aber die Anerkennung einer jeden Stufe der Unvollkommenheit in sich.
Sehen wir auf die Verschiedenheit des Inhalts und fragen, wiefern können wir für die verschiedenen Gattungen wenigstens gewisse Regeln und Cautelen feststellen, um die Aufgabe richtig zu lösen, so kommt es auf die beiden Punkte an, zu wissen, ob und wiefern die Meditation in der Composition ein Anderes ge- worden ist, und ob und wieviel in der Meditation gewesen, was in der Composition nicht ist. Hier werden wir damit anfan- gen, zu fragen, in wiefern in der Meditation im psychischen Zu- stande des Verfassers eine gewisse Gebundenheit statt fand? Diese ist verschieden, aber in sofern immer vorhanden, als im ursprünglichen Impulse Inhalt und Form gewissermaaßen gegeben sind. Der Inhalt ist durch die Form in seiner Einheit und Fülle bestimmt. Ist die Form mitbestimmt, so hat sie auch ihre Geseze, und zwei Personen, die denselben philosophischen Gegenstand be- handeln, so daß der Eine in rein didaktischer, der Andere in dia- logischer Form es thut, sind beide im gebundenen Zustande, schon durch die Differenz von einander. Je fester und lebendiger die Form dem ursprünglichen Impulse eingeprägt ist, um so weniger werden solche Elemente sich entwickeln, die zwar dem Inhalte angehören, aber in die Form nicht eingehen. Der dialogische Vor- trag wird Elemente aufnehmen, die der andere, rein didaktische nicht aufnehmen kann. Ist die Form mit einer gewissen Leben- digkeit der Impulse eingeprägt, so können auch nicht entsprechende Gedanken dem Schreibenden gar nicht einfallen. Fallen sie ihm ein, so daß er sie eliminiren muß, so hat er nicht den höchsten Grad der Vollkommenheit erreicht. Dieß aber ist eben die höchste Gebundenheit durch den Impuls. Fällt aber dem Schriftsteller nicht ein, was wesentlich zum Inhalt gehört, so ist das eine Un- vollkommenheit, die daher kommt, weil dem ursprünglichen Impuls der Gegenstand nicht mit voller Lebhaftigkeit eingeprägt, der Ver- fasser des Gegenstandes nicht völlig mächtig ist. Wie ist nun da zu urtheilen? Der Ausleger muß eigene Erfahrungen haben
aber die Anerkennung einer jeden Stufe der Unvollkommenheit in ſich.
Sehen wir auf die Verſchiedenheit des Inhalts und fragen, wiefern koͤnnen wir fuͤr die verſchiedenen Gattungen wenigſtens gewiſſe Regeln und Cautelen feſtſtellen, um die Aufgabe richtig zu loͤſen, ſo kommt es auf die beiden Punkte an, zu wiſſen, ob und wiefern die Meditation in der Compoſition ein Anderes ge- worden iſt, und ob und wieviel in der Meditation geweſen, was in der Compoſition nicht iſt. Hier werden wir damit anfan- gen, zu fragen, in wiefern in der Meditation im pſychiſchen Zu- ſtande des Verfaſſers eine gewiſſe Gebundenheit ſtatt fand? Dieſe iſt verſchieden, aber in ſofern immer vorhanden, als im urſpruͤnglichen Impulſe Inhalt und Form gewiſſermaaßen gegeben ſind. Der Inhalt iſt durch die Form in ſeiner Einheit und Fuͤlle beſtimmt. Iſt die Form mitbeſtimmt, ſo hat ſie auch ihre Geſeze, und zwei Perſonen, die denſelben philoſophiſchen Gegenſtand be- handeln, ſo daß der Eine in rein didaktiſcher, der Andere in dia- logiſcher Form es thut, ſind beide im gebundenen Zuſtande, ſchon durch die Differenz von einander. Je feſter und lebendiger die Form dem urſpruͤnglichen Impulſe eingepraͤgt iſt, um ſo weniger werden ſolche Elemente ſich entwickeln, die zwar dem Inhalte angehoͤren, aber in die Form nicht eingehen. Der dialogiſche Vor- trag wird Elemente aufnehmen, die der andere, rein didaktiſche nicht aufnehmen kann. Iſt die Form mit einer gewiſſen Leben- digkeit der Impulſe eingepraͤgt, ſo koͤnnen auch nicht entſprechende Gedanken dem Schreibenden gar nicht einfallen. Fallen ſie ihm ein, ſo daß er ſie eliminiren muß, ſo hat er nicht den hoͤchſten Grad der Vollkommenheit erreicht. Dieß aber iſt eben die hoͤchſte Gebundenheit durch den Impuls. Faͤllt aber dem Schriftſteller nicht ein, was weſentlich zum Inhalt gehoͤrt, ſo iſt das eine Un- vollkommenheit, die daher kommt, weil dem urſpruͤnglichen Impuls der Gegenſtand nicht mit voller Lebhaftigkeit eingepraͤgt, der Ver- faſſer des Gegenſtandes nicht voͤllig maͤchtig iſt. Wie iſt nun da zu urtheilen? Der Ausleger muß eigene Erfahrungen haben
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aber die Anerkennung einer jeden Stufe der Unvollkommenheit
in ſich.
Sehen wir auf die Verſchiedenheit des Inhalts und fragen,
wiefern koͤnnen wir fuͤr die verſchiedenen Gattungen wenigſtens
gewiſſe Regeln und Cautelen feſtſtellen, um die Aufgabe richtig
zu loͤſen, ſo kommt es auf die beiden Punkte an, zu wiſſen, ob
und wiefern die Meditation in der Compoſition ein Anderes ge-
worden iſt, und ob und wieviel in der Meditation geweſen, was
in der Compoſition nicht iſt. Hier werden wir damit anfan-
gen, zu fragen, in wiefern in der Meditation im pſychiſchen Zu-
ſtande des Verfaſſers eine gewiſſe Gebundenheit ſtatt fand?
Dieſe iſt verſchieden, aber in ſofern immer vorhanden, als im
urſpruͤnglichen Impulſe Inhalt und Form gewiſſermaaßen gegeben
ſind. Der Inhalt iſt durch die Form in ſeiner Einheit und Fuͤlle
beſtimmt. Iſt die Form mitbeſtimmt, ſo hat ſie auch ihre Geſeze,
und zwei Perſonen, die denſelben philoſophiſchen Gegenſtand be-
handeln, ſo daß der Eine in rein didaktiſcher, der Andere in dia-
logiſcher Form es thut, ſind beide im gebundenen Zuſtande, ſchon
durch die Differenz von einander. Je feſter und lebendiger die
Form dem urſpruͤnglichen Impulſe eingepraͤgt iſt, um ſo weniger
werden ſolche Elemente ſich entwickeln, die zwar dem Inhalte
angehoͤren, aber in die Form nicht eingehen. Der dialogiſche Vor-
trag wird Elemente aufnehmen, die der andere, rein didaktiſche
nicht aufnehmen kann. Iſt die Form mit einer gewiſſen Leben-
digkeit der Impulſe eingepraͤgt, ſo koͤnnen auch nicht entſprechende
Gedanken dem Schreibenden gar nicht einfallen. Fallen ſie ihm
ein, ſo daß er ſie eliminiren muß, ſo hat er nicht den hoͤchſten
Grad der Vollkommenheit erreicht. Dieß aber iſt eben die hoͤchſte
Gebundenheit durch den Impuls. Faͤllt aber dem Schriftſteller
nicht ein, was weſentlich zum Inhalt gehoͤrt, ſo iſt das eine Un-
vollkommenheit, die daher kommt, weil dem urſpruͤnglichen Impuls
der Gegenſtand nicht mit voller Lebhaftigkeit eingepraͤgt, der Ver-
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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/236>, abgerufen am 05.12.2024.
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