeder Seite giebt es ein Maximum, auf der gram-<lb/>
mati&#x017F;chen nemlich, was am mei&#x017F;ten produktiv i&#x017F;t und am wenig-<lb/>
&#x017F;ten wiederholend, das <hi rendition="#g">kla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che</hi>. Auf der p&#x017F;ychologi&#x017F;chen Seite<lb/>
was am mei&#x017F;ten eigenthu&#x0364;mlich i&#x017F;t und am wenig&#x017F;ten gemein,<lb/>
das <hi rendition="#g">originelle</hi>. Ab&#x017F;olut i&#x017F;t aber nur die Identita&#x0364;t von beiden,<lb/>
das <hi rendition="#g">geniali&#x017F;che</hi> oder urbildliche fu&#x0364;r die Sprache in der Ge-<lb/>
dankenproduktion.</p><lb/>
            <p>3. Das kla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che aber muß nicht voru&#x0364;bergehend &#x017F;ein &#x017F;ondern<lb/>
die folgenden Produktionen be&#x017F;timmen. Eben &#x017F;o das originelle.<lb/>
Aber auch das ab&#x017F;olute (Maximum) darf nicht frei davon &#x017F;ein,<lb/>
be&#x017F;timmt worden zu &#x017F;ein durch fru&#x0364;heres und allgemeineres.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Zu&#x017F;az</hi><note place="foot" n="1)">Randanmerk. v. 1828.</note>: Dazwi&#x017F;chenliegendes zwi&#x017F;chen dem Minimum und<lb/>
Maximum na&#x0364;hert &#x017F;ich an eins von beiden; <hi rendition="#aq">a)</hi> an das gemeine<lb/>
die relative Inhaltsnichtigkeit und die anmuthige Dar&#x017F;tellung,<lb/><hi rendition="#aq">b)</hi> an das geniale, die Kla&#x017F;&#x017F;icita&#x0364;t in der Sprache, die aber<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0042] Dieß (das intenſive Talent) geht in die Tiefe. Beide ſind nothwendig, aber ſelten verbunden, muͤſſen ſich alſo gegenſeitig ergaͤnzen. 11. Nicht alles Reden iſt gleich ſehr Gegenſtand der Auslegekunſt. Einige Reden haben fuͤr dieſelbe einen Null- werth, andere einen abſoluten; das meiſte liegt zwiſchen die- ſen beiden Punkten. 1. Einen Nullwerth hat was weder Intereſſe hat als That noch Bedeutung fuͤr die Sprache. Es wird geredet, weil die Sprache ſich nur in der Continuitaͤt der Wiederholung erhaͤlt. Was aber nur ſchon vorhanden geweſenes wiederholt iſt an ſich nichts. Wettergeſpraͤche. Allein dieß Null iſt nicht das abſolute Nichts ſondern nur ein Minimum. Denn es entwickelt ſich an demſel- ben das Bedeutende. Das Minimum iſt die gemeine Rede im Geſchaͤftlichen und in dem gewoͤhnlichen Geſpraͤch im gemeinen Leben. 2. Auf jeder Seite giebt es ein Maximum, auf der gram- matiſchen nemlich, was am meiſten produktiv iſt und am wenig- ſten wiederholend, das klaſſiſche. Auf der pſychologiſchen Seite was am meiſten eigenthuͤmlich iſt und am wenigſten gemein, das originelle. Abſolut iſt aber nur die Identitaͤt von beiden, das genialiſche oder urbildliche fuͤr die Sprache in der Ge- dankenproduktion. 3. Das klaſſiſche aber muß nicht voruͤbergehend ſein ſondern die folgenden Produktionen beſtimmen. Eben ſo das originelle. Aber auch das abſolute (Maximum) darf nicht frei davon ſein, beſtimmt worden zu ſein durch fruͤheres und allgemeineres. Zuſaz 1): Dazwiſchenliegendes zwiſchen dem Minimum und Maximum naͤhert ſich an eins von beiden; a) an das gemeine die relative Inhaltsnichtigkeit und die anmuthige Darſtellung, b) an das geniale, die Klaſſicitaͤt in der Sprache, die aber 1) Randanmerk. v. 1828.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/42
Zitationshilfe: Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/42>, abgerufen am 04.12.2024.